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Jun 27 2011

Michael Augustin

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Reisebilder

Am Abend bevor ich nach Sizilien fliege, lese ich in Goethes „Italienischer Reise“. Als ich endlich das Buch zuklappe, ist er gerade in Neapel an Bord eines Seglers gegangen und nimmt Kurs auf Palermo. Nur wenige Stunden später stehe ich genau dort, im Hafen von Palermo, an einen Laternenpfahl gelehnt und blicke Goethe über das Meer entgegen.
 
 
 

Auf der Ägäisinsel Skopelos, deren Schönheit in Verbindung mit der Tageshitze jeglichen Atem raubt, kommt mir urplötzlich die Szene aus einem DEFA-Film über Hölderlin in den Sinn, als der von einem Franzosen gefragt wird: Sind Sie Grieche Monsieur? Und darauf antwortet: Nein, im Gegenteil.
 
 
 

Im Sommer 2001 fahre ich in einem Boot einmal rund um Manhattan, das sich also zu meiner Verwunderung tatsächlich als Insel erweist. Dass ich dabei Fotos mit einer Einwegkamera gemacht habe, gerät schon am Tag danach in Vergessenheit. Zwei Jahre später, beim Wühlen in einer Tasche, stoße ich zufällig auf die Kamera und lasse den Film entwickeln. Genau wie der Film noch vorhanden war und die Kamera, sind es zu meiner Überraschung auch die Zwillingstürme.
 
 
 

In der heißgeliebten New Yorker „Old Town Bar“ komme ich ins Gespräch mit einem litauischen Fotografen, der sich selbst als Paparazzo bezeichnet und darauf besteht, mir einen doppelten Whiskey auszugeben, weil es ihm gerade als erstem gelungen ist, eine Filmschauspielerin, die alle nur als Nacktstar kennen, in angezogenem Zustand zu fotografieren.
 
 
 

Auf dem internationalen Flughafen von Harrisburg, dessen Internationalität darin besteht, dass zweimal täglich eine kleine Maschine in Richtung Toronto abhebt, werden Ende 2003 die Sicherheitskontrollen verschärft und weitere Kontrolleure eingestellt. Eine ungeheuer dicke afro-amerikanische Dame mit hochgestecktem Haar, die hinter einem massiven Schreibtisch eingeklemmt zu sein scheint, dreht, wendet und durchblättert meinen deutschen Reisepass, während sie mich mehrmals über den Rand ihrer Brille hinweg mustert, bis ich kaum noch weiß, wohin ich gucken soll. Nachdem sie nochmals mein Arbeitsvisum befingert hat, lächelt sie tatsächlich und reicht mir meinen Pass. „So, so,“ sagt sie, „Sie sind also Australier!“
 
 
 

Am Abend vor meinem Abflug aus Indonesien hat mich eine Mücke gestochen. Eine merkwürdige Vorstellung, dass dort immer noch ein mit meinem Blut gefülltes Wesen über den Reisfeldern dahinsummt, während ich bereits wieder in Bremen in einem Café sitze und mich zur Erinnerung am Arm kratze.
 
 
 

Einmal, in Indien, liefere ich mich wegen der drückenden Hitze einem Barbier aus, der mich von meinen viel zu langen Locken befreien soll. Nach getaner Arbeit fegt ein Gehilfe die gefallenen Haare nach draußen vor die Tür, wo sie aber gar nicht lange herumliegen, da sogleich zwei grünliche Vögel laut krakeelend herbeiflattern und mit reichlich Haar in den Schnäbeln einen nahegelegenen Park ansteuern, aus dem sie dann noch drei-, viermal zurückkehren, um auch den Rest davonzutragen. Der Gedanke, mein abgeschnittenes Haar könnte kleinen indischen Vögeln als Einrichtung ihrer Kinderstube von Nutzen gewesen sein, lässt noch heute mein Herz zwitschern.
 
 
 

Beim Frühstück schwärme ich gegenüber der indischen Dichterin, die zum ersten Mal Deutschland besucht, vom ostfriesischen Tee und dem dazugehörigen landestypischen Ritual. Später, als unser Bummelzug durch die Felder und Wiesen der himmelslastigen ostfriesischen Landschaft in Richtung Holland zuckelt, schaut sie die ganze Zeit angestrengt aus dem Fenster. „Und wo bitte“, fragt sie schließlich, nicht ohne einen gewissen Vorwurf in der Stimme, „wo bitte sind denn hier die Teeplantagen?“
 
 
 

Für Jorge Sagastume
Einmal, im Café der Hamburger Kunsthalle, macht mich ein argentinischer Freund auf einen alten Herrn aufmerksam, der hochkonzentriert in einer Zeitung liest, ja, geradezu vom bedruckten Papier verschluckt wird. „Das ist Borges!“ sagt der Freund voller Überzeugung. Obwohl Borges natürlich schon seit Jahren tot ist, könnte er durchaus recht haben. „Nein“, sage ich, „es könnte Borges sein, aber es ist nicht Borges, weil Borges nämlich, als er so alt war wie der Herr dort drüben, bereits stockblind war, und der Mann da liest schließlich Zeitung!“ Doch der argentinische Freund schüttelt mitleidsvoll den Kopf: „Dann sieh doch mal genauer hin!“ Tatsächlich erkenne ich jetzt, dass der Alte die Zeitung über Kopf, also falsch herum vor Augen hat und nur so tut, als würde er lesen. „Es ist Borges!“ sagt der argentinische Freund und hat wohl doch recht.
 
