Zwischen Osten und Westen

ein Blog für Geschichten aus dem geteilten Deutschland

Marco Rahmer #5

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Ich hörte gestern im Radio, die SED baut seit Sontag in Berlin eine Mauer. Nicht nur um Westberlin, sondern auch zwischen Ost und West. Das war’s dann wohl mit freier Reise…  Ein paar meiner Kollegen haben Freunde und Verwandte im Westen. Ich bin jetzt Lehrer, noch in Dresden, aber ich bin auch ein ,,inoffizielle Mitarbeiter”. Es gefällt mir nicht, aber es wäre mir lieber, ergeben auszusehen. In meiner Klasse waren heute manche Studenten bestürzt, aber meistens nicht. Ein Junge sieht besonders bestürzt aus, vielleicht hat er Familie im Westen. Ich habe mit ihm Mitleid. Andere Lehrer und Lehrerinnen waren meistens ruhig. Ein paar finden die Mauer ja gut.

Die Mauer macht Sinn, aber was für ein Übel. Ich habe Angst für zukünftige Flüchtlinge. Ich frage mich, wie viele noch fliehen werden, und wie viele davon werden verhaftet oder getötet. Mindestens eins oder zwei meiner Kollegen haben davon gedacht—ich auch. Julia sagte mir einmal, sie hatte in der Nähe von Frankfurt eine Tante. Sehr wahrscheinlich ist sie mindestens weggegangen, Julia kennt das. Aber die Soviets gefallen Julia nicht. Sie sagt es nicht, aber sie hasst mich ein bisschen, weil ich ein IM bin. Ich verstehe sie. Wir dürfen sicher nicht darüber sprechen. Ich habe ein kleines Loch in unserer Wand bemerkt, als ich ein paar Fotos daran hängte. Sie hören alles zu.

Ich meine, es ist noch zu gefährlich, irgendwo zu gehen. Ich will nie nochmal fliehen, und ich höre, die Grenze wird viel überwacht. Ich weiß, ich ein Feigling bin. Aber was anders kann ich tun?

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