Dec 2016
Vom Stand der Dinge aus Berliner Perspektive
von Hans Mayer
Glaubt man Stephen Hawking, dann haben wir noch eintausend Jahre zum Überleben auf unserem Planeten. Das Ende der Welt —wie wir sie kennen, und wie Der Spiegel nach der Wahl Trumps titelte—ist nicht in Sicht. Das ist die eigentlich gute Nachricht weit über Trump hinaus. Man müsste sich unter diesen Umständen keine allzu großen Gedanken um Donald Trump machen, den President-elect der Vereinigten Staaten von Amerika, der ja vier, vielleicht auch acht Jahre an der Spitze des noch mächtigsten Landes der Erde stehen wird, wäre da nicht die Notwendigkeit, das wir auch unter ihm unser weltweites Zusammenleben gestalten müssen.
Groß war das Entsetzen in Berlin nach dem Wahlsieg Trumps. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte, Trump habe mit rückwärtsgewandten, rassistischen und frauenfeindlichen Parolen das alte, weiße Amerika mobilisiert und zögerte nicht, von Tragik zu sprechen. Ein Wort, das man ja mit Untergang und Verderben in Verbindung bringt. Kurz nach Trumps Wahlsieg ergab eine Umfrage, dass fünfundfünfzig Prozent der Berliner negative Folgen für Deutschland befürchten. Sorgen wirtschaftlicher Art vor allem, weniger Sorgen wegen Fremdenfeindlichkeit oder Kriegsgefahr. Immerhin dreiundfünfzig Prozent der Befragten gingen davon aus, dass die Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl im September 2017 von der Wahl Trumps profitieren werde; vierzehn Prozent meinten sogar, sie wollten bei einem Staatsbesuch Trumps in Berlin gegen ihn demonstrieren. Das wären nahezu 500.000, mehr als doppelt so viele, wie bei der Rede Obamas an der Siegessäule im Jahr 2008. Wahrscheinlich versteht die Mehrheit aber unter „demonstro“ heutzutage den Mausklick am PC.
Von dem Furor (Monster der Irrationalität) und gelegentlicher Häme (die Amis sind eben blöd) unmittelbar nach der Wahl Trumps ist mittlerweile nicht mehr viel zu spüren. Der Berliner geht seinen Geschäften nach. Es ist bald Weihnachten. Geschenke müssen gekauft werden. Die Schaufenster sind weihnachtlich dekoriert. Lichterketten säumen die Boulevards und bunte Weihnachtmärkte laden zum Einkauf. „Business as usual“ könnte man sagen, wäre da nicht eine unterschwellige generelle Verunsicherung, die vor jeder Wahl oder vor jedem Referendum wie jüngst in Österreich und Italien wieder an die Oberfläche tritt.
Mein erster Blick bei vermeintlich katastrophalen Entwicklungen wie der Wahl Trumps gilt mittlerweile den Börsen. Und tatsächlich hat es an den Finanzmärkten weltweit keinen Crash, nicht einmal eine kleine Baisse gegeben. Ganz im Gegenteil: Seit Trumps Wahlsieg haben die amerikanischen Börsen neue Höchststände erreicht und das europäische Parkett hat sich (auch nach dem Rücktritt Renzis in Italien) nur moderat bewegt. Was hätte man auch anderes erwarten können, denn Trump ist eben nicht der General des Lumpenproletariats, des „white trash“, und auch nicht der Rächer der verarmten Teile der amerikanischen Mittelschicht, sondern in erster Linie ein Immobilienmogul und Milliardär mit internationalen Interessen, dessen größtes Ärgernis Steuern sind, die seine Profite schmälern. Alles in allem: ein Angehöriger des Wirtschaftsestablishments einschließlich der Wallstreet, mal liberal, mal protektionistisch, mal aggressiv. Das Prototypische an Trump als Politiker ist dabei nicht, dass er reich ist und den amerikanischen Traum verkörpert. Auch Hillary Clinton und andere vor ihr waren reich (und haben sich gut „verkauft“). Das Prototypische ist, dass er auf der politischen Bühne nicht Politik verkauft, sondern sich selbst als die Marke Trump, als einen, der gesellschaftliche Tabus bricht, möglicherweise auch als einer, der selbst die Tabu-Gewalt der polynesischen Häuptlinge für sich in Anspruch nimmt. Er benötigt im Grunde auch keine Republikanische Partei, sondern eine Bewegung von ihm zujubelnden Anhängern mit ein paar Technokraten und willfährige Ideologen, die ihm, dem Erfolgreichen, folgen und mit deren Unterstützung er die Firma „Staat“ managen kann. Das Ergebnis von Wahlen kann man unter diesen Umständen anzweifeln oder opportunistisch nutzen, wie es Trump tat. Was am Ende für die Machtausübung zählt, ist der imaginäre Wille einer hinter ihm stehenden Bewegung.
