Oct 2012

Bärbel Such

Erbauung, Spannung, Holocaust: Stefan Ruzowitzkys Die Fälscher als Unterhaltungskino

Der Kinofilm Die Fälscher (2007) erzählt die Geschichte des “Unternehmens Bernhard”, einer großangelegten Geldfälscheroperation der Nationalsozialisten, die im KZ Sachsenhausen von zumeist jüdischen Gefangenen durchgeführt wurde.[1] Ziel dieser Aktion war es, Amerika und Großbritannien mit gefälschter Währung zu überschwemmen und damit die Wirtschaftskraft dieser Länder zu zerstören. Christian Buß rezensierte den Film unter dem passenden Titel “Das Sterben der Anderen”,[2] denn die geldfälschenden Häftlinge erleben das Leiden ihrer Mitge­fangenen nur als Ohren­zeugen. Sie leben und arbeiten völlig abgeschottet von ihnen, und ihre Lebensumstände sind im Gegensatz zu den übrigen KZ-Insassen relativ gut. Sie bekommen genug zu essen, schlafen in bezogenen Betten und verfügen über annehmbare sanitäre Anlagen. Geheim­haltung ihrer Arbeit ist oberstes Gebot und jeder Kontakt mit Häftlingen außerhalb ihres Blocks, zumeist politische Gefangene, würde mit dem Tod bestraft. Trotz der Isolation lösen die Leiden der anderen letztendlich den zentralen Konflikt aus, der die Handlung des Filmes bestimmt. Die Herstellung von Pfund- und Dollar­blüten garantiert das Überleben der Fälscher, gleichzeitig unterstützen sie mit ihrer Arbeit jedoch das Nazi-Regime und damit dessen Vernichtungspolitik. “Wir finanzieren den Nazis den Krieg”,[3] stellt einer der Gefangenen richtig fest. Weigern die Fälscher sich jedoch, ihr Produkt zu liefern, droht ihnen selbst die Ermordung. Dieses Dilemma zwischen eigenem Überlebens­willen und moralischer Verantwortung den anderen Opfern gegenüber scheinen die Fälscher zunächst zu­gun­sten der letzteren zu lösen, indem sie die Fertigstellung des Dollars monatelang sabotieren. Erst als ihnen die Erschießung unmittelbar bevorsteht, geben sie in letzter Sekunde nach. Ihre Verzögerungstaktik ist jedoch insofern erfolgreich, als dass das Falschgeld nicht mehr vor Kriegsende in Umlauf gebracht werden kann.

In Anbetracht dieses Filmendes, das zwar kaum “happy” genannt werden kann, aber zumindest moralisch beflügelt, ist es verwunderlich, dass Adolf Burger, auf dessen Memoiren das Drehbuch basiert,[4] ein solch gefährliches und selbstloses Verhalten vehement zurückweist. In einem Interview mit der israelischen Zeitung Haaretz erklärte Burger: “That whole idea is bullshit. […] The important thing was to survive. We didn’t care about the others in the camp.”[5] Zwar hätten die Häftlinge die Fertigstellung des Dollars in der Tat bewusst hinausgezögert, als jedoch Himmlers Befehl eintraf, die Fälscher bei anhaltendem Misserfolg zu erschießen,[6]  sei es jedem einzelnen allein darum gegangen zu überleben, nicht, moralisches Vorbild zu sein.[7] Auch Lawrence Malkin, Autor einer umfassenden Studie zur Operation Berhard,[8] betont, dass er trotz extensiver Forschung keine Anzeichen dafür gefunden habe, dass die Fälscher ihr Leben zugunsten anderer Verfolgter aufs Spiel gesetzt hätten.[9]  Somit stellt sich also die Frage, warum der Regisseur, der Österreicher Stefan Ruzowitzky, in der filmischen Inszinierung von Burgers Erinnerungen diese moralischen Bedenken zwar wohl nicht gänzlich erfindet, jedoch in den Mittelpunkt rückt und ihnen einen Stellenwert zukommen lässt, den es laut Burger nicht gegeben hat. Ist die Geschichte der Fälscher an sich nicht erzählenswert genug? Ist das heutige Publikum der nackten Tatsachen Leid? Bedarf es einer spannenden Geschichte, waghalsiger Charaktere, um uns ins Kino zu locken, auch wenn es sich um eine Repräsentation des Holocaust handelt? Gehört der Film überhaupt in diese Kategorie? Diesen Fragen möchte ich hier genauer nachgehen.

