Apr 2015

Frederick A. Lubich

Le Quattro Stagioni – Da Capo Al Fine

Zweiter Teil der Serie “L’Après Midi Éternel: Vom langen Atem der Liebe“

„Tief im Herzen muss ich‘s spüren:
Liebe, wunderschönes Leben,
wieder wirst du mich verführen.“

Joseph von Eichendorff, „Anklänge“

Für Lynne

 

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„Schläft ein Lied in allen Dingen“
 
Lang lieb ich dich schon, dich und Heidelberg …
Wie herrlich war uns dort der Frühling erwacht,
wir schwärmten hinaus in die Felder und Wälder
und schwelgten in ihrer blühenden Pracht.
 
Und überall war ein Summen und Singen,
mir klingen noch heute berauscht die Ohren,
und ich wusste schon damals, ich hatte auf immer
mein Herz in Heidelberg verloren.[1]

 


[1] Zum ersten Teil der Serie „L‘Après Midi Éternel: Vom langen Atem der Liebe“ siehe auch Glossen, Nr. 34, April 2012, zum Bildnachweis siehe den folgenden dritten Teil der Serie „Schlag noch einmal die Bogen“. Das Titelzitat „Schläft eine Lied …“ stammt aus Joseph von Eichendorffs bekanntem Vierzeiler “Schläft ein Lied in allen Dingen / die da träumen fort und fort / und die Welt hebt an zu singen / triffst du nur das Zauberwort.“ Diese Strophe chiffriert nicht nur die Quintessenz der romantischen Naturmagie, sondern auch die musikalische Nostalgie unserer 68er Generation, deren Jugenderinnerungen sich vor allem in der Rockmusik jener Zeit kristallisieren. Eichendorffs Gedichte gehören wiederum zu den liedhaftesten der deutschen Romantik und fanden deshalb auch die meisten Vertonungen. Er hatte Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in Heidelberg studiert, ich Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Und auch er hatte sich in Heidelberg verliebt. Während seine Liebste aus Rohrbach stammte, einem Vorort von Heidelberg, war meine in San Diego, Kalifornien geboren und aufgewachsen und ist dann nach Genf und Heidelberg gekommen, um dort Romanistik und Germanistik zu studieren.

 

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„Schöne Fremde“
 
Vom weißen Strand am blauen Pazifik
aus dem goldenen Land der Orangenblüten
brachte sie mir den zeitlosen Augenblick
und seine Traumwelt der Märchen und Mythen.
 
So wurde sie bald mein Sirenengesang,
Rapunzel, Burgfräulein und Blumenmädchen
und ich ihr romantischer Sturm und Drang
rund um die Berge und drunten im Städtchen.[2]

 


[2] Eichendorffs Gedicht “Schöne Fremde” beginnt mit den Versen “Es rauschen die Wälder und schauern /als machten zu dieser Stund /um die halbversunkenen Mauern /die alten Götter die Rund“. Und die letzten Verse dieser nächtlichen Sternstunde lautet: „ Es redet trunken die Ferne / wie von künftigem, großen Glück.“ Ich nahm mir dieses Gedicht sehr zu Herzen und bin seiner Glücksverheißung bald in die schöne Fremde gefolgt, grad so wie es Eichendorff in den folgenden Zeilen noch einmal nachdrücklich vorgeschlagen hatte.

 

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„Wer in die Fremde will wandern, der muss mit der Liebsten gehen“
 
So zogen wir zwei übers weite Meer und mit den Jahren
wurde der Sommer zum kunterbunten Altweibersommer,
aus den prunkenden Blüten wurden prangende Früchte
und wir beide, wir wurden immer weltmutterfrommer.
 
Oh schöne Frau Welt mit der rinnenden Jahresuhr,
oh uralte Demeter, Mutter der ewigjungen Persephone,
Tochter aus Elysium … verweile … doch sie lächelt nur
und schon tanzen die Blätter mit dem fallenden Schnee.[3]

 


[3]“Heimweh” lautet Eichendorffs Gedicht, dem der Titel dieser zwei Strophen entnommen ist. Das Wechselspiel von Fernweh und Heimweh spiegelt in Eichendorffs Weltbild auf geschichtlicher Ebene auch den Widerspruch zwischen heidnischer und christlicher Weltanschauung wider. Während die Wiederauferstehung Christi eine Rückkehr ins Jenseits verspricht, versinnbildlicht Persephones herbstlicher Abstieg in die Unterwelt des Hades und ihre Rückkehr im Frühjahr eine Wiedergeburt im Diesseits. Entsprechend erscheint vor allem in der Kunstgeschichte der Renaissance Persephone immer wieder mit Blumen geschmückt und dergestalt mit dem Erwachen des Frühlings assoziiert. Knospe, Blüte, reifende Frucht, das sind die natürlichen Sinnbilder der muttermythischen Jahreszeiten, ehe sich die Welt in eine erstarrende Winterlandschaft verwandelt.

 

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„Verschneit liegt rings die ganze Welt“
 
Schneewittchen schlafwandelt im Winterwald,
im lockigen Haar die flockigen Sterne,
vereist ist der Bach und der Strom zieht kalt
immer weiter hinaus in die unendliche Ferne.
 
Woher kommst du, traumhafte Winterfee,
aus dem Weltall oder dem Schoß der Erde?
Und wohin gehst du, holde Persephone
in deinem ewigen Stirb und Werde?[4]

 


[4] Das Titelzitat stammt aus Eichendorffs Gedicht “Winternacht”, in dem es von einem im Feld vereinsamten Baum heißt: „Er träumt von künft’ger Frühlingszeit / von Grün und Quellenrauschen / wo er im neuen Blütenkleid …“ Oh könnten wir nur mit ihm tauschen! Doch noch ist die schöne Frau Welt in ihrem langen Winterschlaf versunken. Girlanden aus Schnee umranken ihre dunkle Gestalt, Eisblumen funkeln im Dämmerlicht, still und starr steht der hohe Wald und jedes Kristall ein vergängliches Vergissmeinnicht.

 
 
 
 

 

„Schlag noch einmal die Bogen“

Reisebilder und Wandergeschichten im Wandel der Zeiten

Dritter und letzter Teil der Serie “L’Après Midi Éternel: Vom langen Atem der Liebe”

 

„O Täler weit, oh Höhen / o schöner, grüner Wald …

schlag noch einmal die Bogen / um mich, du grünes Zelt.

Joseph von Eichendorff, „Abschied“

 

For my Gypsy Queen
To all our sunny summer days and all our starry winter nights

 

Der Verfasser Anfang der siebziger Jahre

 

„Lehn ich sanft an dich die Wange / und du singst mir fein ins Ohr …
Katze miaut, Hund heult und bellt / Nachbar schimpft mit wilder Miene,
doch was kümmert uns die Welt / süße, traute Violine.“

                                                                          Joseph von Eichendorff, „Der wandernde Musikant“[1]
 
Als das obige Bild geschossen wurde, war ich noch ein recht grünes Wunderhorn, das vom richtigen Tuten und Blasen herzlich wenig Ahnung hatte. Doch Eichendorffs Gedicht „Abschied“, seine verlockende Aufforderung, von meiner vertrauten, heimatlichen Welt Abschied zu nehmen, wurde immer deutlicher und unmissverständlicher:

 

„ …bald werd‘ ich dich verlassen / fremd in der Fremde gehen,
auf buntbewegten Gassen / des Lebens Schauspiel sehen.“

 

Und so machte ich mich denn auch schon bald nach der Entstehung dieses Bildes voller Wanderlust auf und zog hinaus in die verheißungsvolle Ferne. Zuerst ging es für ein Jahr nach England, danach vier weitere Jahre nach Heidelberg, und von dort schließlich übers große Meer hinüber in die Neue Welt. Blicke ich heute zurück, so muss ich feststellen, dass ich mehr oder weniger aus Versehen ausgewandert bin, ja geradezu traumwandlerisch, ohne Fahrplan und vollkommen ziellos. Vielmehr hatte die schöne Fremde meinen Lebensweg entschieden …

 

The American Dream,
that was it,
the pursuit of happiness
in a world where only the sky is the limit.

 

Sämtliche Fotos des zweiten und dritten Teiles dieser Serie „L’Après Midi Éternel: Vom langen Atem der Liebe“ stammen aus dem Privatbesitz des Autors. Die ersten drei Aufnahmen entstanden in Heidelberg und seiner nahen Umgebung, die zwei letzten Bilder in den Feldern und Wäldern rund um den Hohenstaufen – „aller schwäbischen Berge schönster“, wie Ludwig Uhland ihn einst so begeistert besungen hatte. Dieser berühmteste der drei Kaiserberge nördlich der Schwäbischen Alb war im Mittelalter der Stammsitz Kaiser Friedrich Barbarossas gewesen und ist auch heute noch das Wahrzeichen der an seinem Fuße gelegenen Stadt Göppingen, meiner schwäbisch-staufischen Heimatstadt.

Sämtliche Illustrationen der ersten vier Bildgedichte sind Werke von Alphonse Mucha, einem der emblematischsten Künstler des europäischen fin de siècle, der auch längere Zeit in Amerika gelebt und gewirkt hat. Und mehrmals hat er die vier Jahreszeiten in der Gestalt harfenspielender und früchtetragender Schönheiten allegorisiert. Er stammte aus den Böhmischen Ländern, die jahrhundertelang auch die Heimat all meiner Vorfahren gewesen waren. Und das Gleiche gilt für Joseph von Eichendorff. Er hatte ein Schlösschen im mährischen Sedlnitz, dem heutigen Sedlnice, einem Nachbarort von Partschendorf, dem heutigen Bartošovice, das einst das Heimatdorf meiner Mutter gewesen war. Der Dichter verbrachte seine Sommer gerne auf seinem Sedlnitzer Sommersitz, wo er so manches romantische Wander- und Liebeslied schrieb. Und so sind denn auch meine vier Bildgedichte frei nach dem Freiherrn von Eichendorff – und nicht zuletzt auch Freddie Mercury eine Art von „Bohemian Rhapsody“.

Sowohl Lichtbilder wie Kunstwerke können dem vergänglichen Augenblick etwas vom Wesen der Unvergänglichkeit verleihen. Auf gleiche Weise verdichten sich auch die Erinnerungen an die Jugendzeit, das Glück der jungen Liebe und der großen Freiheit immer wieder zur Sehnsucht nach jener längst versunkenen Vergangenheit – all ihren jugendlichen Wirren und so manchen Widersprüchlichkeiten zum Trotz. Denn ohne Dialektik geht’s nun mal nicht, das ist schon eine alte Hegel-Geschicht, die sich auch in meinen Erfahrungen immer wieder bewahrheiten sollte. Alsdann, es lebe die

 

Lebensreise als Liebesgeschichte durch Jammertal und Venusberg
voll bunter Bilder und Gedichte und die Liebste als wandelndes Gesamtkunstwerk!

