Jul 30 2018

Nobelpreis für Wolf Biermann: Eine transatlantische PEN-Initiative

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Nobelpreis für Wolf Biermann: Eine transatlantische PEN-Initiative
Frederick A. Lubich

Hervorragende Sänger und Seher sind seit biblisch-homerischen Zeiten die Lichtgestalten ihrer Kultur und Geschichte. Sie berichten von ihren Taten, vertonen ihren Zeitgeist und entwerfen auch immer wieder dessen kulturelle Ideale und sozialpolitische Utopien.

Auch die deutsche Kulturgeschichte kann auf eine ehrwürdige Ahnenreihe solcher Sänger und Seher, beziehungsweise Dichter und Denker zurückblicken, angefangen von Walther von der Vogelweide über Heinrich Heine zu Bertolt Brecht und von Friedrich von Schiller und Johann Wolfgang von Goethe über Thomas Mann und Hermann Hesse zu Heinrich Böll und Günter Grass, um mit den letzten vier nur einige der international bekanntesten Repräsentanten der deutschen Moderne zu nennen.

Die Mitglieder des jährlichen Nobelpreis-Komitee haben im Laufe der Jahrzehnte jedoch nicht nur die vier letztgenannten mit dem Nobelpreis für Literatur gewürdigt, sondern in jüngerer Zeit auch deutschsprachige Schriftstellerinnen wie Elfriede Jelinek und Herta Müller, die in ihren Texten die Erfahrungen der Gegenwart auf vielfache Weise zum Ausdruck gebracht haben.

Sieht man sich heute im deutschsprachigen Kulturkreis um, so gewinnt die Gestalt des Dichters, Liederkomponisten und gesellschaftskritischen Publizisten Wolf Biermann ebenfalls markant prominente Konturen und dies auch aus zusätzlich einzigartigen Gründen. Wie kein anderer deutscher Künstler seiner Zeit repräsentiert und reflektiert er mit seinem Leben und seinem Werk die Zerrissenheit seiner Nation nach dem Zweiten Weltkrieg, ihre politischen Kulturbrüche und ideologischen Widersprüche und nicht zuletzt ihre erfolgreiche Überwindung, die in ihren dramatisch epochalen Dimensionen in der Weltgeschichte sicherlich ihresgleichen sucht.

In anderen Worten, Hegels Weltgeist und seine dialektische Geschichtsphilosophie hätten keinen besseren Fürsprecher und Vorkämpfer finden können. So wie Bob Dylan für seine Generation den Zeitgeist Amerikas artikulierte, so tat es Wolf Biermann nicht nur für sein zerrissenes Vaterland, sondern auch für ein gespaltenes Europa, das Jahrzehnte lang im Kalten Krieg und seiner globalen Ost-West-Konfrontation politisch erstarrt und militärisch weltweit bedrohlich geworden war.

Biermann hat diese zeitgeschichtliche Zerreißprobe auf mehrfache Weise unmittelbar am eigenen Leib erfahren und das von Kindesbeinen an. Geboren als „halb Judenbalg und halb ein Goj“, wie er sich selbst beschreibt, machte er sich als junger, idealistischer Weltverbesserer schon früh auf den Weg nach Ost-Berlin ins vermeintlich bessere Deutschland, um mit seinen Gedichten und Gesängen so poetisch wie provokativ und so wagemutig wie zuversichtlich für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Ein Leben lang war er im besten Sinne des Wortes ein Spielmann, der in schlimmsten Zeiten seine Freiheit und nicht zuletzt sein Leben aufs Spiel setzte, um mit seiner Dichtung die Wahrheit zu verkünden – zumindest so gut, wie er sie unter den gegebenen Umständen zu erkennen und auszudrücken vermochte.

Heinrich Heines literarische Maxime, Poesie und Politik auf progressive Weise zu verbinden und weiter zu verbreiten, kristallisierte sich im Lebenswerk Biermanns auf geradezu geniale Weise. Höhepunkt seiner essaystischen und vor allem poetischen Kreativität, die sich in zahlreichen Gedichtbänden niedergeschlagen hat, ist sicherlich sein Versepos „Deutschland ein Wintermärchen“, das nicht nur eine kongeniale Revision von Heines gleichnamigem „Deutschland ein Wintermärchen“ darstellt, sondern letzteres an lyrischem Witz und ironisch-sarkastischem Scharfsinn auch immer wieder übertrifft. Anders gewendet, Wolf Biermanns poetisch-politisches Werk ist ein integraler Bestandteil der vielberufenen Dialektik der deutsch-jüdischen Aufklärung, die von Immanuel Kant über Gotthold Efraim Lessing und Moses Mendelssohn bis zur Frankfurter Schule Theodor Adornos und Max Horkheimers reicht und noch weit darüber hinaus.

Aus dem Geist dieser fortschrittlichen Aufklärung konnte schließlich aus Heines dunklem, romantischen Wintermärchen ein helles, modernes Sommermärchen werden, welches über den Berliner Mauerfall und ein wiedervereintes Deutschland hinaus auch noch auf ein sich rundum zunehmend demokratisch vereinigendes Europa auszustrahlen vermochte. Im Laufe der Jahre und nicht zuletzt seit der sogenannten bundesweiten Flüchtlingskrise im Jahre 2015 ist Biermann auch zu einer zunehmend transatlantisch und international wichtigen Stimme geworden, der auch Zeitungen wie die New York Times gebührende Resonanz verleiht.

Auf Grund der einmaligen, poetisch-politischen Verdienste Wolf Biermanns habe ich im Frühjahr dieses Jahres dem Vorstand des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland vorgeschlagen, den Autor für den Nobelpreis für Literatur zu nominieren und sämtliche Mitglieder haben diesen Vorschlag einstimmig unterstützt. Wir hoffen durch kreative PR-Arbeit dieses Projekt erfolgreich voranzubringen und sind für weitere Vorschläge und einschlägige Hinweise sehr dankbar.

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