Der Fernseher ist an. Der Fernseher ist heutzutage fast immer an, ich beachte ihn aber kaum noch. Gerade bin ich sowieso nur halbwach, beachte fast gar nichts. Ich liege im Bett und merke, dass ich Hunger habe, aber auch, dass ich keinen Bock habe, mir Essen zu besorgen. Plötzlich höre ich aber ein Geschrei – nicht ein menschliches sondern irgendwie ein mechanisches. Ich bin sofort aus dem Halbschlaf gerissen und renne zum Fenster, aber draußen scheint nichts los zu sein. Es dauert ein Paar Sekunden bis ich endlich merke, woher das Gezeter eigentlich kommt – nämlich aus den Fernseher selber.

 

Schon um 9Uhr erschöpft, knalle ich mich auf dem Sofa hin und schaue zu. Meine Augen stellen sich nur schwer scharf, mein Kopf schwimmt von den plötzlichen hin- und herrennen. Allmählich erkenne ich aber am Bildschirm ein Bild von mich selbst, und zwar ein sehr schlechtes! Würde vor vielleicht 2-3 Monate auf einem schrecklichen Hausparty gemacht, wo nur Schlager spielte. Bis das Foto gemacht wurde war ich schon vollkommen betrunken, und meinen Zustand ist im Bild schon auffällig. So beschämend ist es doch nicht, an einem Party ein bisschen angetrunken zu werden, aber viel schlimmer ist es, wie dick ich aussehe! Ich beschließe ab sofort dieses enge T-Shirt nie wieder zu tragen.

 

Nachdem ich eine Weile lang das Bild auseinandergepflückt habe, frage ich mich endlich warum ich überhaupt auf den Fernseher zu sehen bin. Oben steht in grosse Buchstaben: “Vermisstansage für berliner Student Benjamin von Stuckrad-Barre angegeben.” Davon bin ich doch schockiert, weil wer wurde mich dann jemals vermissen? Stimmt schon, dass ich seit ein Paar Tage von der Unterricht abwesend war, die Dozenten hätten sich aber nie solche Sorgen um einen Student gemacht, schon gar nicht um mich, der schon öfters wochenlang weg gewesen ist. Müsste dann doch irgendein Bekannter gewesen sein, aber warum hat er mich um Himmels willen nicht erstmals angerufen?

 

Dann erinnere ich mich plötzlich daran, dass ich letzte Woche das Telefon absteckte gerade weil es viel zu oft klingelte, und zwar nie mit guten Nachrichten. Also, wahrscheinlich hat irgendeine Dramaqueen doch versucht, mich zu erreichen, und hat sich dann im Panik geraten, als ich nicht antwortete. Vielleicht war es sogar meine Mutter, mit der ich seit Weihnachten nicht gesprochen habe. Na ja, macht nichts. Schnell, bevor die Nachrichten weitergehen, schreibe ich die Telefonnummer auf, die man anrufen sollte, wenn man mich gesehen hat. Ich verschwöre, diese “Tippline” heute nachmittag anzurufen. Wer weiß, vielleicht gibt es sogar eine Belohnung dafür, dass ich mich selber gefunden habe. Mittlerweile ist aber viel zu viel für einem Mittswochsmorgen schon passiert. Ich trinke ein Schluck aus dem Milchkännchen, nehm mir ein Bier aus dem Kühlschrank mit, und gehe wieder schlafen.