Nov 05 2021
Schwäne. 2. Fassung
von Axel Reitel
in Dankbarkeit an Gabriela Eckart
(eine Antwort auf Eckarts “Druckfehler” in zwei Teilen. Teil I)
Wieder eine Phase der Revolution
Ihr schwarzen Schwäne auf den steppengelben Hügeln
Hier bin ich als Kind Karpfen füttern gegangen
Hier habe ich die ersten Fluchtpläne
Am Teich in den Sand gezeichnet
Und hätte dafür verhaftet werden können
Erst vierzehn Jahr
Am Teich sind noch immer die alten Polizisten unterwegs
Am Standbild des Heiligen Georg sehen sie jetzt aber
Mit schüchternem Blick vorüber
Im letzten Rest des Abendrotes weichen sie heute sogar
Einer Gruppe singender Kinder aus
Wind, Wind singen die Kinder, bringe Regen Wind
Auch in dieser Phase der Revolution
Ihr schwarzen Schwäne auf den fichtenbraunen Grashügeln
Habe die Bäume ihre Rinde noch
Zünden Lichter über dem Wasser
Neue Verrücktheiten in den alten Kindern an
Lange –
Lange habe ich auf diesen Herbst gewartet
Aber heute –
Heute da eines dieser Kinder am Ufer fragt
Warum der Drache so grausam gewesen ist
Beginnen sich die Münder der Passanten
Zu bewegen
Und bilden allmählich Laute über der noch klammen Zunge
Ich weiß nicht
Aus welchem Land ihr gekommen seid
Ihr schwarzen Schwäne auf den Nachthügeln –
Ob auch ihr die bleichen Geschwister zu eigen habt
Die im Aschenputtelhemdchen
Die unbegreiflichen Schläge ausgeteilt bekommen
Ob auch ihr Verjagte seid
Ob auch dort trotz der unbegreiflichen Schläge
Die Kinder es sind
Die zu singen nie aufhören
Wind, Wind, singen die Kinder, entbinde die Wahrheit, entbinde dich Wind
Die Nacht hat eure Farbe angenommen
ihr unsichtbaren Schwäne
alles ist jetzt still
In der Luft rauscht ein Gewitterwind –
In diesem Land
in dem selbst das Feuer mit kalten Füßen
zu Bett geht, sind die Menschen heiß geworden
(März 1990, wie ein Maler im Angesicht mit der Betrachtung, im Stadtpark Plauen)
Anmerkung:
Das Gedicht erschien ursprünglich in Gedichtbänden und auch bei Glossen. Hier aber “entbinde die Wahrheit” anstatt “entbinde die Wunde”.
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