Jan 2019
Bericht an eine Jury
Eine Stasi-Satire
von Axel Reitel
Hochgeschätzte Damen und Herren der Jury!
Sie haben mich gebeten, zum Thema „Das Rätsel des Exils” einen Bericht mit untersuchendem Charakter zu liefern. Ich will nicht leugnen, wegen des anständigen Honorars angenommen zu haben.
Ich bin ein Mensch, der aus eigener Erfahrung über Gefängnis berichten kann. Da ich aber vor allem eine Sache von der anderen zu trennen weiß, da ich weiter nur in einer gewissen Ordnung zu existieren vermag, obendrein bestimmt ungern in meiner Vergangenheit krame, denn ich bin Wissenschaftler, brauche den Fortschritt, hätte ich mich niemals Ihrer Aufforderung stellen sollen.
Aber zugegeben — ich habe damals nicht gewusst, dass Exil eine Sache von unaufhörlichen Verlusten ist. Heute, nach mehrwöchiger Forschung, bin ich ein ruinierter Mensch. Niemals, niemals hätte ich mich darauf einlassen sollen.
Wegen der schönen Reisemöglichkeiten bin ich in Ihr Land gekommen. Habe Verfolgung und Gefängnis in meinem Land, in dem allein Vorbereitung und Versuch, Reisen in exotische Länder zu unternehmen, unter Strafe stehen, auf mich genommen. Ich war Vorsitzender eines Geheimbundes mit dem Namen „Revolutionäre Exotiker”. Jeden Abend trafen wir uns, um per Landkarte die Küsten Australiens, Südamerikas und der Osterinseln zu erforschen.
Küsten wie die der Vereinigten Staaten oder Kanadas ließen wir unberührt. Denn vor allem gingen unsere Überlegungen dahin, nicht eines dummen politischen Verdachts wegen unserer Forschungen einstellen zu müssen. Unser Kreis bestand im Ganzen aus mir, dem Admiral, meinem Navigator, meinem ersten Offizier, meinem Lotsen und meinem Mastjungen. Letzterer war damit beauftragt, nach noch unerforschten Küsten und Getränken zu sehen. Geld für die nötige Ausrüstung verdienten wir uns in einem Metall-Leichtbaukombinat in P. Wir erforschten also die Küsten. Und ich muss sagen, dass uns die Unnachgiebigkeit unseres Vorgehens bald bis ins Landesinnere brachte. Landwirtschaft, Bodenbeschaffung, Klimawechsel, Einwohnerzahlen, Nachbarbeziehungen: Alles kannten wir in kürzester Zeit wie aus dem ff.
Aber nie vergaßen wir unsere Vorsicht. Auch hier gingen wir die politischen Strukturen nicht an.
Eines Tages fielen wir dennoch unter Verdacht. Sei es, dass der immense Ankauf von Landkarten und Atlanten unserer Stammbuchhandlung ins falsche Auge fiel, wie man so sagt, sei es, weil in einem der neueren Atlanten zufälligerweise die Vereinigten Staaten doch zur Sprache kamen, ich weiß es nicht. Und später erhielt ich nie die Auflösung unseres Fehlers.
Wir fielen also unter politischen Verdacht. Und ich versichere Sie: Es begann eine Jagd, die jedem kaledonischen Eber Ehre machen möchte!
Um unseren Verfolgern nicht noch mehr Gründe zu liefern, ergaben wir uns bereitwillig und leugneten nichts.
An diesem Punkt muss ich unbedingt auf meine großartige Frau zu sprechen kommen. Wenn sie auch nichts von Forschungsarbeit versteht, so verstand sie es in bravouröser Art, uns und unsere Wissenschaft zu schützen. Bereitwillig gab sie alles Material heraus, ergab sich, wie sonst auch den Anforderungen der politischen Polizei, und schaffte es so, bis in die höchsten Kreise vorzudringen und meine Strafe auf das Mindestmaß von wenigen Jahren zu senken. Selbst die Stimmung während der Vernehmungen änderte sich rasch. Hieß es erst: „Ich stecke Sie mit dem Kopf in den Sand, Sie komischer Vogel, und zähle bis Tausend”, kam dann ein zutrauliches „Na, Deine Frau ist schon ein Feger, was”. Ja, meine Frau ist ein Feger. Von Beginn an verband uns unsere Liebe zur Ordnung. Meine Großmutter väterlicherseits, bei der ich aufgewachsen bin (mein Vater war ein Spieler und wurde zwangsläufig eines Tages erschossen, meine Mutter nahm sich wegen der Schande das Leben), pflegte schon zu sagen: „Wenn Du nicht aufräumst, dann hol’ Dich der Teufel.” Da ich auch von ihr weiß, dass der Teufel nur unnütze Menschen holt, wurde ich ein sehr ordentlicher Mensch. Denn ich hatte früh meine Fähigkeiten erkannt und wollte nicht ohne Geschenke von der Welt gehen.