 
 

Im Verlauf eines langen Abends in Wien begegne ich an drei verschiedenen, aber nicht all zu weit auseinander liegenden Örtlichkeiten dem umstrittenen Bildhauer Alfred H., der sich offenbar nur deshalb fortzubewegen vermag, weil er von zwei erheblich jüngeren Frauen gestützt wird. Als ich gerade, von diesem Anblick berührt, ein wenig traurig darüber sinniere, wie sehr er doch körperlich verfallen zu sein scheint, höre ich, wie jemand mit halblauter Stimme und nicht ohne einen gewissen bewundernden Unterton sagt, die beiden jungen Frauen seien dem Alten körperlich verfallen.
 
 
 

Einmal, an einem verregneten, düsteren Abend im Dezember führe ich eine Gruppe von 46 Psychiatern, die gerade an einem Kongress in Bremen teilnehmen, zu jenem Haus in der Innenstadt, in dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts Sigmund Freud und sein Schüler C.G. Jung zu Abend aßen, um sich am darauf folgenden Tag in Bremerhaven nach Amerika einzuschiffen. Ich erzähle, dass Freud während des Essens einen Ohnmachtsanfall erlitten habe und hoffe natürlich, die 46 Psychiater mit dieser Information zu überraschen. Etwas enttäuscht muss ich aber zur Kenntnis nehmen, dass bereits sämtliche Damen und Herren über diesen Vorfall aufgeklärt sind, der in der einschlägigen Fachliteratur als sogenannter fainting incident auch längst nach allen Regeln der Kunst tiefenpsychologisch gedeutet, interpretiert und analysiert worden ist. Einer der Psychiater erzählt, der sich damals schon im reifen Alter befindliche Freud habe während des Essens geglaubt, der sehr viel jüngere C.G. Jung habe an ihm gewissermaßen einen Vatermord vollziehen wollen und sei deshalb für einen Moment in die Ohnmacht oder besser: Bewusstlosigkeit entflohen. Da ich sehe, dass die restlichen 45 Psychiater ihrem Kollegen lebhaft beipflichten, beschließe ich spontan, mir meine Interpretation, Freuds Ohnmacht sei schlicht und einfach der miserablen bremischen Küche geschuldet, zu verkneifen.
 
 
 

Ich stehe vor dem Haus in Dublin, in dem ich vor zweiunddreißig Jahren als Zweiundzwanzigjähriger gelebt habe und stelle mir vor, wie ich mich damals jetzt hier draußen am Zaun hätte stehen sehen.
 
 
 

In den letzten paar Jahren immer wieder Ausflüge und Reisen in meine Kindheit. Ernsthafte Erwägungen, mal länger zu bleiben oder dort später den Lebensabend zu verbringen. „Schickt Spielzeug“, schreibe ich nach Hause.
 
 
 


Mit freundlicher Genehmigung aus:
Michael Augustin
Der Bahnhof fährt ab
Reisebilder

Mit Holzschnittminiaturen von Michael Wolgemut
Edition Temmen
Hohenlohestraße 21
28209 Bremen
Tel.: 0421/348 43-15
Fax: 0421/34 80 94