 

Denn die Welt ist eine große Bühne für all unsere Lust- und Trauerspiele. Und jeder Text, ob episch prosaisch, ob poetisch melodramatisch, ist ein Gedankenfest und ein immer weiter wachsender Palimpsest. Und stellt man sich das so vergängliche Sein auf dieser Welt aus dem Blickwinkel des unendlichen Nichtseins vor, dann muss einem das mannigfaltige Leben in dieser Wirklichkeit gar wohl als ein einzigartiges Traumspiel erscheinen.

In seinem Gedicht „Stufen“ hat Hermann Hesse den menschlichen Lebensweg und seine verschiedenen Reisestationen sehr zutreffend zum Ausdruck gebracht. Eine Zeile daraus lautet: „Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Das trifft auch auf meine frühe, glückliche Kindheit zu. Doch schon bald sollte sich auch folgender Vers bewahrheiten: “Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang.“ Diese Zeile aus Rainer Maria Rilkes Erster Duineser Elegie beschreibt auch ganz genau Traum und Alptraum jener Zeit. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich schon als Kind von der Schönheit junger Mädchen und Frauen bezaubert war. Der katholische Religionsunterricht in der Volksschule sollte allerdings meinem schönen Frühlingserwachen bald ein schreckliches Ende setzen.

Wie heute steht er im Geiste noch vor mir, der Herr Monsignore von der Marienkirche, und verkündet, dass unsere Seele einer hohen Burg gleiche, die der Teufel Nacht für Nacht so lange umschleiche, bis er einen lockeren Stein in der Mauer gefunden hätte. Diese Stelle würde er dann weiter aushöhlen, bis er in unsere Seele eindringe und sie erobere, um sie schließlich für immer in den Rachen der Hölle zu reißen. Mein Gott, was sollte mir diese schwarze Schaudergeschichte von der ewigen Verdammnis damals Furcht und Schrecken einjagen und mir den Rest meiner Kindheit und ihrer vergnügten Unbekümmertheit rauben.

Zudem erfuhr ich auch zum ersten Mal die große Macht der Vorstellungen und Einbildungen, die wirklicher werden können als alle Wirklichkeiten. Erst im heraufziehenden Morgengrauen meiner Jugendzeit entpuppte sich schließlich der vermeintliche Fürst der Finsternis als ein offenkundiges Nachtgespenst aus dem dunkelsten Mittelalter und so machte ich mich bald aus seinem modrigen Staube – und hinter mir Glaube und Aberglaube! Und das war die Dialektik meiner Aufklärung frei nach Adorno und Horkheimer …

 

Nie wieder Graus!
Stoßgebet, Schoßgebet
auf Gott und Teufel komm raus,
so lang bis einem wieder Hören und Sehen vergeht.

 

Sapere aude! Cogito, ergo sum! Et vivat amor et imaginatio et semper ad infinitum!! Sed nota bene: vita somnium breve est.

 

Tempus fugit,
Et figura mundi praeterit!
Ad horrorem vacui? Ad aureum silentium?
Ignoramus! Ergo carpe diem! Per annum et saecula saeculorum!

 

***

 

“The Four Seasons”, so hieß eine italo-amerikanische Gesangsgruppe, die sich Anfang der sechziger Jahre bildete und sich von Vivaldis „Quattro Stagioni“ zu ihrem Namen inspirieren ließ. Mit dem Song „Silence is Golden“ hatte die Gruppe ihren ersten internationalen Hit und ich kann mich noch gut erinnern, wie der amerikanische Radiosender AFN (American Forces Network) in meiner Jugendzeit dieses Lied in Baden-Württemberg ausstrahlte.

Dieses goldene Schweigen erklingt denn auch immer wieder, trifft man nur im modernen Liederkasten weiterhin die richtigen Tasten. Eichendorff hätte nicht schlecht gestaunt, was da alles an Melodien im Äther herumschwirrt, und auch ich hätte mir damals für mein Leben nicht träumen lassen, welche Bedeutung das Land dieser Sänger für meine weiteren Lebzeiten noch bekommen sollte … „Schläft ein Lied in allen Dingen …“ Das Schweigen der Lieder zu erhören, es ist genauso schwer, wie die geheimen Wege der verborgenen Liebe zu erkennen …

“In Tausend Formen magst du dich verstecken, doch Allerliebste, gleich erkenn ich dich …“, so beginnt ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe aus seinem „West-östlichen Divan“. Ich freilich hätte die „schöne Fremde“ und „Allerliebste“, wie sie Eichendorff in seinen Gedichten genannt hatte, damals in Heidelberg tatsächlich fast nicht erkannt, obwohl wir uns immer wieder begegnet sind und auch Eichendorff sie in seinen Gedichten schon genau beschrieben hatte. (Mehr dazu in „Quattro Stagioni – Da Capo al Fine“, dem zweiten Teil dieser Serie.)

Jedoch im Frühjahr 1975 ist es dann doch geschehen. Also genau vor vier Jahrzehnten. Und da meine „schöne Fremde“ väterlicherseits tatsächlich aus der schönen, römischen Campagna stammt, von ihrem Vater auch noch so manche süditalienische Redewendung übernommen hat und nicht zuletzt auch nach unserer kalifornischen Hochzeit seinen so klangvollen Familiennamen Dell’Acqua beibehalten hat, habe ich ihr meine „Vier Jahreszeiten“ im zweiten Teil dieser Serie im Originalton Antonio Vivaldis gewidmet. Zudem sind meiner italo-amerikanischen Paisana Vivaldis Ritornelle wie auf den Leib geschrieben, vom frisch-fröhlichen Murmeln der Quellen im Frühling bis zum herbstlich ungestümen Sturm auf dem Meer, oder in den Worten des Komponisten, vom „Allegro“ bis zur „Tempesta di Mare.“ Ecco, ecco, viva la pastorale! Viva la ragazza di mezzogiorno! E viva la musica, la musica di Quattro Stagioni Dell’Acqua!

Et nota bene! Nomen est omen: Dell’Acqua bedeutet „vom Wasser“. Und so wie meine „Dell’Acqua“ von San Diego kommt, der größten und südlichsten Hafenstadt am amerikanischen Pazifik, so stammt Vivaldi aus Venedig, der bedeutendsten Lagunenstadt der italienischen Renaissance. Auch der venezianischen Metropole wohnte von Anfang an ein Zauber inne, denn sie wurde im Namen der schaumgeborenen Venus gegründet, die dem griechischen Mythos zufolge höchst wunderbar als Aphrodite einst dem brandenden Meer entstiegen war. Venus-Aphrodite, sie ist die Ultima Donna Dell’Acqua und entsprechend haben die Venezianer ihrer geliebten Heimatstadt den schönklingenden Beinamen „Serenissima“ gegeben. Und auch Goethe hatte der „Allheiteren“ in Erinnerung an seine italienischen Reisen ein dichterisches Denkmal gesetzt, wenn es „In Tausend Formen“ so einfühlsam heißt: „In des Kanales reinem Wellenleben, Allschmeichelhafte, wohl erkenn ich dich.“

La Nascita di Venere, die Geburt der Venus: Es waren vor allem die bildenden Künstler der italienischen Renaissance, welche die schöne Schaumgeborene und so wundersam auf einer Muschel Emporgehobene immer wieder darstellten. Ihre Schönheit illuminiert denn auch noch die Primavera-Allegorien und die zeitgenössischen Portrait-Galerien der Patrizierinnen aus jenem Cinquecento, allen voran Leonardo da Vincis La Gioconda, seine lächelnde Mona Lisa. Und ich meine, ihr lockendes Lächeln spielt auch noch um die Gesichtszüge meiner „Serenissima Dell’Acqua“ – freilich könnt ich’s nicht beschwören, da ja die Liebe bekanntlich blind macht. Nicht umsonst wurden im späten Mittelalter die Verliebten „Venusnarren“ genannt, vor allem, wenn sie meinten, sich unsterblich verguckt zu haben. Für sie alle wurde die Liebesgöttin, wie so manche Schimpf- und Schandschwänke jener Zeit zu berichten wissen, zur sündhaft-ergötzlichen Venusfalle. „Amantes, Amentes“! Entzückte Verrückte, das waren so die lautmalerischen Schüttelreime, die sich die damaligen Scholaren auf die irren Liebesnarren jener Umbruchszeit und ihrer reformatorisch-gegenreformatorischen Verworrenheit zu machen pflegten.[2]

„Back to the Future“, so lautet die wohl bekannteste Parole der Postmoderne. Sie ist genau besehen eine folgerichtige Weiterführung des alten Sprichwortes: „What goes around comes around“. Zusammengenommen sind diese beiden Sprichwörter wohl die besten Wegweiser für die Reise rund um die Welt in Raum und Zeit und – ultima ratio – für die Erfahrung der ewigen Wiederkehr von der Zukunft in der Vergangenheit.

Am Beispiel der Renaissance und am Vorbild der Wiedergeburt der Venus wird dieses Phänomen der Wiederkehr besonders offenkundig. Seit jener großen Wende zwischen Mittelalter und Neuzeit kehrt die verlockende Venus/Aphrodite auch immer öfter als fruchtbare, malerisch-sinnbildliche Alma Mater, als archaische Cornucopia wieder, deren schöpferisches Füllhorn stets von üppig ausladenden Früchten überquillt. Dieser maternale Archetyp feiert seine modernen Urständ zweifelsohne in Carmen Miranda, einer portugiesisch-brasilianischen Sängerin und Schauspielerin, die in der Mitte des letzten Jahrhunderts mit ihren Auftritten weltweit Aufsehen erregte. Bereits ihr sprechender Geburtsname war poetisches Programm, umschrieb er doch die Künstlerin als singendes Wunder. Zudem war ihr das einstige Füllhorn der Magna Mater sehr zu Kopf gestiegen, sodass sie es nun als kunterbunten Kopfputz trug, der ihr schließlich unter dem Markenzeichen „Tutti Frutti“ zu internationalem Ruhm verhalf. Dergestalt wurde sie buchstäblich zum Augenschmaus für eine jederzeit liebeshungrige Zuschauerwelt. Genau betrachtet fungiert ihr kulinarischer Kopfputz auch als eine Art Narrenkrone der mittelalterlichen Liebeskönigin und nicht zuletzt repräsentiert er, wenn man entsprechend so will, auch Luxus und Opulenz der mittelmeerischen Schönheitsgöttin, so wie sie einst dem überquellenden Schoß der allnährenden Weltmutter entstiegen war: Orcus uterus … hocus pocus … mutatis mutandis … Mamma Mia, viva l’amore! E con tutti frutti, per favore!!

