Dec 2017
Dankesrede aus Anlass der Verleihung der „Dankbarkeitsmedaille“ an mich und vier andere vom und im Europäischen Solidarność-Zentrum (ECS) in Danzig am 12. Dezember 2016
von Axel Reitel
Reprinted from PEN-Newsletter 2017
Verehrte Teilnehmer und Zeitzeugen der Danziger August-Streiks 1980 und der Zeit des Kriegsrechts ab dem 13. Dezember 1981
Verehrte Mitglieder des Auswahl-Ausschusses,
verehrte Mitglieder des Europäischen Solidarność-Zentrums,
liebe Mit-Geehrte,
liebe Lebensgefährtin,
verehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
die „Ausrufung“ der Protestaktion gegen das Kriegsrecht und für die uneingeschränkte Zulassung der Solidarność, geschah in einem Gefängnisdas vom Ministerium für Staatssicherheit indirekt verwaltet und fest in den Transaktionen der für die Staatsdevisen der DDR verantwortlichen Kommerziellen Koordinierung, kurz: KoKo, verankert war. Sie begann mit handgeschriebenen Aufrufen am 14. Dezember – und erreichte ihren Höhepunkt am 17. Dezember 1981. Das Gefängnisregime war durch Zellenspitzel vom ersten Tag an vorbereitet. Am 17. Dezember erwartete die Arbeitskommandos in der Speisebaracke eine Hundestaffel. Essen! wurde befohlen. Die Listen aller Verweigerer gibt es: sie werden der Forschung durch die Behörde für die Unterlagen der Staatssicherheit nur geschwärzt zur Verfügung gestellt.
Während jener vier Tage war das Haftpersonal bewaffnet und lungerte in Scharfschützenmanier auf den Dächern. Wir blickten einander an und die Frage lautete, ob sie schießen. Die Antwort überrascht am Ende vielleicht nicht einmal, aber ich muss gestehen, dass mich die Möglichkeit, einer von dreihundertfünfzig niedergeschossenen politischen Häftlingen zu sein, auch heute noch etwas nervös macht.
Doch es hat sich alles gelohnt.
Der beeindruckende Kampf der Solidarność um Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand mündete nicht nur im Untergang des hermetischen Ostblocks sondern es erneuerte grundlegend die Europäische Union. Den klugen Köpfen der Solidarność war es aus staatstheoretischer Sicht klar, dass Polen „an seiner Westgrenze ein wiedervereintes Deutschland und keine stalinistische DDR“ braucht. So steht es in den Sonderberichten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vom 12. Dezember 1981. Und weiter dort „Fernziel des [“Komitees zum Schutz der Arbeiter” für inhaftierte Dissidenten, kurz]: KOR ist die Eingliederung der Volksrepublik Polen in ein vereintes Europa mit einem wiedervereinten Deutschland.“ Das ist nun alles so geschehen.
Die ebenfalls notierte „Überzeugung…dass die Entwicklung in Polen auch auf die DDR übergreifen wird“, hat sich dagegen nicht bestätigt. Gewiss lagen vielen Menschen in der DDR die August-Ereignisse 1980 am Herzen, am Ende traten zu wenige dafür ein. Auch die friedliche Revolution 1989 in der DDR bekannte sich kaum zu ihrem Vorbild Polen. Deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass der von seiner Anzahl größte Protest in der DDR gegen das Kriegsrecht in Polen ausgerechnet in einer DDR- Strafvollzugseinrichtung stattfand. Nirgends im Land war das Wort so frei als im politischen Gefängnis.
Und auch die Antwort auf unsere Frage ist moderner denn je: Die KoKo, die von Honecker 1966 gegründete Kommerzielle-Koordinierung, war unermüdlich damit beschäftigt, harte Weltmartktwährung, Devisen genannt, in die ewig klammen Kassen der DDR zu spülen. Dazu gehörte auch der frei verkaufbare unbekannte politische Häftling (offiziell durfte es den ja nicht geben).
Aktenkundig sind zwar Gespräche zwischen der Gefängnisleitung und dem zentralen Operativstab der Stasi über den praktischen Einsatz einer bewaffneten Truppe. Doch welcher praktische, vernunftbegabte Mensch schießt eine Ware im Geld-Wert von 95.847 mal 350, das sind 33.546.450 Valuta, über den Haufen? Der Chef der Kommerziellen Koordinierung, Schalck-Golodkowski, dessen Vater bereits ein guter Rechner beim russischen Zaren gewesen ist, dürfte sich, hoch oben, im Sitz der KoKo, im 23. Flur des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße, die Haare gerauft haben – und da wurde eben nicht geschossen!
Schon für Marx war „in Wirklichkeit die treibende Kraft die Beziehung des Menschen zur Materie und das wichtigste daran seine Produktionsweise. Dadurch [wurde] der Marxsche Materialismus in der Praxis [ja] zur Wirtschaftslehre.“[i]
Aber auch aus anderen Gründen wird weiter nach Marx gegriffen, in Opportunitätserwägungen einbezogen, um unablässig zu schmähen, was nicht den Beschreibungen des eingeübten Standpunktes entspricht. Bis heute ist „die Rechte nicht eben ein leuchtendes Vorbild. Aber die Linke ist schizophren“[ii] geblieben. Ihr fehlt weiterhin die „Festigkeit der Überlegung und auch ein wenig Bescheidenheit“, stattdessen ergeht sie sich in „eingebildeten Gewändern“[iii]
Man muss seine Zeit wie einen Erwachsenen betrachten, daß heißt ohne voreingenommene Sympathie oder Antipathie. Das heißt nach den Maßstäben der Kritik und der Vernunft.
Möge diese Medaille also auch Gruß und Zuspruch für alle sein, die verstehen wollen und nicht richten, die für eine gerechte Gemeinschaft kämpfen und für Wahrheit und Freiheit gewaltlos im Einsatz sind. Und auch im Gedenken an die bislang namenlos gebliebenen Mit-Streikenden möchte ich mich noch einmal bei den Mitgliedern des Ausschusses und beim Solidarność-Zentrum für diese hohe Auszeichnung aufrichtig bedanken und Sie alle herzlich grüßen.
Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
[i] Vgl. Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes, Europa Verlag Zürich 2007, S. 791.
[ii] Vgl. Albert Camus, Verteidigung der Freiheit, Rowohlt 1997, S. 119.
[iii] Ebenda.