Wenn Männer von grundverschiedener Stellung eine Frau von der gleichen Seite her zu schätzen wissen, dann spricht nichts gegen eine vertrauliche Unterredung, Also schlug ich sein Angebot, sich in besseren Räumen, bei Kaffee und Kuchen, eben einmal vertraulich zu unterhalten, nicht aus.
Nach wenigen Momenten schon gab er mir das Ungeheuerliche zu erkennen, dass alle meine Freunde zu Verrätern geworden waren. Sie belasteten mich als ihren Anführer mit alleiniger Schuld wegen Verführung. Wäre ich nicht bereits zu vollendetem Charakter gereift, würde ich bestimmt einer lähmenden Verzweiflung anheimgefallen sein — denn ich liebte meine Freunde. So aber vollzog ich den Gegenzug. Offen erklärte ich, dass nur mein Veto das Vorhaben meines Navigators, meines ersten Offiziers und meines Lotsen, doch auch politische Ziele zu verfolgen, einst abgewehrt habe. Nur über den Mastjungen wusste ich nichts zu sagen. Der Beweis umfasste mehrere Seiten. Nach Meinung meine-, Vernehmers schlagkräftig wie die einstigen Rochaden Spasskis.
Von nun an war alles eine Sache von glänzendem Verlauf. Am Abend des gleichen Tages kam mein Vernehmer zusammen mit meiner Frau in meine Zelle. Und nachdem wir uns herzlich die Hände gehalten hatten, zog sie ein Papier aus der Tasche und sagte: „Schatz, unterschreibe, wir sind verheiratet!”
In einem aufmunternden Kleid, den Füllhalter wie eine siegreiche Lanze von sich gestreckt, setzte sie sich meinem Vernehmer gleich auf den Schoß. Die Härte ihrer Aufgabe hatte sie kräftig werden lassen wie ein Mammut. Keine Geisha hätte gewagt, was meine Atalante nun unternahm. Sie küsste den Herrn Vernehmer auf den Mund, dass er die Augen Schloss. Dabei gab sie mir durch ein Zeichen zu verstehen, dass nichts mehr zu befürchten sei, wenn ich unterschriebe. In Anbetracht der Höhe ihres Einsatzes unterschrieb ich sofort. Und wenige Jahre später konnte ich meine erste Reise antreten. Ich bereiste nacheinander die Länder meiner Wissenschaft. Und wenn jene Länder auch keine Gemeinsamkeiten mit den Ergebnissen meiner Forschungen aufweisen konnten, freute ich mich dennoch der praktischen Möglichkeiten. Ich sah die Tempel von Peru, die Täler der Anden, roch noch das Blut in Chile, sah Australiens Kinder, Indianer in Sidney, Götzen im Süden und die Inseln des Westens. Eines Tages aber, als ich die angrenzenden Meere berechnen und über sie setzen wollte, musste ich an den Verrat meiner Freunde denken und wurde plötzlich sehr traurig. Und ich wurde so traurig, dass ich mit einem mal jede Lust an der weiteren Länderforschung verlor.
Daher kam ich in Ihr Land und fand eines Tages Ihre Aufforderung in einer Zeitschrift für Rätselfreunde.
Auf Grund meiner Bildung habe ich frühzeitig Rätsel zu durchschauen gelernt. Daher sagte ich mir ohne Umwege, dass Exil ein würdiges Unternehmen sein muss.
Ich füllte in wenigen Tagen ein dickes Buch, welches ich „Hommage an eine Reise” nannte. Die Einleitung musikalisch. Man erinnere sich des französischen Liedes „Der Deserteur”. Dann legte ich einen Zahn zu und kam zur Wuchtigkeit des „Hessischen Landboten”. Ich schrieb so viel, daß mich Tinte und Papier in wenigen Tagen ein Vermögen kosteten. Aber Sätze wie: „Schweigsam ist und mit Sehnsucht gefüllt unser Ziel”, oder „dem, welcher sich vom Weg abgekommen unter den Füßen fremder Berge nicht mehr erkennt”, oder „und dass dein Ruf hörbar wird jenen, denen dein Rufen gilt”, hießen mich nicht aufgeben. Und wäre nicht die Hauptberechnung auf ein noch gewaltigeres Resümee gefallen, ich hätte die Trophäe davongetragen. Doch Wissenschaft erfordert, wie Sie wissen, unbedingte Exaktheit des Berechnens. Aber wissenschaftlicher Zweifel gehört ebenso zu meinem Handwerk, wie das Abendbrot zum Beter. Und wieder kam Rettung durch Atalante. Sie schrieb mir einen Brief.
