Oct 2012
André Schinkel
Sostenuto für Wolfgang Hilbig
Nun fällt die Nacht: die Zeit die dauernd endet
und dir gebrichts am Wort mit dem du ferner handelst
was gestern licht und wert war ist verschwendet –
und es ist Nacht und Zeit daß du dich wandelst.
W. H., Pro domo et mundo
Baumstämme im Wasser
Baumstämme im Wasser: dieses Glimmen, das mit der Fäulnis heraufkommt und in den Nächten als flackerndes Rötlich oder bläuliches Weißgrau sich zeigt. Wir wissen nicht, daß vor den Häusern das Sumpfland beginnt, daß es bereits beginnt, zu den Türen hineinzuwachsen … durch die Dielen … über das Dach … unüberschaubar, eine unüberschaubare, graue, irrlichternde Flut. Wir glauben, noch immer, in Sicherheit zu leben, in den geordneten Ummauerungen unseres Daseins. Wir wissen, daß wir uns die schleichenden Gase nur einbilden dürfen; und wir hören an den Tagen den Verkehr auf den Straßen und, wie wir meinen, die Schritte vorübereilender Passanten, vital und unausgesetzt. Wir könnten ahnen, daß es das Fletschen wilder und hungriger Tiere sein muß, die kommen und uns fressen; daß die Zeit gekommen ist, unserer Hoffart ein paar Riegel vorzulegen. Aber wir nehmen es einfach nicht wahr.
Largo con moto: Sommerentwurf
1
Über den brennenden Kanälen
steht Trauer, kein Atem.
Die Schiffe sind zerbrochen, das
Gut von den Rampen geplatzt.
Glut steigt von den Kadavern – wenn
die verrotzten Herden geschlachtet
sind, verworfen, geht beißender
Dampf von den Gräbern. Schlieren
die starrbeinigen Körper hinweg.
O welch ein Geruch in den Sommern:
zerblatterte Wolken, Pesturnen
aus Fleisch. Silberner Schimmel
der Ahndung. Silbernes Vergehen der
Orte, wenn die stakenden Tänzer
sich in den Leibermeeren verliern.
2
Ja, und Tänze. Die wirren Füße
verkreuzt, wackeln die Mägde
verschwitzt, und schwangere Elfen
schaukeln vorbei. O des Trinkens
in den verbrannten Augüsten!
All mein Liegen zerknickt. In den
schattigen Bunkern zu träumen
kein Lohn. Keine der Frauen, die
bleibt, um nicht zu verschwinden.
Denn das Gleißen geht über die
Lichthorizonte und stürzt und
wandelt sich in lederne Schwärze.
Bleibt liegen, wenn die Mondhorden
Über mich herfalln, meine
gläsernen Glieder, in denen
der Schmerz geronnen abliegt und
meine starren Blicke wie Tau
bricht. Blicke wie Tau … solche
Erregung für mich, neugierige
Augen, mich einmal zu streifen –
einmal, bevor die Hitze eintritt.
Zwischenspiel: Notturno da capo al fine
Hier ist es endlich still. Die Dinge schweben über ihren verlassenen Schatten. Das Schweigen repariert die Trommelfelle, vergilbt über dem Kopf zu einer höheren Stille. Der Pfeilschaft in der Schulter, noch eben ein rasender Schmerz, blinkt jetzt und blakt wie ein ehernes Talglicht, dem sich nun die Luftzufuhr Stück für Stück in die Leere entzieht. Du schwebst, wie die Dinge betrachtest du deinen Schatten, eine unförmige, doch inzwischen schwerelose Furchung dein Leib, die Arme streng gewinkelt mit dem knirschenden Geräusch deines vertrocknenden Fleischs. Du schwebst und liegst zugleich noch in den Bergen, wo ich dich traf, mit Blicken zunächst, die nicht ausreichten dann – dein Körper gelinde gedreht in einer pudrigen Wüste aus Schnee, und das schartige Gefieder der Vögel dreht sich, ohne dich noch zu erreichen, ebenso schweigend und still in der Nähe. Jetzt erst siehst du die zerhackten, zerschnittenen Ballen der Hand – wie sie dir auf deiner überstürzten wie sinnlosen Flucht nicht auffallen konnten, zieht sich jetzt der Schmerz aus ihnen zurück, läuft an den sich verkrümmenden Sehnen entlang, verschwindet in der verkümmernden Dattel deines Körpers … wo du die letzte Mahlzeit noch fühlst … jetzt, jetzt, schwächer werdend, jetzt nicht mehr, nun hast du sie vergessen und spürst dem Verschwinden deines Beingefühls nach, während du dich, in stiller Rotunde, um dich selbst drehst, ein schwindender Schatten dein Leib … das Schweigen repariert die Trommelfelle, und das weise Knistern des Abschieds erreicht, überrollt dich mit Wärme. Es ist das einzige Geräusch und das Tröstlichste, was dir deine vertrocknenden und zugleich gesundenden Ohren jetzt bieten. Nun bist du erleichtert, drehst in der Rotunde auf dem Gebirg’, das dein verlorener Glaube ist, an alles, die Sühne, den Geist deines Tuns. Der Gedanke ans