Jun 2014

Helga Kurzchalia

Aus Zimmer 39

Vom Reis hab ick die Schnauze voll. Reis jehört nach China. Wir Deutsche essen Kartoffeln und manchmal och ’n paar Nudeln. Aber eigentlich brauch ick nüscht, mir reicht dit Pillenzeugs. Nachher gibt’s hier dämliche Jagdwurst und bloß wieder zwei Stück Butter zum Frühstück. Hauptsache billig. Den Kaffee kannste eh vergessen. Ach jetzt ’ne tote Oma uff ’m Tisch! Oder ’n großes Steak aus m’ Steakhaus. Oder wenigsten ’ne Curry mit Ketchup und Pommes …

Kieken Sie mal – zwei fette schwarze Autos vorm Fenster. Acht Muselmanen auf einen Schlag. Mann, wat die wieder allet anschleppen! Ick persönlich habe nüscht gegen Ausländer. Meinetwegen sollen die alle kommen. Immer her mit die Ausländer! Willkommen in Deutschland! Für jeden Deutschen einen. Zum Arbeiten. Das Schlimme ist nur, die bringen immer gleich ihre janze Heimat mit. Und dann och noch dit fülle Essen in Körben und Taschen. Ick liege hier wieder alleene im Bett.

Können Sie Ihre Seife nicht in ‘n Schrank packen? Sieht aus wie Sau. Da machen die doch wieder jar nüscht. Der ganze Korridor leer. Keener zu sehen auf weiter Flur. Wenn alle so arbeiten würden! Die quatschen zu fülle. Ick will uff der Stelle nach Hause. Hier hab ick mir satt jesehen. Den Tropf kann ick mir och selber machen. Die Spritze wegen dem Zucker hab’ ick mir heute Morgen selbst verpasst. Jekifft hab ich eben erst. ’Ne ganze Tüte Sauerstoff. Da kommt ja Frau Doktor. Aber ohne Frühstück. Die is och nicht von hier. Ob die schon dreißig ist?

Früher hab ick mit meiner Kleenen in der Ackerstraße Parterre Hinterhof gewohnt, und wenn die oben das Fenster uff hatten, war bei mir mitten im Sommer zappenduster. Jetzt ha’ ick eine Neubauwohnung hinterm Kommunistenfriedhof Friedrichsfelde. Früher hatten wir da Aldi und Zeitungskiosk, Rewe und Spar. Inzwischen hat alles zugemacht. Rewe wurde zuletzt jeden zweiten Tag überfallen. Da hatten die irgendwann och keene Lust mehr. Nur der Apotheke jeht es noch prima!

Bei uns sind nur Schwarzweiße uff der Straße. Nur die Andershäutigen trauen sich noch im Dunkeln ‘raus. Die Alten bleiben abends lieber Zuhause. Früher bei meinem Vater, sind alle immer zusammen in die Kneipe. Da spielte sich jeden Abend dit gleiche ab. Erst hat man sich ‘n bisschen jekloppt und dann noch mitm Doppelkorn uff die Gesundheit anjestoßen. Heute wird ja gleich das Messer jezogen. Das kam damals mit den Italienern auf.

Bei uns wohnen auch ’n paar Russlanddeutsche. Bei denen wird die Nacht ständig zum Tage. Die ihre Kinder hab’n Hummeln im Hintern und sind abends immer bis elf uff de Straße. Ein ewiget rin und raus is dit. Von der Terrasse direkt in die Küche. Haustür kennen die nicht. Klingel Fehlanzeige. Ein paar Fitschis haben wir auch, aber die merkt man ja nicht.