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Jun 27 2011

Katharina Born

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Die Panne des Fremden (Juni 1865)
An einem der wenigen Sonnentage im regnerischen Juni von 1865 hatte in der Melsbacher Hohl unterhalb der Kirche ein junger Herr mit seinem Landauer eine Panne. Der glänzende Wagen machte noch mit gebrochener Vorderachse und schief am matschigen Fuß der Hüh stehend, großen Eindruck auf die herbeigekommenen Dorfbewohner. Der Herr selbst trug einen samtblauen Gehrock und war von so offensichtlich städtischer Eleganz, dass keiner der jungen Männer, die auf dem angrenzenden Feld mit dem Ausbringen von Mist beschäftigt waren, es wagte, ihm zu helfen. Er hatte aussteigen müssen, um das Pferd zu beruhigen, was ihm sichtlich schwerfiel, so aufgebracht war er. Als seine glanzledernen Stiefel im Schlamm versanken, begann er laut zu fluchen.
Die Mädchen kehrten gerade vom Markt in Arlich zurück und sahen schon von weitem den Wagen. Die großen leeren Körbe im Arm, liefen sie über den matschigen Waldpfad aus der Hohl heran, um den Fremden genauer zu besehen. Die Jungen, die nun ebenfalls vom Kurtenacker herbeigerannt kamen, fingen in ihrer Aufregung an zu johlen und die Mädchen zu zwicken. Diese aber kicherten beim Anblick des jungen Herrn nur noch nervös, senkten den Blick und versuchten ihre von den Waldbeeren blaugefärbten Hände hinter den schmutzigen Röcken zu verstecken.
Allein Irma stand wie angewurzelt da und beobachtete den schimpfenden Mann, seinen schnaubenden Braunen, die blitzende Kutsche und den schönen Rock. Schnapp sprang um das Mädchen herum und bellte den Wagen an. Langsam öffneten sich Irmas Lippen. Aber sie schlossen sich sofort wieder, als der Mann sie ansah.
Im Jahr 1865 war Irma Wittlich dreizehn Jahre alt. Zwar hatte sie, wie alle ihre Geschwister, die Wittlich’schen Ohren, das starke Kinn und die etwas zu große Nase. Was bei den anderen aber zu dem ärmlichen, hohläugigen und dümmlichen Ausdruck geführt hatte, für den die Familie bekannt war, verschmolz in Irmas Gesicht zu einer extravaganten Schönheit, einer gebrochenen Harmonie.
Die Wittlichs hatten nie Glück gehabt. So lange man sich in Sehlscheid erinnern konnte, waren sie Trinker gewesen, raubeinige, brutale Bewohner der Lehmhütte auf der Hüh, die es mit ihrem kleinen, unfruchtbaren Stück Land nie weiter brachten als ihre Väter. Jeden Morgen mussten die Töchter dem Alten den Eimer ans Bett bringen, denn bevor er den Kopf ins kalte Wasser getaucht hatte, durfte niemand das Wort an ihn richten. Abends umwickelten die Großen den Kleineren mit Lappen die Füße, damit die Ratten nicht an ihnen fraßen. Sie bauten Kohl und Kartoffeln an, zogen Kaninchen und Ziegen. Aber allein mit dem Verkauf von Heidelbeeren im nahegelegenen Arlich konnte die Familie Vorräte für den langen Winter anlegen.
Meistens trug Irma die schweren Körbe in die Stadt, weil sie bei den Händlern, die aus den Beeren den bekannten Westerwälder Morbelswein machten, mit ihrem hübschen Lächeln ein paar Pfennige mehr bekam. Nie wurde sie den Geschwistern vorgezogen, und sie drückte sich vor keiner der Arbeiten. Allein die große Anhänglichkeit des Hundes Schnapp, schon der dritte seiner Art, seit Irma in der dunklen Hütte geboren worden war, sprach für ihre besondere Stellung in der Familie. Und auch in der weiteren Umgebung war sie bekannt, denn das Mädchen galt noch bis ins Aulbachtal hinein als der lebende Beweis für ein völlig unverdientes Glück.
„Wie alt bist du“, fragte der fremde Herr mit jäher Dringlichkeit. Alles Necken und Johlen verstummte sofort.
„Dreizehn“, sagte Irma, ohne den Blick abzuwenden.
„Wo wohnst du?“
„Auf der Hüh.“
„Wie heißt dein Vater?“ Nun begann das Kichern um die Kutsche herum von neuem.
„August Wittlich“, sagte sie.
Inzwischen näherten sich auch die Männer dem kaputten Gefährt. Bauer Gehrke nahm mit entschiedenem Griff den Braunen am Zaum, so dass der Herr einen Schritt zurück auf die grasbewachsene Böschung tun konnte. Der alte Brink machte sich an der Vorderachse zu schaffen, und von weitem sah man auch schon den Gemeindevorsteher und den Lehrer herankommen, die allein über die Worte verfügten, mit dem Fremden angemessen zu sprechen.
Es stellte sich heraus, dass der junge Mann aus dem linksrheinischen Koblenz stammte und ein Verwandter des Besitzers der Walzwerke in Arlich war. Johann Georg Vahlen, der Neffe des Fabrikanten Sebastian Gotthelf Vahlen, befand sich auf dem Weg zur Jagdpacht seines Onkels.
Der Gemeindevorsteher Lacher ließ es sich nicht nehmen, den Herrn, dessen Familie zu den wichtigsten des unteren Westerwaldes gehörte, über die neuesten Zahlen der Dorfgemeinschaft zu Viehstand, Feuervorkehrungen, Forstwirtschaft und Bevölkerungswachstum zu unterrichten. Als das Pferd aber abgeschirrt, die Reparatur des Landauers organisiert und der Fremde mit einer eilig aus der Pfarrei beschafften Kleiderbürste vom schlimmsten Dreck befreit worden war, bat Vahlen als erstes, man möge ihn zu einem Gasthaus führen.
„Verzeihen der Herr“, sagte der Lehrer. „Es gibt in Sehlscheid kein Gasthaus. Wenn Sie mit der Lehrerstube vorlieb nehmen könnten, lade ich sie gerne auf ein Glas Morbelswein zu mir ein.“
Nachdem er vier Gläser des dunklen Waldbeerenweins geleert hatte, hielt der Fremde den Zeitpunkt für gekommen, den Lehrer nach Wittlich zu fragen. Schütz, der sich gerade ausmalte, wie im Dorf über die unerwartete Ehre gedacht wurde, die ihm durch den Besuch des Fremden zuteilwurde, und dessen Blick vom reifen Wein bereits aufs angenehmste verschwamm, verstand die Frage sofort. Auch er kam von außerhalb und kannte als Mann des Wortes und der Bildung durchaus die neueren Moden, Gesprächsthemen und Gepflogenheiten der städtischen Bevölkerung. Er hatte gleich gesehen, dass er es bei dem jungen Vahlen mit einem Lebemann zu tun hatte, dessen Interesse sicherlich eher den Frauen, der Jagd und dem Wein galt als der Politik.
Vor vier Jahren war Schütz aus Düsseldorf angereist, um vom alten Lehrer Fuhr, der wegen Trunksucht entlassen worden war, die Dorfschule im Gebück und die angrenzende Wohnung mit Gemüsegarten und Obstbäumen zu übernehmen. Als er Irma zum ersten Mal in seiner Schulklasse sah, kannte er außer dem Pfarrer, dem Gemeindevorsteher und der Frau Gehrke, die ihm täglich von einer ihrer Töchter ein warmes Mittagessen bringen ließ, niemanden im Dorf. Schütz nahm zunächst an, das hübsche Mädchen wäre das Kind eines der wohlhabenderen Bauern aus dem Unterdorf oder komme von außerhalb. Doch Irmas dünngewordenes Kleidchen, das ihre langen, fast durchsichtig weißen Beine nur bis zu den Knien bedeckte, ihr von einem ausgeblichenen Band zusammengehaltenes Haar wiesen darauf hin, dass sie über das in Sehlscheid übliche Maß hinaus arm war.
Von Anfang an hatte Schütz dem seltsamen Kind die größtmögliche Aufmerksamkeit geschenkt. Irmas hatte schnell Fortschritte im Lesen und Schreiben gemacht. Und als sie mit elf aus der Dorfschule entlassen werden sollte, hatte Schütz all seinen Mut zusammengenommen, war zu ihrem Vater auf die Hüh gestiegen und hatte August Wittlich vorgeschlagen, seine Tochter als erstes der Mädchen im Dorf nach Arlich auf eine weiterführende Schule zu schicken.
Wittlichs Trinkergesicht hatte sich im selben Augenblick verwandelt. In die abstehenden Ohren war das Blut geschossen. Seine Lippen hatten über dem Kinn zu zittern begonnen. Schütz war nicht sicher gewesen, ob der Mann Angst hatte oder ob er wütend war.
„Niemals“, hatte Wittlich gestammelt. „Das Irma geht nicht weg. Das bleibt hier.“ Beim letzten Satz war aus den zögernden Worten ein Grollen geworden.
Wittlich, soviel war Schütz sofort klar, ging es nicht darum, dass Irma für die Familie die Heidelbeeren zu verkaufen hatte, dass sie wie ihre Schwestern die Ziegen zu hüten, die Kartoffeln zu klauben und den Kaninchen das Fell abzuziehen hatte. Es ging nicht um die Angst, Schulgeld zahlen zu müssen oder im Dorf für Neid und Missgunst zu sorgen. Gegen diese Einwände hätte der Lehrer, der immerhin in Düsseldorf das Seminar besucht hatte, Argumente bereit gehabt. Er musste sich eingestehen, dass er sich ausgemalt hatte, Irma werde eines Tages als kluge, bescheidene, mit haushälterischen Kenntnissen ausgestattete Frau in großer Dankbarkeit zu ihm zurückkehren. Der alte Wittlich hatte verstanden, dass der Lehrer ihm seine Tochter wegnehmen wollte. Und Schütz wiederum hatte verstanden, dass Irmas Vater in dieser Sache das letzte Wort behielt.
„Der Alte Wittlich ist ein Säufer“, sagte Schütz. „Er hat alle Mühe, die Münder seiner sieben Kinder satt zu kriegen. Drei Pfennige bekommen die Mädchen für das Pfund Heidelbeeren in Arlich – für das, was der Vater nicht selber zu Schnaps brennt.“ Der Lehrer tippte gegen sein Glas.
„Ich interessiere mich für seine Tochter“, sagte der Herr geradeheraus, so dass den Lehrer Angst ergriff. Doch gleich fasste er sich wieder, weil er meinte, das sicher ohnehin nur oberflächliche Interesse des reichen Städters bremsen zu können.
„Eine müsste im heiratsfähigen Alter sein…“
„Sie ist dreizehn.“
„Irma“, entfuhr es Schütz, und als hätte Vahlen das nicht gerade gesagt: „Sie ist erst dreizehn.“
„Sehr hübsch“, sagte der andere. „Ich komme wieder, wenn sie sechzehn ist. Richten sie das August Wittlich aus. Und geben sie ihm das hier.“ Er ließ einen Taler auf den Tisch rollen und sah Schütz prüfend an. Dann zog er einen zweiten und einen dritten Taler aus der Tasche und stapelte sie neben der anderen Münze übereinander. „Das ist für ihre Umstände“, sagte Vahlen und ging.
Nach einer durchwachten Nacht machte sich der Lehrer am Morgen auf den Weg, um den Auftrag auszuführen. Ein Hahn krähte. Vor den Häusern im Unterdorf hängten junge Mädchen ihre Wäsche zum Trocknen auf. Die Frauen am Burplatz schwatzten über den schönen Rock des Fremden. Ansonsten war mit seiner hastigen Abfahrt und einigen Talern für den Gemeindevorsteher und den Bauern Gehrke, der die Reparatur des Landauers übernommen hatte, im Dorf wieder Ruhe eingekehrt. Die Sonne schien warm auf die aufgeweichten Wege. Die Waldhänge standen dampfend über den Feldern des Aulbachtals. Das Tosen der Obermühle drang bis zum Marktplatz vor.
Als Schütz mit pochenden Schläfen, den Morbelswein noch in allen Gliedern, den glitschigen Pfad zur Hüh heraufkam, empfing ihn der Hund mit aufgeregtem Bellen. Schütz trat das Tier beiseite. Dann fiel sein Blick auf die kleine Wittlich, die mit traurigen Augen und einem geheimnisvollen Lächeln eine Ziege hinter sich herzog.
„Guten Morgen, Herr Lehrer“, sagte sie.
„Guten Morgen, Irma“, sagte Schütz, den die unerwartete Begegnung aus dem Konzept brachte. „Ist dein Vater auf dem Acker?“
„Im Haus.“ Irma zeigte auf den mit Sacktuch verhängten Eingang. Sie lächelte noch immer, die Sonne auf den Wangen, als wäre dieses matschige, mühsame Leben, wie sie es nie anders gekannt hatte, nur eine Übergangslösung, die Vorbereitung auf eine entfernte, schönere Zukunft.
„Danke, Irma.“ Er sah lange in ihre Augen. Und in diesem Moment wuchs Schütz, der sich bisher nicht klar darüber gewesen war, was er dem alten Wittlich tatsächlich von Vahlens Vorhaben sagen wollte, über sich hinaus. Als er Irmas Lächeln sah, nahm der Lehrer sich feierlich vor, alles zu tun, um ihr das Fortkommen aus Sehlscheid zu ermöglichen.

