Dec 2016

Rezension von Alles wandelt sich. Echos auf Ovid.

Alles wandelt sich. Echos auf Ovid. Hrsg. von Gabrielle Alioth und Hans-Christian Oeser. O.O.: P&L Edition, 2016, 207 S.

von Albrecht Classen

So gut es auch vielen Menschen in der westlichen Welt gehen mag, befinden wir uns heute trotzdem global gesehen in Umständen des größten Leides, wenn wir vor allem an den unablässigen Strom von Flüchtlingen denken – rette sich wer kann! Die Exilerfahrung breitet sich aus, stößt aber zunehmend auf Fremdenhass, getragen von Angst und Unsicherheit. Was haben wir wohl jemals aus unseren eigenen Erlebnissen etwa unter den Nazis gelernt? Die anderen können, sollen ruhig selber zusehen, wie sie zurechtkommen. Mein und dein wird zunehmend genau getrennt, und die anderen sollen schön zu Hause bleiben, ob dort Terror herrscht, Krieg tobt oder ein Diktator, von denen es heute immer mehr zu geben scheint, die Menschen brutal unterdrückt.

Schon vor 2000 Jahren hatte man die Politik der Exilierung betrieben, und das wohl berühmteste Opfer davon ist Ovid (gest. 17 n. Chr.) gewesen, auf dessen Werke sich die hier versammelten Autoren und Dichter beziehen. Manche nehmen direkt Bezug auf seine Gedanken oder Aussagen, aber die meisten reflektieren in vielerlei Form über Flucht, Exil, Vertreibung u.a.

Die 38 Beiträge hier einzeln zu besprechen wäre ein Ding der Unmöglichkeit und sicherlich ungerecht gegenüber einem der Gedichte oder der Kurzerzählungen. Aber das überragende Thema macht sich überall bemerkbar, insoweit als die Vergangenheit aus spezieller Perspektive neu betrachtet wird und Leiderfahrungen früherer Tage, manchmal aber auch freudige und glückserfüllte Erlebnisse (Liebe) sprachlich verarbeitet werden. Manchmal handelt es sich um ein Märchen, dann um novellistische Erzählungen, oder um autobiographische Reflexe. Häufiger gehen die Autoren von konkreten Stellen bei Ovid aus, oder zitieren eine bekannte Zeile, was als Ansporn dazu dient, einen besonderen Aspekt in ihrem Leben daraufhin zu überprüfen. Exil als solches kommt aber gar nicht so häufig zur Sprache, vielmehr spielt die Vergangenheit, wie auch immer beurteilt, aus persönlicher Sicht eine recht große Rolle.

Die Gedichte gefallen mir meistens recht gut (Vera Botterbusch, Gisela Holfter, Rainer Wedler), aber es gibt auch einige, die weniger Tiefgang besitzen und eher oberflächlich über historische Ereignisse berichten, ohne die notwendige poetische Ausdruckskraft zu erreichen (Heinrich G. E. Schneeweiss, Michael Starke). Trotzdem liest man sie gerne, weil der Reigen von Texten ein harmonisches Ganze bildet ungeachtet der Vielfalt an Themen. “Alles wandelt sich”, so heißt es auf dem Titelblatt, aber das menschliche Leiden wiederholt sich immer wieder, schlicht unter anderen Vorzeichen.

Ovid hat uns also weiterhin viel zu sagen. Eine gewisse Wehmut zieht sich durch diese Anthologie, aber nur manchmal werden wir mit ganz aktuellen und harten, ja schmerzhaften Stoffen konfrontiert, so wenn Renate Ahrens (“Durst”) das Grauen von syrischen Flüchtlingen in einem Lastwagentransporter schildert. Mit am stärksten geht Susanna Piontek auf Ovid ein, indem sie von ihrem Onkel berichtet, der passionierter Klassizist war und diesen Dichter verehrte. Dies spiegelt gut wieder, was dieser Band erreichen will, “Echos auf Ovid”, aber es ist eine fast zu schlichte, harmlose Erzählung im Vergleich zu dem, was Ahrens verfasste. Dass natürlich das Thema “Liebe” bei Ovid (Metamorphosen) eine zentrale Rolle spielte, macht sich hier auch in einigen Texten bemerkbar (Frederick Lubich), die dann eher vergnügliche Erfahrungen zum Besten geben. Dass Ovid gleichermaßen die stete Wandelbarkeit aller Existenz zum Ausdruck gebracht hatte, spiegeln besonders schön die Texte von Susanne Fritz und Lutz Rathenow.

Dieser sympathische Band endet mit einer Liste von Kurzbiographien der Beiträger. Man kann gut darin schmökern, sich unterhalten lassen, sieht sich aber oft auch mit bitteren oder furchterregenden Motiven konfrontiert. Das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland hat sich hiermit selbst ein würdiges Denkmal literarischer Art geschaffen.

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