Ick hatte mal ’n kleinen Fitschi in Pflege. Der kam in Trainingshose und Nicky zu mir. Von Unterhemd wissen die nüscht. Keine richtigen Socken im Schuh. Der Kleene blieb nur 3 Wochen bei mir, aber die Eltern standen ständig bei mir auf der Matte und wollten ihren Jungen sehen. Dabei hatte ick ihnen doch gleich gesacht, dit sollen sie besser bleiben lassen. Dit bringt doch nischt! Der Junge hat jedes Mal tierisch gebrüllt, aber dann haben sie schnell ’ne Bleibe gefunden und jetzt hängt sein Foto bei den
anderen im Flur und manchmal läuft er mir noch uff der Straße in die Arme.

Ick wollte nie, dass mir eener ’was vorschreibt. Deshalb bin ich och nie zum Mannschaftsschwimmen. Mädchenfußball war nüscht für mich. Bin keen Herdentier. Mit elf hab ick mal am Prater geklingelt. Die vom Judo haben mich da gleich mit offenen Armen empfangen. Judo gab’s damals fast für umsonst. Am Ende wurde ick deutscher Meister und bin bis Prag und Olomouc in die tiefste Tschechei gekommen und das für janze 68 Mark. Wär’ och gern in München 72 mit dabei gewesen. Aber Frauenjudo hatten die damals nicht.

Wat, Sie sind och ausm Osten? Hätt ick nicht vermutet. Ick dachte Russland oder so wat auf die Art. Frei nach ’m Motto: Wir haben ’n deutschen Schäferhund, da ziehen wir doch och gleich mal nach Deutschland! Sie sag’n ja nüscht? Noch ’n bisschen schwach auf der Brust? Na, wird schon wieda!

’N Afrikaner kommt mir aber nicht in die Tüte. Wenn mir da einer in den Kinderwagen kieckt! Wat soll’n die von mir denken. Dass meine Tochter mit Ausländern rummacht? Meine Bekannte hat jetzt so einen Schwarzweißen in Pflege. Mutter weiß und dick. Vater schwarz und nüscht uff die Knochen, aber Gebete im Kopf. Die Frau landete mit blauen Flecken im Krankenhaus. Mir hat mein Fitschi gereicht. Die ham vielleicht gekiekt, wie ick letztes Jahr auf dem Campingplatz mit dem Kleenen ankam. Ein Aufsehen wie an dem Sonntag, als mein Nachbar im Trabi übern vereisten Peetzsee fuhr.

Die wollten mir im Jugendamt noch ’n zweites geben aber dann kam mir wieder mal meine Lunge dazwischen. Zu fülle wär mir so’n Baby nicht gewesen. Flasche rinstecken, wickeln, hinlegen, bisschen knuddeln, mehr iss ja nicht. Schlimm wird’s nur, wenn sie dann uff stehen und laufen wollen. Auf einmal wird alles anjegrabscht. Kiecken Sie mal meen Handy. Die Kleene ist da 4 und hatte oben keine Zähne, als ich sie bekam. Jetzt hat sie ein neues Gebiss und kann wat sehen durch ihre Brille. Die ihre Mutter war 14 und hatte och so ne Familie. Die leben jetzt alle von Hartz vier. Ich ruf sie gleich mal an. Die liebt ihre Pflegeomi. Ich zähl schon die Tage, bis ick sie wieder habe.

Früher war ick Werkzeugmaschinenschlosser. Im Osten durften wir dit. Als Kind hab ick meinem Vater immer über die Schulter geguckt. Mein Bruder hatte zwei linke Hände und hat sich später tot gesoffen. Die anderen fünf sind jetzt bei Rewe und Aldi. Einer ist Koch aufm Luxusdampfer. Ick war bis zuletzt bei Sternradio. Am Ende haben wir nur noch die ihre Cola- Kisten bedruckt. Danach bin ick für ’n halbet Jahr in den Westen rüber, weil ick ja die Japansachen von Arbeit kannte. Aber dit war och nüscht. Na ick geh jetzt mal toilettieren. Nachher besuche ick im Flur noch den Rittersportautomaten. Mit dem Insulin von heute morgen kann ick mir ruhich mal ’ne Zartbitter leisten.

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