Dem singenden Wunderweib Carmen Miranda folgten bald weitere südliche Schönheiten, angefangen von Sofia Loren bis zu Sofia Vergara. Auch sie kluge Selbstdarstellerinnen voller Mutterwitz, wie bereits ihre gemeinsamen Vornamen in Anspielung an die griechische Weisheitsgöttin erkennen lassen. Vor allem die formidable Sophia Vergara hat zur Zeit den Bogen am besten raus, baut sie doch ihren Status als große Latina-Ikone durch ihre komischen Talente immer weiter aus. Die Liebesgöttin des Altertums hätte an ihrem erotischen Possenspiel und ihrem überkandidelten Komödiantentum ihre helle Freude gehabt, denn bekanntlich lässt sich das Sinnenglück durch ein lustiges Schauspiel noch weiter steigern. Und mit fröhlichem Gelächter kann man schließlich auch noch den letzten Hagestolz aus der Deckung holen und mehr oder weniger ausführlich zum Narren halten!

Obgleich auch meine sonnige Südländerin mit übermütigen Scherzen schon immer einiges am Hut hatte, üppige Südfrüchte gehörten nicht zu ihren amüsanten Requisiten. „Von der Hand in den Mund“ war da schon eher das kulinarische Motto aus der italienischen Küche, eine Lebensweisheit aus der Alten Welt, die sich in ihrer Familie noch in der folgenden Mundart-Variante erhalten hatte: „Si non mange, non cresce“. An diesen Ratschlag scheint sich meine lebenskluge Italo-Amerikanerin von Kindesbeinen an gehalten zu haben und so ist sie denn auch ganz dem Sprichwort entsprechend recht hochgewachsen.

Die Sehnsucht nach dem sonnigen Süden: Lässt man die Zeiten Revue passieren, so kann man feststellen: Die Gottheiten der süd-östlichen Frühgeschichte waren vorwiegend weiblicher Natur gewesen, angefangen von Babylons Ishtar und Astarte bis zu den altägyptischen Göttinnen Nut, Isis und Hathor, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Und manche von ihnen sollen den alten Überlieferungen zufolge recht ausschweifend gewesen sein. So ritt zum Beispiel die sternenschimmernde Astarte auf ihrem stürmischen Schimmel Nacht für Nacht über den funkelnden Himmel. Fürwahr, eine recht exaltierte Burleske, wissen doch morgenländische Geschichten hinter vorgehaltener Hand zu berichten, dass sie anfangs ganz ohne Schleier im hohen Bogen höchst wunderbar durchs Weltall gestoben. Welch extravagante Eskapaden, welch exorbitantes Spectaculum dort draußen im finsteren Universum. Fiat Lux! Mehr Licht, so lautete denn auch verständlicherweise das erste Gebot unserer Schöpfungsgeschichte. Doch vielleicht war es ja auch nur wieder einer dieser verrückten Sprüche aus jener uralten Gerüchteküche unserer beginnenden Menschen- und Götterdämmerung. Man erinnere sich, Babel war schon immer die skandalumwitterte Metropole der Konfusionen und kosmogonischen Temptationen.

Doch des Menschen Willen war seit jeher sein Himmelreich. Und so ist es letztendlich müßig zu spekulieren, ob das Ganze eine himmlisch herrliche Blamage oder vielmehr eine irdisch sensationslüsterne Kolportage gewesen war. Ob mit ob ohne wehende Blusen, den Sternenguckern von Babylon war Astarte zweifelsohne die beste aller metaphysischen Musen. Die sumerischen Balladen und chaldäischen Scheherazaden erbauten sich jedenfalls an ihrer himmlischen Schönheit und göttlichen Ausgelassenheit und dergestalt beflügelte sie möglicherweise auch noch den englischen Dichter John Keats zu seinem berühmten Sinnspruch: „Beauty is truth, truth beauty.“ Indeed, it is well known, romantic poets love the deeper truth and they adore its higher beauty and for those who know their biblical gnosis, Astarte will always be the ultimate apotheosis, the …

 

Beauty over Babylon
 
Riding through her galaxies
like a Parisian “Crazy Horse”!
Or are these just male phantasies?
And the Goddess smiles: “of course”!

 

O nuda veritas! With all its bare necessities, horsing around with all those timeless verities! Oh tempora, o mores! And all the glitter and the glamour of all that galactic galores. Oh dreamy stargazers and heavenly trailblazers! We all know, Gods and Goddesses come and go, but that was quite a midnight show! It was a comic cabaret truly out of cosmic love and it was the great realization that “reality is something you rise above.” Liza Minnelli had that insight and she probably got it from Botticelli, that good old Renaissance visionary who resurrected that ancient imaginary!

Ob Wahrheit, ob Dichtung, Hauptsache ist, es stimmt die Richtung. Und Tatsache bleibt, dass sich die prächtige Astarte mit allen ihren Gestirnen sehr gerne in den nächtlichen Meeren spiegelte und dergestalt bis heute in unserer abendländischen Vorstellungswelt ihre Spuren hinterlassen hat. So hat sich zum Beispiel im christlichen Sternbild der Stella Maris, der Meersternkönigin, noch ein archaischer Abglanz dieses mesopotamischen Mirage erhalten, in dem vor allem die katholische Muttergottes erstrahlt, deren Namen „Maria“ denn auch eine Wortschöpfung ist, der nicht zufällig das Meer als sprachliches Vorbild zu Grunde liegt. Die frommen Madonnenmaler von der italienischen Renaissance bis zu den deutsch-romantischen Nazarenern haben denn auch immer wieder die Jungfrau Maria in einen sternenbestickten Himmelsmantel gehüllt.

„Meerstern ich dich grüße“, so stimmte auch ich noch in meiner Kindheit in den freudigen Chor der katholischen Marienandachten im alljährlichen Wonnemonat Mai mit ein. Und wenige Monate später folgte das hochsommerliche Kirchenfest „Mariä Himmelfahrt“. Wie wundervoll da die wallenden Gewänder der Jungfrau Maria im Aufwind gen Himmel wogten. Tizians großartiges Altargemälde von der „Assunta“ hat diesen heilsgeschichtlichen Augenblick für immer ins Bild gebannt. Als ich das letzte Mal in Venedig war, in einem nebligen Monat November, als nur noch wenige Touristen diese zauberhafte, mittelmeerische Märchenstadt heimsuchten, da habe ich Tizians Meisterwerk in der dortigen Kirche Santa Maria Gloriosa de Frari mit eigenen Augen gesehen. Noch einmal mit staunenden Kinderaugen und einem letzten heimlichen Glaubenssprung hinauf in die göttliche Madonnendämmerung … Oh sancta ecclesia, gratia plena …[3]

 

***

 

Doch kehren wir noch einmal zurück zu den Venus-Visionen und ihren mittelmeerischen Reinkarnationen: Die Schönen der Renaissance waren allesamt ferne Ebenbilder der römisch-griechischen Liebesgöttin. Und diese wiederum war nach uraltem Mutterrecht – so die opinio communis der matriarchalen Mythografie – die allmächtige Herrin des Ewigen Werde, die schöne Schöpferin der Menschheit von Geschlecht zu Geschlecht. Und das Meer, dem sie muttermythischen Überlieferungen zufolge einst so wunderbar entstiegen war, figurierte in den Worten ihrer wissenschaftlichen Gefolgschaft schon immer als „gremium matris terrae“, als Schoß der Mutter Erde.[4]

Kampf der Kulturen.  Bereits Eichendorff hatte in seinem poetischen Universum immer wieder Venus und Madonna in ihrer fromm-frivolen Gegensätzlichkeit dargestellt. Kehren wir also noch einmal aus dem Wolkenreich der himmlischen Visionen zurück in die irdischen Regionen seiner Heidelberger Studentenzeit. Auch für ihn gewannen diese Jahre im Laufe seines Lebens immer größere Bedeutung. Die englische Sprache hat solche Herzenserfahrungen auf den Ausspruch gebracht: „Distance makes the heart grow fonder.“

What is in a name? Auch Rohrbach, das Geburtsstädtchen der Liebsten Eichendorffs, hat einen sprechenden Namen, der unüberhörbar der Welt des Wassers entstammt, nur erscheint dieses Wasser hier bereits in Rohren unterirdisch eingedämmt. Vom Rohrbach zum Mühlrad ist es dann nur noch ein kleiner Sprung:

 

„In einem kühlen Grunde,
da geht ein Mühlenrad,
mein Liebchen ist verschwunden,
das dort gewohnet hat.“

 

So beginnt Eichendorffs bekanntes Erinnerungslied an sein geliebtes Käthchen, das ihm die Treue gebrochen hatte. Das von Friedrich Silcher vertonte Gedicht wurde unter dem Titel „Das zerbrochene Ringlein“ zu einem der bekanntesten Lieder der deutschen Romantik. Der Dichter fährt wehmütig in seinem Liebesleid fort:

 

„Ich möcht als Spielmann reisen
wohl in die Welt hinaus
und singen meine Weisen
und gehen von Haus zu Haus.“

 

Und entsprechend hatte auch Eichendorff einst von der Reise übers weite Meer, von der Auswanderung nach Amerika geträumt. Der romantische Plan hatte sich jedoch schließlich an der rauen Wirklichkeit zerschlagen. Was blieb, war des Dichters versonnene Erinnerung an seine verlorene Heidelberger Jugendliebe:

 

„Hör ich das Mühlrad gehen,
ich weiß nicht, was ich will.
Ich möcht am liebsten sterben,
da wär’s auf einmal still.“

 

Das Mühlrad ist eines der wesentlichsten und bedeutungsreichsten Sinnbilder der romantischen Dichtung. Zum einen verbindet es auf offenkundige Weise die Vereinigung von Natur und Kultur, indem es das natürliche Element des Wassers zu einer industriellen Energiequelle umfunktioniert. Darüber hinaus verweist das Rund des Mühlrads auch auf den steten Kreislauf dieses so wesentlichen Naturelements, seinen Wandel und seine Verwandlung rund um die Erde, so wie Goethe es in seinem großartigen Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ so anschaulich und gleichnishaft beschrieben hat. Ob Rohrbach, ob Mühlrad, Tatsache ist, in der Regel wollen sich weder frisch-fromme Liebchen noch wildromantische Undinen gleich von Rohren erfassen oder von Rädern ständig durchwalzen lassen.[5]

Vielleicht war ja Eichendorffs Verflossene auch so ein fröhlich-freies, wellenwonniges Wasserwesen gewesen. Vielleicht „kanalisierte“ ja seine muntere Rohrbacherin im Laufe der Zeit gar meine lebenslustige Kalifornierin und tummelte sich noch wer weiß wie lange in den Wellen und Wogen des fernen Pazifik. Denn dort in San Diego und vor allem rund um die Bucht von La Jolla und seinen wildfelsigen Becken ist die muscheltuschelnde Meeresbrandung besonders aufschäumend und berauschend. „La Jolla“ bedeutet im Spanischen „Perle“ oder „Juwel“ und für Bewunderer der „Schaumgeborenen“ gewinnen solch schmucke Bezeichnungen gern tiefere, sinnlich-sinnbildliche Bedeutungen.