Der Regisseur Ruzowitzky beantwortet die Frage, warum er den Film “im Stil eines Abenteuerfilms” gedreht habe, selbst so:

Für ein heutiges Publikum reicht ein wütendes “So war es!” nicht mehr. Man muss vom Holocaust erzählen und hat geradezu eine moralische Verpflich­tung, dies auf eine Art und Weise zu tun, mit der man möglichst viele Zuschauer erreicht. […] Ja, auch ein Film über den Holocaust soll im besten Sinne spannend und unterhaltsam sein.[10]

Bereits mit seiner Forderung nach Spannung und Unterhaltung wendet sich Ruzowitzky gegen den Anspruch solcher Filmemacher und Filmwissenschaftler wie Claude Lanzmann, dass allenfalls Dokumentarfilme dem Thema gerecht werden können und jede Fiktionalisierung einer Trivialisierung des Holocaust gleichkomme;  eine Auffassung, die besonders die Diskussion um Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993) bestimmte.[11] Filmbiografien wie Schindlers Liste, Roman Polanskis Der Pianist (2002) und Die Fälscher, die sich seit den 80er Jahren zum beliebtesten Genre des Holocaustfilms entwickelt haben,[12] liegt es aber nicht daran, die Ereignisse, von denen sie erzählen, so authentisch wie möglich darzustellen; was, darüber ist sich die Forschung einig, sowieso eine Unmöglichkeit darstellt.[13] Vielmehr möchten Biopics Geschichten erzählen, die den Holocaust zu einem relevanten Thema für ein jüngeres Publikum machen, das zeitlich und oft auch räumlich mehrere Generationen von den Verbrechen der Nationalsozialisten entfernt ist. In seiner Studie zur Entwicklung des kontemporären Holocaustkinos hält Lawrence Baron fest:

[These] movies should not be judged by whether they are historically, politically, or theoretically “correct” but by whether they figuratively or literally evoke a sense of the collective and individual choices and historical circumstances that enabled Hitler to persecute or liquidate millions of civilians he designated as asocial, deviant, ideological, racial, or religious enemies.[14]

Wenn eine Präsentation der bekannten Tatsachen, wie sie etwa in Dokumentarfilmen versucht wird, dazu führt, dass diese Filme kein ausreichendes Publikum mehr finden, weil die Distanz zwischen dem Geschehenen und den Zuschauern zu groß ist, so besteht die Gefahr, dass die Erinnerung an den Holocaust aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Filme können jedoch auch als “Erinnerungsprothesen” dienen, um Alison Landsbergs Begriff zu verwenden;[15] Hilfestellungen, um die Kluft, die zwischen den jüngeren Generationen und den Ereignissen der Vergangenheit besteht, zu überbrücken. Diese gestatten auch, den Geschichten spanndende, melodramatische oder erbauliche Elemente zu verleihen. Das Biopic eignet sich dazu besonders gut, da jüngere Zuschauergenerationen persönliche Geschichten kollektiver Geschichte und damit vielschichtige Charaktere namenlosen Opfern vorziehen.[16] Die Schicksale Oskar Schindlers und der “Schindlerjuden”, des Pianisten Władysław Szpilman oder der Fälscher aus Sachsenhausen ermöglichen eine Ahnung davon, wie es war, unter diesen Umständen als Verfolgte zu leben und erlauben den Zuschauern ein Verhältnis zu den Opfern und der Zeit zu entwickeln, das von Empathie gekennzeichnet ist.[17]

