Oct 2012
Hellmuth Opitz
Schulhof im August
Im Schwitzkasten eines Mittags,
der seit Wochen das Mantra
leerer Stundenpläne murmelt.
Die alte Platane nickt, schwer-
hörig wie sie ist, nickt wieder ein
mit hängenden Schultern
über den Hausaufgaben der
Spinne, die dem Basketballkorb
ein neues Netz nähen muss.
Manchmal ein Sog in der Luft,
wirbelt den Staub hoch, Blätter,
Arbeitsblätter aus der Kreidezeit
der Angst, nicht weit von hier,
in der Ecke, wo wir Jungs standen
in den großen Pausen und
keinen anderen Stoff hatten
als das gleichschenklige Dreieck
der Mädchen. Hinter der Tür
zum Kiosk der Getränkeautomat:
Die kühlen Limonaden dürsten
nach kleinen trockenen Kehlen.
Notaufnahme
Wie unsere Blicke basteln am TausendTeilePuzzle
eines einzigen Sommertags. Am schwersten der Himmel
bei Tarragona, passgenau verfugt das Blaulicht
seinerzeit, als der Tankwagen durch die Leitplanken brach
und explodierte mitten auf dem Campingplatz:
die aufgeschlagenen Zelte menschlicher Haut
geschmolzenes Gestänge, Planen, Schwebepartikel der Seele,
fehlende Erinnerungsteilchen, nein, kein Memory und heute:
nur eine Notaufnahme am Strand, ein aufgegebenes Hospital,
skelettierte Gebäudeflügel. Dort legst du an, Teilchen um
Teilchen, die abgeplatzten Kacheln der Bäder, das gleißende
Besteck des Lichts, wie es sich in den Brustkorb des Foyers senkt,
fabelhafte Filmkulisse, ein Bild, mit dem du nicht fertig wirst.
Hier noch ein Teilchen mit Gardinenfetzen, die dir zuwinken
und eine kleine Ungeduld lang siehst du die Reihe zerborstener
Fensterscheiben: aufgerissene Münder mit Schnappatmung.
Die Tiere sind unruhig
Wie sie in den Ställen gegen ihre Boxen schlagen:
Getrappel, kurzes Bellen, dann ein Jagen,
als habe sich ein Raubtier eingeschlichen.
Im Hof summen schillernd grüne Fliegen,
irgendwas muss doch da draußen liegen,
das fault um Knochen, ausgeblichen.
Dort treibt jemand eine Herde Abendwolken.
Schwarzbunte Kühe. Brüllend. Ungemolken.
Heut nacht, da werden Rechnungen beglichen.
Die Lichter flackern drüben in der Villa.
In den Straßen wird es ganz allmählich stiller,
mal abgesehen von den Schreien, den gelegentlichen.
Die Messausschläge nehmen zu, die Nadeln zittern,
die Nüstern blähen sich, wenn sie das wittern.
Der Westen blutet wie aus tausend Messerstichen.
Bewegungsmelder schlagen an, da kommt was entgegen:
Ich schau hinaus ins Dunkel, in einen dünnen Regen
aus Gedankenstrichen.
Die Zeit zwischen den Jahren
Tage, die nicht leben wollen und nicht sterben,
die zerrieben werden zwischen Bäuchen und Bräuchen,
die letzten Krümel Licht in den Auslagen früher Nachmittage,
enttäuschte Gesichter, vom Umtausch ausgeschlossen,
Tage, in denen Einkaufswagen herumstehen, die niemand
zurückbringt, der Bahnhofsvorplatz ein Teller Milchreis
mit Zimt, die Streufahrzeuge kommen kaum durch, Tage,
aus denen jede Erwartung, jeder Glanz gewichen ist,
die letzten Fäden Lametta in den Zweigen der ersten
entsorgten Tannenbäume, Tage in Auflösung, wie alles
sich auflöst, was niemand gehört, abgerissene Zeit,
gegen die nichts hilft, nur der Trost von Berber Relax,
dem türkischen Friseursalon, aus dem jetzt gerade
einer auf die Straße tritt, zehn Jahre jünger,
den Nacken ausrasiert, die Zierleiste der Bartstoppeln
exakt geschnitten, tritt er hinaus, ein wenig Ordnung
in die Wildnis zu tragen und als er den Mantelkragen
hochschlägt, dreht er sich um, wirft einen Blick zurück
auf den Mann, der er eben noch war.
Vom spurlosen Verschwinden der Sehnsucht
Irgendwas musste passiert sein: Als der Konvoi
schwerer dunkler Wolken schließlich vorfuhr,
hatten sich die Hortensien längst ausgetobt
an der Hauswand, im Garten schwieg
das nachlässig gespannte Volleyballnetz
zu den Vorgängen, nur die Terrassentür
knarrte im Windzug hin und her.
Auf dem Tisch draußen eine halbvolle
Flasche Weißwein, darin zwei tote Wespen,
kühl beseitigte Augenzeugen.
Während der Abend ausblutete,
pritschten das Schreckliche und das Schöne
sich lässig einen unsichtbaren Ball zu.
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