Wer ist Peter Vahlen? (Januar 1967)
Die Kundgebung hatte bereits angefangen, als Gellmann dazustieß. Er nickte Seeler und Kolpers zu, die weiter vorne auf den Tischen saßen und rauchten. Der Mann hinter dem Pult war ein langhaariger, bebrillter Student der Geschichte. Gellmann hatte ihn schon einmal gesehen. Er konnte nicht reden. Spuckend sprach er von der „marxistisch-leninistischen Grundordnung“, vom „aufrechten Gang“ und von der „Revolution“. Aber nach spätestens drei Sätzen merkte jeder, dass er nichts von all dem begriffen hatte.
Gellmann sah einige Mädchen beim Eingang stehen und ging zu ihnen hinüber.
„Läuft das schon lange so?“ flüsterte er der Blondine neben sich ins Ohr.
„Schon eine ganze Weile“, sagte sie gelangweilt.
„Hast du Lust, mit vor die Tür zu gehen?“ Die Frau schien Gellmann plötzlich sehr begehrenswert.
„Nein, ich warte auf den nächsten“, sagte sie.
Gellmann verdrehte die Augen. Er hörte dem Studenten noch eine Weile zu, damit es nicht wie ein Rückzug aussah. Dann kämpfte er sich weiter nach vorn in Richtung Seeler.
„Hast du eine Zigarette für mich?“
„Hast du die Handzettel?“
„Nicht gedruckt, wenn du das meinst. Ich habe ein paar Texte mitgebracht. Was einfaches mit Pointe und so. Sollte funktionieren. Drucken müsst ihr selber.“
„Praxis, Mann, Praxis“, sagte Seeler.
„Ist das etwa keine Praxis?“ Gellmann reichte ihm einen Packen zerknitterter Zettel, die er in der Hemdtasche getragen hatte.
Jetzt lief der nächste Redner auf die Bühne zu – ein großer, verdrießlich aussehender Typ mit halblangen Haaren und abgewetztem Jackett. Als er das Treppchen hochstieg, stolperte er und fiel fast hin.
„Das ist Peter Vahlen aus Frankfurt“, sagte Kolpers an Seeler gewandt.
„Wer ist Peter Vahlen?“ fragte Gellmann.
„So einer wie du. Bloß effektiver.“
Gellmann überlegte kurz, ob er die Beleidigung ernstnehmen sollte. Kolpers war einer der Asta-Sprecher. Er fühlte sich zuständig für die Verbindung der Universität mit den Arbeitern. Aber vor allem hatte er schon mehrere wichtige Partys organisiert. Gellmann grinste und wollte einen Witz machen, als Kolpers ihn mit einer Geste in Richtung der Bühne unterbrach.
„Es geht los.“
Der Typ räusperte sich und ruckelte umständlich am Pult herum. Seine Schultern waren hochgezogen, trotzdem wirkte er gelassen. Gellmann hatte ihn noch nie gesehen. Aber den Namen Vahlen meinte er schon einmal gehört zu haben.
Er sah zu der Blondine herüber, die den neuen Mann auf der Bühne nicht aus den Augen ließ. Aus der Ferne hatte sie eine ziemlich dicke Nase und gar keine Brust. Sie flüsterte ihrer Freundin etwas zu. Ihre Freundin lächelte. Sie hatte ebenfalls hellblondes Haar, war aber schlanker und hatte feinere Züge. Sie sah großartig aus.
„Scheiße“, sagte Gellmann leise.
Jetzt faltete der Typ ein Blatt Papier auseinander, zog eine halbleere Flasche Bier aus seiner hinteren Hosentasche und nahm einen langen Schluck. Er las eine Geschichte. Irgendetwas von einem jungen Paar, das kein Hotelzimmer bekommen konnte, weil es nicht verheiratet war. Und am Ende sagte er, wenn diese Gesellschaft es weiterhin verbot, dass Menschen, die sich liebten, zusammen sein konnten, dann werde das ganze autoritäre Scheißsystem trotz der Springerpresse und trotz des imperialistischen Vietnamkriegs bald von allein zusammenbrechen.
Vahlen würde Recht behalten. Das dachte Gellmann an diesem späten Morgen im Januar 1967. Und vielleicht konnte Vahlen mit seinen schlichten, einleuchtenden Ideen sogar dazu beitragen, dass es so kommen würde. Vielleicht mehr als Gellmann, der halbherzig Sprüche für Fabrikarbeiter verfasste und mit dem revolutionären Straßentheater durch die Republik tingelte. Seit Wochen fanden an den Berliner Universitäten keine Vorlesungen mehr statt. Von morgens bis abends wurden neue Formen des Zusammenlebens debattiert. Aber, dass ausgerechnet hier alle Blicke an Vahlens Lippen hingen – ein Typ aus Frankfurt, der einen drittklassigen Text vorlas, als ob es Ibsen wäre – darüber kam Gert Gellmann nicht hinweg.

