Sep 2020

IV. Transatlantischer Gedanken- und Erfahrungsaustausch: Rockmusiker

Kai Reininghaus:

 

Rockmusiker in der DDR und heute

 

Susan Wansink, Virginia Beach, Virginia

& Kai Reininghaus, Leipzig

 

Susan Wansink: Lieber Kai, Du warst in der DDR Musiker, Gründer und Sänger/Gitarrist in der Untergrund Band The Real Deal. Musik spielte und spielt heute immer noch eine wichtige Rolle in deinem Leben. Du hast darüber auch ein Buch geschrieben Kenton BLAU: die Leipziger Tagebücher 1986-1987 (The Sound Behind The Wall). Wie würdest du deine Musik beschreiben?

Kai Reininghaus: Das ist gar nicht so einfach, Musik ist ja eher eine akustische Angelegenheit. Mit Worten kann man sich da nur bedingt nähern. Die aktuellen Projekte sind, was die musikalische Ausrichtung betrifft, auch unterschiedlich. Das ist gewollt so. The Phonehead Music Club, mein Soloprojekt, ist ja eher eine „Studioformation“. Ich arbeite für mich und kann Ideen und Dinge realisieren, die mit dem Bandprojekt Tirsa Perl so nicht umsetzbar sind. Dennoch spielen wir einige PMC Songs, allerdings brechen wir sie runter auf Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang. Das ist spannend und die Songs zeigen manchmal ganz neue Seiten. Die Live-Performance ist zudem immer eine eher energetisch geprägte Darbietung, ein Zusammenspiel mit Publikum, Veranstaltungsort und so weiter. Da kommt vieles zusammen. Ich genieße beides, die Solo- und die Bandarbeit. Aber um auf die Frage zurückzukommen, The Phonehead Music Club bezeichne ich als eine Art Dream-Pop, Tirsa Perl – das Bandprojekt – geht mehr in Richtung Wave-Noise-Pop…

 

Real Deal 1988

 

Tirsa Perl 2019

 

Susan Wansink: Wer hat dich musikalisch beeinflusst?

Kai Reininghaus: Da gibt es viele. Alles, was man in den verschiedenen Phasen seines Lebens an Musik hört, beeinflusst die eigenen Songs, mehr oder weniger. Gerade in der Jugend ist man sehr empathisch, ein Song kann ein ganzes Lebensgefühl ausdrücken. Musik ist wichtig und strahlt auf alles aus. Leidenschaft usw. Bei manchen Menschen ebbt das dann mit den Jahren ab, Musik wird nur noch Lückenfüller oder Berieselung. Das ist bei mir nie passiert. Musik hat immer noch einen hohen Stellenwert, und ich kann nie nur so nebenbei Songs hören, die mir wichtig sind. Wobei ich sagen muss, dass mich die aktuelle Entwicklung und die Vorstellung, immer und ständig auf Millionen Songs zugreifen zu können, eher abschreckt. Das ist bedrückend. Letztendlich sind es gar nicht so viele Alben oder Songs, die wirklich bleiben und einen niemals loslassen. Das merkt man erst mit dem Älterwerden. Aber es sind nicht nur Songs oder Bands, die meine Musik beeinflussen, es sind auch Geräusche, die Natur, das Unbewusste. Das Leben insgesamt. Menschen, die einen berühren. Manchmal ist wie aus dem Nirgendwo eine Melodie da. Und manchmal halte ich sie dann fest, und ein Song entsteht. Ein anderes Mal vergesse ich sie. Vielleicht sind die besten Songs die, die noch irgendwo auf alten Demotapes versteckt sind. Wir leben heute in einer Zeit des scheinbaren künstlerischen Überflusses – jeder verfasst Songs, jeder schreibt Bücher, jeder fotografiert… das Netz ist voll davon. Vielleicht ist es da besser, die Dinge für sich zu behalten, nichts zu veröffentlichen. Aber andererseits sind nur wenige wirklich Musiker, Schriftsteller oder Fotografen. Mich überfordert einfach das Beliebige. Das ist aber nur die eine Seite. Die digitale Entwicklung hat ja eine gewisse künstlerische Freiheit überhaupt erst möglich gemacht und die frühere starke Abhängigkeit von der Industrie aufgehoben. Es sind eben – wie so oft – zwei Seiten der Medaille.

Susan Wansink: In deinem Buch Kenton Blau beschreibst du u.a. deine Zeit in der Nationalen Volksarmee (NVA) oder besser gesagt: die NVA-Zeit von der Hauptperson im Buch. Haben deine Erfahrungen in der NVA einen Einfluss auf deine Musik gehabt?