Entsprechend gab sich denn auch meine Liebste in der Tat immer wieder als offenkundige Tochter der pazifischen Wellen zu erkennen. Man konnte es bereits an ihrem sprudelnden Wesen erkennen. Und wenn ihre Lächeln dann auch noch in ein perlendes Lachen ausbrach, dann war der Grund dafür kristallklar …

 

She was my Pearly Gate, she was my past and future fate!
Or as ancient mariners used to say: She takes your breath away.

 

Man darf freilich auch nie vergessen, mit solch berauschenden Wasserwesen ist entweder ganz wunderbar – oder gar nicht gut Kirschen essen. Süße Kirschen, saure Kirschen, am besten sind die tollen Kirschen! Oh Ma Belladonna Dell’Acqua … gremium matris … hic est corpus velut orcus …velut genus de profundis … oh schaukelndes Narrenschiff der gaukelnden Venus!! Wie leicht hätten wir auf unseren langen und oft stürmischen Kreuz- und Querfahrten zwischen Traum und Wirklichkeit Schiffbruch erleiden können, denn wir waren von Anfang an beides gewesen:

 

Dream Team and Double Trouble
 
Soaring and falling like Icarus,
but we kept rising time and again
out of all the strive and struggle,
just like Phoenix way back then.

 

Oh fantasies, oh ancient mysteries! But what will we do when we run out of melodies? “Cancel my subscription to the resurrection!” That’s what the Doors had to say in their famous farewell song “When the Music is Over”. But for a change I don’t agree with Jim Morrison, my American Idol and Dark Angel from Los Angeles. I’d rather subscribe to the Mamas and the Papas from San Francisco, and their most beautiful winter song

 

 

“California Dreamin’”
 
“All the leaves are brown / and the sun is grey
I’ve been for a walk / on a winter’s day.
I’d be save and warm / if I was in L.A.
California Dreamin’ / on such a winter’s day.”

 

Oh what pacific memories. After the two of us had come to the United States, she continued her studies in San Francisco, Northern California, and I did the same in Santa Barbara, Southern California. While Santa Barbara was already then a major surfer paradise, San Francisco was still hanging on to its status as the most western outpost of America’s last hippies, who still wore flowers in their hair, as Scott McKenzie had asked them to do a decade earlier in his famous signature song: “If you are going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair.”

The two of us were separated again and during wintertime we too were dreaming of spring, when even the deserts bloom again and all the mermaids sing, frolicking in an April shower and everywhere Persephone, dancing in all her flower power. And then mighty Venus-Aphrodite was turning again for all her fools those medieval vale of tears into modern swimming pools …

 

Infinity Pools
 
those ports for all those ship of fools
and I can hear and see them sink and rise
and forever setting sail towards that promise of paradise.

 

So look out for that sparkling trajectory and don’t forget its magical mystery: “For those who love, time is eternity!” That was one of those far-out-lines by “It’s a Beautiful Day”, another rock band from San Francisco, that west coast capital of cosmic vertigo.

 

“In the summertime when the weather is hot,
you can stretch right up and touch the sky.”

Mungo Jerry, “In the Summertime”

 

“Far out”, that was the key word of those years, when the sky was truly the limit. William Blake, the mystical poet-painter of English Romanticism, must have anticipated it, when he famously wrote: “If the doors of perception were cleansed, everything would appear to man as it is, infinite.” And every grain of sand a tiny precious pearl of that famous Promised Land.

And as we were traveling up and down the coast, there were everywhere those beautiful blooming groves! Don’t forget them forever, make sure to remember! And forget that month of dark September, forget Persephone’s decent into that heathen hell and remember those halcyon days, remember that good old magic spell: “Turn on, tune in, drop out”, and the world begins to sparkle again just like way back then, morphing into a luminous globe, a psychedelic kaleidoscope, revolving through inner and outer space … and everywhere your smiling face …oh how you loved to sing and dance, like a fairy queen in a rock ‘n’ roll trance! Oh my beautiful flower girl, you turn the world into a floral swirl and lo and behold …

 

„Ich wandle unter Blumen
und blühe selber mit,
ich wandle wie im Traume
und schwanke bei jedem Schritt.

 

Oh halte mich fest, Geliebte!
Vor Liebestrunkenheit
fall ich dir sonst zu Füßen
und der Garten ist voller Leut.“

 

Kein Wunder! Das ist eindeutig das poetisch-erotische Delirium von Heinrich Heine! Zugegeben, spätromantisch, doch das ist die Liebe, die ich meine! „Du bist wie eine Blume“ … so flüsterte er einst immer wieder mehr oder weniger risqué auf so manch französischer Soirée:

 

Oh mon tableau vivant!
Oh ma belle fleur si bleue mourante!!

 

Und wieder ward einem ganz blümerant, drum nimm dich stets in Acht vor dem Zauber der blauen Blütenpracht … denn im Handumdrehen wird aus dem Mühlrad ein Moulin Rouge, et voilà, mon dieu, regardez, mon amour …

 

Ma Belle du Jour,
prenez de l’eau, beaucoup, bon chance,
parce que elle a chaud … tres chaud au cul … et honi soit qui mal y pense!

 

***

 

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so lustig bin …: Vielleicht gibt es ja für meinen Gesinnungswandel auch eine geistesgeschichtliche Erklärung. Es ist jedenfalls in landläufigen und landeskundlichen Kreisen schon seit langem bekannt, dass Heine ein großer Verehrer der holden Weiblichkeit gewesen war. Das Berückend-Entzückende der Damenwelt, das hatte er überaus gern und so war auch er ein rechter Liebesnarr vor seinem christlich-jüdischen Herrn. Doch der Dichter war auch ein engagierter Verfechter der politischen Poesie, ein libertärer Rabauke, und so haute ich meiner Zeit als Revoluzzer immer wieder sehr gern mit ihm auf die Pauke. Und nicht zuletzt war Heine auch ein begeisterter Meister der romantischen Ironie. Von ihm konnte man von der Pike auf lernen, zu übertreiben und entsprechend auszuschweifen und dennoch auf dem Teppich zu bleiben, zumindest auf dem Blütenteppich.

Es sei denn, der schwärmerische Eichendorff kam einem mal wieder in die Quere, denn der schwang sich schon immer sehr gerne recht weit hinauf ins Reich der Sterne. Und zugegeben, besonders gut gelang ihm das in

 

„Mondnacht“
 
„Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nur träumen müsst.“

 

Welch böhmische Rhapsodie, das ist fürwahr das Hohe Lied auf die Hochzeit zwischen Himmel und Erde. Von wegen Bodenhaftung! Es ist die Dichtung als letzte Wahrheit von der ewigen Hoffnung auf die immerwährende, irdisch-himmlischen Glückseligkeit!

„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“! Erinnerst du dich? So stand‘s doch damals im Vorlesungsverzeichnis! Oder war’s auf irgend so einem feucht-fröhlichen Fest? God knows! All that wine and my memory is no longer the best! So come on and let’s turn back the page! Let’s be young again! Let’s rebel against that growing Old Age!! … Komm, wir sind gegen das Vergehen der Zeit und kehren zurück in die Vergangenheit … immer weiter zurück … das ist noch immer der beste Zeitvertreib! Lass uns fliehen ins mittelmeerische Altertum und immer weiter zurück bis ins ferne Elysium! … Do you remember those Elysian Fields? They sure were the best … way down south and far out west …

 

“… das Land, wo die Zitronen blühn,
im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn …“

 

So schwärmte schon Goethes Mignon in ihrem Fernweh nach dem sonnigen Süden, jenen sommerlichen Landschaften, die schon die Dichter der römischen Antike in ihren Hirten- und Schäfergedichten besungen und deren glückliche Zeiten auch noch einmal Goethes Römischen Elegien heraufgerufen hatten … Und dann wieder das Heimweh nach dem verschneiten Norden, nach dem

 

„ …Brunnen vor dem Tore / da steht ein Lindenbaum,
ich träumt in seinem Schatten / so manchen süßen Traum.“

 

Grad so wie im Wanderlied von Wilhelm Müllers Liederzyklus „Die Winterreise“, das auch noch dem Romanhelden in Thomas Manns verschneiten Zauberberg so wehmütig nachging. Oh Meister Müller, wie lang ist’s her!

Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann denke ich oft an seine dunkle Vergangenheit. Es ist jene grauenhafte Vergangenheit, die Heine einst in seinem Wintermärchen so hellsichtig heraufbeschworen hatte. Doch in den letzten Jahren erinnere ich mich hinter der schrecklichen Geschichte auch wieder mehr und mehr an die wunderschönen Gedichte meines Vaterlandes und nicht zuletzt an die Verse der Schwäbische Dichterschule, welche die Berge und Täler meiner alten Heimat besingen, grad so, als folgten sie Eichendorffs alter Zauberformel „Schläft ein Lied in allen Dingen“ . Eines meiner Lieblingsgedichte ist Eduard Mörikes

 

„Um Mitternacht“
 
„Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand …
und kecker rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht ins Ohr
vom Tage / vom heute gewesenen Tag.“

 

Es gibt eine zeitgenössische Vertonung dieses Gedichts von Claudia Pohel, einer überaus begabten Liedermacherin von Wiesensteig am Fuß der Schwäbischen Alb, die heute drunten am Bodensee lebt. Ich hatte sie vor Jahren mehrmals auch live gehört, einmal sogar im Wäscherschloss, dem ursprünglichen Familiensitz der Staufer. Wenn sie mit ihrer geradezu seraphischen Stimme dieses Lied von der Mitternacht sang und sich dabei auf der Harfe begleitete, dann durchrieselten einem ihre wunderbaren Klänge geradezu wie Elfen- und Engelsgesänge.

