Jun 2014
Frederick Lubich
Angie’s “Starry, Starry Nights” – Code Name “Maybe, Maybe Not”
oder
Denk ich an Deutschland in der Nacht: Eine muttermythische Phantasmagorie
„Angie, they can’t say we never tried“
The Rolling Stones
Musik-Enthusiasten und transatlantische Cineasten der Baby-Boomer-Generation, die auch als New-Age-Generation bekannt geworden ist, werden sich erinnern: „Starry, Starry Night“ war Don McLeans romantische Hymne auf Vincent van Gogh, „Maybe, Maybe Not“ war der englische Titel des deutschen Spielfilms Der bewegte Mann aus dem Jahr 1994 mit Till Schweiger in der Hauptrolle. Letzterer hatte die einst heimliche Liebe zwischen Männern in eine romantische Komödie verwandelt. Jüngere amerikanische Fernsehserien wie Cougar Town und Sex and the City leisten heute ähnlich unterhaltsame Aufklärungsarbeit, was die lang verheimlichten Sehnsüchte von Frauen in einem gewissen Alter betrifft. Ihre reiferen Begehren erreichen gewissermaßen ihren sinnbildlichen Höhepunkt, wenn sie es verstehen, ihre weibliche Pracht zudem in weltliche Macht umzusetzen. Dieses späte Lustspiel ist das große sexualpolitische Lehrstück unserer zeitgenössischen Vergnügungsgesellschaft, in der französische Verhältnisse samt ihrer mehr oder weniger gefährlichen Liebschaften zunehmend Schule machen. Denn heutzutage wollen bekanntlich alle leben wie Gott in Frankreich, beziehungsweise wie Dominique Strauss-Kahn in New York oder jetzt François Hollande in Paris. Ihre Triumphe und Debakel sind das Schauspiel der New-Age-Lovers als Anti-Aging-Spektakel, die gute alte Counter-Culture der freien Liebe und ihrem möglichen Leid auf dem neuesten Stand der heutigen Zeit. Diese fortlaufende chronique scandaleuse findet jetzt in Berlin ihre neueste Fortsetzung und geschlechtsspezifische Vollendung, denn es heißt, auch
Frau Merkel treibe es jetzt immer toller!
Glaubt man jüngster Lauschangriffe,
fährt nun auch sie auf einem Roller
mit Willi Wohlklang, ihrem Geiger,
bei Nacht und Nebel immer wieder
höchst klammheimlich zu Till Schweiger.
Der Geiger ist ein Meister der Nostalgie,
ein passionierter Rock ‘n‘ Roller,
doch Tango ist sein dernier cri.
Und eskortiert er seine Dame
zum Rendezvous mit ihrem Beau,
dann ist Guillaume sein Künstlername.
Schon schlägt ihr Herz so voll Verlangen,
oh Rausch der steigenden Erwartung!
Wird’s eine Sternstund? Hoffen, Bangen!
Zum Glück hat sie ein Telefon,
mit dem ruft sie mobil voraus:
„Sei startbereit – ich komme schon!“
Sie schwärmt erneut von jener „Action“
grad so wie einst als junges Mädchen
auf ihrer Such nach „Satisfaction“.
Man lauscht und hört ”You are my man,
come on, let’s spend the night together!
I can’t get … oh yes … you can!!”
Um jene Stimmung erneut zu verbreiten,
streicht der Willi schon ganz locker
vom Hocker unterwegs die Saiten.
Bald sind sie wider bessres Wissen
vom Wohllaut seiner vollen Klänge
bewegt, beschwingt und hingerissen.
Abermals wird sie zur femme fatale
und dreht den Schweiger immer lieber
zum Weimar-Schieber „Damenwahl“.
So wird der Abend zur langen Nacht,
das Sternenzelt zum hohen Gefunkel
und die Liebe zur Himmelsmacht.
“My Angel … Angie … Honky Tonk!
Oh my darling … you are a devil …
sehr sympathisch … Gott sei Dank!!“
Und mit viel Wonne, Wunsch und Wahn,
Erde hin und Himmel her,
geht‘s im Sturm und Drang hinan.
