Jan 2011

Susanne Schädlich

The best to those who wait

Sagen wir, ich spiele im Sand, nachdem wir lange am Strand gelaufen sind, du so schnell, dass ich kaum nachgekommen bin. Du sitzt auf einer Mole, Papier auf den Knien und ein Buch und schreibst. Ich weiß nicht, was du schreibst, aber es sieht aus, als schriebest du aus dem Buch ab. Daß du auf der Mole in Gärten gesessen hast in einer fremden Sprache, erfahre ich erst, als ich ein Buch bekomme.

Sagen wir, wir sitzen am Eßtisch im Eßzimmer. Abendbrotzeit. Stullen und Wurst. Gurken. Auf einem Teller liegt ein rotes Gemüse.

Was ist das, frage ich.

Probier doch mal, sagst du.

Ich beiße in das rote Gemüse. Mein Mund brennt, und ich renne ins Bad zum kalten Wasser. Du lachst.

Sagen wir, auf einem Tisch steht ein elektrischer Puppenherd. Auf dem Herd steht ein Topf, darin Nudelsuppe. Die Nudelsuppe habe ich gekocht und habe gesagt, du mußt sie essen. Du sitzt in der Küche und ißt von einem Puppenteller mit einem Puppenlöffel. Du sagst, schmeckt gut.

Sagen wir, ich sage, das ist meins.

Deins ist, was der Hund scheißt, sagst du.

Sagen wir, ich sitze in deinem Zimmer. In dem Zimmer steht ein Schreibtisch. Auf dem Schreibtisch liegt eine braune Lederhaut, die ich mir gerne ansehe, weil du darauf gekritzelt hast. In dem Zimmer steht eine Liege, weißes Gestell, blaue Matratze. In dem Zimmer stehen die Wände voller Bücher. Du liest aus einem Buch vor, in dem ein Zauberer einem Kind die Worte stiehlt. Ich bin eine der ersten, die das hören darf.

Sagen wir, ich sitze am Tisch. Mittagessen. Ich habe einen Kaugummi im Mund und lasse Blasen knallen.

Laß das, sagst du.

Ich lasse eine Blase knallen.

Kopfnuss, sagst du und pochst kräftigt mit dem Fingerknochen auf meinen Kopf.

Sagen wir, du nimmst eine Plastikschüssel, stellst sie auf den Herd, hebst mich hoch, setzt mich hinein, schaltest den Herd an und sagst, jetzt wirst du gekocht. Ich weine.

Meistens sitzt du am Schreibtisch und schreibst und rauchst Pfeife. Sagen wir, wenn deine Zimmertür zu ist, soll sie auch zu bleiben. Ich mache sie trotzdem auf. Manchmal liegst du auf dem Rücken auf der Liege mit dem weißen Gestell und der blauen Matratze, die Hände gefaltet über dem Bauch und schnarchst und pfeifst. Den Anblick stehle ich mir. Ich glaube, du weißt, daß ich dort stehe.

Manchmal lutschst du eine Lakritzstange, wenn du am Schreibtisch sitzt. Ich darf ins Zimmer kommen, nachdem ich lange an der Tür gestanden habe. Du gibst mir eine Lakritzstange, ich reiße das dünne Zellophanpapier ab, und wir spielen Zigarre rauchen.

Sagen wir, ein Zirkus ist in der Stadt. Du nimmst mich an die Hand, wir fahren mit der Bahn und laufen durch graue Straßen. Später sitzen wir in einem großen bunten Zelt voller Leute ganz allein und sehen Löwen, Elefanten und Clowns.

Sagen wir, wir müssen das Land verlassen, in dem nur die Zirkuszelte bunt sind und die Menschen wie Clowns, oder Elefanten und Löwen in der Manege. Wir verlassen das Land und kommen nicht wieder. Wo wir danach sind, ist deine Seele nicht.

Sagen wir, als deine Seele noch nicht da ist, hast du einen Schlafanzug an und gehst in der Wohnung auf und ab, als wolltest du ankommen. Ich komme nachmittags von der Schule und bleibe, weil die Mutter arbeiten muss und die Schwester im Kindergarten ist. Aber einmal will ich gehen. Du nimmst Teller und wirfst sie in die Küche.