„Liebes Eberchen” und so weiter; „trotz emsiger Arbeit” und so weiter; „alles macht viel Mühe wegen deiner hinterlassenen Chiffren” und so weiter; „werde ich wegen der Exilfrage den Herrn Vernehmer um Rat bitten.”
Zwei Wochen darauf übermittelte sie mir Grüße und beste Wünsche vom Herrn Vernehmer, weiter eine Adresse, an die sollte ich mich wenden. Da ich aber von Natur aus Fremden gegenüber misstrauisch bin (denken Sie an die Geschichte meines Vaters), kontaktierte ich sicherheitshalber selbst meinem Vernehmer. Und erst nach positivem Bescheid trat ich den Weg dorthin an. Am späten Nachmittag fand ich das beschriebene, abgelegene Haus.
Ein Herr Nestor, meinem Vernehmer nicht unähnlich, begrüßte mich, er wisse Bescheid. Das Innere seines Hauses war teuer aber nur mit mäßigem Geschmack eingerichtet. Als ich das Bild seiner Frau sah, freute ich mich sehr, dass sie zu dieser Zeit eines Einsatzes wegen, wie er es nannte, nicht da war. Was unter Einsatz genauer zu verstehen ist, habe ich ihn nicht gefragt, da mir die Suche nach Antworten auf meinem Gebiet vorging. Und nun hörte ich zum ersten Mal, dass Exil eine Sache von unaufhörlichen Verlusten ist. Ausdrücklich warnte er mich vor der Gefährlichkeit meines Unternehmens. Ich rechnete meine Ausgaben während der letzten Wochen zusammen und musste zustimmen. Wie schon gesagt, hatte ich immense Summen verbraucht.
Dennoch: Gewohnt, Aufgaben zu beenden, wollte ich nicht aufgeben. Den Sachverhalt Ihres Honorars verschwieg ich, da man die Katze nicht gleich aus dem Sack lässt, wie es treffend heißt. Im Folgenden erzählte er mir umfassend von den Dissidenten, die, anarchistisch veranlagt, ihrer Unordentlichkeit wegen beschämen. Wegen des bisher einwandfreien Verlaufs meiner Geschichte aber riet er mir das Kreuz, mich unter sie zu mischen. In unvergleichbar kürzester Zeit sagte er weiter, bekommen Sie dort ein Resümee zusammen, das an Klasse Harry T.s, meines Lieblingsautors, nicht nachstehen wird. Es fehlt Ihrer Geschichte nämlich noch an Witz, und den brauchen Sie bei der Leserschaft unbedingt. Besser noch Witz als Würde. Sie werden sehen, wieviel Rumpelstilzerei im Geschrei der Dissidenten ist. Gehen Sie, schreiben Sie alles auf. Ich bin sicher, dass Sie auf dem besten Weg zum Klassiker sind. Wer weiß, vielleicht bald mein zweiter Lieblingsautor. Kommen Sie nachher wieder, dass wir noch einmal alles durchgehen. Dann gab er mir Harry T.’s Bestseller „Rauer Atem” mit auf den Weg und verabschiedete mich. Wie man sich unter die Leute mischt, gleich dem Wolf bei den sieben Ziegen, konnte ich bereits auf den ersten Seiten studieren. Es wuchsen mir Bart und Nägel, ich wusch meine Haare nicht mehr und ließ meine Zähne verfallen. Erst dann betrat ich das türkische Restaurant Ali-Ali.