“Starry, Starry Night …
they would not listen,
they did not know how, perhaps they’ll listen now.”
Und in der Tat, bereits in aller Herrgottsfrüh zur morgendämmernden Tagesschau berichten die Lauscher der letzten Nacht vom Ausflug unsrer bewegten Frau. Sie ahnen die Tat, sie kennen den Ort, doch hüten sie ihr dunkles Geheimnis, denn sie alle kennen das Losungswort. Bilder freilich sprechen tausend Worte und Blitzebilder noch viel mehr, und so wird im Laufe der Zeit Angies nächtliche „Action“ …
zur erbaulich beschaulichen Staatsaktion,
denn das wilde Mädchen kehrt stets zurück
als glückliche Mutter der deutschen Nation.
Und jedesmal geht ein Ruck durchs Land, denn dieses staatliche Theater ist die restaurative Utopie der geheimnisumwitterten Magna Mater. Diese göttlich allnährende Mutter ist zwar sagenhaft umstritten, doch dafür bestes Gedankenfutter. Freilich muss man es verstehen, die Zeichen der Zeit auch richtig zu sehen. So erinnert sich zum Beispiel
das deutsche Volk sehr gern noch bis heut
an ihren prunkenden Brunhildbusen
mitten in der Stadt Bayreuth.
So hold und hehr – was wollte man mehr? Frau Republik in Hülle und Fülle! Auf diese üppig-wonnige Weise wurde sie bald einer ganzen Nation zur Quelle barock-allegorischer Inspiration und die dergestalt Verehrte zum gültigen Sinnbild aller höheren Wünsche und Werte. Und nicht zu vergessen ihr Mutterwitz! Jeder davon ein wahrer Geistesblitz für die harte Arbeit am dunklen Mythos vom Großen Runden und seinem Kreisen, von den rollenden Sphären, dem Stein der Weisen …, kurzum, vom Universum aus einem Guss, oder soziologisch richtig gewendet, die ganze Welt im „Wohlstand und Überfluss“. (Es besteht kein Zweifel, sie ist volles Füllhorn und Phallische Mutter … Notre Dame par excellence – Honi soit qui mal y pense!)
Bald hört man in Deutschlands Gerüchteküche wieder jene altklugen Sprüche der ehemaligen Spontibrüder und mehr noch ihrer Spontischwestern, und die sind ganz bestimmt nicht von gestern. Man wird sich erinnern an die Moral von ihrer Geschicht: „Die Zukunft wird weiblich sein oder gar nicht“! – „What self-fulfilling prophecy!“ So geht schon länger ein Unken durch den morgendlichen Dämmer und seine letzten munkelnden Dunkelmänner.
Doch insgesamt freuen sich die Nationen, denn statt Kanonen bringt sie jetzt Butter, Europas deutsche Wirtschaftsmutter, wenn auch zu allem südlichen Leid mit nordisch eiserner Sparsamkeit. Wie dem auch sei, viele beschwören die Alma Mater und ihre mythische Konzeption und verklären Mutter Merkel zu ihrer modernen Reinkarnation. Und das gut skandiert nach dem flotten Motto: „Auf die Dauer hilft nur die gute, uralte Frauen-Power!“
Doch nicht nur fruchtbar sondern auch furchtbar ist dieses Wunderweib und so schaudern andere wiederum aus tieferem Grunde vor ihrem muttermythischen Schlunde, ihrem archaischen Orcus Uterus – so der terminus technicus – oder sie hören und sehen, eh sie für immer vergehen, nur noch Sphinx und Ödipus. Dies ist das Heimlich-Unheimliche der leiblichen Mutter, glaubt man dem Seelenführer Sigmund Freud, und folgt man seiner Seelenkunde – auch das ein zauberhaftes Gleiches -, dann ist man bald in der Geisterrunde des mythischen Mutter- und Totenreiches.