Wenn Ruzowitzky also mit seinem Film auf spannende Unterhaltung gesetzt hat, so ist ihm dies einer großen Anzahl von Rezensionen zufolge, die zum Teil nach dem deutschen Kinostart der Fälscher, zum Teil nach dem Oscar für den besten ausländischen Film 2008 erschienen, auch gelungen.[18] Cinematical.com nennt Ruzowitzkys Film “tense and riveting,”[19] der Boston Globe beschreibt ihn als “slick, exciting.”[20] Die New York Times versieht ihn mit dem Etikett “swift and suspenseful thriller,”[21] der Spiegel-online kategorisiert ihn als eine “Variation eines Ganovenfilms,”[22] während View London den Film zu einem “[t]horoughly enjoyable wartime drama” macht.[23] Filmcritic.com stellt in seinem Kommentar der Eröffnungssequenz, in der uns die Hauptfigur und gleichzeitig der Haupt­fälscher Salomon Sorowitsch vorgestellt wird, die Verbindung zum Agentenfilm her: “[…] Salomon walks into the swankest hotel [in Monte Carlo] […] and opens the [brief]case to reveal a king’s bounty of crisp bills. You’d think the guy was James Bond’s ragged older brother […].”[24] Dadurch, dass die Besprechungen den Film verschiedenen Genres zuordnen, wird ein möglichst breites Publikum angesprochen. Lawrence Baron stellt dazu fest:

Often what draws audiences to watch a movie is not the movie itself but a favorite genre […] The advertising tagline for a movie provides the viewer with a clue about whether a film will live up to his or her expectations associated with a particular genre. […] Notwithstanding the recurring images of Jews being executed in Schindler’s List, the tagline for the movie is more upbeat:“Whoever saves one life, saves the world entire.”[25]

Auch die Tagline des Trailers,[26] mit dem sonyclassics zum amerikanischen Kinostart von Die Fälscher warb, lenkt die Erwartungen potentieller Kinobesucher in eine bestimmte Richtung. “Based on the True Story of a Master Criminal” heißt es dort, was zum einen signalisiert, dass es sich bei diesem Film um ein Biopic handelt, zum anderen schon die spannende Unterhaltung eines Krimis antizipieren lässt. Die Tagline ist aber in sofern irreführend, als dass der Film natürlich die Geschichte des Meisterfälschers Salomon erzählt, dieser seine Erlebnisse in Sachsen­hausen aber nie selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Stattdessen basiert der Film auf Adolf Burgers Autobiografie, und der Charakter Burger ist im Film Salomon allenfalls zur Seite gestellt. Für die Kinobesucher machen diese Details allerdings keinen Unterschied.

“During the war, he [Salomon] was a prisoner of the Third Reich,“ verkündet der Trailer weiterhin. Das stimmt natürlich, nur wird hier angedeutet, dass Salomon lediglich aufgrund seiner Geldfälschertätigkeit interniert wurde; die Tatsache, dass er zudem jüdisch war, wird nicht erwähnt.  Diese Auslassung erinnert an frühe, in Hollywood produzierte Holocaust- bzw. Anti-Nazi-Filme, die die Verfolgung der Juden nicht beim Namen nannten, u.a. aus Angst, ihre Zuschauer zu verschrecken.[27] Doch auch in dem Trailer zu Der Pianist wird Szpilmans Jüdischkeit eher suggeriert als direkt benannt.[28] Eine Frauenstimme im Voice-over teilt mit, dass einer Anordnung zufolge nun alle Warschauer Juden in ein Ghetto ziehen müssten, doch ist von Szpilmans Familie nicht unmittelbar die Rede. Stattdessen konzentriert sich auch dieser Trailer darauf, dass Szpilmans Geschichte auf wahren Begebenheiten basiert und außerdem eine Überlebensgeschichte ist: “Music was his passion. Survival was his masterpiece,“ wird dem Zuschauer mitgeteilt. Zudem beinhaltet der Trailer ein Zitat aus Shakepeares Komödie Der Kaufmann aus Venedig: “If you prick us, do we not bleed? If you tickle us, do we not laugh? If you poison us, do we not die? And if you wrong us, do we not revenge?”[29] Belesene Zuschauer werden das Zitat als Rede des Juden Shylock erkennen, der Solanio und Salarino verspricht, dass er sich für das ihm angetane Unrecht rächen wird. Doch auch wer das Zitat nicht identifizieren kann, gewinnt ganz klar den Eindruck, dass Szpilman seinen Verfolgern Widerstand leisten wird. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Szpilman zum Voice-over des Zitats mit einer Waffe gezeigt wird. Der Trailer verspricht somit ganz deutlich spannende Unterhaltung.

