Oct 2024
Tanz am Kanal | Allgemeines
Inhalt und Struktur von Kerstin Hensels Tanz am Kanal
Figurenkonstellation
Zeitliche Einordnung
Inhalt und Struktur
Die Erzählung verknüpft zwei Ebenen und bettet die eine in die andere ein, weshalb von einer „Rahmen-“ und einer „Binnenhandlung“ gesprochen werden kann: Gabriela von Haßlau, die Ich-Erzählerin erinnert sich nach der Wende an ihr Leben in der DDR und schreibt diese Erinnerungen auf. Beide Ebenen sind gleichermaßen präsent. Die Binnenhandlung erklärt zudem die Rahmenhandlung.
Rahmenhandlung
Juli 1994, es ist ein Jahrhundertsommer. Die Protagonistin Gabriela von Haßlau lebt unter der Kanalbrücke in der fiktiven Stadt Leibnitz (Kofferwort aus „Leipzig“ und „Chemnitz“), ein Ort, den sie selbst „erobert“ hat. Sie findet einen blauen Bogen Packpapier und beschließt, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Gabriela versucht sich bewusst von den anderen Obdachlosen abzugrenzen: Sie achtet auf Körperhygiene, gibt sich weder dem Alkohol noch anderen Suchtmitteln hin. Sie sucht sich immer neue Materialien, auf denen sie weiterschreiben kann: Plakate, Servietten und Ähnliches mehr. Es wird Winter. Sie sucht Zuflucht im Lokal „Die Drei Rosen.“ Eines Tages wird sie von zwei Journalistinnen angesprochen, die für die westdeutsche Frauenzeitschrift MAMMILIA arbeiten. Sie wollen eine Reportage über Frauen in Not schreiben und bitten Gabriela um ein Interview. Als sie sich mit den beiden Journalistinnen in einem Hotel trifft, eröffnet ihnen Gabriela, dass sie dabei ist ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Die beiden wittern eine Sensation und versprechen, ihre Geschichte zu veröffentlichen: „MAMMILIA holt Sie aus dem Dreck!“ (S. 80). Bei Gabriela kommt Hoffnung auf. Denn auch „Semmelweis-Märrie“ stellt sie im „Drei Rosen“ zum Tellerwaschen an, sie hat jetzt also einen Job. Außerdem darf sie dort in der Seifenkammer schlafen. Polizeihauptkommissar Paffrath erscheint in der Kneipe und erkundigt sich aufgrund des Artikels in der MAMMILIA nach Gabriela. Die beiden kommen ins Gespräch. Paffrath wird regelmäßiger Besucher im Lokal. Eines Tages brechen die anderen Obdachlosen in der Kneipe ein, und Gabriela ist vor Ort. Als die Polizei kommt, hat auch Paffrath Dienst. Er nimmt sie anschließend mit in seine Wohnung. Dort kann Gabriela duschen und in einem richtigen Bett schlafen. Paffrath macht sich auf den Weg, um für sie neue Kleidung zu kaufen. Als er zurückkehrt, empfängt Gabriela ihn nackt. Es kommt zum Sex zwischen den beiden. Allerdings bleibt unklar, ob dieser übergriffig oder einvernehmlich geschieht.
Binnenhandlung
Gabriela bekommt im Alter von vier Jahren eine Geige geschenkt. Ihrem Vater, dem Obermedizinalrat Ernst von Haßlau muss sie ständig nachsprechen. In ihrer Vorstellung „gehören“ gewisse Worte den Personen, die sie sagen: Ihrer Mutter gehört „Ehlchen“, denn so nennt sie Gabriela. Ihrem Vater zum Beispiel gehört das Wort „Varizen“. Gabriela bekommt Geigenunterricht bei Frau Popiol, diese zeigt ihr gegenüber besondere, aber übergriffige Zuneigung, küsst sie sogar. Als Gabriela in die Schule kommt, wird sie von ihren Klassenkameraden wegen ihres Namens verspottet. Sie lernt Katka Lorenz kennen, die das Gegenteil von Gabriela repräsentiert. Sie stammt aus einfachsten Verhältnissen. Gabrielas Eltern verbieten ihr deshalb den Umgang mit Katka. Die Eltern feiern regelmäßig Partys für ihr „Prestiesch“ (S. 40). Auf einer der Partys lernt Gabrielas Mutter den Künstler Samuel kennen und beginnt mit ihm ein Verhältnis. Schließlich führt dies zur Trennung der Eltern, doch Gabriela bleibt bei ihrem Vater, der aber den Kummer in Alkohol zu ertrinken versucht. Gabriela ist keine wirklich gute Schülerin. Zudem ist sie kein Mitglied der FDJ und darf nicht an eine erweiterte Oberschule oder gar studieren. In der achten Klasse wird Gabriela auf dem nächtlichen Heimweg Opfer einer Vergewaltigung. Die Vergewaltiger ritzen ihr ein Kreuz in den Arm. Die Polizei schenkt ihrer Aussage jedoch keinen Glauben und wirft ihr Selbstverstümmelung vor. Da Katka auf eine andere Schule wechselt, verlieren sich die beiden Freundinnen aus den Augen. Auch die wirtschaftliche Situation der Familie verschlechtert sich und Gabriela und ihr Vater ziehen in eine Zweizimmerwohnung. Ihren Schulabschluss nach der zehnten Klasse erreicht sie nur knapp mit der Note 4. Gabrielas Vater flieht in den Westen. Als Gabriela eine Lehre zur Zerspanungsfacharbeiterin beginnt, bricht sie diese schnell ab und versucht ebenfalls zu fliehen, allerdings nicht in den Westen. Auf der Flucht wird sie von Manfred und Queck, zwei Stasimitarbeitern, aufgegriffen. Von nun an soll Gabriela Hausaufsätze für sie schreiben, ihnen also aus der Kunstszene der Stadt berichten. Dazu schicken Manfred und Queck Gabriela zu einer Veranstaltung in der Kabinettmühle. Dort trifft sie Frau Popiol, Samuel und auch Katka wieder. Katka und sie feiern gemeinsam und am nächsten Morgen erwacht Gabriela in Katkas Wohnung, nackt und übersät mit blauen Flecken. Queck und Manfred sammeln sie ein und fahren mit ihr auf einen See. Plötzlich kann sie sich erinnern: In der Nacht zuvor hatten Queck und Manfred sie vergewaltigt. Jetzt vermutet sie, dass sie sie umbringen wollen. Aus Notwehr tötet sie die beiden und flieht nach Mecklenburg, wo sie auf Bauernhöfen arbeitet. Als sie von der Wende erfährt, kehrt sie nach Leibnitz zurück, um Frau Popiol, Katka oder Samuel zu suchen. Da sie oder die Menschen, von denen sie spricht, keiner kennt, wird sie mehrfach mit Verdacht auf Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen, doch wieder entlassen. So wird erkennbar, dass Gabriela keinen Fuß mehr fassen konnte und so in die Obdachlosigkeit der Rahmenhandlung geraten ist.
Figurenkonstellation (PDF)Zeitliche Einordnung (PDF)