So durchzieht unsere spätmoderne Kultur ein nebuloses Unbehagen aus Heimweh, Weltschmerz und Rätselraten. Experten sprechen von „Twilight Memories“, „Psychomythic Phantasies“… Wie dem auch sei, der Leib- und Lieblingsgeiger unserer Nacht- und Sternenschwärmerin ist wieder mittenmang dabei. Er wendet jedoch seine geheime Mission in nationale Diskretion, denn im Gegensatz zu den Franzosen – von Amerikanern ganz zu schweigen – spielt er den deutschen Ahnungslosen. „Starry Night“, ein Passwort? Nicht dass er wüsste! „Come on, lets spend …? Ein Text aus seinem Kontext gerissen!! Im Übrigen wär‘ er stets dabei und würde trotzdem von nichts wissen.
Willi Wohlklang: Für die einen ist er ein wahrer Wohltäter, für die anderen ein übler Landesverräter, ein Comedian Harmonist der liederlichster Gefühle, während die breite Masse Trübsal blase und weiterhin im Elend wühle, vom Unglück gebeutelt, vom Schicksal geschlagen …, so hört man sie jubeln, jammern und klagen. Grad so wie in Les Miserables! Das wäre wohl die passende Parabel. Auch könnte sich Madame ein gutes Beispiel nehmen an Eugène Delacroix und seiner „Liberté sur les barricades.“ (Voila, Angelique Ma Belle … Avanti Popolo … Mamma Mia … Quelles Mamelles!)
Der Rest ist schon wieder Geschichte, denn kaum ist das Musical halbwegs verklungen, erklingt schon der Himmel über Berlin in lauter Marx- und Engelszungen:
Ihr Völker höret die Signale
Taste the East and Test the West!
Our Fathers knew better & Our Mothers know best!!
So come to our Escapades and dance in our Love Parades!!!
Die Große Mutter wartet schon auf ihrem mythischen Weltenthron
und lässt ihren Blick in die Weite schweifen
von Berlin bis ins ferne Babylon.
Und die Bilder immer wilder, die Zeichen der Zeit immer klarer und für die endzeitlichen Munkelmänner werden sie immer offenbarer:
Cougar, Sphinx und Behemoth!
Mit Pauken und Trompeten! Die Apokalyps, oh Gott oh Gott!!
Die Nachtwächter des Abendlandes, sie sind verstört und finden diesen Höllenlärm schlicht und einfach unerhört. Diese Manichäer der letzten Tage! Wie sie noch immer an ihren alten Weltbildern feilen, jedoch der Himmel über Berlin, der lässt sich bekanntlich nicht mehr teilen. Das wusste schon der Engel der Geschichte, Walter Benjamins Angelus Novus, und jetzt weiß es auch unsere
Angela Nova,
flying higher and higher on wings of desire,
oh starry, starry night – Super Nova – shining bright!
Per aspera ad astra! Laudate, laudate, angeli et angelae! Oh matrimonium in excelis sub specie aeternitatis!! Fusionen, Visionen, stellare Ekstasen … und dann wieder nichts als Pustekuchen und Seifenblasen. Wie wir uns doch um Sein und Schein die Köpfe verrenken und das geht nun schon so seit Menschengedenken. Nur hin und wieder in weiter Fern ein seltsam schweifender Abendstern. Und dann werden seit je her die Astrologen zur weiteren Beratung hinzugezogen. Am besten sind dafür die Chaldäer, diese altbabylonischen Sternenspäher, dort auf ihren hohen Warten und stets auf der Ausschau nach Astarten, der Sternenkönigin aller kosmisch-burlesken Ausschweifungen. So zumindest hat man sie einst glückselig besungen. Sie versuchen ihr noch immer auf die Schliche zu kommen und sind vor lauter Sehnsucht schon ganz benommen. Die Ewigkeit im Augenblick, das ist die Zauberformel ihrer großen Kosmopolitik. Und dies ist ihr geheimer Rat:
Es gälte, alle Zeichen zu sichern zurück bis zum Ort der ursprünglichen Tat. Also immer wieder hinab und hinan, doch ist dies leichter gesagt als getan. Der Schweiger redet nicht und der Geiger ist ein wendiger Wind- und Wetterbeutel. Er dreht sich ganz im Geist der Zeit und ist wie alle Musikanten zu jeder Melodie bereit. Weiß er doch mit Friedrich Nietzsche, was für die himmlische Seel und den irdischen Leib für immer der schönste Zeitvertreib. Schrieb jener doch
„Oh Mensch! Gib Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?