Im amerikanischen Trailer zu Die Fälscher erfahren wir weiter: “He [the master criminal] was the one man who could save the Nazi war machine.”[30] Es ist richtig, dass Salamon Smolianoff, auf dessen Person der Charakter Salomon Sorowitsch beruht, “der einzige Geldfälscherprofi unter den 144 […] Häftlingen des Fälscherkommandos” war,[31] aber er war eben nur einer von 144 Männern, die unter dem Einsatz ihres Lebens an den Blüten arbeiteten. Im Film jedoch wird ein Held vorgestellt, von dem unter den denkbar schlechtes­ten Bedingungen Unvor­stell­bares gefordert werden wird, nämlich die Nazis vor dem Untergang zu retten. Es bedarf schon eines James Bond-artigen Helden, um so etwas zu vollbringen.

Indem sich der Film auf die Geschichte und Person des Berufsverbrechers Sorowitsch konzentriert, zeigt er natürlich ein Schicksal, das für den Holocaust untypisch ist: Salomon überlebt. Genau wie die Hauptcharaktere der bereits angesprochenen Filmbiografien, die “Schindlerjuden” und der Pianist Szpilman, entgeht Salomon der Vernichtung durch die Nazis. Die Filme heben das Überleben Einzelner hervor, nicht zuerst das massenhafte Sterben eines Volkes. Agnieszka Hollands Hitlerjunge Salomon (1989), Margarethe von Trottas Rosenstraße (2003) und Paul Verhoevens Black Book (2006) sind weitere Beispiele für diese “Überlebens­filme.”[32] Was den Fälscher Salomon anbelangt, kann das Publikum von Anfang an aufatmen, da die Eröffnungs­szene des Films deutlich macht, dass der Krieg vorbei ist und die Handlung in Rückblenden dargestellt wird.

Der Salomon der späten 30er Jahre, der uns zuerst begegnet, ist zunächst kein sonderlich sympathischer Mensch. Er ist ein kleiner Krimineller, der vor allem an seinem eigenen Auskommen interessiert ist: “Ich bin ich, und die anderen sind die anderen”,[33] stellt er kaltschnäutzig fest, als ihn ein jüdischer Freund um Hilfe bittet und an sein Zugehörig­keits­gefühl zum jüdischen Volk appelliert. Salomon kommentiert die sich verschlechternde Situation der Juden mit den Worten: “Weißt du, warum die Juden immer verfolgt werden? Weil sie sich nicht anpassen können. Ist doch nicht so schwer.”[34] Seine Assimilation und Distanz zu seiner jüdischen Abstammung könnten nicht stärker zum Ausdruck gebracht werden, und es ist bemerkenswert, dass Salomons jüdische Herkunft auch durch den ganzen Film hindurch nicht weiter erwähnt wird. Auch in Bezug auf seinen Mithäftling Burger wird der Eindruck vermittelt, er befinde sich nur aufgrund seiner kommunistischen Tätigkeiten im KZ und nicht, weil er Jude ist. Überhaupt spielt jüdische Identität in dem Film kaum eine Rolle. In einer Szene spricht einer der Fälscher das Kaddisch, als außerhalb ihres Blocks ein Gefangener erschossen wird. Ansonsten wird das Publikum nur ab und zu durch die Beschimpfungen der deutschen Aufseher daran erinnert, dass die Häftlinge Juden sind. Auch hier bietet sich ein Vergleich zu Polanskis Film an. Die Identifizierung der Familie Szpilman als Juden kommt ebenfalls von außen und zwar hauptsächlich von deutschen Wehrmachtsangehörigen. Ansonsten konzentriert sich der Film auf die Assimilation der Familie und hebt Władysławs Beziehungen zu nicht-jüdischen Polen hervor, die ihn dann nach seiner Flucht aus dem Ghetto auch verstecken. In Verhoevens Black Book findet das Ablegen der jüdischen Identität visuell sehr wirkungsvoll zu Beginn des Filmes statt, wenn sich die Heldin Rachel die Haare blond färbt, um überzeugender eine nicht-Jüdin darzustellen. Die Tatsache, dass sie außerdem fließend und fast akzentfrei Deutsch spricht, hebt, besonders für ein deutsches Publikum, alle Andersartigkeit auf. Für eine junge Zuschauer­generation, die speziell im deutschsprachigen Raum wenig Bezug zu jüdischen Kontexten hat, wird so durch das Verdrängen des Jüdischen der Identifikationsprozess noch beschleunigt.