Sagen wir, als deine Seele ankommt, wohnst du längst in einer anderen Wohnung und ich auch. Gegenüber von deiner Wohnung steht eine alte Fabrik. Die Gegend mag ich nicht und auch nicht deine Wohnung. Ich gehe meinen Weg, und du gehst deinen. Ich komme nur manchmal zu Besuch. Ich mache Abitur und suche etwas zu tun. Ich spreche mit deinem Bruder und nicht mit dir. Wir unterhalten uns nur noch selten. Und wenn, dann nie über das, was war, noch über das, was kommt. Nur über das, was ist. Das ist nicht viel.

Weil es vielleicht etwas zu tun gibt in der anderen Hälfte der Stadt, höre ich auf deinen Bruder, der mit mir spricht und mich abholt in der anderen Hälfte der Stadt, in der einmal die Liege mit dem weißen Gestell und der blauen Matratze stand und mich zu Männern bringt, die mich ausfragen.

Als du davon erfährst, sagst du, ich will dich nie mehr sehen. Du hast mich verraten.

Sagen wir, ich ziehe in eine Stadt, in der Mutter wohnt.  Manchmal telefonieren wir. Viel öfter kommt dein Bruder dorthin, bevor wir wissen, wer er ist. Einmal begleite ich ihn, als er wieder abfährt, im Zug, bis ich aussteigen muss, weil ich nicht dahin fahren darf, wo er hinfährt. Er fragt mich aus über vieles und über dich. Daß er der Verräter war, sagen wir uns Jahre später.

Sagen wir, in der Stadt, in der die Mutter wohnt, will ich auch nicht mehr sein, und deshalb besteige ich ein Flugzeug und fliege fort. Weil das, was war, noch zu sehr das bestimmt, was und wie es ist, und deshalb nichts anderes kommt.

Nachdem ich weggeflogen bin, liegen neun Stunden Zeitunterschied zwischen uns und ich weiß nicht, wie viele unausgesprochene Worte.

Sagen wir, als ich schon eine Weile weit weg bin, schreibst du in einem Brief, laß den Unsinn, komm zurück und sei vernünftig.

Sagen wir, ich schreibe zurück, du hast nichts verstanden.

Sagen wir, danach höre ich zu lange nichts von dir.

Sagen wir, du schreibst später in einem Brief, ich habe alles verstanden. Bleib. Sei vernünftig. Vielleicht kommst du irgendwann einmal wieder zurück.

Als wir uns wiedersehen, verbringen wir drei Tage in einer Stadt, die wir beide nicht kennen. Wir laufen durch Straßen, wir essen in Restaurants, wir gehen an einer Mauer entlang mit 40.000 Namen, in der sich ein weißes Haus spiegelt. Wir besuchen eine Kirche, in der getanzt wird und gesungen. Wir treffen Freunde von dir und wir reden. Über das, was war, über das, was und wie es ist, und über das, was vielleicht noch kommt.

Du fliegst zurück, ich bleibe. Wir schreiben uns.

Sagen wir, ich komme in die Stadt, die einmal zwei Hälften war, und bleibe für ein Jahr. Du wohnst in einer neuen Wohnung. Ich mag die Gegend und auch deine Wohnung. Wir gehen gemeinsam Wege und reden, über das, wie es ist und über das, was vielleicht noch kommt. Selten, über das, was war.

Bevor das Jahr vorbei ist, reden wir über das, was war. Du bleibst. Und wir schreiben uns.

Sagen wir, du schreibst, ich bin sehr froh darüber, daß wir uns in diesem Jahr so gut kennengelernt haben. Ich habe viele Wünsche für dich im Kopf. Daß dein Geist heiter gestimmt ist und dein Leib gefestigt. Ich denke unentwegt an dich und umarme dich, dich fest und froh, auf daß du sicher weißt, wie lieb ich dich habe.

Sagen wir, ich schreibe, einen himmlischen Tag deiner Geburt wünsche ich dir, und ein Wunsch nach dem anderen soll sich erfüllen. Leider bin ich so weit fort und einzig meine Gedanken können bei dir sein, aber sei dir gewiß, sie sind es allerherzlichst. Nach all den Jahren des sich einander Fremdseins genieße ich die erst versuchte und nun doch erlangte Nähe. Die Amerikaner sagen: the best to those who wait.

Ich sage, wir brauchen nicht mehr zu warten.

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