… Weh spricht: Vergeh! …
Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“
Und Tangogeiger sind bekanntlich ganz besonders weltentrunken, sie schwelgen in Teufels- und Götterfunken, versprechen den Himmel und dann wieder die Erde, ganz nach dem Willen der Großen Mutter und ihrem „Ewigen Stirb und Werde“. Musikgeschichtlich ein Phänomen! Jedoch auch realpolitisch gesehen kann man solche Geiger durchaus ähnlich verstehen. Als Mitarbeiter der Inneren Sicherheit wissen sie jedenfalls bestens Bescheid, was den Bürgern des Staates am besten gefällt und somit die gesamte Nation im Innersten zusammenhält.
Liebe, Hoffnung, Glaubenssprung – Frauenheld und Männerheldin, oh matrimoniales Mysterium. Man stelle sich nur einmal vor, Deutschlands wackeres Oberhaupt, sie folge ganz dem Ruf der Zeit, dem postmodernen „Back to the Future“ und seinem ehernen „Vorwärts in die Vergangenheit“. So riefen es einst die rüstigen Matronen und mehr noch ihre reitenden Amazonen. Denn sie wussten es schon immer, am Anfang war der große Schrei, der Urschrei im Kampf der Geschlechter – und ist man ganz Ohr, ein richtig lauschender Liebestor, dann hört man ihn auch noch heute hoch droben im rockend frohlockenden Engelschor:
Make Love Not War!
Turn the Page to a New Age!!
And what angelic highlights – frolicking with a sparkling star!!!
Starry, starry night … what shooting stars … from Babylon to Hollywood … oh Heimat, deine Sterne! Und jeder kennt den schönsten Stern am heimatlichen Firmament. Doch ist dies wirklich noch Till Schweiger, Deutschlands letzter Stürmer und Dränger? Oder ist es gar schon der Mick Jagger, Englands großer Seher und Sänger! Denn schließlich war er immerhin der englische Künder der kommenden deutschen Kanzlerin. „Angie“, das war sein Hohes Lied. Damit beflügelte er einst in den höchsten Tönen den Wahlkampf seiner Angela, gab ihren kontinentalen Versprechen höheren Schwung, wenn nicht gar einen Hauch von Götterdämmerung – oh Twilight of the Goddess, oh Twilight Memories – und jetzt kehrt sie aus ihrem Sternenglück immer wieder in unsere Welt zurück. Und Mick Jagger, der alte Schürzenjäger und hagestolze Würdenträger seiner britischen Königin, er stimmt ihn tatsächlich noch einmal an, seinen großen anglikanischen Hochgesang:
„She’s like a rainbow …
she comes in colors everywhere.”
***
Oh Lawdy Mama, what Psychedelic Panorama!
Oder ist auch das nur schöner Schein, ein Farbentanz der kosmischen Maya, ein buntbewegter Schleierglanz um ihr galaktisches Nirwana … ein Reigen des Ewig Weiblichen im so vergänglich Leiblichen … ein Gleichnis nur aus Raum und Zeit … kreisend um unsere große, kommende Heimatlosigkeit?
Nacht und Nebel, Wind und Wolken über der Menschheit dunklem Gewimmel … und dann im Morgengrauen das dämmernde Nichts im unendlichen Himmel!
… Oh …
“Angie, Angie, when will those clouds all disappear,
Angie, Angie, where will it lead us from here?”
And time and again one hears him cry
“Ain’t it time we said goodbye?”
Thus moans the Rolling Stone,
thus groans the Rocking God,
and the wind is blowing,
„Maybe, Maybe Not“.
Leave a Reply