Kai Reininghaus: Schwer zu sagen. Zumindest hat die Armeezeit in der DDR mein späteres musikalisches Leben bestimmt. Dort habe ich Leute getroffen, mit denen ich danach in Bands gespielt habe. Allen voran Kai Müller. Der war Schlagzeuger und kam aus Leipzig. Ohne ihn wäre ich wohl kaum in diese Stadt gekommen. Wir haben dann, nach der Armee, zusammengewohnt, Bands gegründet. Eins kam zum anderen. Und meine Frau habe ich auch in Leipzig kennengelernt. Die Armeezeit, die Unfreiheit, die damit verbunden war und die vielfach größer war als die allgemeine Unfreiheit im Land, hatte sicherlich Auswirkungen auf mich und meine Entwicklung zu dem, der ich heute bin. Aber ich habe keinen Vergleich. Das wäre ja ein „Ich“ ohne diese Armeezeit. Dessen Musik man mit meiner real entstandenen Musik vergleichen müsste. Naja, das ist sehr hypothetisch. Auch die direkte Konfrontation mit der Staatsmacht dort, das Verbot für Monate, keine Musik machen zu dürfen oder die Kaserne zu verlassen, hat Spuren hinterlassen. Und das alles nur, weil ich einige Texte zum Thema Freiheit geschrieben hatte, die bei einer Razzia gefunden wurden. Das Schlimmste war das Gefühl der Ohnmacht. So etwas vergisst man nicht. Und das Eingesperrtsein, der daraus resultierende Traum von der Freiheit ist ja immer auch eine Quelle der Inspiration. Insofern, ja, natürlich hatte die Armeezeit Auswirkungen auf meine Musik.

Susan Wansink: Wie war deine/eure Musik damals anders als die Musik, der staatlichen Bands wie Renft, Silly, Karat?

Kai Reininghaus: Wie waren dahingehend anders, dass wir vielleicht durch andere Musik sozialisiert worden sind. Es war die Zeit des späten Punks, des Post-Punks, New-Wave, Gothic, Reggae usw. Die etablierten DDR-Bands waren schon deshalb für uns uninteressant, weil sie eben irgendwie das System repräsentierten. Die neue Musik, die sogenannten „anderen“ Bands waren einfach spannender. Radikaler. Offensiver. Das war aber nicht so, dass alle DDR-Jugendlichen so tickten. Es gab auch viele, die durchaus auf die offiziellen Bands standen. Die Underground-Szene war letztendlich ein Teil der Musikszene der DDR. Ein großer Unterschied war natürlich, dass es für die Underground-Bands keine Möglichkeit gab, Platten zu produzieren. Es gab keine unabhängigen Labels, nur die staatliche Firma „Amiga“ kümmerte sich um Popmusik. Aber nicht um den Underground, das passierte erst kurz vor dem Ende… aber da war es zu spät. Es gab auch nur eine Sendung im Radio, wo einmal in der Woche ein paar Tracks von DDR-Underground-Bands gespielt worden. Spannend war, dass man seine eigenen Kassetten produzierte (meist im Proberaum), dazu Cover bastelte und dann bei Konzerten verkaufte. Das, was im Westen als DIY (Do It Yourself) lief. Allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen, allein was Equipment usw. betraf.

Susan Wansink: Wo hat deine Band Konzerte in der DDR gegeben?

Kai Reininghaus: Es gab ja zwei Bandprojekte damals in der DDR: Reininghaus (1986-1988, Deutsch-Rock) und The Real Deal (1987-1989, Post-Punk und Wavepop). Wir haben überall gespielt, wo es ging. Am Anfang sogar in der Kirche. Später in Klubs, Kinos, aber auch auf Partys. Manchmal kamen da 20 Leute, manchmal waren es 500. Wir hatten Manager, die sich darum kümmerten, Auftritte für uns zu organisieren. Es gab lustige Erlebnisse, aber auch deprimierende Gigs, wenn man merkte, dass man eigentlich vor den völlig falschen Leuten spielte. Das kennen ja alle Bands. Wir haben natürlich in Leipzig öfters gespielt, da kamen wir ja her. In Berlin, Erfurt, Weimar, Magdeburg und vielen kleineren Städten. Die DDR war nicht sehr groß, man kam also öfters wieder. Damals waren die Leute hungrig auf neue Livebands, Konzerte der Helden aus England, Amerika oder Westdeutschland gab’s nicht. Es waren Events, wo man mit einer bestimmten Haltung hinging, man war anders als die normalen Leute. Das zeigte sich an der Kleidung, den Frisuren usw. Letztendlich unterschied es sich nicht viel von den westlichen Jugendkulturen jener Jahre. New Wave, Punk, Post-Punk… Die Erde ist rund, wir hörten Westradio, sahen Westfernsehen. Waren informiert. Heute ist es schwieriger für Bands, es gibt ein Überangebot und die weltweite Konkurrenz. Bands können sich oft nur über Livekonzerte finanzieren, so etwas läuft sich irgendwann tot…

 

Reininghaus Band 1987

 

Susan Wansink: Wie stand es mit eurer Spielerlaubnis?