Salomons Opportunismus und Pragmatismus sichern während seiner Gefangenschaft im KZ Mauthausen sein Überleben, aber nach seiner Verlegung nach Sachsenhausen beginnt er, die anderen Insassen um sich herum wahrzunehmen und ein Verantwortungsgefühl für seine Mithäftlinge zu entwickeln. Er lernt es zu schätzen, dass letztendlich nur die kollektiven Anstrengungen der Häftlinge zum Erfolg führen und ihrer Vernichtung weiteren Aufschub gewähren können. Das Überleben aller garantiert das Überleben aller; oder “Einer für alle, alle für einen”, wie es in Abenteuerfilmen heißt.[35]

Es ist genau dieses Gemeinschaftsgefühl, an das der junge Kommunist Burger appelliert, der die Kriegsmachinerie durch Sabotage aufhalten will. “Ein Aufstand, das wäre wenigstens ein Zeichen”,[36] versucht er Salomon zu überzeugen, doch dieser weist ihn zurück: “Lieber morgen ins Gas als heute sinnlos erschossen werden.”[37] In seiner Verzweiflung entschließt Burger sich, allein zu handeln. Bald liegt es nur noch an seiner Sabotage, dass der Dollar nicht fertig wird, und selbst als den Fälschern mit Erschießung gedroht wird, gibt er nicht nach. Buchstäblich in letzter Sekunde rettet Salomon die Häftlinge, weil es ihm gelungen ist, den Fehler in der Reproduktion zu korrigieren. Natürlich verstehen wir als Zuschauer, dass Burgers Motive ehrenhaft sind und er recht hat. Trotzdem weisen wir seinen Idealismus als unvernünftig und gefährlich zurück, anstatt das Heldenhafte darin zu sehen. Wir stehen auf Salomons Seite. Wir wollen, dass er den Nazis den Dollar präsentiert, so dass niemand der uns inzwischen vertrauten Gruppe der Fälscher leiden oder sogar sterben muss.

Wir bangen um die Häftlinge auch in anderen Szenen, spornen sie innerlich an, ohne die möglichen Auswirkungen auf den Kriegsverlauf zu beachten. So werden die Fälscher eines Nachts unter dem üblichen Geschrei aus dem Bett geholt und müssen zum Appell antreten. Das Publikum weiß aus Erfahrung, dass solche nächtlichen Aktionen nichts Gutes bedeuten können und antizipiert hier Gewalt, vielleicht sogar Tod. Herzog erzählt den Fälschern die Geschichte, wie ein deutscher Agent mit den Pfundblüten in eine Schweizer Bank geht, um diese dort einer Feuerprobe zu unterziehen. Je länger Herzogs Erzählung dauert, desto mehr wächst die Anspannung unter den Häftlingen und überträgt sich auf die Zuschauer, denn ein Misserfolg würde sicher einem Todesurteil gleichkommen. Endlich löst sich die Spannung. Die falschen Banknoten wurden angenommen, die Fälscher sind erleichtert und freuen sich ihres Erfolges, die Nazis sind zufrieden, und das Publikum ist es auch. Sicher ist den Nazis gerade ein großer Durchbruch im Kriegsgeschäft gelungen, aber die Fälscher sind noch einmal mit heiler Haut davon gekommen.