Und träum ich von Deutschland in der Nacht, dann träum ich auch hin und wieder von meinem heimischen Hohenstaufen. Er sucht mich gerne immer wieder heim und lädt mich anheimelnd ein, ein Weilchen in seiner Welt zu verweilen und dann erinnert er mich auch wieder an Friedrich Rückerts längst vergessene Zeilen …

 

„Der alte Barbarossa / der Kaiser Friederich
im unterird’schen Schlosse / hält er verzaubert sich.“

 

Oh Barbarossa, mein staufischer Tausendsassa! Der Sage nach ist er des Heiligen Römischen Reiches legendärster Langzeitschläfer. Aber wer weiß, was ihn dort durch all die Jahreszeiten so lange hält? Vielleicht ist ja sein im Winter oft so zauberhaft verschneiter Hohenstaufen der geheimnisumwitterte Hörselberg, von dem es einst im Mittelalter hieß, er sei die Höhle der schneewolkenschüttelnden Frau Holle. Und deuteten ihn spätere Überlieferungen nicht gar als Tannhäusers frühlingserwachenden Venusberg? Wer wollte da nicht länger in der Welt seiner Zauberklänge verweilen! Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass im neunzehnten Jahrhundert in Deutschland überall die Mär umging, dass der schlafende Kaiser der Staufer zur rechten Zeit wieder auferstehen würde, um sein zerfallenes Reich erneut zu einen. Oh Glaube, Liebe, Hoffnung – in Christus, Venus und Persephone hätte der alte Rotbart fürwahr altehrwürdige Vorbilder für derartige Wiedergeburten und Wiederauferstehungen gefunden! Aber vielleicht hält er es ja insgeheim tatsächlich mit dem wandernden Wasser, in dem er damals so sang- und klanglos ertrunken war, und kehrt eines Tages wieder an seinen Ursprung zurück. Wenn auch in anderer Gestalt und im Geist einer anderen Zeit.

 

„Kein Wesen kann zu nichts zerfallen,
das Ew’ge regt sich fort in allem,
am Sein erhalte dich beglückt.“

Johann Wolfgang von Goethe

 

Hatte nicht auch Albert Einstein, unser Ulmer Landsmann, Goethes poetische Epiphanie in die physikalische Theorie von der Verwandlung aller Energie in immer wieder andere Formen weiterentwickelt?! Das Rätsel der Materie, das Enigma der Magna Mater! Bis heute weiß niemand wirklich Bescheid über die letzten Geheimnisse unsrer Frau Welt in ihrem ewigen Wandel durch Raum und Zeit.

 

The Lady is a sphinx, a riddle and a vamp,
well-versed in all four seasons, the lady is a tramp.

 

she is a global lunatic, longing for the universe, she is a truly cosmic trip and a magical mystery tour, she is a rocking rollercoaster … und wir folgten nur allzu gern ihrer Spur, ihrer kreisenden Wunderwelt und ihren verschlungenen Bahnen so voller rollender Küsten von Virginias Blauen Bergen bis zu Kaliforniens buntblühenden Wüsten, Atlantik, Pazifik, rüber und nüber und immer wieder ging‘s auch drunter und drüber … und zwischen blauem Meer und grauer Wolkendecke blieben wir auch immer mal wieder auf weiter Strecke …

„Frei vom Mammon will ich schreiten / auf dem Feld der Wissenschaft …“, so geht eine Zeile aus Eichendorffs Gedicht „Der wandernde Student“. Nach dieser Weise bin auch ich lange durch die Welt gezogen. „Gypsy Scholar“, also Wandergelehrte, nennt man in Amerika jene Akademiker, die jahrelang von Universität zu Universität ziehen auf der Suche nach einem festen Lehrstuhl. Ich habe diese Wanderschaft dem Ruf der „schönen Fremde“ folgend mit Absicht noch um weitere Jahre verlängert. Als ich schließlich zurückblickte, stellte sich heraus, dass ich im Laufe der Jahrzehnte insgesamt an einem runden Duzend Universitäten gelernt, gelehrt und geforscht hatte[6].

Vivat academia! Non scholae, sed vitae discimus! In anderen Worten und auf gut Deutsch, ich habe die akademische Freiheit meiner Lehr- und Wanderjahre sehr genossen. Folgt man einem lateinischen Sprichwort der mittelalterlichen Scholaren, so könnte man diese Lebenserfahrung vielleicht auch noch didaktisch ausweiten und zum folgenden Merkspruch zusammenfassen: Von der Wiege bis zur Bahre – semper prodesse et delectare!

Et in dubio pro duo! Jedenfalls hatte der wanderlustige „Gypsy Scholar“ in seiner unternehmungsfreudigen Lebensgefährtin eine seelenverwandte „Gypsy Queen“ gefunden – grad so wie Carlos Santana sie damals in seinem gleichnamigen Lied besungen hatte. Und so haben wir denn auch im Laufe der Jahre so manche Städte erlebt und erfahren. Am lehrreichsten und unterhaltsamsten war es sicherlich in New York City, wo wir insgesamt acht Jahren lebten. George Gershwin hatte schon in den zwanziger Jahren die unbändige Kreativität und sprühende Energie dieser großartigen Kulturmetropole der Neuen Welt mit seiner himmelstürmenden Hymne „Rhapsody in Blue“ auf kongeniale Weise eingefangen.

Blicke ich heute zurück, so verdichten sich unsere verschiedenen Wegstationen durch die Alte und Neue Welt zusammen mit ihren zahlreichen Reiseimpressionen immer wieder zu magisch-musikalischen Momenten, zu einer Art transatlantischer

 

Rhapsody in Blue
 
and my beautiful stranger
she is my Bohemian Rhapsody
and my American Dream come true.[7]

 

“Like a rolling stone … with no direction home“. So hatte Bob Dylan schon vor Jahrzehnten geächzt und gekrächzt. Auch uns beide beginnt von neuem die Frage umzutreiben, wo wohl unsere letzte Heimat auf dieser Erde sein wird. Europa oder Amerika? Zurück nach Osten oder weiter nach Westen … oder vielleicht wär’s letztendlich gar im Himmel am besten?!

„Transzendentale Obdachlosigkeit“, das war Georg Lukacs’ geradezu sprichwörtlich gewordene Charakterisierung der spirituellen Heimatlosigkeit des modernen Menschen in einer Welt ohne Gott. Beim Barte der Propheten von Moses bis Marx …, da kehr ich doch gerne noch einmal zu meinem alten Rotbart zurück, denn ich meine – trotz des Wintermärchens von Heinrich Heine –, er blinkt und zwinkert mir im Schlaf recht traulich zu: Komm heim in meinen Stauferberg, komm heim in unseren Venusberg, hier fändest du deine selige Ruh … hier rund um die heimischen Hänge und ihre geheimen Zauberklänge! Erinnerst du dich noch, dort …

 

„Under der linden an der heide
… dâ mugt ir vinden schône beide gebrochen bluomen unde gras …“

 

So sang es schon Walther von der Vogelweide. Und so höflich durch die Blume! Oh Walther, chume, chume! Komm, sing mir wieder von Frühlingsträumen, von den Sommermärchen junger, in ewiger Liebe verschworener Pärchen …, komm sing mir wieder die alten Wanderlieder vom Reich in dieser schönen Welt! Denn sie sind mein vagantisches Credo, so komm, und sei mein alter ego, sei meine pantheistische Partitur! Gaude, gaudeamus igitur …

Und schau nur, Meistersänger der höfischen Minne, schau wieder hinauf zur hohen Zinne, dort zu deiner hohen Fraue, so erhaben über der trutzigen Brüstung und – umgekehrt – drunten in blauender Aue in ihrer so heiter gespielten Entrüstung …

 

„Dû bist mîn, ich bin dîn“
Oh holde-holder Buhle mîn!

 

Und ich erinnere mich wieder jener Wildnis der Wälder, der hohen Tannen, der wogenden Felder, dem Licht- und Schattenspiel der Mutter Natur, der überall blühenden Fingerhüte und dann wieder sie in ihrer herrlichen Frühlingsblüte … gleich einer wandelnden Maya in den wehenden Schleiern einer jungen Madonna … im sonnig wonnigen Monat Mai und wieder ihr weißes Sommerkleid, ich …

 

seh ihr lockendes Lächeln,
ich hör ihr so frohlockendes Lachen,
oh alte Burschen- oh junge Mädchenherrlichkeit,
oh Heiderose, oh Knabe Wunderhorn … doch jetzt schweigt des Sängers Höflichkeit!

 

***

 

Und sei die Liebste noch hold, die Sänger der Liebe, sie wissen es längst, Reden ist Silber und Schweigen ist Gold. Doch der Tanz der Liebe ist auch ein tödlicher Reigen, der seit uralter Zeit gellend stumm zum Himmel schreit:

 

Madonna Dolorosa, oh misericordia
per saecula saeculorum, ad majorem dei gloriam!

 

Mulier non est porta paradisi sed – nota bene – forma femina est janua diaboli! Vulgo: Das Weib ist Teufelswerk und Sündenpfuhl, eine Sumpfblüte der Mutter Erde und seine wunderbare Pracht ist nichts als der schwarze Zauber der heidnischen Walpurgisnacht. Drum sei das gottesferne Weib vermaledeit in alle Sternenewigkeit!

So rumorten einst die theologischen Dunkelmänner und ihre chiliastischen Seelenwürger, die biederen Pfaffen und spießigen Pfahlbürger, und jeder war ein großer Beteuerer jener schwelend kommenden Fegefeuer … und wieder das Heulen und Zähneklappern, das Jammern der armen Seelen … das Klagen der toten Hosen … mit all ihren ekklesiogenen Neurosen … Ach, welch verkehrte Welt mit der Höll als verkrachtes Himmelszelt. Und oh, ihr sinistren Philister, ihr schwefligen Scheister mit eurem katechistischen Scheibenkleister! Hört, die ihr noch immer so höchst empört. Zum Teufel mit all dem Plageplunder, ich glaube viel lieber ans Weltenwunder, an junge Frühlingsmädchen und alte Sommerweiber, so voller Lebenslust und Mutterwitz, denn ich hab es aus sicherer Quelle, sie sind der magisch-mystische Trip und dies ist ihr allergeheimste Tip:

 

die Triebe der irdischen Liebe,
sie sind des Teufels Elixiere und Gottes himmlisches Lustprinzip.

Und wer’s nicht glaubt, der wird nicht selig! Ich jedenfalls lausche weiter höchst unerhört und bleibe entsprechend zu tiefst betört …

 

von all den schlummernden Liedern, die da erwachen fort und fort
unter bunten Röcken und schmucken Miedern,
triffst du nur das Zauberwort …

 

Und immer wieder ist es die eine, die ich überall suche und meine im ewigen Wandel von Raum und Zeit zwischen Zukunft und Vergangenheit. „Niedere Minne“, „hohe Minne“, Ritterglück und Hexenflug und immer wieder die alte Kippe und der Schnitter schwingt schon wieder Hippe, dieser uralte, unsterbliche Popanz und aus dem Liebestanz wird wieder der Totentanz und wieder dreht sich alles im Kreise auf dieser großen Weltenreise …

What goes around comes around, just listen to that rising sound, welling up deep from that musical underground, can you hear the „Black Magic Woman“ by Carlos Santana returning again out of that silent nirvana … Mir klingt noch heute sein mexikanischer Hexengesang in den Ohren. Fürwahr, ein wahrer Ohrenschmaus für alle Venustoren! Damals in den Siebziger Jahren hatten mehrere Rockbands die Welt der mittelalterlichen Walpurgisweiber neu entdeckt und ihr sagenhaft sinnlich-übersinnliches Zauberreich immer wieder in rockende Rhythmen und berauschende Melodien verwandelt. Allen voran die Doors mit ihrem Song „Light my Fire“:

 

„Girl, we couldn’t get much higher …
try to set the night on fire … and our love becomes a funeral pyre.”

