Oct 20 2017
Tom Petty’s „Heart Attack”: Zum „Herzstillstand” des „Heartbreakers”
Tom Petty’s “Heart Attack”: Zum „Herzstillstand” des „Heartbreakers”
A Teachable Moment of Bi-Lingual Education
In Memory of a Remarkable Musical Legacy
Frederick A. Lubich
Fans von Tom Petty und seiner Band „Tom Petty and the Heartbreakers“ mussten vor Tagen schockiert in den englischsprachigen Medien zur Kenntnis nehmen, dass ihr Rock-Idol von einem „heart attack“ zu Fall gebracht worden war – also auf gut Deutsch, einem „Herzstillstand“ erlegen war. In seinen besten Jahren war der Frontmann der „Heartbreakers“ mit Songs wie „Free Fallin‘”, „Learning to Fly“, „I Won’t Back Down” und „Into the Great Wide Open” international berühmt geworden.
Über die ursprüngliche Verwirrung seiner Anhänger, ihr weltweites Rätselraten um die eigentliche Ursache seines Todes, hat sein fataler „heart attack“ wohl auch so manchen Deutschlehrer hier in den Vereinigten Staaten zum Aufhorchen gebracht, wenn nicht gar zum Nachdenken der folgenden Art verleitet.
Bekanntlich bezeichnet die deutsche Sprache menschliche Krankheiten – und somit auch Todesursachen – mit Sprachbildern aus dem deutschen Wortschatz, während das Englische sie vor allem mit Wortschöpfungen aus dem lateinischen und griechischen Vokabular zum Ausdruck bringt. Auf diese Weise wird aus der deutschen Blinddarmentzündung die englische „appendicitis“ und aus der deutschen Lungenentzündung die englische „pneumonia“, um hier nur zwei bezeichnende Beispiele anzuführen. Diese Offenheit der englischen Sprache gegenüber fremden Sprachquellen, von denen sie sich seit über tausend Jahren immer wieder neu beeinflussen und sprachlich bereichern lässt, ist auch der tiefere Grund für ihr großes, multi-linguales Vokabular und ihr entsprechend nuancenreiches Differenzierungspotential.
Kommt es jedoch zur Bezeichnung von Krankheiten, so hat die deutsche Sprache gegenüber der englischen Sprache wohl einen wesentlichen Vorteil. Deutschsprachige Kinder können bereits im frühen Grundschulalter allein vom Wort her erahnen, dass es sich bei Blindarm- und Lungenentzündungen bestimmt um leidliche Erfahrungen und schmerzliche Krankheiten handeln muss, während ihre englischen Generationskohorten erst aus dem weiteren Gesprächszusammenhang erraten können, dass das medizinische Mumbo Jumbo ihrer Muttersprache wohl nichts Gutes zu bedeuten hat.
Auch Tom Pettys „heart attack“ gehört in diese Kategorie der verschiedenen deutsch-englischen Spracherfahrung. Stellt man sich (fremd-)sprachlich unbewandert, dann dürften Begriffe wie „heart attack“ zu allen möglichen Missverständnissen führen. Vorausgesetzt man kennt das ursprünglich aus dem Französischen stammende Wort „Attacke“, dann könnten sprachlich Wissbegierige entsprechend nachhaken und folgerichtig weiterfragen, ob das Herz als attackiertes oder als attackierendes Körperorgan in der besagten Attacke fungiert, oder grammatikalisch formuliert, ob es das leidzufügende Subjekt oder das leiderfahrende Objekt des Satzes repräsentiert.
Stellt man in diesem syntaktisch ambivalenten Kontext weitere Fragen, so ergibt sich der widersprüchliche Fragenkomplex, wen oder was das Herz in dieser Attacke angegriffen hatte, beziehungsweise von wem oder wovon es angegriffen wurde. Und nicht zuletzt bleibt vor allem weiterhin unklar, ob der oder das Angreifende, beziehungsweise der oder das Angegriffene diesen allseitig verwirrenden Angriff letztendlich überlebt hatte. Kein Wunder also, dass den ersten widersprüchlichen Meldungen von Pettys „heart attack“ vielfach weiterverdrehte Beileidsbekundigungen folgen sollten.