Ruzowitzky benutzt hier bekannte dramaturgische Mittel, um Spannung zu erzeugen und uns auf emotionaler Ebene anzusprechen, wie das Setzen und Ablaufen einer Frist, die Rettung in letzter Sekunde und die Schaffung von Momenten höchster affektiver Anspannung, die nach Auflösung drängen. Auch diese Stilmittel sind dem jüngeren Holocaustkino keinesfalls neu. Wenn die Frauen der “Schindlerjuden” in Auschwitz in das “Desinfektionsbad” geführt werden, das sich wider Erwarten tatsächlich als Duschraum entpuppt, dann ist die Erleichterung beim Publikum derart groß, dass weder die Opfer, die zuvor in den Gaskammern umkamen, noch die, die ihnen nachfolgen werden, in dem Moment eine Rolle spielen. Ähnlich atmet das Publikum auf, wenn Szpilmann von einem Angehörigen des jüdischen Ordnungsdienstes vor der Deportation gerettet wird, während gleichzeitig hunderte von Menschen auf dem Bahnhof in Warschau in Viehwagen gepfercht werden. Wir verdrängen bereitwillig die sterbenden Massen zugunsten einiger Weniger, deren Überleben wichtiger wird als die Leiden der anderen.

Wenn Salomon nach seiner Befreiung aus Sachsenhausen nach Monte Carlo fährt, sich dort mit seinen falschen Dollar in einem feinen Hotel einmietet und in einem neuen Smoking den Roulettetisch aufsucht, dann sind wir als Zuschauer erleichtert, dass die ganze Angelegenheit noch einmal gut ausgegangen ist. Salomons kleine menschliche Fehler fallen kaum noch ins Gewicht; im Gegenteil, sie machen ihn zu einer Person, in der wir uns leicht wiederfinden können, da sie ihn als ganz normalen Menschen auszeichnen, der im Grunde anständig ist. Es verschmitzt uns, dass er jetzt das Resultat seiner harten Arbeit im Kasino verprassen kann und aufgrund seines Reichtums mit großer Ehrerbietung behandelt wird. Der Salomon der Schlussszene, der am Strand mit einer schönen Frau im Arm champagnertrunken Tango tanzt, erinnert stark an den Salomon der 30er Jahre, um dessen Auskommen wir uns keine Sorgen machen mussten.

Wie passt der Film Die Fälscher nun in das Genre Holocaustfilm? Zum einen basiert er auf der Geschichte eines Überlebenden und lehrt ein Stück kaum bekannter Geschichte, nämlich die des Unternehmens Bernhard und der zum Geldfälschen gezwungenen Juden. Zum anderen findet durch die Dazudichtung des moralischen Konflikts eine Verzerrrung der historischen Tatsachen statt, die moralisch äußerst bedenklich ist, weil sie zumindest suggeriert, dass die Fälscher die Wahl gehabt hätten, ob sie den Befehlen der Nazis Folge leisten wollten oder nicht. “Choiceless choices” hat Lawrence Langer dieses Dilemma treffend benannt.[38]

Gleichzeitig lädt der Film dazu ein, die Verfolgung und Vernich­tung der Juden in Anbetracht der untypischen Überlebens­geschichte in den Hintergrund unseres Bewusstseins zu drängen. Doch folgt der Film damit ganz dem Trend, der von Schindlers Liste gesetzt wurde und der sich in den oben zum Vergleich herangezogenen Filmen fortgesetzt hat.[39] Für die heutige Generation der Kinobesucher, die kaum noch einen direkten Bezug zu der Nazizeit und deren Opfern haben, bietet ein Film wie Die Fälscher eine Möglichkeit, über den Holocaust zu lernen, ohne von Schuldgefühlen geplagt nach Hause gehen zu müssen. Ruzowitzky vertritt die Auffassung, dass die heutige Generation, für die er seine Filme in erster Linie macht, nicht mehr aus Leuten bestehe, die man anklagen könne.[40] Ihre Erinnerung an das 3. Reich und den Holocaust ist keine eigene Erinnerung mehr, sondern basiert auf Gelesenem, Gehörtem und Gesehenen, und damit verlagert sich auch die Art und Weise, wie Vergangenheits­bewältigung stattfindet. Der Prozess ist sicher nicht abgeschlossen, doch die neue Generation sieht Holocausttexte und –filme als inszinierte Geschichte. Persönliche Schicksale gestatten dem Publikum, ein empathisches Verhältnis zu den Opfern zu entwickeln, das ihnen Einsicht in die Geschichte gewährt und eine moralische Reaktion auf den Holocaust erlaubt. Der Betroffenheit über die Leiden der Verfolgten weicht am Ende die Erleichterung über den Triumph der Überlebenden über ihre Peiniger. Im Falle Salomons dürfen wir sogar annehmen, dass er sich schnell wieder in der Welt zurechtfinden wird. Um mit den Worten Daniela Berghahns zu schließen: “Contemporary films about the Third Reich are post-memory texts, characterised by a creative investment in the past – that is why they can be about the Holocaust and yet have a happy end.”[41] Wie effektiv sie Erinnerung an die Shoah erhalten können, bleibt fraglich.