Europäische Häme ist dabei schon deshalb nicht angebracht, weil Trump im Grunde der Widergänger von Sylvio Berlusconi ist, der uns bis heute immer mal wieder leibhaftig erscheint. Auch Berlusconi war ja Immobilienhai, bevor er Medienunternehmer und Politiker wurde. Auch Berlusconi war Rassist und Sexist. Auch Berlusconi schuf sich eine Bewegung vorbei am politischen Establishment, ließ sich per Akklamation von seiner Forza Italia wählen und initiierte Gesetze zur Sanierung seiner Unternehmen. Wir müssen uns also schon an die eigene europäische Nase fassen.
In Europa steht eben selbst Vieles nicht zum Besten. Es steckt in einer Glaubwürdigkeits- und Legitimitätskrise. Neoliberalismus, Eurokrise und massenhafte Zuwanderung haben einige Säulen einer menschenfreundlichen Gesellschaft wegbrechen lassen. Hass und Feindseligkeit äußern sich in zunehmender Gewalt. Tabus werden auch bei uns gebrochen. Der brave Bürger schaut zu, billigt stillschweigend oder legt selbst Hand an. Der Aussage „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ stimmen im Deutschland des Jahres 2016 dreiundzwanzig Prozent voll und ganz oder überwiegend zu.* Berlin ist nicht nur umringt von Neo-Konservativen, rechten Populisten und Autokraten, sondern hat seinen eigenen rechten Sumpf, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht.
Merkels in der Finanzkrise ausgerufener Satz „Ich halte das Vorgehen für alternativlos“ half der AFD erst richtig auf die Sprünge. Wer nun meint, wie CDU, SPD, die Grünen oder partiell auch Die Linke, wir müssten uns nur mehr um die Abgehängten der Globalisierung kümmern, dann werde alles gut, der täuscht sich. Auch die Ankündigung, Flüchtlingsprobleme nach Nordafrika in Lager und Transitzonen zu externalisieren, ist kaum mehr als ein Placebo. Probleme, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben und negiert wurden, lassen sich nicht mal eben mit Rhetorik, ein paar Reförmchen und einem „Roll-back“ beseitigen.
Es geht hier und in naher Zukunft letztendlich um die kulturelle Hegemonie in Europa. Die Rechte hat zum Kulturkampf aufgerufen, sie ist in der Offensive. Rechtes Gedankengut und Rechtsextremismus sind cool geworden. „Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, verkündete der österreichische Rechtspopulist und Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Heinz-Christian Strache, nach der Niederlage ihres Bundespräsidentenkandidaten. „Die Zeit war noch nicht reif“, aber, so meinte er implizit, die Zeit wird kommen. So denkt die Rechte von Marine Le Pen über Geert Wilders bis zu Frauke Petry oder Bernd Höcke von der AFD. In Österreich prognostizieren die Wahlforscher bei der nächsten Nationalratswahlen einen überwältigenden Sieg der FPÖ. Geert Wilders Partei in den Niederlanden könnte stärkste, zumindest aber zweitstärkste Kraft im Parlament werden bei den Wahlen im März 2017. Und wie sich Marine Le Pen schlagen wird im Präsidentschaftswahlkampf Frankreichs, ist nach den Erfahrungen mit den Wahlprognosen zu Trump höchst ungewiss. Das ist die schlechte Nachricht, meint Hans Mayer, dem die Wertschätzung der Anderen ein höchstes Gut ist.
*) aus: Andreas Zick, u.a.: Gespaltene Mitte –Feindselige Zustände, Bonn November 2016.