Apr 08 2015

Der neue Film “Nackt unter Wölfen” — SED-Propaganda in der ARD?

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Am 1. April lief in der ARD die Neuverfilmung des Romans von Bruno Apitz Nackt unter Wölfen. Wäre man gutgläubig, hätte man meinen können, Regisseur Philipp Kadelbach und Drehbuchautor Stefan Kolditz
erlauben sich mit der Neuverfilmung einen Aprilscherz. Statt eines auf historischen Fakten basierenden Filmes bekam man die alte und zugleich offizielle Version der einstigen DDR noch einmal aufgetischt: Die Rettung des „Buchenwaldkindes“ Stefan Jerzy Zweig durch den Widerstand der Kommunisten im KZ-Buchenwald. Dienten der Apitz-Roman und die DDR-Erstverfilmung von 1963 unter der Regie von Frank Beyer noch der SED-Propaganda, so gibt diese Neuverfilmung Rätsel auf: 25 Jahre nach dem Ende der DDR wird die Rettungs-Geschichte immer noch zur propagandatauglichen Lügengeschichte verfälscht, weil die Verfilmung nur dem Roman von Apitz folgt.

Weder stimmt es, dass der Junge in einem Koffer zwei Wochen vor der Befreiung des Lagers von einem Polen ins Lager geschmuggelt noch dass er nicht registriert wurde. Historisch korrekt ist, der dreijährige Jerzy Zweig kam an der Hand seines Vaters Zacharias, eines polnisch-jüdischen Rechtsanwalts, in das KZ, und zwar bereits im August 1944 und nicht zwei Wochen vor der Befreiung des Lagers. Der Dreijährige wurde auch registriert. Es gibt eine Häftlingsakte mit der Registrierungsnummer 67.509. Er musste an Appellen teilnehmen.

Untrennbar mit der Geschichte Jerzy Zweigs ist die des Sinto-Jungen Willy Blum verknüpft. Willy Blum, der von kommunistischen Funktionshäftlingen statt Zweig auf die Transportliste nach Auschwitz gesetzt wurde, ein „Opfertausch“, wie es der Historiker Volkhard Knigge bezeichnete, kommt auch in der Neuverfilmung wieder nicht vor. Neben Willy Blum trifft der Opfertausch noch 11 andere Jugendliche.

Jedoch nicht allein der Film irritiert, weil diese historischen Fakten ausgelassen werden. Es sind Artikel in deutschen Zeitungen. Alexander Cammann in der ZEIT findet alles in Ordnung. In Die Welt wird über die Geschichtsklitterei hinweggegangen, sie titelt: „So brutal-real war ein KZ-Film noch nie.“ Die Gala weiß, „Der TV-Film „Nackt unter Wölfen“ basiert auf einer wahren Geschichte.“

Absolut unerträglich ist ein Artikel im Berliner Tagesspiegel von Kerstin Decker. Sie attestiert den „alten“ Bundesbürgern Ignoranz, da ein Großteil im Westen den Roman nicht einmal kenne. „Die Ostdeutschen können es kaum glauben, eine bundesdeutsche Fernsehanstalt verfilmt das Buch eines kommunistischen Autors, das vom kommunistischen Widerstand handelt? Den gab es doch gar nicht mehr in den letzten 25 Jahren.“

Schon allein diese Zeilen sind an Frechheit kaum zu überbieten. Übel wird einem, wenn Decker sich über die renommierte Literaturhistorikerin und Schriftstellerin Ruth Klüger auslässt. So heißt es bei Decker: „Vielleicht ist es gut, dass Apitz 1979 gestorben ist […]“ und nicht mehr habe lesen müssen, wie die „Jüdin Ruth Klüger“ über den Roman urteilte. Zu Recht schrieb Klüger 1992 in ihrem Erinnerungsbuch weiter leben: „Die Agitprop-Burschen, die das Schild vom geretteten Kind anbrachten, infantilisierten, verkleinerten und verkitschten damit den großen Völkermord, die jüdische Katastrophe im 20. Jahrhundert. Das ist mir der Inbegriff von KZ-Sentimentalität.“

Auch gegen den Historiker Lutz Niethammer wird ausgeteilt, der in seinem Buch Der gesäuberte Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald die Frage aufwarf, ob die kommunistischen Funktionshäftlinge nicht die Erfüllungsgehilfen der SS waren. Vor allem aber sei Bruno Apitz die Lektüre von Hans Joachim Schädlichs Roman Anders erspart geblieben, so Decker.

In seinem 2003 erschienen Roman erzählt Schädlich die wahre Geschichte von Jerzy Zweig und Willy Blum und benennt die Lüge, die dem Gründungsmythos der DDR diente. Schädlich schreibt: „Die ostdeutschen Kommunisten haben Jerzy Zweig seine wahre Geschichte gestohlen.“ Auf Apitz und seinen Roman, wie auf die Kommunisten überhaupt, will Decker nichts kommen lassen. Im Grunde bezichtigt sie Klüger, Niethammer und Schädlich der antikommunistischen Hetze und instrumentalisiert Jerzy Zweig – wie es schon zu DDR-Zeiten geschah und wie es die ARD-Verfilmung wieder tut.

— Susanne Schädlich

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