Paul Bauer: 17. Juni 1953

17. Juni 1953. Jetzt bin ich fast vierzig Jahre alt. Meine idealistische Phase als jünger Mann hatte mir folglich gut zur großartigen Stelle in der DDR geführt. So spät wie 1949 behielte ich diesen Idealismus immer noch bei, als ich dachte, dieser neue Anfang wird endlich ein reines, wahres und überhaupt mögliches Vorbild des kommunistischen Wohlfahrtstaats in Deutschland durchführen.

Ungefähr vier Jahre nach der Staatsgründung wurde es mir klar, dass solch eine Durchführung in der Wirklichkeit nie so schön entwickeln könnte, als wie es schon in meiner Fantasie entfaltet hatte. Als SED-Mitglied anständiger Stellung bin ich einer der Ersten anzuerkennen, dass unsere „Ideale“ sich nicht gut an die Wirklichkeit anpaßt. Wir müssen dennoch die Wahrheit arbeiten, ausarbeiten und umbauen… bis durch die Täuschung die ganze Bevölkerung überzeugt wird. Mein absolutes Verständnis der Wahrheit wurde durch die Jahre immer undeutlicher. Der Kapitalismus, der sich gleichzeitig in Westdeutschland wunderlich und unnatürlich schnell entwickelt, ist doch immer noch feindlich. Es tut mir jedenfalls auch weh, wenn ich die Fehler dieses kommunistischen Systems deutlich erkenne und muss sie aber noch verheimlichen.

Und dann kommt der großeste Schwerpunkt zustande- den blutigen Volksaufstand 17. Juni 1953 gegen die Normerhöherung ist geschehen- und doch werd’ ich es so nennen, trotz was der Minister Grotewohl über DDR-Rundfunk dagegen sagt- und meine schlechteste Gefühle bezüglich der möglichen Unfähigkeiten unseres Systems wurde somit bestätigt. Es war nicht nur die Arbeiterklasse, die Vertrauen in der SED-Führerschaft und in der Beziehung zwischen der DDR und der Sowjetunion verloren hatte, sondern auch verlor ich- ein wirksames Teil dieser Regierung!- mein eigenes Vertrauen teils in das Ereignis.

Wir, die SED, haben falsch gemacht. Unsere Unfähigkeiten, sowohl Ordnung gerecht auf der Straße wiederherzustellen als auch zunächst die Bedürfnisse der Bevölkerung anzugehen, haben bestimmt dauernde Ursachen, die der Wiederherstellung des normalen Verlaufes noch schlechter zu verwirklichen macht. Ich fürchte, irgendeiner Schritt zur Liberalisierung des deutschen Staates wird jetzt auf Eis gelegt werden. Und ich fürchte, ich bin nicht mehr die beste Person für diese Arbeit.

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