 

And every now and then … remember way back when … again those medieval fires, the horror of their holy terror and one could hear again their prayers “Ashes to Ashes” Forget those ashes! Remember Phoenix! No, not Phoenix, Arizona in those wind swept deserts way out west, where life and love and lust turns into nothing but dust. Think Phoenix, the reborn bird, the magic bird, rising beyond the fire and we are his wings again, his wings of desire …

 

the yearning for spring awakening
the longing for a summer of love,
the pursuit of lasting happiness,
down here on earth and high above.

 

So come on and soar with me all the way from here to eternity … yes, let’s forget that fear of flying, it is only that age-old fear of dying! Let’s fly away and all along we will be again that passion play between death and birth and that trial by fire between heaven and earth!

 

Sic transmutat
figura hujus mundi!
Ergo, vivat amor et repetitio delectat!

 

Und so bin ich noch einmal in dieser Welt jener fidele Springinsfeld und streiche – semper fidelis – meine süße, traute Violine und du machst erneut zu meinem Spiel wieder wie einst deine gute Miene … Oh Mädchen, mein Mädchen …Wie herrlich leuchtet mir deine Figur …”wie glänzt die Sonne? Wie lacht die Flur … so golden schön” … in jenen Tälern auf jenen Höhen …“wie ich dich liebe mit warmem Blut, die du mir Jugend und Freud und Mut zu neuen Liedern …“ I know, I know, it’s Goethe, Young Goethe in Love, you bet! But, we too have been there, we too have done that. So let me add, just to make sure that we will never ever forget that …

 

you will always be my guiding star, my shining light,
sparkling in the deepest ocean, illuminating the darkest night,

 

and I will always be your devil’s advocate,

 

because I know through all the fires and waters
that you will always be one of God’s wonderful daughters!

 

Ecce Femina! Ecco Madonna, La Passionata! Die irdische Liebe als Divina Commedia und die archaische Astarte – ecco, ecco – als italienische Commedia Dell’Arte! Doch sag es niemand …

 

„Sag es niemand, nur den Weisen,
weil die Menge gleich verhöhnet,
das Lebend’ge will ich preisen,
das nach Flammentod sich sehnet.“

Goethe, „Selige Sehnsucht“

 

Schon die Barden Barbarossas, seine wandernden Spielleute rund um den Hohenstaufen, wussten so manches Lied von der Liebe und ihren Geheimnissen zu singen. Die Minneburg der Frau Minne, sie war ein mächtiges Pädagogikum zur höfischen Verfeinerung aller menschlichen Sinne. Friedrich Rotbarts fahrende Sänger und wandernde Seher – und nicht zuletzt seine höfischen Narren, denn sie waren oft die besten Frauenversteher! -, sie alle standen mit ihrem Minnesang ganz in der Nachfolge der Trouvères aus der französischen Provence, diese wiederum waren den Troubadours des maurischen Spanien gefolgt und jene hatten ihre andalusischen Melodien einst der mythischen Welt des sonnigen Mittelmeeres abgelauscht, ihrem arkadischen Klängen und bukolischen Bocks- und Sirenengesängen. Ah, quelle joie de vivre … la dolce vita … sempre diritto … oh acqua di gioia …

Träume sind Schäume, sie taugen nichts, so meinen die Nüchternen und die stets so vernünftig Tüchtigen. Und auch noch so manche dort droben in den Burgen ihrer höheren Bildung haben ein hochmodern schlechtes Gewissen und wollen vom Zauber der Höhenflüge im Grunde herzlich wenig wissen. Meine verehrten Gelehrten, insbesondere ihr theoretischen Munkelmänner und letzten Verfechter der nihilistischen Illusion und avantgardistischen Dekonstruktion … da bleib ich doch viel lieber ein Epigon, ein freier Vagant und böhmisch freigeistiger Spekulant rund um die Letzten Dinge, und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann spiele ich wieder auf und singe, grad so wie Eichendorffs Taugenichts …

… bin noch einmal sein wandernder Wiedergänger, sein schwärmerischer Stürmer und Dränger, schwenk heiter meinen Doktorhut, mach mich erneut auf seine Beine und folge frohgemut immer weiter den Spuren meines alten Freund Heine, immer weiter in Richtung Paris und Provence, schweif immer weiter aus durch fremde Städte und Länder, immer weiter hinaus ins unendliche Blaue und spiele mir wieder und immer wieder das uralte Lied aller Liebeslieder, das trunkene Lied von der Traumerkorenen, das versunkene Lied von der Schaumgeborenen, aufsteigend vom tiefen Grund einer längst vergessenen Erinnerung … oh blaue Blume, oh blaues Meer … und niemand weiß …

 

Wohin und Woher
 
durch all die Engen, durch all die Weiten,
durch all die Höhen und Tiefen im ewigen Wandel der Jahreszeiten.

 

Doch so viel hab ich gelernt auf meinen Reisen von all den Narren und all den Weisen: Die Liebe, sie ist kein leerer Wahn, sie ist ein inniges Weltgefühl, ein lehr- und unterhaltsames Lebensspiel, und darum streich ich als Spielmann so gut ich’s nur kann im Geiste weiter auf meiner Fiedel, zieh noch einmal vom hohen Stauferberg hinunter ins blühende Heidelberg, wo der Strom hinaus in die Ebene fließt, grad so wie in Hölderlins Jubellied auf die „Ländlichschönste“ aller Vaterlandsstädte … und immer weiter hinaus nach Westen und wieder vorbei am hohen Fels der wundersamen Lorelei und weiter hinunter, vorbei an den Töchtern des Vater Rheins und weit hinaus ins Offene, Ferne und Südliche … und dereinst auf meiner letzten Reise, auf meiner letzten Reisestation, da lausche ich mehr denn je, lausche jener uralten Weise, jenem Meeresgesang von Ebbe und Flut und in so manch stiller, sonniger Mittagsglut erkenn ich dich wieder und immer wieder, meine

 

Schöne Fremde
 
Ma Bella Donna,
vive, mon Immortelle,
ma Primavera Dell’Acqua,
mon beau déjà-vu du Midi Éternel.[8]

 

***

 

„Alles wandelt sich, nichts vergeht.“
Ovid, Metamorphosen

 

„Nur Narr, nur Dichter“, so kommentierte schon Friedrich Nietzsche, der dichtende Denker, seine Betrachtungen. Man höre ihn nur, den raunenden Nachtwart unter seinem buschigen Schnauzbart, suchend nach einem tieferen Sinn hoch droben im Graubündner Engadin.

 

„Oh Mensch! Gib Acht!“
 
„Was spricht die tiefe Mitternacht?
Ich schlief, ich schlief –
aus tiefem Traum bin ich erwacht: …
Die Welt ist tief,
und tiefer als der Tag gedacht …
Tief ist ihr Weh –
Lust – tiefer noch als Herzeleid,
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –
will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

 

Oh Herzelust, oh Herzeleid und dann ruft er noch trunken von weiter drunten, die Musik sei ein Weib und dann versinkt auch er trotz aller Acht in immer tiefere Mitternacht.

Und dennoch, hatte er nicht Recht mit seiner Weltanschauung aus Wunsch und Wahn, mit dem narrischen Traum der Dichter und Denker vom Großen Hinab und Großen Hinan? Ist dies nicht das uralte Weltengesetz: Die jungen Mädchen auf bunter Flur, sie werden zur schönen Frau Welt und schließlich wieder zur Mutter Natur, zum fruchtbaren Grund und furchtbaren Abgrund … und immer wieder sind Leben und Tod ein heimlich-unheimlich Gleiches, sind Diesseits und Jenseits rund um die Wasser des Großen Teiches …

 

und immer wieder hört man sie singen,
und immer wieder sieht man sie reiten
auf den wogend schwellenden Wellen
im wiegenden Wechsel der Gezeiten.

 

Es sind die Sirenen mit ihrem Gesang vom ewigen Auf- und Untergang. Schon Homer, der blinde Seher, wusste von ihnen zu berichten in seiner großen Rhapsodie von der Lebensreise als Fernweh und Heimweh, als nostalgische Odyssee, als Irrfahrt und Heimkehr zu Penelope an die Gestade von Ithaka, um endlich mit seiner Liebsten wieder vereint zu sein. Endstation Sehnsucht: Destination Home.

Destination, destiny, „over the ocean … over the sea.” Meine “Liebste”, meine “Schöne Fremde”, sie ist in der Tat geradeso, wie es in Gedichten von Eichendorff beschrieben steht, über die Jahre mein Schicksal geworden. Denn mein Leben hätte auch ganz anders verlaufen können. Sie hat es auf entscheidende Weise grundlegend verändert und vielfach bereichert und mir durch die Auswanderung nicht zuletzt auch noch in ihrem Land der vielberufenen „unbegrenzten Möglichkeiten“ die berufliche Laufbahn eines langjährigen Wandergelehrten ermöglicht, dem sich schließlich die Welt weit über die Grenzen Europas und Amerikas öffnen sollte. Für all das, aber vor allem für ihre bezaubernde Liebe, bin ich ihr unendlich dankbar.[9]

 

***

 

„Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen
das Land in den See … Weh mir, wo nehm ich, wenn es Winter ist,
die Blumen / und wo den Sonnenschein und Schatten der Erde.“
Friedrich Hölderlin, „Hälfte des Lebens“

 

So besingt der bald von der geistigen Umnachtung heimgesuchte Dichter die Pracht des Herbstes und beklagt noch mehr das Hinscheiden von Frühling und Sommer, die erste Hälfte des Jahres und sinnbildlich gesprochen die erste Hälfte des Lebens. Aber bedeutet „Hälfte des Lebens“ nicht auch, dass die andere Lebenshälfte fehlt, in anderen Worten, dass man ohne die Liebste – ohne den Liebsten – durchs Leben geht? Ist dies der Fall, dann verwandelt sich der euphorische Sirenengesang wohl mehr und mehr in einen elegischen Schwanengesang, und entsprechend fährt denn auch der wehmütige Dichter fort:

 

„Ihr holden Schwäne …trunken von Küssen
tunkt ihr das Haupt / ins heilignüchterne Wasser.“

 

Welch bedeutungsschwangere Wortschöpfung. Während das „nüchterne“ Wasser bereits auf seine winterliche Erstarrung, den Tod der Natur verweist, ruft das „heilige“ Wasser die Erinnerung an den vergangenen Sommer und vielleicht auch die Hoffnung auf den kommenden Frühling herauf, das Wunder der Wiedergeburt aller Natur.