Kai Reininghaus: In der DDR versuchte der Staat, alles unter Kontrolle zu haben. Vor allem auch in der Kultur. Man wollte wissen, was auf den Bühnen passierte. Worüber die Bands sangen, welche Musik sie spielten. Eben eine Diktatur. Also mussten alle Bands, die öffentlich auftreten wollten, eine sogenannte Einstufung machen. Das bedeutete, das man vor einer Kommission von Leuten ein Konzert geben musste. Das war wie eine Jury aus Kulturfunktionären, Jugendarbeitern usw. Dann legten die fest, ob das, was man spielte, ins sogenannte sozialistische Kulturleben passte. Wenn ja, bekam man die Einstufung – die Spielerlaubnis. Das war wie ein Ausweis. Alle nannten das aber nur die „Pappe“ – weil es aus pappähnlichem Papier war. Es gab verschiedene Stufen, je nachdem, wie gut diese Leute einen bewerteten (A, B, C und S für Sonderstufe). Danach richtete sich auch, wie viel Geld man für ein Konzert vom Veranstalter verlangen konnte. Es war natürlich eine lächerliche Angelegenheit, das war allen klar. Aber, was wollte man machen? Wenn man live auftreten wollte, musste man die „Pappe“ einfach haben. Natürlich haben das einige Musiker konsequent verweigert, vor allem Punkbands. Denen blieben dann nur noch Auftritte in Kirchen oder in illegalen Klubs. Wir wollten aber richtige Konzerte spielen, also haben wir die „Pappe“ gemacht. Und wenn man sie erst einmal hatte, konnte man eh machen, was man wollte. Gerade in den letzten Jahren der DDR gab’s da nur noch wenig Kontrollen. Der Staat war wahrscheinlich froh, wenn seine Bürger abgelenkt waren …

Susan Wansink: Erzähl von dem Projekt ,,Leipzig Heldenstadt anders“!

Kai Reininghaus: Eine ganz tolle Geschichte! Eine Gruppe musikbegeisterter Leipziger – allen voran Jacob Geisler und seine Frau Uli – kam infolge eines anderen Projektes zu dem Schluss, dass es eigentlich überhaupt keine wirkliche Aufarbeitung der Leipziger Underground-Musikszene der 80er-Jahre gibt. Daraus entstand dann die Idee, auf einer LP wichtige Vertreter dieser Ära zu versammeln. Schließlich wurde daraus eine 3-LP Box + Buch + Poster. Vertreten sind 39 der wichtigsten Bands aus den Jahren 1982-1989. Reininghaus ist mit einem, The Real Deal sogar mit zwei Songs vertreten. Das hat uns natürlich gefreut. Alle Bands haben bei der Realisierung mitgewirkt, Musik zur Verfügung gestellt, Infos und Fotos usw. Alles also aus erster Hand. Das Großartige daran ist, dass so Musik und Geschichten zu den Bands für die Nachwelt erhalten bleiben. Denn für den Underground, die Independent-Szene der DDR, gab es keine Möglichkeit damals, Platten zu veröffentlichen. Das passierte ausschließlich auf selbsthergestellten Tapes. Und deren Lebensdauer ist natürlich begrenzt. Zum Release der LP-Box fand dann im September 2019 ein dreitägiges-Festival statt. 17 Bands vom Sampler sind aufgetreten – bis auf eine haben die die meisten seit Jahrzehnten keine Konzerte mehr gespielt. Es war wunderbar, teilweise magisch. Viele Menschen kamen und waren glücklich. Für diesen Anlass haben Kai Müller, der Drummer von damals und heute, und ich unser altes Real-Deal-Projekt noch einmal aufleben lassen und gemeinsam mit unserem Tirsa-Perl-Bassisten Afi Fischer ein schönes Konzert gespielt. Davon gibt es auf YouTube auch Aufnahmen zu sehen, es wurde nämlich gefilmt und sogar ein Festival-Film zusammengestellt.

 

Kai Reininghaus Heldenstadt Anders 2019 by Uwe Winkler

 

Heldenstadt Anders LP Box 2019

 

Susan Wansink: Was war das OstArt Festival in Berlin?

Kai Reininghaus: Eine Veranstaltung zum 30. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin, ein Festival der DDR-Subkultur. Also nicht nur Musik, sondern auch Bilder, Literatur usw. Es gab Konzerte, Filme, Lesungen und Ausstellungen. Ein spannendes Projekt, wir waren da auch eingeladen und haben am 9.11.2019 noch einmal ein Real-Deal-Set gespielt.

 

REAL DEAL at OstArt 2019

 

Kai Reininghaus 2019

 

Links zu Bandprojekten von Kai Reininghaus:

 

The Phonehead Music Club
https://www.youtube.com/user/PhoneheadMusicClub/videos

Tirsa Perl
(mit Kai Müller und Afi Fischer)
https://www.youtube.com/user/tirsaperlmusic

The Real Deal + Reininghaus
(DDR-Underground 1986-1989, mit Kai Müller und anderen) https://www.youtube.com/channel/UC95U6n5R50cnRXLAlLVzQKg/videos

Weitere Infos:
Reininghaus-media.de

TIPP:
Ab Anfang April 2020 wird es die Musik vom The Phonehead Music Club und Tirsa Perl auch auf spotify, apple music und vielen anderen digitalen Kanälen geben

 

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