München, 11. Juni 1945
Ich bin heute für das erste Mal seit dem Luftangriff wieder in die Stadt gekommen. Die Stadt, deren Straßen und Gebäude bevor den Angriff mir so bekannt waren, als hätte ich sie selbst bauen lassen, sind nun kaum zu erkennen. Es schmerzt, wieder auf diesen ruinierten Straßen zu treten, hauptsächlich weil ich an nichts anderes denken kann, als an die immer noch unbekannte Zahl der Menschen, die den Bomben nicht entkommen sind.
Ich bin zufälligerweise kurz vor dem Angriff am 17. April, 1944 zu einem Versteck außerhalb der Stadt geflohen. Das Versteck war nichts mehr als einen kleinen Bauernhof, der nur einhalb Stunde von der Stadt Richtung Rosenheim entfernt ist. Der Bauernhof gehört zu den Eltern eines Bekannten. Nach dem Tod der Geschwister Scholl, wussten wir alle, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor sie uns auch entwischt. Deshalb als wir das Gerücht gehört haben, das jemand aus dem inneren Kreis uns verraten habe, haben wir nicht länger gewartet, die Stadt zu verlassen.
Als ich durch die Trümmer gehe, denke ich auch an meinen Kollegen, von denen ich seit über einem Jahr nicht mehr gehört habe. Ich heiße übrigens Rudi Meyer und ich bin fünfundzwanzig Jahre alt. Bevor die Nazis die Fachabteilung gelöst haben, habe ich Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Als ich die Nachricht von der Kapitulation bekommen habe, habe ich es wochenlang überlegt, was ich jetzt machen soll. Ein Teil von mir wollte auf dem Bauernhof für immer bleiben, jedoch wusste ich zugleich, dass ich es nie machen könnte. Ich habe mich also entschieden, wieder nach München zu kommen. Ich werde mich jetzt zu dieser Stadt und zu diesem Land widmen, um etwas besseres von diesen Ruinen aufzubauen.