„Ver Sacrum“, heiliger Frühling, das war die große Beschwörungsformel des Jugendstils um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. Noch nie zuvor hatte eine Kunstepoche so die glückselige Jugend gefeiert und den blütensprühenden Frühling verherrlicht wie jenes Zeitalter rund um die Jahrhundertwende. Seine Kunst entfaltete sich unter dem Namen „Art Nouveau“ weit über die Grenzen Europas hinaus und wurde in einer zunehmend säkularisierten Zivilisation geradezu zur Ersatzreligion. Im Wandel der Zeit sollte schließlich aus dem „Ver Sacrum“ der „Summer of Love“ werden – die Woodstock-Generation, celebrating good vibrations, and everywhere their children had flowers in their long and flowing hair … we were young and life was so much fun … and now we wonder: Where have all the flowers gone?! Not to mention all that hair, all long gone as it were.

 

“When summer’s gone, where will we be …”
The Doors, “Summer’s Almost Gone”

 

Flower Power, Sonnenschein und Regenschauer, auf dieser Welt ist nichts von Dauer. Was übrig bleibt von der rinnenden Zeit ist die kommende Vergangenheit. Drum ein letztes Mal zurück ins Reich der Geschichte, in die Welt der Bilder und Gedichte, der Märchen und Mythen, noch einmal zurück in den magischen Kreis, von dem die Welt der Bücher und Lieder so viel zu künden und singen weiß.

So war zum Beispiel in diesem Jahrtausende alten Gesang der Weltgeschichte die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert eine wesentliche Schwellenzeit zwischen Altem und Neuem. Die fortschreitende Verweltlichung der christlich-abendländischen Kultur, ihre progressive Repaganisierung, fand damals ihre ikonische Repräsentation in der Figur des arkadischen Pan, der bocksbeinigen Verkörperung der faunischen Liebe und all ihrer männlichen Träume und Triebe. Im Altertum hoffte der Faun in der Stille des Mittags stets eine schöne, schlafende Nymphe zu überraschen. Zusammen waren sie, wenn sich ihre erotischen Träume von einander erfüllten, das ideale Traumpaar des legendären Elysiums. Kein moderner Komponist hat ihre arkadisch traumselige Atmosphäre kongenialer eingefangen als Claude Debussy in seinen impressionistischen Kompositionen „La Mer“ und „L‘Après Midi d’un Faune“![10]

„Der Große Pan ist tot“, dieses mythische Raunen ging durch die antike Welt, als Christus auf Golgotha starb. Rund zwei Tausend Jahre später begann erneut eine weltbewegende Botschaft die moderne Welt zu durchschaudern: „Gott ist tot“ … „“Es lebe die Göttin“! Das letztere könnte Jehovahs verzweifelte Antwort auf Nietzsche sein und dies auch durchaus im Sinne seiner dionysischen Dialektik von der „Umwertung aller Werte“. Die ewig junge Göttin der Liebe, sie wüsste den uralten Wüstengott sicherlich neu zu beleben und zu begeistern! Schenkt man der kabbalistischen Exegese des Alten Testaments Glauben, dann kommt der Gott des Zornes und der Rache erst wieder zu sich, wenn er mit Shekinah, seiner verlorenen besseren Hälfte erneut vereint ist. Alsdann, ihr chaldäischen Späher vor Babels Toren und auf seinen hohen Türmen, haltet Ausschau nach der Verlorenen in all ihren Wüsten- und Sternestürmen. Und höre Yawhe, Schma Israel! L’chayyim arukim, chayym shel osher vershalom![11]

 

„Wohin gehen wir? Immer nach Hause.“
Novalis

 

Geisterfahrt und Seelenwanderung: Fährt man auf unseren heutigen Schnellstraßen in die entgegengesetzte Richtung, so ist man ein verwirrter Geisterfahrer, der schnell ans Ende seiner Lebensreise gelangen kann. Ganz anders sind die geistigen Zeitreisen in die Vergangenheit, in die entgegengesetzte Richtung der verrinnenden Zeit. Vom Zeitgeist zum Weltgeist, vielleicht könnte man ja so diese Geisterfahrt umschreibend zusammenfassen. Jedenfalls hat Hegel mit seiner Vorstellung vom Weltgeist das Märchen der Moderne schlechthin geschaffen, das ultimative Meta-Narrativ unserer säkularisierten Zivilisation. Und wenn wir geistig nicht völlig umnachtet sind, dann können wir uns ja vielleicht einbilden, im weitesten Sinne ein Teil dieses Weltgeistes und seiner Geistesgeschichte zu sein. Zudem lässt sich der Weltgeist Hegels im weiteren Sinne mit der Vorstellung von der Weltseele ergänzen, die muttermythischer Provenienz ist und unter anderem auch der Archentypenlehre der Jung’schen Tiefenpsychologie zugrunde liegt. In diesem psychomythischen Sinn sind Zeitreisen denn auch Seelenwanderungen jenseits von Raum und Zeit auf der Suche nach seelischen Wahlverwandten in einer tieferen oder höheren, in jedem Fall einer anderen, alternativen Wirklichkeit.

„Anima Mundi“, das ist die Weltseele der Großen Mutter grad so wie sie im Buche, in allen mutterrechtlichen Büchern steht. Die Wurzel des Wortes „anima“ hat sich auch noch in dem Ausdruck „animal“ in zahlreichen indo-europäischen Sprachen erhalten. Sie erinnert bis heute an die uralten Vorstellungen von der seelischen Verbundenheit aller Lebewesen. Und so wurde denn auch die Große Mutter in matriarchalen Kulten und Kulturen nicht nur als Göttin der Menschen, sondern auch als Herrin der Tiere dargestellt.[12]

Die Urmutter aller Erdmütter ist zweifellos die schleierhafte Gestalt der göttlichen Maya aus dem fernöstlichen Nirwana. Sie ist der orientalische Avatar aller weiblichen Gottheiten. Besonders die Maler des europäischen Orientalismus und ihre zeitgenössischen Komponisten haben im neunzehnten Jahrhundert immer wieder versucht, Zauber und Geheimnis ihres Schleiertanzes am Beispiel ihrer schönsten Töchter des Orients durch ihre bildenden und klingenden Kunst zum Ausdruck zu bringen.

Jedoch noch viel älter als die schimärischen Göttinnen des Mittleren und Fernen Ostens sind die formgewordenen Venus-Figuren aus Zentraleuropa. Die berühmteste von ihnen war bislang die sogenannte „Venus von Willendorf“, die man vor rund hundert Jahren an den Ufern der Donau in der Wachau gefunden hatte. Im Jahr 2008 fand man jedoch im Tal der Ach, einem Nebenfluss der im Blautopf entspringenden Blau – also ausgerechnet im sagenumrankten Herzen der Schwäbischen Alb – im dortigen „Hohlen Felsen“ eine weibliche Figur, von der die Zeitschrift National Geographic in einer ihrer jüngsten Ausgaben schrieb: „At least 35,000 years old, the Venus of Hohle Fels ist the most ancient figure yet discovered that is indisputably human“.[13]

Möglicherweise waren derartige Figuren ursprünglich nur Ausdruck einer persönlichen Idealisierung und künstlerischen Idolisierung, womit ein Höhlenbewohner der Steinzeit seiner Liebsten ein bleibendes Denkmal setzen wollte. Wie dem auch sei, heute symbolisieren diese Skulpturen steinzeitgeschichtliche Venusfiguren und diese wiederum präfigurieren die evolutionär-imaginäre Geburt des Weiblich-Göttlichen aus dem Schoß der Mutter Erde. Und so finden denn auch die romantischen Märchen von Quellennymphen und unteririschen Venusbergen einen tieferen, archaisch-indoeuropäischen Wurzelgrund. Auch in Mörikes Mitternachtsgedicht klingen diese uralten Erinnerungen an ein mütterliches, irdisch-himmlisches Weltall noch einmal traumhaft nach

 

„…Und kecker rauschen die Quellen hervor
und singen der Mutter, der Nacht ins Ohr …“

 

Vom Tag zur Nacht, vom Irdischen ins Himmlische, das sind seit Anbeginn die tellurisch-utopischen Projektionen all unserer religiös-transzendentalen Aspirationen. „Per aspera ad astra – von den rauen, niederen Pfaden hinauf zu den hohen Sternenbahnen.

 

***

 

Von den Inspirationen des kosmogonischen Eros zum langen Atem der irdischen Liebe: die Sehnsucht des vergänglich Leiblichen nach dem Ewig Weiblichen, sie ist in der Tat die älteste Sehnsucht der Menschheitsgeschichte – allen Gottesverehrern und Teufelsbeschwörern zum Trotz. Goethe hat die natürlich-übernatürliche Steigerung dieser Sehnsucht in seinem Gedicht „In Tausend Formen“ in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen auf beispielhafte Weise zum Ausdruck gebracht. Sein „West-östlicher Divan“ ist genau betrachtet ein abendländisches Weltgedicht, das die morgenländische Märchenwelt aus „Tausend und einer Nacht“ so anschaulich wie sinnbildlich ergänzt.

 

„An des geblümten Schleiers Wiesenteppich
Allbuntbesternte, schön erkenn ich dich … „

 

Goethe ist sicherlich der begabteste Narr unter den deutschsprachigen Dichtern, wenn es gilt, die Zauber der Liebe zu beschwören und den hohen, weltumspannenden Bogen des Ewig Weiblichen so wortgewaltig wie einbildungsreich zu schlagen. Und da mich die Verse seines „West-östlichen Divan“ auch immer wieder an mein fröhliches Frühlingsmädchen und unser gemeinsames, immer wieder so wanderlustiges Sommermärchen erinnern, soll er mit seinem Gedicht „In Tausend Formen“ das letzte Dichterwort haben:

 

„Wenn steigend sich der Wasserstrahl entfaltet,
Allspielende, wie froh erkenn ich dich;
Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet,
Allmannigfaltige, dort erkenn ich dich.“

 

Und noch einmal im hohen Welten- und Himmelsbogen:

 

„Wenn am Gebirg der Morgen sich entzündet,
gleich, Allerheiternde, begrüß ich dich,
dann über mir der Himmel rein sich ründet,
Allherzerweiternde, dann atm‘ ich dich.“

 

Narrheit hin und Weisheit her, ich meine, das ist der lange Atem der Liebe, die Geheime Offenbarung der Allherzerweiternden, das ist die dunkle Ewigkeit im leuchtenden Augenblick …

 

Himmel und Erde der Liebestoren,
drum sag ich‘s noch einmal, welch ein Glück,
dass ich mein Herz – auf immer – in Heidelberg verloren.