Licht heißt: das Nachlassen des Schmerzes. Er steht auf dir und leuchtet, betrachtet dich wie den Schatten seines eigenen Leibs. Ein Fluß von Strahlen wie Hände auf dir, ein Leuchten, ein Irrlicht, eine frohe Verheißung. Keine Pein mehr in den Gliedern … wie beim letzten Schritt, als dich der Blick und der Pfeil traf. Nur Stille. Die Séance der Erlösung, wie sie über dir, unter dir, Schatten deines Leibs, und inmitten dir schwebt. Das Blinken des Pfeilschafts erloschen, das Rumoren der Spitze im Fleischsaum der Schulter verstummt. Das Klirren der Waffen und Schnäbel entfernt. Die gurgelnde Mahlzeit im sich verbiegenden Leib das vergessene Pfand für das Andere, das, denkst du, ohne zu wissen (oder denkt dich der Strahl des Gedankens?) … das dich nach dem Durchschreiten der Stille erreicht. Aber noch drehst du dich in der Rotunde aus Schweigen und Licht, und nimmst schwindend wahr, und auch die Dinge verschwinden um dich, reiten durch die schwindende Luft in den Schutz der schwindenden Mauern aus Fels, drehn ihre Runden hinter einem gleißenden Spalier aus Graten und Licht … und gehn dir vergessen: wie du sie vergißt und dich und alles in diesem stummen, kaum rauschenden Inferno des nachlassenden Schmerzes, der, ein guter Gedanke, dem alles verschluckenden, dem Ablicht zutreibt, das hinter der Stille, der Erlösung des nachlassenden Schmerzes, beginnt und dich in eine noch viel unendlichere Stille, und den Schatten deines Leibs, endlich befreit. Gelinde dreht sich das Schweigen. Die Schatten schweben über den verlassenen Dingen.
Grave
Ein Spiel, gedacht zur Entspannung
Von Augen, Herz, Stimmung –
Wer sich bewegt, gerät noch tiefer
In die Schlingen hinein.
Geh – und sieh dich nicht um, die nächste
Hand, die nach dir greift, wird dich
Erwischen, und du sinkst in die Tiefe
Der Vergessenheit weg.
Der Schwarz-weiß-Gestreifte
Ist zu erlangen – er wird
Mit Gold aufgewogen … oder
Dem Leben der Andern.
Nichts wird sein wie zuvor – einzig
Dein Trachten bewegt sich
Auf der Bahn unserer Notdurft –
Die du nicht mehr verläßt.
Oder aber: bewege dich nicht,
Spiel nicht mit den Blicken
Der Verheißung – sie branden ins Holz,
Ihr ledernes Werg reibt dir kühl
Über die Fläche, rühre dich nicht:
Der fallende Schwarm der
Leoniden, er fällt nicht für dich;
Sei still und bleibe gewarnt.
Menuett und Reprise
1
Aber das ist noch längst nicht entschieden. Einzig eine Frage der Wahrnehmung, sagst du. „Überhaupt sehen wir nur, was wir auch erblicken wollen – darin liegen Gnade und Fehler zugleich.“ Pompeji, meinst du, Erewan … der Ararat … in unseren Träumen und deshalb nie zu erreichen für uns – es sei denn, als Repliken im mitteldeutschen Rayon, über und über zerwühlt, fürs Kreisenlassen der Schaufeln benutzt … Oder: auf unseren Reisen im Kopf, betrunken, in einem Zug, der nicht ankommt, an den, du weißt es, nur geträumten Orten Zeitz und Pegau vorbei, etwa, zum Beispiel … Unser Schlaf in voller Beleuchtung: ein Schlaf, der noch von unserem Mangel an Schlaf entleert ist. Das also ist unsere Deckung – hellwach in den Träumen zu wandeln – wir drehn uns, in den Nächten, im schwindenden Licht, Traum um Traum, in getragenen Tänzen durch die unveränderbar malträtierte Landschaft, die mit den Planen der Neuzeit bedeckt ist, bemäntelt, trügerisch und unverständlich wie je. Über dem Desaster ein kreisender Bussard, ein Menuett aus Flügelschlägen und Rufen, ein starker Auftritt der Natur, der der glazialen Serie unserer Unnatur folgt. Irgendwo platzt ein Kraftwerk, Scharen von Rauch, sich mischend mit Dampf. Lippendorf. Böhlen. „Dort hatte ich eine Geliebte“, sag’ ich, du lächelst und prostest mir zu. „Pompeji“, sagst du und bezweifelst, ob es sie je gegeben hat. Dein Lächeln bedeckt deinen Zorn: du hebst die blinkende Flasche zum Mund, der schon die Schluckregung macht … du stemmst sie dir in den Rachen, der tief in dem Kopf endet, der dies gedacht hat und alles hinter den Schleppnetzen schwerer Vokale verbirgt. In der Hauptstadt werden sie dich, den gefeierten Mann, in der Gosse finden, mit dem traurigen Glanz deines Ruhmes behängt, den knirschenden Glasstaub der Unrast wieder im Blut. Es bleibt: bei diesem betörenden Sommer. Draußen wanken in gemessenen Schritten die gesprenkelten Leichen der Bäume vorbei.
