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Jul 30 2025

Buchbesprechung | Poesiealbum 369 von Axel Reitel

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Ist uns Glück erlaubt? Zum Poesiealbum 369 von Axel Reitel

von Gabrielle Alioth

 

Poesiealbum 369. Axel Reitel. Hsg. Edwin Kratschmer. Wilhelmshorst: MärkischerVerlag, 2022. 52 Gedichte. ISBN: 978-3-943 708-69-1.

Axel Reitels Lyrik – wortgewaltig, bildreich, politisch und doch zutiefst persönlich – trifft und betrifft uns. Für das Poesiealbum 369 (Märkischer Verlag, Wilhelmshorst 2022) hat der Literatur-und Kunstwissenschaftler Edwin Kratschmer 52 Gedichte von Axel Reitel ausgewählt, die ein beeindruckendes Zeugnis der poetischen Vielseitigkeit und Lebensreflexion, des 1961 im vogtländischen Plauen geborenen Autors ablegen. Es ist eine Poesie «von existentieller Dringlichkeit», wie Marko Martin treffend schreibt, die den Leser emotional wie auch intellektuell fordert.

Axel Reitel wuchs in der ehemaligen DDR in einer von der SAG Wismut geprägten Familie auf. Seine freiheitliche Gesinnung brachte ihn früh in die Gefängnismühlen, und er nahm 1981 im Stasiknast Cottbus am offenen Gefangenenprotesten gegen die Verhängung des Kriegsrechts in Polen teil. 2016 erhielt er dafür die Dankbarkeitsmedaille der Solidarność. 1982 wurde er von der BRD freigekauft. Vor dem Hintergrund dieser Biografie ist es nicht verwunderlich, dass sich die Erfahrung von Ausgrenzung, Repression, Exil durch Axel Reitels Lyrik zieht. Seine Gedichte durchqueren historische, mythologische und private Räume, in denen sich Vergangenheit und Gegenwart durchdringen. Besonders eindrucksvoll im Gedicht Roter Stein, in dem er die Geschichte des Ettersbergs (und damit des nahen Konzentrationslagers Buchenwald) als «Roter Stein der weißen Schatten, grau wie Rauch» aufleben und in einer gespenstischen Atmosphäre die Schatten der deutschen Geschichte plastisch hervortreten lässt. Die Vergangenheit ist kein abgeschlossenes Kapitel, sie lebt in der Gegenwart weiter.

In Texten wie Bericht aus meiner Mutterstadt oder Das Exil und der Sandberg durchdringt das Erinnerte jede Zeile, ohne zu beschönigen, aber auch ohne bloßzustellen, nie klagend, nie anklagend, sondern tastend, präzise, unprätentiös:

«Aus Niederungen kommend
In diese Ebene wo
Zwei in derselben Sprache
Sich vergiften im Gespräch
Erinnre ich mich täglich
Des Namens meiner Wohnstatt
Aus der ich gejagt und in Handschellen gegangen bin.»

Die Gegensätze zwischen Ost und West, Heimat und Fremde, Zugehörigkeit und Entwurzelung durchziehen das Album. In Glücklich schon (wohin ich ging) beschreibt Reitel seine Ankunft im Westen nicht als Heimkehr, sondern als Herausforderung: eine neue Freiheit, die sich erst fremd anfühlt. Seine Poesie kennt keine Gewissheiten – aber sie kennt das Fragen, das Sehnen, das Aushalten.

Auch die Liebe – ein immer wiederkehrendes Motiv – erscheint nicht als Ort der Erlösung, sondern als zarte, gefährdete Möglichkeit. In Liebeszonen oder Außerhalb der Liebe begegnet sie uns als Kampfplatz, als Vermessung des Zwischenraums zwischen zwei Menschen. Axel Reitel thematisiert die Höhen und Tiefen der Liebe, oft mit einer melancholischen und introspektiven Note. Nichts ist sicher, aber alles ist wirklich.

Axel Reitel hat ein profundes Gespür dafür, wie das Leben und Lieben der Menschen in die Welt eingebettet ist. Besonders bewegend sind die Gedichte, in denen er Städte beschwört – Paris, Amsterdam, Weimar –, nicht als Kulissen, sondern als Seelenlandschaften. Überall ist Geschichte, Kunst, Verlust und Leben.

Stilistisch changiert Reitel zwischen sinnlich konkreter Bildsprache und intellektuell verdichteter Anspielung – so in Der Aeroplan mit der Figur Lilith, dem biblischen Mythos und urbaner Tristesse:
„Sie ging an dir vorüber
und gab nur ihre Laune zu bedenken,
dass du jetzt keine Rolle spielst.“

Die Gedichte kommen ohne Lärm, ohne Pose aus, aber in ihrer Sprache liegt etwas Unnachgiebiges. Da ist kein Überfluss, keine Eitelkeit. Axel Reitel ist einer, der mit jedem Wort um Wahrheit ringt, und was seine Lyrik auszeichnet, ist ihre Unmittelbarkeit. Er will nicht gefallen. Er will gehört werden. Doch bei aller Ernsthaftigkeit blitzt auch immer mal wieder Ironie oder überraschende Leichtigkeit auf, nicht um zu lachen, sondern um den Ernst besser zu tragen. In Mozart etwa:
„… der Furz beim Komponieren
der kleinen Nachtmusik …“

«Ist uns Glück erlaubt?», fragt Axel Reitel in Am Griebnitzsee (mit Christa Speidel). Seine Antwort ist vielschichtig, ambivalent, ehrlich, zeugt von Lebenserfahrung, grosser poetischer Kraft und ist als Lektüre zweifellos beglückend.

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