Endnoten

[1] Die Fälscher. Regisseur Stefan Ruzowitzky. Universum Film AG, 2007. Film.

[2] Buß, Christian. “KZ-Drama Die Fälscher. Das Sterben der Anderen.” spiegel.de. 20. März 2007. Web. 26. Okt. 2011. <http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,druck-472671,00.html>.

[3] Dialogprotokoll. Die Fälscher.

[4] Burger, Adolf. Des Teufels Werkstatt. München: Sandmann, 2007. Print.

[5] Uni, Assaf. “A reprieve from death.” haaretz.com. 13. Feb. 2007. Web. 26. Okt. 2011.

<http://www.haaretz.com/culture/arts-leisure/a-reprieve-from-death-1.212798>.

[6] Burger 170.

[7] Ebda.

[8] Malkin, Lawrence. Krueger’s Men. The Secret Nazi Counterfeit Plot and the Prisoners of Block 19. New York: Little, Brown and Company, 2006.

[9] Uni, “A reprieve from death.”

[10] <http://www.diefaelscher.at/htm/home/index_dt.html>. Web. 26. Okt. 2011.

[11] Siehe Lanzmann, Claude. “Why Spielberg Has Distorted The Truth.” The Manchester Guardian Weekly 3. Apr. 1994. 14:1. Print. Siehe außerdem Hansen, Miriam Bratu. “Schindler’s List is not Shoah: Second Commandment, Popular Modernism, and Public Memory.” Visual Culture and the Holocaust. Hg. Barbie Zelizer. New Brunswick, Rutgers UP, 2001. 127-51. Print. Vgl. allg. Loshitzky, Yosefa, Hg. Spielberg’s Holocaust. Critical Perspectives on Schindler’s List. Bloomington: Indiana UP, 1997. Print.

[12] Baron 65.

[13] Siehe z.B. Ball, Karyn. “For and Against the Bilderverbot: The Rhetoric of ‘Unrepresentability’ and Remediated ‘Authenticity’ in the German Reception of Steven Spielberg’s Schindler’s List.” Visualizing the Holocaust: Documents, Aesthetics, Memory. Hg. David Bathrik et. al. Rochester, Camden House, 2008. 162-84. Print.

[14] Baron, Lawrence. Projecting the Holocaust into the Present: The Changing Focus of Contemporary Holocaust Cinema. Lanham: Rowman & Littlefield, 2005. Print. viii-ix.

[15] Landsberg, Alison. “Prosthetic Memory: The Ethics and Politics of Memory in an Age of Mass Culture.” Memory and Popular Film. Hg. Paul Grange. Manchester: Manchester UP, 2003. Print. 148.

[16] Baron 66.

[17] Siehe auch Landsberg 149.