2
Ich erinnere mich: wir waren völlig betrunken … mir schien, als könnten wir in Streit geraten sein über eine Nichtigkeit. Die anderen waren bereits auf der Rückseite des Schlafs angelangt, hatten die Täler durchwandert. Meine Blicke verschwammen ins Nichts. „Baumstämme im Wasser“, sagtest du plötzlich, riebst dir die Schulter an dem Punkt, wo ich die Narbe vermutete, gingst auf meinen letzten Anwurf nicht ein. Ich hatte mich vergaloppiert und suchte, mich in den Griff zu bekommen. Dein Schweigen hielt meiner Verzweiflung kühl stand. Du hattest neue Texte gelesen, mir zuliebe ein paar alte Gedichte, mit der knarrenden Ratlosigkeit der wenigen noch kommenden Zeit. Wir saßen, tranken und rauchten unbeirrt weiter, setzten fort, was wir einst mit Kaffee bedächtig begonnen hatten, im Gewimmel der Messen, die nicht zu uns paßten: wie in maßgeschneiderten Jacketts, für gefönte Riesen gemacht, hingen wir auf ihnen herum. Ich trank schweigend, du rauchtest dazu, lächeltest, trankst immer, wenn die Blicke sich senkten. Fern das Gleißen der Felswand, über der mitteldeutschen Ebene, aus der du dich fortgemacht hattest, woanders zu trinken, zu rauchen … nachdem du das eine gelassen hast für lange Zeit, das andere nicht lassen konntest. Du hattest sie nie so genannt, es war die Ebene einer namenlosen Versprengung für dich. „Ich weiß, der Ararat kommt wieder nach Sachsen, er stürzt in den Himmel – mit seinen Scharten und Gletschern zerreißt er den Wolken das Fleisch“, lallten die Äther. Als ich es nicht mehr aushielt, erhob ich mich und ging, gegen das Gefühl unseres Überworfenseins kämpfend. Ich war längst draußen, da flog die Kneipentür auf, du kamst mir nach und umarmtest mich, als du mich erreicht hattest, zum Abschied. Ausgesöhnt mit dem Abend, setzte ich meinen Weg fort. Du eiltest in die Kaschemme zurück. Es war das letzte Mal, daß ich dich sah. Ich drehte mich dem Viertel zu, in dem ich lebte … In meinem Kopf murmelten die Sätze, die ich noch hatte sagen wollen. Und Musik: ‚Peace be with you …‘, dröhnte es in mir, es klang wie der verschollene Song einer der großen Bands, von der wir bald nichts mehr hören sollten. Ein hoher Gitarrenakkord verfing sich in seiner eigenen Harmonie, steigerte sich bis auf ein beinahe unaushaltbares Plateau, dann brachen die Synthesizer und Orgeln ein, daß man für einen Moment die Schlagzeug- und die Bassläufe nicht mehr ausmachen konnte: Peace. Be. With. You. ‚Peace be with you …‘, dachte mein rauschendes Hirn: ‚Friede sei mit dir.‘ Dann kam Wind auf, und ich setzte meinen Weg in die Nacht zielstrebig fort.
Reise durchs Licht
Heute blühn die Magnolien für dich.
Magnolien, im August, wirst du sagen.
Aber so ist es – mit Porzellanblüten
Schlägt heute jeder Strauch, ja, Straßen-
Mast aus, um dich zu ehren. Und
Ruhe nun aus: wo die dürstende Erde
Die wunderlichsten, auf dieser Seite
Der Welt noch nicht erblickten Blüten
Austreibt: Wolfswegerich, Feistblatt
Und Araratkraut, Lilien mit Schwertern
Wie Abteiltüren schwer, und schwarze
Gladiolen … Bald stehn die Plejaden
Günstig und du findest den Orionweg –
Mit dampfenden Früchten behangen,
Steigst du ins Irrlicht. Solange blühn
Die Magnolien, heulen die Zerberusse
Für dich … ein sanftes Glimmen und
Glühen für dich, in der Nacht von Berlin.
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