Die Erfindung des Glücks (Juli 1973)
Die Buchstaben reihten sich in lockerer Folge auf das Papier. Das rhythmische Tackern der Schreibmaschine, ein leichtes Schmatzen der Metallgelenke, wenn er genau hinhörte, nie ganz regelmäßig, mit Verzögerungen am Anfang eines Satzes oder längeren Wortes, wie ein Tanz. Vahlen schrieb. Die Sätze sammelten sich in seinem Kopf.
Draußen dämmerte es. Eine feine Linie aus Helligkeit bildete sich zwischen dem klaren Schwarz des Himmels und den dunklen Anhöhen am anderen Ende des Aulbachtals. Langsam begann sich die Hügelkette abzusetzen, schimmerte bläulich vor der nun heller werdenden Wolkenmasse, bis das Licht, als Vahlen das nächste Mal aufblickte, plötzlich überzuborden schien. Die Sonne zog kreuzförmige Strahlen über die Horizontlinie, tauchte das Tal mit den Streuobstwiesen, den Feldwegen und Böschungen in glitzerndes Licht.
Vahlen wandte sich von der Maschine ab, um mit dem Bleistift zu notieren, was er sah. Er genoss das Arbeiten im Glasanbau, der ihn ganz einhüllte in das wechselnde Wetter, in die Nacht und den Tag und den Augenblick.
Gestern hatte die Sommerhitze während seines Spaziergangs am Nachmittag drückend über den Wiesen am Waldrand gelegen. Die Pferde auf ihren Weiden erwehrten sich schweifschlagend der Fliegen und Bremsen. Am Weg wuchsen Himbeeren, deren Kerne noch nach Stunden zwischen seinen Zähnen steckten. Er konnte nicht genug bekommen von dieser Landschaft, die nach jeder Biegung einen neuen Blick eröffnete, die alten Bäume, das wuchernde Unterholz. Dieses Leben der langen Wege, um das er die Bewohner der Gegend beneidete, wenn er sie langsam, in einer Kleidung, die vor allem als Schutz gedacht war, an den Zäunen entlang über die Felder laufen sah. Ihr Gehen war immer mit einem Ziel verbunden, einer notwendigen Tätigkeit, während Vahlen noch überlegte, ob er geradeaus laufen oder abbiegen sollte. Irgendwann endete sein Weg an einem Brombeergestrüpp, einer Müllkippe. Kleine Fliegen und Mücken stürzten sich auf ihn, so dass er umkehren musste.
Vahlen hörte Hella hereinkommen. Sie musste ihn gesucht haben, nachdem sie das Bett neben sich leer gefunden hatte. Still setzte sie sich zu ihm, um die neuen Seiten des Manuskripts zu lesen. Er sah ihr einen Moment lang dabei zu. Die vollen Brüste, der runde Bauch, an dem sie nun immer schwerer trug, verliehen ihr schon jetzt etwas Mütterliches. Ein süßlicher Geruch nach Schlaf und Vertrautheit verbreitete sich im Raum, und mehr als Hellas Anwesenheit war es dieser Geruch, der Vahlen wie ein unerwartetes Glück durchdrang.
Er wandte sich wieder der Maschine zu. Mehrere der Gedanken, die er jetzt hatte, musste er verwerfen, weil sie zu kitschig waren, um aufgeschrieben zu werden, weil sie über dieses eine, echte Gefühl nicht hinausgingen.
Natürlich müsste eine gute Geschichte ein Stück Wirklichkeit zusammenhalten, etwas entstehen lassen, bestenfalls etwas berichtigen. Nichts schien Vahlen so ausschlaggebend für einen Text wie seine Beziehung zur Realität, nichts schien ihm schwieriger festzumachen. Aber im Einzelnen war dieses Verhältnis unwichtig. Es galt im Ganzen, im Prinzip. Vahlen hatte sich immer geärgert über Gellmanns Chiffren und direkte Verweise. Er hatte kein Interesse an Schlüsselromanen. Er spürte auch nicht mehr das Bedürfnis, mit seinen Texten die Gesellschaft zu verändern. Er wollte ein Buch lesen, als das, was es ist – ein Stück Kunst, ein Kunststück.
Zum ersten Mal stellte Vahlen sich nicht mehr die Frage, was ihn zum Schreiben berechtigte. Was ihn von den anderen unterschied, die lebten, ohne mitzuschreiben, ohne den Blick auf das Detail zu richten, ohne jeden Konflikt in Gedanken zuzuspitzen. Jetzt, wo seine Beziehung zu Hella mit der Schwangerschaft einen Fluchtpunkt gefunden hatte, – und sei er in der Weite des Universums noch so klein und unbedeutend – fürchtete er sich nicht mehr, konnte sich nicht mehr fürchten, vor dem spurlosen Verschwinden.
Immer weiter reihten sich die Buchstaben aneinander, die noch rohen Sätze, in täuschend gleichmäßigen Linien. Er tippte eine letzte Zeile auf die Seite, bevor er ein neues Blatt einspannen musste. Diese Geschichte war alles andere als gradlinig. Sie war ihre Geschichte. Seine und Hellas, und die ihres Kindes. Sie war der Beginn eines neuen Lebens.


