Nov 2021

Nachruf auf John M. Spalek

von Konrad Feilchenfeldt

 

Nicht ganz überraschend kam die Nachricht aus den USA, dass John M. Spalek im Alter von 92 Jahren verstorben ist. John Spalek war einer der frühesten Vorkämpfer für die interdisziplinäre Erforschung der deutschsprachigen Exilliteratur nach 1933. Als Sohn eines polnischen Pfarrers und einer deutschen Mutter fühlte er sich bei diesem Thema nicht nur Deutschland verbunden, sondern zeit seines Lebens auch seiner osteuropäischen Heimat. Nachdem er Polen im Alter von etwa zwölf Jahren infolge der Weltlage mit seinen Eltern verlassen musste und schließlich über Belgien in die USA gelangte, kehrte er nach 1989 erstmals als Tourist wieder in seine alte Heimat zurück und erzählte hinreißend von der Zugsfahrt zwischen Warschau und Krakau, als ihn ein einheimischer Ingenieur ins Gespräch zog und er mit dem Sprachvermögen eines Zwölfjährigen immer besser wieder ins Polnische hineinkam und sogar seinen kritischen Mitreisenden damit beeindruckte.  

Nach einer zwischenzeitlich noch in Europa absolvierten Schreinerlehre konnte er in den USA ein Studium antreten, aber er studierte zunächst nicht deutsche, sondern spanische Literatur und fand nach Stationen in Stanford und an der University of Southern California in Los Angeles seinen Weg zur deutschsprachigen Kultur und Literatur in den USA. Das Zentrum seiner akademischen Tätigkeit wurde die State University of New York in Albany, wo er anfänglich zusammen mit Joseph Peter Strelka einen Forschungsschwerpunkt für die deutschsprachige Exilliteratur ins Leben rief und ausbaute. Aus dieser Zusammenarbeit ging ein zuletzt auf dreizehn Bände angewachsenes Kompendium hervor, das vom fünften Band an in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München weitergeführt wurde. Durch das Thema seiner Dissertation „Theological Problems on the Contemporary German Stage“ hatte Spalek während seines Fulbright-Stipendienaufenthalts in München  Kontakt mit dem damals in den Anfängen seiner akademischen Karriere stehenden Germanisten Wolfgang Frühwald gefunden und schon damals zusammen mit ihm das gemeinsame Interesse an Ernst Toller entdeckt und soweit gefördert, dass sie später gemeinsam die von ihnen beiden schon seit langem erhoffte Werkausgabe dieses für die Geschichte Münchens in der Räterepubkik so bedeutsamen Autors und Zeitzeugen herausgeben konnten, der nach 1933 auch im deutschsprachigen Exil noch einmal als Autor hervorgetreten ist.. 

Spalek gehörte in der internationalen Exilforschung zu den Männern der ersten Stunde, die sich bei diesem Programm dem Gebot der sogenannten Grundlagen- oder kurz „Grundforschung“ unterwarfen und dazu systematisch an der Suche nach den Hinterlassenschaften emigrierter deutscher Autoren beteiligten. Es ist sein überragendes Verdienst, dass es ihm in ganz Amerika immer wieder gelang, die schriftlichen Nachlässe einzelner Exilautoren ausfindig zu machen und sicher zu stellen und sie schließlich in die einschlägige Sammelstelle der seinerzeitigen Deutschen Bibliothek (heute Nationalbibliothek) In Frankfurt am Main zu organisieren. Seine Koffer voller solcher Akten sind Legende und Thema sogar einer Verfilmung geworden, die seine Verdienste um den Erhalt solcher Archivalien dokumentiert. Viele dieser Autoren, deren Nachlässe Spalek auf seine Weise gerettet hat, sind später in seinem dreizehnbändigen Handbuch aufgrund dieser Quellenfunde gewürdigt worden. Weitere Publikationen, mit denen er sich um die Grundforschung verdient gemacht hat, sind ein mehrbändiges Verzeichnis der Quellen und Materialien der deutschspracigen Emigration in den USA, seit 1933 und zwei Personal-Bibliographien zu Ernst Toller und Lion Feuchtwanger.  

Spalek war kein Mann, der auf äußeren Glanz und Ehrungen wertlegte, obwohl ihm 2010 zu Recht die Goethe-Medaille verliehen wurde. Er war immer bis in die letzte Faser seiner Physis von der Sinnstiftung seines Tuns erfüllt. Er war fast ständig unterwegs auf Reisen und, wo immer er eintraf, begann er zu telefonieren, und, wenn er keine Anschlüsse mehr zum Weiterreisen hatte, nahm er auch mit einfachster Unterbringung Vorlieb. Was ihn immer bei guter Laune hielt, war ein gutes Essen mit gutem Rotwein, und ein unterhaltsames Gespräch in geselliger Runde. Mit ihm ist einer der ganz unkonventionellen Gelehrten einer älteren Generation aus unserer Berufswelt abgetreten. Wir sollen und werden sein Wirken und seine Gegenwart in unserem eigensten Interesse so lange wie möglich in Erinnerung bewahren. 

 

Der Nachlass von John M. Spalek ist bei der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt/Main.

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