Der genauen Berechenbarkeit an Hand der Empirie steht nichts zur Seite! Meine herrliche Maskerade erweckte unendliches Mitleid. Und nach wenigen Tagen ging ich ein und aus bei Ali-Ali, wie jeder dissidierende Türke. Ich kam früh, trank, und ging spät und zahlte nie. Immer auf der Hut, dachte ich an Harry T., und dass der Erfolg nur dem Nüchternen blüht. Schnell lernte ich, wie man viel zu trinken vorgibt, selber aber nüchtern bleibt. Nur die anstrengende Ausübung meines Berufes schmiss mich öfter zu Boden, nie aber die erschöpfende Leidenschaft eines Trinkers. Und ich war von heillosen Trinkern umgeben. Auch wenn sie mich des Öfteren wieder auf die Beine zu stellen wussten, bin ich ihnen keinen Dank schuldig, denn sie wussten nie, was sie taten.
Der Vollkommenheit meines Spiels wegen, musste ich mich auch ihren Gewinnspielen hingeben. Zwar wurde während meiner Anwesenheit keiner erschossen, doch diesen oder jenen wird es bestimmt noch treffen. Sie spielten wie die Teufel. Ich aber genoss das Glück der Engel. Das gewonnene Geld wusste ich schnell und geschickt zu verbergen. Denn, sagte ich mir, ein Dissident mit Geld erweckt unweigerlich Verdacht. Dann kam der Tag, der als letzter auf meinem Kalender stand. Der so viel Böses brachte. Tage zuvor brachte ich auf Wunsch Alis ein Plakat am Eingang an. Darauf wurde der „Erste Internationale Dissidentenkongress” zu einem Donnerstag angekündigt. Plötzlich bekam ich Angst um mein Resümee. Es sollte gerade hier seine klassische Vollendung finden. Aber Donnerstage mochte ich noch nie.
Schon bei meiner Großmutter gab es Donnerstag wie Donnerstag Rübeneintopf. Nichts hasse ich mehr als Rübeneintopf und Hunde. Die Nachbarin meiner Großmutter hatte so ein Vieh. Es hieß Alfonso. Durch einen mir unbegreiflichen Zufall habe ich den gleichen Namen bekommen. Und es war nicht selten, dass dieser dumme Köter meinen Platz am Tisch einnahm. Meine Großmutter war nämlich der Angewohnheit verfallen, mich in seinem Beisein beim Namen zu rufen; und ich war ein schlechter Läufer. Nur donnerstags blieb der Hund auf seiner Treppe. Ihn umzubringen konnte ich mir nicht erlauben, denn er war noch größer als ich.
Ich half Ali-Ali bei der Ausschmückung des Kongressraumes. Wäre ich auf die Idee gekommen, die Unsicherheit eines jeglichen Triumphes in Betracht zu ziehen, hätte mich meine plötzliche Angst vielleicht gerettet. Aber man bedenke die Nähe meines Zieles! Hundert Abgeordnete aus allen wichtigen Ländern! Türkei, Russland, Deutschland, Kanada und die Vereinigten Staaten (ja doch), Chile, und so weiter. Mein Resümee hätte zweifelsfrei seine klassische Vollendung gefunden. Und ich wäre zurückgekehrt in ein Leben als anerkannter Fuchs. Schon träumte ich von Bädern, Zahnbehandlung, Leben und Ruhm. Aber wie aus der Hölle des Urwaldes entstiegen, kamen Männer mit tropischen Anzügen herein. Ich wandte mich und erkannte meinen Navigator; dann auch die anderen. Lotse und Offizier spreizten hässlich ihre Lippen und schrien mit bestialischem Aufschrei „Verräter”. Dabei zeigten sie mit ihren glatten, gebräunten Fäusten auf mich. Ich zog, ihrer Überzahl wegen, das Schweigen vor. Aber sie schrien weiter.
Da Zufälle solcher Art keinen Bereich meiner Wissenschaft berühren, trifft mich an dieser Begegnung keine Schuld. Ich habe mich verraten gewusst. Die Unmöglichkeit eines Wiedersehens war mir versichert worden. Sprachlos über die Unzuverlässigkeit meiner Förderer, gelang es mir nicht, die Falschheit ihrer Aussagen bloßzustellen.
Gern hätte ich erfahren, was aus meinem Mastjungen geworden ist, sie aber schlugen mich auf Gesicht, Rücken und Beine, dass mein Blut nur so spritzte. Es roch wie in Chile. Und bestimmt hätten sie mich zu Tode geschlagen. Aber dann ist Ali-Ali doch dazwischen gegangen. Ich war ihm ja auch bekannt — jene aber nicht. So gelang mir letztendlich die Flucht. Aber ich bin ein ruinierter Mensch. Um sich zu schützen, werden sie auch hier zur politischen Polizei gegangen sein, um mich ein drittes Mal zu verraten. Seither lebe ich unter ständiger Verfolgung.