Mit freundlicher Genehmigung aus: Katharina Born, Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte. München: Carl Hanser Verlag, 2010. 272 Seiten.

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Jun 27 2011

Harri Engelmann

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Rinderschädel und Priesterbärte
Ein Traktat über das Alphabet und das Verfassen von Texten

Im Autoradio plauderte ein Komponist über seine Arbeit. Die Musik, sagte er, sei die abstrakteste aller Künste. Eigentlich hätte ich das hinnehmen müssen. Stattdessen machte ich: „Mhm“. In mir regte sich der „Besserwisser“- eine Folge davon, dass ich mir durchs Bücherschreiben viel aneignen muss. Zugegeben: es ist ein oberflächliches Wissen. Trotzdem kam mir Prokofjew in den Sinn, wo zum Teufel ist da was abstrakt? In „Peter und der Wolf“ imitieren die Instrumente menschliche Stimmen. Und was ist gegenständlicher, als Filmmusik? Kaum einer, der es nicht schon mal vernommen hat: das Anschwellen der Töne bei Gefahr. Ihr hektisches Klingen, unterlegt von einem tiefen, mitunter grummelnden Bass. Oder wie in dem Film „Das Boot“: der Synthesizer gibt vor, ein Echolot zu sein, und der Rest der Instrumente verfällt ins Stakkato, erzeugt Klangbilder – ein nächtlicher Angriff, das Stampfen des Diesels. – Worauf will ich eigentlich hinaus? Darauf: Zählt man die Literatur mit ihren Sparten, Lyrik sowieso, zu den Künsten, kommt man nicht umhin, ihr diesen Superlativ einzuräumen. Was in aller Welt ist abstrakter als Sprache?

