Oct 2012
Volker Sielaff
Die Dinge
Es ist nur dieser kleine Ausschnitt im Hof
ein Stück Aussicht, die ich habe von meinem
Fenster. Wenn der Platz unter der Birke
verwaist ist, künden die herumliegenden Dinge
von zahllosen, vorläufig aufgekündigten
Anwesenheiten, ein alter Kessel ohne
Klang. Dann füllt er sich mit Wasser, Stimmen.
Die Kinder kommen in den Hof gelaufen, nehmen
was geduldig wartete unter der Birke, in Besitz.
Gullivers Reisen
Wer bin ich, wenn sie mich fragt
wer ich war als Kind?
Dieser, Jener, ein Dritter?
Bin ich der, der mich beschreibt,
von dem es hört aus meinem Mund,
wenn ich erzähle, von wem?
Wachse ich mir
rückwärts selbst entgegen,
verkleinere ich mich, heute
Zwerg und morgen
wieder Riese neben ihr –
der bestimmt wann es ins Bett geht,
Zähneputzen nicht vergessen?
Nicht mal dieses Foto
kann ich ihr zeigen, irgendwo
muß es ja geblieben sein
so unbeschadet aller Zweifel
daß der Dargestellte
ich gewesen sein werde,
als Kind.
Selbstporträt mit Zwerg
Unwahrscheinlich,
daß eine Leine voll bunter Wäsche
zu einem Mythos taugt, oder einem Zwerg
mit ausgeschlagenen Zähnen ein Anrecht
auf Ewigkeit gäbe, nur weil er darunter
seinen Rumpelstilzchen-Blues anstimmt,
ebenso unwahrscheinlich,
daß ehrliches Lügen oder dein lügnerisches
Schweigen aus ein und demselben
Stamm sprießen, daß deine Fragen geradewegs
in die Hölle führen, ins gelobte Land, warum also
nicht darauf antworten; seit Tagen
bringst du mich um das Wichtigste,
meine Gewißheit, dieser oder jener
zu sein, oder doch der, dem die Antworten
wie Pilze aus der Tasche fallen, unwahrscheinlich
das alles, und zuallererst, daß ich es bin,
der so, von sich selber, spricht.
Zeit
Von dieser Reise weiß ich mehr als du.
Zu klein warst du, um Bilder zu bewahren,
deine Erinnerung war noch ohne Gefäß, ganz
aufgehoben in einem Unten zwischen Bald
und Noch Nicht. Die Gänse im Domhof
zeigte ich dir, später auf Fotografien, wir
steckten unsere Köpfe durch die Gitter,
keiner war keinem im Weg, obwohl der Platz
voller Touristen war, die beglückt
auf die Gänse starrten, so als wären
sie ihretwegen gekommen, nicht
um die Sarkophage aus Marmor
in Augenschein zu nehmen, vor uns
sprudelte der Brunnen, da war ich
noch klein, sagst du, wann immer
ich dir die Fotografien zeige
von der Kathedrale La Seu, wie
kam das Licht in den Körper (deinen?)
durch die bemalten Glasfenster des Doms?,
welche Wege geht Licht, was erzählt es,
wovon wir träumen? Ich trug dich
die Straßen auf und ab, das Licht
schaukelte in uns wie eine Flüssigkeit
in einer verschlossenen Flasche, die
erst später geöffnet werden wird, beim
Betrachten der Bilder, in einem Sommer,
später.
Aus: Selbstporträt mit Zwerg, Verlag luxbooks, 2011.
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