Oct 2012

Michael Augustin

Uwe Kolbe, Berlin 2009 (Foto: Walter Weber)

Im Krähennest und anderswo — Zu Uwe Kolbe

Wo der Wanderer hinkömmt: Kolbe. Auch in Buxtehude, klar, wo denn sonst, ist er schon da. Nur schade: nicht mehr in Stade. Oder in Worpswede, bei den Pferdeweiden, Kleie an den Gänsefüßchen, wo er einstmals rilkte, daß den Schwarzbunten die Mülch in die Euter schoß und alle Kälber sich auf das Feinste reimten. Auf den Wasserwegen unterwegs: Torfkanal, Panama-, Suez-, Nordostsee-, Landwehr- und wie sie alle heißen. Ich seh ihn ja eh als Matrosen, mützenbandbewimpelt, als Mann im Ausguck, krächzend im Krähennest, mit schlacksigen Armen freiluftrudernd, musenumflattert: kein Land in Sicht, gottseidank, immer nur Horizont aus Luft, Wasser und Hoffnung, ahoi und auwei! Sailor’s homeless überall:  In Pamunjom zum Beispiel, wo sich die altkaltkriegerischen Kontinentalplatten aneinander reiben, daß es knürscht und du mit brennender Zunge zu spüren meinst, wie es dir die Schneidezähne wegfräst, wie es splittert und kracht, das hörst du. Dabei ist doch längst Frühling: das blaue Band, der linde Hauch, auf den Todestreifen auch. Priwall, Schlutup, Dassow, Brocken, Bernauer Straße. Oder:  In seinem unterwäßrigen Vineta’schen Archiv. Von oben her gluckert diffuses Sonnenlicht herein, er mit seiner paßgenauen Schirmmütze auf dem kantig-kantischen Schädel,  Ärmelschoner ( stammen vom Wrack eines untergegangenen Bremer Schoners im Ärmelkanal), Seekarten vor sich ausgebreitet, Grußbotschaften aus Atlantis, Ansichtskarten aus Pompeji, ausgetrunkne Flaschenpost, versenkte Buddelschiffe , ein Modell der „Michael Kohlhaas“ (drei  Masten und fünfzehn Kanonen an Bord), ein signiertes Bild vom ollen Graf Luckner an der Bretterwand, wie der grad das Telefonbuch von Westberlin zerreißt, Hans Albers daneben, der Maharaja von Whiskypur und  der barrikadentauberige Ernst Busch aus Kiel,  schon „von der Fresse der Zeiten benagt“  (Walter Mehring).  Oder:  In meinem Buchregal, eingequetscht, zwischen Oschka Kokoschka (aha!) und Erwin Guido Kolbenheyer (oh shit!), das kann ihm nicht behagen. Herr Kunert, ruft er, Hülfe, kommen Sie!  Doch K wie Kunert kann nicht, er kämpft selber: umstellt von Kulka (ganz ok) und von Kurella (ach Jott, ach Jott!).  Oder:  In Amerika. Mal wieder. Wo einst er’s rumpeln hören konnte aus der Ferne nur (in seinem Krähennest zu Austin) und doch so gern vor Ort gewesen wäre, als mit Spechtgepick und Bullgedozre man auf neuen Pfaden schritt. (Nu werd man nich‘ pathetisch).  Oder:  Auf der Bühne, Vatersohn & Sohnvater, durch die poetischen Rapsfelder rappend.  Gut weitergereicht, das Staffelholz, Alter!  Nein sagen, wenn alle alles andere sagen als nein: Ja, das ist es.  You’re  home, Sailor.  And the beat goes on.

Mumbai/Bremen 2012


Aus: Elit, Stefan (Hrsg.): “… notwendig und schön zu wissen, auf welchem Boden man geht”. Arbeitsbuch Uwe Kolbe. Frankfurt/Main, Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien: Peter Lang 2012 (Literarisches Leben heute / Band 2 / ISBN 978-3-631-63499-8). Mit freundlicher Genehmigung des Verlages und Michael Augustin.

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