 


 

Endnoten

[1] Zum zweiten Teil dieser Serie siehe „Quattro Stagioni – Da Capo Al Fine“ in dieser Glossen-Ausgabe. Violine, Mandoline und Klavier, das waren die Instrumente meiner Kindheit und Jugendzeit, wobei ich mich mit meiner Geige in mehrere Schulorchester hineinfiedelte. So spielte ich auch hin und wieder vor so manch höheren Herren und feineren Damen, doch hielten sich meine konzertante Talente insgesamt stets im bescheidenen Rahmen.

 

[2] Zu einschlägigen Bildgedichten dieser Zeit siehe unter anderem auch den großen Bilderbogen Das Narrenschiff des Straßburger Künstlers Sebastian Brant aus dem Jahre 1494 sowie die Druckgrafik der Nürnberger Renaissance, allen voran Albrecht Dürer. Zu heutigen Rückblicken in jene Welt siehe unter anderen auch die Bildgedichte in der Reihe „Nürnberger Narrenspiegel“ vom Verfasser dieser Zeilen, die der Berliner Frieling-Verlag in seiner Serie Ly-La-Lyrik von 2011 -2015 gleichsam als ein fernes Spiegelbild unserer Gegenwart herausgebracht hat.

 

[3] Auch mein Großvater war noch ein großer Verehrer der Gottesmutter gewesen. Wenn die Tage kürzer wurden, stand er oft in der Abenddämmerung vor dem großen Marienbild im Wohnzimmer und betete zu seiner sternengekrönten Muttergottes. Es ist ein Andachtsbild, das ich in rührender Erinnerung habe. Mein Großvater war mir überhaupt in vielem ein großes Vorbild gewesen. Da er mit meiner Großmutter in unserem Hause wohnte, habe ich viel von ihm gelernt und erfahren. Besonders beeindruckt hat mich schon früh sein begeistertes Rühmen von Gottes herrlicher Wunderwelt und nicht zuletzt seiner „holden Weiblichkeit“, wie er das schöne Geschlecht gern zu nennen pflegte. Besonders, wenn er ein wenig angeheitert war. Und wenn es meiner Großmutter schließlich zu bunt wurde, dann nannte sie ihn schmunzelnd in ihrer alten mährischen Mundart einen „olden Norren.“

 

[4] Sic transit gloria mundi: Im Laufe der Jahrtausende verloren freilich die heidnisch-weiblichen Gottheiten den kosmischen Kampf der Geschlechter um die universale Allmacht. Es siegte bekanntlich das männliche Geschlecht und errichtete seine vaterrechtliche Vorherrschaft im Himmel wie auf Erden. Doch die Geschichte des christlichen Abendlandes hätte sich auch ganz anders entwickeln können. Was wäre zum Beispiel geworden, wenn die Mutter Gottes an Stelle eines Sohnes eine Tochter geboren hätte. Das wäre ihr eh viel lieber gewesen. So zumindest weiß es schon seit längerer Zeit ein jiddischer Flüsterwitz. Möglicherweise wäre aus der Sternstunde dort über dem weihnachtlichen Bethlehem eine ganz andere geworden. Hätte Gottvater ebenfalls seine Tochter ans Kreuz schlagen lassen, um durch ihren Opfertod der Menschheit die Erlösung zu versprechen? Wenn er ihr dieses Martyrium erspart hätte, wären dann auch dem christlichen Abendland die Kreuzzüge und Religionskriege, die Hexen- und Judenverfolgungen erspart geblieben? Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, der Kunstepoche der sogenannten Décadence, haben denn auch Maler wie Felicien Rops und Albert von Keller dieses weibliche Gegenbild zum gekreuzigten Gottessohn mehrfach ausgemalt. Zum letzteren siehe auch die Abbildung des in dieser Glossen-Nummer erschienenen Essays „Mauerschauen und Kassandrarufe: Von Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes zu Samuel Huntingtons Clash of Civilizations und darüber hinaus.

 

[5] Das bekannteste weibliche Wasserwesen in den Quellgebieten Süddeutschlands ist sicherlich die Schöne Lau vom Blautopf in Blaubeuren auf der Schwäbischen Alb. Der Dichter Eduard Mörike, zwischen Romantik und Realismus hin- und hergerissen, wusste von diesem fabelhaften Wesen eine gar wundersame Geschichte zu erzählen.

 

[6] Dass ich in dieser Zeit zusätzlich ein rund halbes Hundert Länder in verschiedenen Erdteilen sehen sollte, über dreißig davon im Zusammenhang mit Vortragsreisen, auch das hätte ich mir damals als zielloser Spielmann nie träumen lassen! Alsdann, es lebe die wandernde Wissenschaft!

 

[7] Ausgerechnet das Land, wo die Kanonen blühen, wie es damals in unseren romantisch-rebellischen Heidelberger Kreisen hieß. Das große Stich- und Schlagwort war „Vietnam“. Dass Amerika auch wesentlich mitgeholfen hatte, unser verkommenes Vaterland von der Gewaltherrschaft des Dritten Reiches zu befreien und mit der Luftbrücke nach Berlin auch noch einmal nachhaltig seinen Willen zu unserer Verteidigung bekundet hatte, all das ging damals in unseren anti-faschistischen, anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Schimpfkanonaden mehr oder weniger lautlos unter. Und dass später ausgerechnet die konservative Reagan-Regierung mit ihrem aggressiven Aufrüstungsprogramm das Sowjet-Imperium schließlich wirtschaftlich vollkommen in die Knie zwang und damit einen wesentlichen Beitrag zum Fall der Berliner Mauer und somit zur Vereinigung Deutschlands und Europas leistete – auch das sind Realitäten, die so manche Alt-68er mit ihren abgetakelten Scheuklappen lieber weiterhin ideologiekritisch verschleiert sähen. Dichtung und Wahrheit der geschichtlichen Wirklichkeit! Doch zurück in die Zukunft.

 

[8] „Mon beau déjà-vu“: Mir fällt mit den Jahren immer mehr auf, dass ich mir bereits in meiner Kindheit und Jugendzeit Dinge vorgestellt oder eingebildet hatte, die sich in meinem späteren Leben tatsächlich bewahrheiten sollten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Kaum war ich in der Oberschule, gab ich mit meinen noch sehr schlichten Englisch-Kenntnissen einem Mädchen aus der Nachbarschaft ein Seemannslied zum Besten, das mit den folgenden Versen beginnt: „My bonnie is over the ocean, my bonnie is over the sea …“ Dieses Lied ist, soweit ich mich erinnern kann, das einzige, das ich in meiner Kindheit aus freien Stücken jemandem vorgesungen hatte. Warum gerade dieses Lied? Jedenfalls hätte ich mir damals nie träumen lassen, dass es jemals wirklich werden würde. Das zweite Beispiel stammt aus den frühen siebziger Jahren, als mich an einem felsigen Meererstrand in Südfrankreich angesichts der Brandung und einer ihr entsteigenden mittelmeerischen Schönheit der lebhafte Wunsch überkam, die Wunder der Welt und den Zauber der Liebe in Wort zu fassen und zu einer Serie von poetischen Texten zu verdichten. Ich war jedoch sehr bald überzeugt davon, dass mir zu diesem uralten Thema nichts Neues einfallen würde und so gab ich das Unterfangen sehr schnell wieder auf. Wieviel weitere Erlebnisse und Erfahrungen, Zufälle und Notwendigkeiten mussten in meinem Leben noch hinzukommen, bis ich schließlich vierzig Jahre später dieses Unternehmen mit der Serie „L‘Après du Midi Éternel: Vom langen Atem der Liebe“ erneut in Angriff nehmen sollte. Und ob all die Verse taugen, das wird mir immer unwichtiger angesichts der Notwendigkeit, ihre innere Wahrheit in Worte zu fassen. Diese Suche nach Wahrheit, nach der Erinnerung an die vergangene Wirklichkeit, selbst noch in Sagen, romantischen Märchen und archaischen Mythen, sie ist letztendlich unser aller Déjà Vu, unsere kollektive „Recherche du Temps Perdu.“

 

[9] Zum weiteren Textzusammenhang dieser Eichendorff-Zitate siehe die Bildgedichte zu Sommer und Herbst im zweiten Teil der Serie „L’Après Midi Éternel: Vom langen Atem der Liebe“ in dieser Glossennummer. Schöne Fremde: Ob Schaumgeborene, ob Himmelserkorene, ob Rose mit ob ohne Dorn, Grünhorn hin und Füllhorn her, selige Sehnsucht und reifende Früchte, Hexenkraut und Zaubertrank, Walpurgisnächte lassen grüßen … und bestimmt werden auch noch die letzten Kirschen, jene schrecklich Sauren zu köstlich Süßen. Wie dem auch sei, ich jedenfalls liege meiner Madonna Dell’Acqua nach altem Brauch schon lange zu Füßen und müsst ich’s auch später dort droben im Himmel für immer und ewig büßen. Lieber Heinrich, ja du, mein Heine, du weißt am besten, was ich meine. Apropos Gartenfeste und Sommergäste. Erinnerst du dich noch an deine Pariser Zeit und all die vergnügten, schaulustigen Leut. All ihre Mittsommernachtsträume sind längst ausgeträumt, der Glanz ihrer Sterne schon lange verblichen, die Sommerreigen der Schäferspiele sind längst ganz anderen Tänzen gewichen … und zerstoben sind auch unsere Sommermärchen, verklungen sind die letzten Eklogen, bunt färbt sich schon an den Hängen das Laub und längst ist der Herbst ins Land gezogen.

 

[10] Genau besehen ist Pan mit seiner Panflöte die Urfigur aller Minnesänger und Wunderhörner. Und als Satyr versteht er sich auf das Lustspiel fürwahr im doppelten Sinne des Wortes, nämlich als erotisch-satirische Lustbarkeit, und das wie kein anderes Fabelwesen seiner so sagenreichen Zeit.

 

[11] Auf ein langes Leben voller Glück und Frieden! Von den Wassern von Babylon bis zur Traumfabrik von Hollywood führte eure Jahrtausende lange Wanderschaft auf der Suche nach Freiheit, Frieden und Glück. Im verlockenden Schauspiel der Leinwandgöttinnen von „Hollywood-Babylon“, wie man die legendären Gründerjahre der kalifornischen Lichtspielindustrie genannt hatte, spiegeln sich einmal mehr die uralten Glücksverheißungen der himmlischen Göttinnen aus den frühgeschichtlichen Hochkulturen des Mittleren Ostens wider.

 

[12] And oh my Goddess, Mistress of the Animals! How my “Gypsy Queen”, my wandering “American Dream”, gets animated when she is around animals, all kinds of animals. We usually have several – birds and others – around the house. And since she especially loves cats – and so do I – we always have at least two of them. Over the years, she has developed a veritable animal language of her own with scores of words with distinctly different pronunciation patterns. And that is the final reason that I know for sure that my “Lady from the Waters” is also one of Mother Earth’s most natural-supernatural daughters!

 

[13] National Geographic, Januar 2015, S. 56.

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