Nov 05 2021

Schwäne. 2. Fassung

Published by at 6:28 am under Literatur- und Kulturnachrichten

von Axel Reitel

in Dankbarkeit an Gabriela Eckart

(eine Antwort auf Eckarts “Druckfehler” in zwei Teilen. Teil I)

 

Wieder eine Phase der Revolution

Ihr schwarzen Schwäne auf den steppengelben Hügeln

Hier bin ich als Kind Karpfen füttern gegangen

Hier habe ich die ersten Fluchtpläne

Am Teich in den Sand gezeichnet

Und hätte dafür verhaftet werden können

Erst vierzehn Jahr

Am Teich sind noch immer die alten Polizisten unterwegs

Am Standbild des Heiligen Georg sehen sie jetzt aber

Mit schüchternem Blick vorüber

Im letzten Rest des Abendrotes weichen sie heute sogar

Einer Gruppe singender Kinder aus

Wind, Wind singen die Kinder, bringe Regen Wind

Auch in dieser Phase der Revolution

Ihr schwarzen Schwäne auf den fichtenbraunen Grashügeln

Habe die Bäume ihre Rinde noch

Zünden Lichter über dem Wasser

Neue Verrücktheiten in den alten Kindern an

Lange –

Lange habe ich auf diesen Herbst gewartet

Aber heute –

Heute da eines dieser Kinder am Ufer fragt

Warum der Drache so grausam gewesen ist

Beginnen sich die Münder der Passanten

Zu bewegen

Und bilden allmählich Laute über der noch klammen Zunge

Ich weiß nicht

Aus welchem Land ihr gekommen seid

Ihr schwarzen Schwäne auf den Nachthügeln –

Ob auch ihr die bleichen Geschwister zu eigen habt

Die im Aschenputtelhemdchen

Die unbegreiflichen Schläge ausgeteilt bekommen

Ob auch ihr Verjagte seid

Ob auch dort trotz der unbegreiflichen Schläge

Die Kinder es sind

Die zu singen nie aufhören

Wind, Wind, singen die Kinder, entbinde die Wahrheit, entbinde dich Wind

Die Nacht hat eure Farbe angenommen

ihr unsichtbaren Schwäne

alles ist jetzt still

In der Luft rauscht ein Gewitterwind –

In diesem Land

in dem selbst das Feuer mit kalten Füßen

zu Bett geht, sind die Menschen heiß geworden

 

(März 1990, wie ein Maler im Angesicht mit der Betrachtung, im Stadtpark Plauen)

 

Anmerkung:

Das Gedicht erschien ursprünglich in Gedichtbänden und auch bei Glossen. Hier aber “entbinde die Wahrheit” anstatt “entbinde die Wunde”.

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