Das Alphabet wurde vor etwa 3500 Jahren erfunden, und zwar nur einmal in der Geschichte der Menschheit. Die Abweichungen resultieren aus tausendfachen Kopien. Die Null beispielsweise, die der Mathematik auf die Sprünge half, wurde zu verschieden Zeiten und an verschiedenen Orten mehrfach „entdeckt“ – wahrscheinlich ein Gebot der Logik. Schrift scheint sich ihr zu entziehen. Sprachforscher meinen, das Wort Kultur hätte ebenso auch Klutur oder Rutluk heißen können. Da die Buchstaben aus Piktogrammen entwickelt wurden, ist das Werden kaum noch nachvollziehbar. Oder vermutet jemand bei dem Buchstaben A, dass er sich aus der Alt-Ägyptischen Hieroglyphe, die einen Rinderkopf darstellt, entwickelt hat? Vermutlich erst, wenn man es weiß und den Buchstaben auf den Kopf stellt: da, zwei Hörner! Und, mit einiger Phantasie, ein dreieckiger Rinderschädel. Aus der Schlange wurde ein N. Da verwundert es kaum noch, dass unser schönes rundes O eigentlich mal ein Auge darstellte, eine aufgepumpte Pupille sozusagen. Ein stilisierter Priesterkopf mit abstehendem Bärtchen wurde im Feuer der Sinai-Schrift, der Moabitischen Stein- und Siegelschrift, des Früh-Phönizischen solange geschmiedet, bis er, längst erkaltet und starr, als unser R im Lateinischen ankam. Nunmehr das „Gesicht“ nach rechts gewendet und darunter das „Bärtchen“, es hatte überlebt. Und wenn einer „R“ainer heißt, hat der vermutlich mit einem Priester eben sowenig gemein wie ein Komponist mit einem U-Boot-Diesel. Als alle Buchstaben in Rom angekommen waren, musste jeder sein eigener Paläograph sein. Denn die frühen lateinischen Schriften sahen so aus: meinstduwirklichichsolldiesenmistlesen

Warum ereifere ich mich eigentlich? Musik hat mein Leben begleitet; es gibt Stücke, die, sobald sie erklingen, meine Erinnerungen wecken. Türen scheinen sich zu öffnen, Orte, sogar Landschaften werden „sichtbar“, Menschen nehmen durch sie Gestalt an. Trotzdem wird mein Leben durch ein anderes Wunder bestimmt: ich schreibe. Was lässt mich seit über dreißig Jahren, mehr oder weniger fortdauernd, am Schreibtisch ausharren? Ein starker Impuls ging vom Lesen aus: sowas kommt von sowas. Weitaus stärker aber war die Kraft äußerer Turbulenzen, die in mir den Wunsch weckten, mich zurückzuziehen, mich auf mein Inneres zu bescheiden. Die ersten Texte ähnelten Resümees; als müsste ich zusammenfassen, was in meinem bisherigen Leben geschehen war, die Wirbel sozusagen bannen. Wörter und Sätze waren lediglich Mittel, die ich nach Instinkt verwendete. Aber wie ein Tischler, der irgendwann in seinem Berufsleben damit beginnt, liebevoll über ein Brett zu streichen und sich dessen Maserung schärfer betrachtet, schaute ich mir die Wörter genauer an. Bemerkte, dass es deren so viele gibt, um einen einzelnen Gegenstand oder eine Sache zu bezeichnen. Und dass es an mir lag, die Auswahl so zu treffen, dass mein Anliegen deutlicher wurde. Und dass es mit der Deutlichkeit weiß Gott nicht sein Bewenden hat. Reichtum und Schönheit erschlossen sich mir. Wie Jemandem, der sich auf einer Wiese niederlässt, womöglich ein Vergrößerungsglas benutzt und zwischen den Gräsern eine verborgene Welt entdeckt: Käfer, Spinnen, Ameisen, Milben sogar. Die in der Vergrößerung ahnen lassen, was für ein Mirakel Leben sein kann. Denn Wörter leben und verändern sich und sind noch in ihrem Widerspruch beeindruckend: rasten und rasten – Stillstand und Raserei. Untiefe: bezeichnet die Tiefe und das Flache gleichermaßen. Setzt man Wörter kalkuliert zusammen, auf Wirkung bedacht, geschieht ein weiteres Wunder: Landschaften, Orte und Räume „entstehen“, imaginär zwar, jedoch irgendwie verfügbar. Wie einem Schöpfer. Er kann den Kiosk gegenüber vom Bahnhof „löschen“ und ihn in die Schlossallee setzen. Er kann aufbauen, einreißen, Streit entfachen, Kriege anzetteln und lustige Grillabende veranstalten. Keine Macht außer der eigenen Sterblichkeit vermag ihn zu stoppen. Selbst der Leser nicht, der pikiert die Stirn runzelt: Eine Würstchenbude in der Schlossallee?

Rom ging unter, neue Reiche entstanden, versanken ebenfalls, um anderen Platz zu machen – Schriften und Sprachen blieben. Erst als der Buchdruck aufkam, war es dem Ehrgeiz der Drucker zu verdanken, den Text rasch und leserlich zu gestalten: sie gebrauchten Satzzeichen. Noch sporadisch und ohne Übereinkunft. Bis Luther die Bibel übersetzte und nicht nur Epigonen aufstachelte – die Zahl der Leser erhöhte sich. Und die der Dichter und Schriftsteller. Aber wie dem auch sei: wir landen wieder bei unserem Komponisten. Was ist abstrakter, als mit Abstraktionen, die wiederum aus Abstraktionen entstanden, aus Codes also, irgendwie vergleichbar mit Binärzahlen, Welten zu erschaffen? Eine 1 ist ein Strich mit einem „Bärtchen“, die 0 ähnelt der Pupille. Und doch gelang es mit Hilfe dieser beiden Zahlen Bilder zu fabrizieren – sogar farbige. Auf Fernsehbildschirmen flimmern wahrhaftige Bäume vorbei, und der Mond taucht hinter Wolken auf, verströmt sein fahles Licht. Millionen Menschen können es bekräftigen: Ja, so sieht unsere Welt aus. Hielte man ihnen jedoch ein Schild vor die Nase, auf dem das Wort Mond stünde, wäre die Wirkung weniger spektakulär, aber weitaus beeindruckender. Denn in jedem dieser Gehirne würde wahrscheinlich sein Bild aufflammen. In millionenfachen Varianten: als Scheibe, groß und gelb wie ein Käse, als Sichel: links oder rechts offen, oben oder unten, hinter einem Berg abtauchend, kraftlos hinter Wolken schimmernd, bläulich, weißlich grau … Nehmen wir mal an, die Musik ist aus dem uns innewohnendem Gefühl für Rhythmus entstanden, dirigiert von unserem Pulsschlag und dem Bestreben, uns in Harmonien mit anderen zu verbinden. Dann kann man auch sagen, die Fähigkeit Laute auszustoßen und sie nach und nach verständlicher zu machen, entsprang einer unermesslichen Angst. Übersetzt könnten die ersten Wörter diese gewesen sein: Lauf! Komm! Dort! Schau! Jetzt! – Wir waren Jäger und Gejagte.