Mein Konto kann ich nicht mehr belasten, da ich mit erneutem Überfall rechnen muss. Und jenem Herrn Nestor kann ich mich in Anbetracht seiner Fehlleistungen unmöglich überantworten. Ali-Ali widerstrebt jeglicher Verrat, dennoch darf es kein Risiko mehr geben. Zwar könnte ich meiner Frau telegrafieren, doch besteht die Gefahr, dass meine Verfolger inzwischen auch die Post bevölkern.
Das Buch von Harry habe ich verloren. Die Lage zwingt mich nun, selbst zu leben wie ein Hund. Manchmal beneide ich sogar deren Gedankenlosigkeit. Will man sie zum Beispiel erschießen, ruft man einfach ihre Namen, und schon geben sie sich durch Bellen zu erkennen. Schon deshalb mache ich einen großen Bogen um sie. Und wie Alfonso auf seiner Treppe saß, hocke ich in Büschen, jeder Tag gleich Donnerstag, und nichts zu essen.
Zu einem Hungerkünstler tauge ich nicht, auch wenn ich immer an Rübensuppe denke. Ich ziehe nachts von Park zu Park. Eine feste Adresse zu haben, kommt in meiner Situation einem Zehnmetersprung auf Beton gleich. Wer weiß, wie lang noch alles dauert und Gras wächst. Einzig mein Fragment ist in Sicherheit. Es liegt bei Nestor, dessen Frau mir Angst macht. Auf dem Bild trug sie einen Revolver und zielte auf mich. Ich möchte sie schnell vergessen.
Das alles möchte ich schnell vergessen. Manchmal denke ich noch an Harry T. und dessen klassische Variante. Aber die werde ich wohl nie mehr erfahren. Vielleicht schaffe ich es noch bis zum Meer, um endlich ganz unterzutauchen.
Jedenfalls, dazu verdammt unterzutauchen, kann ich mich auch Ihnen unmöglich preisgeben.
Seien Sie meiner besten Gefühle gewiss, und möge ein guter Gott Sie in Zukunft davor schützen, das Glück der Menschen aufs Spiel zu setzen.
Berlin-Denia/Costa Blanca August-September 1986-Berlin- Januar 2019
Aus: Zündhölzer für ein Manöver. Erzählungen. Hilbert & Pösger, 1987.
Im Radio: Bericht an eine Jury. Eine Stasi-Satire. MDR Figaro, Sa, 29. Oktober 2011, 21′06″.
Weitere Information zum Autor und Text: “Durch das Gefängnis in die Freiheit.” TUB Newsportal. 16.12.2011.
Aus dem Pressetext des Senders MDR Figaro (2011) von Katrin Wenzel und Axel Reitel:
In Kafkas „Bericht für eine Akademie“ rühmt sich der Affe Rotpeter stolz seiner Menschwerdung, die doch in Wahrheit nichts als die Preisgabe seines ursprünglichen Wesens, also eine erzwungene Anpassung war. In Axel Reitels Mitte der 80er Jahre entstandener Paraphrase dieser Satire ist es ein von der Stasi „umgedrehter“ Dissident, der, als angeworbener Spitzel zum Schein in den Westen abgeschoben, selbstzufrieden seine vermeintliche Erforschung der „Rätsel des Exils“ zu Protokoll gibt und sich dadurch in seiner durch pseudo-wissenschaftliche Ambitioniertheit doppelt lächerlichen Nichtigkeit offenbart.
Der „Bericht an eine Jury“, zuerst erschienen im Prosaband „Zündhölzer für ein Manöver“ (1987), war dem MfS bekannt. Zitat aus dem Zentralen operativen Vorgang (ZOV) „Konzept“: Juni 1989… In der Untersuchungstätigkeit durch die Abteilung IX der BV Karl-Marx-Stadt wurde eine massive ideologische Beeinflussung…nachgewiesen. Die…unter Teilnahme des ehemaligen DDR-Bürgers Reitel, Axel….bis 1988 in der CSSR organisierten Treffen wurden neben der feindlich ideologischen Einflussnahme, zur Übergabe antisozialistischer Machwerke [wie] Zündhölzer für ein Manöver1 – von Reitel…genutzt, die wiederum unter DDR-Bürgern verbreitet wurden. […] Der Inhalt [des Buches] …richtet sich inhaltlich gegen die sozialistische Staatsordnung in der DDR … das soz. Bildungswesen, sowie Reisebestimmungen in der DDR. […]