Im Gegensatz zur babylonischen Sprach- und Sinnverwirrung in den englischsprachigen Medien klärte die deutschsprachige Berichterstattung mit dem Begriff des „Herzstillstands“ all diese syntaktischen Optionen und semantischen Spekulationen mit einem Schlag auf und machte unmissverständlich klar, dass das Herz des Sängers weder Täter noch Opfer eines Angriffs gewesen war, sondern vielmehr nach einem mittellangen Lebenslauf auf der Strecke geblieben ist und schlicht und einfach von selber stehen blieb.
Im Fall von Tom Petty gewinnt dieser „Herzstillstand“ auch noch einen weiteren werkgeschichtlichen Bedeutungszusammenhang. Zum einen ist es mit dem Tod des populären Musikers um einen weiteren talentierten Krachmacher der Rockmusik über Nacht „still“ geworden. Zudem ist er nicht im krachenden Angriff umgekommen – wie das sogenannten Helden des Krieges auf lärmenden Schlachtfeldern widerfährt -, dieser Held der Klänge ist vielmehr vollkommen friedlich daheim gestorben, genauer, er ist heimlich, still und leise am eigenen, immer müder werdenden Herzen zerbrochen.
Nomen est Omen: Mit seinem nun unumstrittenen Herzstillstand ist Tom Petty auch dem Namen seiner Band ein letztes Mal gerecht geworden und dies so buchstäblich wie sinnfällig – und nicht zuletzt allen Widersprüchen und Widerständen zum Trotz. Oder, wie man auf Englisch schlussfolgern könnte: He lived up to the name of his band and their rebellious reputation to the very end, or in his own words of ultimate defiance:
„You can stand me up at the gates of hell
but I won’t back down … I won’t back down!
Hey baby … there ain’t no easy way out …
but I stand my ground and I won’t back down.”
Tom Petty, „I Won’t Back Down”
***
„The Traveling Wilburys“ war der sprechende Name des von Tom Petty einst mit ins Leben gerufenen musikalischen Karavans berühmter musikalischer Zeitgenossen. Mit dieser Namensgebung stellte sich diese Band auch in die altehrwürdige Tradition der fahrenden Spielleute, die in der Alten Welt bis ins Mittelalter der vagantischen Troubadoure und wandernden Minnesänger zurückreicht. Superstars der Rockrevolution wie Bob Dylan, Roy Orbison und George Harrison spielten längere Zeit in dieser Superband der „Traveling Wilburys“ mit.
Jetzt hat sich Tom Petty den beiden Letzteren, die ihm schon vor Jahren ins Jenseits vorausgegangen waren, endgültig angeschlossen. Sie sind nun nicht nur seine alten, verblichenen Weggefährten durch die großen Konzertsäle dieser Welt, sondern vielleicht auch seine neuen, weltenbegeisterten Seelenverwandten auf dem Weg ins unergründliche Jenseits, kurzum, seine „Transcendental Traveling Wilbury Brothers“.
Credo, quia absurdum …! Wer weiß, vielleicht sind sie ja tatsachlich wieder zusammen und ziehen immer weiter auf der sagenhaften Seelenwanderung in jene bodenlose Ewigkeit, aus der noch niemand zurückgekehrt ist. In anderen Worten, … „On the Road Again“ … „Learning to Fly“… „Into the Great Wide Open“ … unterwegs in jenes ausgesternte Universum, von dem die Scholastiker des Mittelalters glaubten, dass es auf immer und ewig vom Zauber der Sphärenklängen zusammengehalten würde.
Jenseits hin und Diesseits her, Tatsache ist jedenfalls, dass Tom Petty zusammen mit seinen einstigen „Traveling Wilburys“ uns Hinterbliebenen hier auf Erden ihre herrliche Musik zurückgelassen hat. Und so können wir ihnen über alle sprachlichen Verwirrungen und irdischen Missverständnisse hinaus weiter zuhören und ihnen in Dankbarkeit nachrufen: Fare well … keep rocking … and rest in peace.
Frederick A. Lubich
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