Jan 2011
Andreas Altmann
besuch
das gedächtnis, wenn es eine
nach der anderen erinnerung aufgibt,
erblindet an seinen worten.
in leeren räumen tastest du dich
an der wand, die deine hände ergreift,
über türen, die du nicht öffnest,
ans fenster. blicke, die dunkel
die hell sind, weichen den augen.
an geräuschen formt sich die stimme,
die nicht über das schweigen hinaus
kommt. noch einmal gehst du
mit bodenlosen schritten durchs haus.
licht hat schatten herausgeschnitten,
für die es hier keinen grund gibt.
du kratzt an den rändern die finger auf.
jemand folgt dir verschränkt
mit den armen, dem blick. du bittest,
noch länger zu bleiben. vor dem tor
wartet das auto. der motor springt an.
das engelhafte
das zögern der augen, bevor sie ineinander
übergehen, hat immer den kopf festgehalten,
wenn sich erinnerungen zu weit nach ihm
umdrehten und der klang des schweigens
im nebelrauch aufstieg. doch der späte herbst
strich noch einmal sein mattes licht in die bäume,
das sich über mittag mit ihnen einfärbte.
ich hatte das zimmer geräumt, stand mit
den koffern am bahnsteig und sah einen zug
in der ferne, der aber nicht näher kam.
so vergingen die jahre. sätze, die ich hätte
sagen können, glänzten, wenn ich an sie dachte.
so sah ich sie. und gab sie nicht mehr aus der hand,
wie den koffer mit den bäumen und häusern
und ein paar holzengeln, denen ich die flügel
abgenommen hatte. aber ich war zu schwer
für sie und zu lange am leben. ich trug sie
hinter ihrem rücken.
das zweite meer
um den sandsee schwimmen küstenspiegel.
die scherbenblätter wurzelloser bäume treiben
im steinfeld, das am ufer in den boden wächst.
der wind drängt leichtes licht durch ihre schatten.
festgeflogen hängen laute möwen in der luft.
die baumruinen zeichnen sich im himmel,
der das land berührt. an ihnen fließt die luft
in strömen. ich höre noch das dröhnen aus den
goldnen trichtern. und seh den spatz am tubarand
für einen augenblick verweilen als sie schwieg.
und jemand leise, leiser deinen namen spricht
als wärs sein echo. die feder liegt im wasserlaub
und zupft mit trocknen spitzen an den augen
wimpern. sie hat sich gerade erst im seegras
netz verfangen. früher hätt ich sie befreit.
fabrik gelände
der weg verliert seine spuren unter den sträuchern.
vielleicht bin ich der einzige, der ihn noch geht.
das lockere holz der bäume klopft gegen den wind,
der es verstreut. die nahe fabrik ist geräumt. und
die mauern beginnen, sich ein geheimnis zu suchen.
es wird erzählt, sie haben maschinen im see versenkt.
und sein eis hätte im winter rost angesetzt.
viele, die hier gearbeitet haben, sind schon tot.
es gibt einen zaun, der an höhe verloren hat
und nur noch ein wort aus der vergangenheit ist.
die warnenden schilder wurden entfernt. ich bekomm
ihren text nicht mehr zusammen. nur einige schrauben,
durch die sie befestigt waren, stecken gebogen im loch.
die geräusche des windes entfremden sich hier.
erst an den resten des zaunes hab ich bemerkt, daß sich
der weg nur um die fabrik drehte und eigentlich keinen
ausgang hatte, wenn man sich einmal auf ihm befand.
jedes gedicht
jedes gedicht erinnert sich.
jedes gedicht fällt auf sich selbst zurück.
jedes gedicht wächst durch den spiegel.
jedes gedicht kommt sich auf die spur.
jedes gedicht hört sich sagen.
in jedem gedicht ist ein schweigen zu hören.
jedes gedicht verwandelt sich.
jedes gedicht schneidet auf.
jedes gedicht liebt ein anderes
jedes gedicht verbirgt etwas.
jedes gedicht tanzt sich etwas vor.
in jedem gedicht geht ein lied spazieren.
jedes gedicht treibt flussaufwärts.
jedes gedicht spielt eine rolle
jedes gedicht hängt am seidenen faden.
jedes gedicht hat eine narbe.
jedes gedicht wechselt die seite.
jedes gedicht sieht sich zu.
jedes gedicht hat angst vor dem tod.
jedes gedicht hat eine leiche im keller.
jedes gedicht ist ein haus.
jedes gedicht hat eine tür.
nicht jeder schlüssel öffnet eine tür.
nicht jedes gedicht ist ein gedicht.
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