[18] Von den 50 Rezensionen, die ich für diese Arbeit herangezogen haben, sind 31 eindeutig positiv, 13 eindeutig negativ, der Rest hält sich die Waage. Von den 13 negativen waren 8 deutschsprachig. Zu den kritischen Stimmen gehören u.a. die folgenden: Rebhandl, Bert. “Die Fälscher. Ein moralischer Zweikampf.” Der Standard. 23. März 2007. Print. Der Autor schreibt: “Die Fälscher […] pass[t] auch gut zu der neueren Tendenz, die historischen Erfahrungen des Nationalsozialismus mit einem Bedürfnis nach Mainstreamkino zu vermitteln.” Siehe auch: Grissemann, Stefan. “Von der Fabrikation eines Welterfolgs: Stefan Grisse­mann über den Oscar für den Regisseur Stefan Ruzowitzky und den neuen filmpolitischen Kulturchauvi­nismus in Österreich.” Profil. 25. Feb. 2007. Print. Der Autor bezeichnet den Film als einen “arglosen Anti-Nazi-Abenteuerfilm[].”

[19] Campbell, Christopher. “Review: The Counterfeiters.” cinematical.com. 21. Feb. 2008. Web. 26. Okt. 2011. http://www.cinematical.com/2008/02/21/review-the-counterfeiters/>.

[20] Burr, Ty. “The Money Man.” boston.com. 7. März 2008. Web. 26. Okt. 2011.

<http://www.boston.com/ movies/display?display=movie&id=10833>.

[21] Scott, A. O. “The Cost of Collusion. Paid in Phony Currency.” nytimes.com. 22. Feb. 2008. Web. 26. Okt. 2011. <http://movies.nytimes.com/2008/02/22/movies/22coun.html>.

[22] Buß, Christian. “KZ-Drama Die Fälscher. Das Sterben der Anderen.” spiegel.de. 20. März 2007. Web. 26. Okt. 2011. <http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,druck-472671,00.html>.

[23] Turner, Matthew. “Thoroughly enjoyable wartime drama with a strong script and fantastic performances.” viewlondon.co.uk. 10. Okt. 2007. Web. 26. Okt. 2011. <http://www.viewlondon.co.uk/films/counterfeiters-the-die-falscher-film-review-20630.html>.

[24] Cabin, Chris. “The Counterfeiters.” filmcritic.com. 21. Feb. 2008. Web. 26. Okt. 2011.

<http://www.filmcritic.com/misc/emporium.nsf/reviews/The-Counterfeiters>.

[25] Baron 13.

[26] <http://www.sonyclassics.com/thecounterfeiters/trailer.html>. Web. 26. Okt. 2011.

[27] Imaginary Witness: Hollywood and the Holocaust. Regisseur Daniel Anker. Anker Productions, Inc., 2004. Film.

[28] <http://focusfeatures.com/video/the_pianist__trailer?film=the_pianist>. Web. 12. Juni 2012.

[29] <http://absoluteshakespeare.com/trivia/quotes/quotes.htm>.  Web. 12. Juni 2012. Meine Hervorhebung.

[30] <http://www.sonyclassics.com/thecounterfeiters/trailer.html>. Web. 26. Okt. 2011.

[31] Burger 161.

[32] Hitlerjunge Salomon. Regisseurin Agnieszka Holland. CCC Film, 1989. Film. Rosenstraße. Regisseurin Margarethe von Trotta, 2003. Film. Zwartboek. Regisseur Paul Verhoeven. A-Film, 2006. Film.

[33] Dialogprotokoll. Die Fälscher.

[34] Ebda.

[35] Der Ausspruch stammt aus Alexandre Dumas’ Die drei Musketiere und findet sich auch in den diversen Ver­­fil­m­ungen wieder, z.B. The Three Musketeers. Regisseur Stephen Herek. Walt Disney Pictures, 1993. Film.

[36] Dialogprotokoll. Die Fälscher.

[37] Ebda.

[38] Langer, Lawrence. “The Dilemma of Choice in the Death Camps.” Centerpoint: The Holocaust 4.1 (1980): 55. Print.

[39] Siehe Berghahn, Daniela. “Post-1990 Screen Memories: How East and West German Cinema Remembers the Third Reich and the Holocaust.” German Life and Letters 59:2 (2006). Print. Die Autorin stellt heraus, dass Filme wie diese “construct an ambiguous memory of Jewish suffering that allows us to forget while ostensibly inviting us to remember” (302).

[40] Bell, James. “Turning the Tables.” Sight and Sound  17. 11 (2007): 12. Print.

[41] Berghahn 308.

 

Comments are closed.