Jetzt sind wir Zahnärzte, Mechaniker, Computerspezialisten, Stahlarbeiter und dergleichen mehr. Und wir haben den wundersamen „Apparat“, den wir Sprache nennen, übernommen, ohne uns groß darum zu scheren, wie er geworden ist. Wir reden, kritzeln schnell was auf einen Zettel, schreiben Tagebücher, verfassen Bewerbungen, Kündigungsschreiben, verschicken Briefe, E-Mails und Postkarten. Auf einer solchen könnte stehen: Zum Geburtstag wünsche ich dir alles erdenklich Gute. Viel Kraft für deinen weiteren Lebensweg, und vor allen Dingen Gesundheit! Dein dich liebender usw. Denn es erfordert Konzentration, um unsere wahrhaftigen Gedanken auszudrücken. Auch deshalb gibt es die Floskel: sie signalisiert mitunter unsere Wertschätzung mithilfe von „Bausteinen“, die unser Denken nicht strapazieren. Die Dichter unter den Kartenschreibern drücken sich so aus: Ja, mein Lieber, und wieder ist ein Jahr vergangen. Ich sehe dich noch vor mir: in kurzen Hosen und eine Eistüte in der Rechten – erinnerst du dich? Wir standen in Saßnitz vor der Eisbude und du verzogst das Gesicht. Und unser Vater schimpfte: früher hätte er nicht mal gewusst, was Speiseeis ist. Und jetzt habe er einen Sohn, der meine, das Eis schmecke nach Wasser … Weißt du was, lass dir an deinem Geburtstag ein Eis servieren und denke an unseren toten Vater …

Meine Behauptung: Niemand zieht sich einfach so in ein Loch zurück und macht sich auf den langen Weg, literarische Texte zu verfassen. Der Grund dafür ist, neben der Lesewut, der-hoffentlich- überbordenden Beobachtungsgabe, der möglichen Fähigkeit zu deuten, meistens eine seelische Erschütterung: eine mehr oder weniger große Katastrophe, ein Zwiespalt im Wesen, Unbehagen mit der Gesellschaft oder mit sich selbst. Grass erlebte den Zusammenbruch und litt am Heimatverlust. Thomas Mann vermutlich darunter, dass seine sexuelle Ausrichtung mit seiner Bürgerlichkeit kollidierte. Kafka scheiterte an seinem Vater und an der eigenen Umständlichkeit, Hans Fallada an fast allem gleichzeitig. Die Sucht, die ihn befähigte, in wenigen Wochen einen Roman zu vollenden, trieb ihn auch dazu, sich danach wochenlang zu betrinken. Toll, könnte da einer weinerlich dazwischenrufen, letztens ist mir die Frau durchgebrannt und betrinken kann ich mich allemal – reicht das für ein Gedicht? Es gibt diesen Spruch: Geschichten erlebt nur der, der sie erzählen kann. Und erzählen kann nur jemand, der nicht gleichzeitig weint. Denn wenn hier einer weint oder lacht, dann unbedingt der Leser. Der Vorgang des Niederschreibens hat in der Regel weniger mit Dramatik zu tun; sieht man von der Schreibweise Balzacs ab, dessen Manuskripte heute noch in Paris zu bewundern sind: voller verwischter Kaffeeflecke. Es ist das Kalkül, dass über den Fortgang wacht, dass Formgefühl, dass über allem schwebt; und ist das Tempo auch noch so rasant: die Zügel haben fest in der Hand zu liegen. Oder die Hände bleiben am Lenkrad, wie jeder Dorfpolizist weiß. Schopenhauer verglich das Schreiben mit einer Treibjagd, bei der das Wild zuvor eingefangen und eingepfercht worden ist, um es nachher in Haufen herausströmen zu lassen, in einen anderen umzäunten Raum, wo es dem Jäger nicht entgehen kann. So dass er jetzt bloß mit dem Zielen und Schießen, der Darstellung, zu tun hat.

Heißt das Fazit, Schriftsteller sind lebensuntüchtig? Ein kurzer Seitenblick auf Goethe belehrt uns eines Besseren. Obgleich: was für ein kindlicher Zug, sich als Greis in ein blutjunges Ding zu verlieben. Tolstoi, dieser gestandene Mann? Dennoch wurde er im Alter noch wunderlicher, als seine Ideen. Und als es dem Ende entgegenging, riss er aus. Wie ein Heranwachsender, der seinem Elternhaus entflieht. Aber endlich: Wladimir Nabokov – ein durchtrainierter, großer Bursche, der einem alten russischen Adelsgeschlecht angehörte. Der in Cambridge russische und französische Literatur studierte, um dann später in den USA als Professor für Slawistik Vorlesungen zu halten. Die Revolution hatte ihn wie eine Springflut erwischt, aus seiner Bedeutung geschwemmt, aus seinem Land gespült. In den Taschen nichts weiter als eine Packung Zigaretten und ein besticktes Taschentuch. Ein Pragmatiker hätte in dieser Situation mit seinen Anlagen gepokert. Hochbegabung in Verbindung mit Beziehungen: eine Gelddruckmaschine. Was macht Nabokov? Er kauft sich Zigaretten, schmeißt sich auf sein dürftiges Berliner Lager und liest und schreibt, liest und schreibt. Hin und wieder rafft er sich auf, um sich als Tennislehrer oder Dolmetscher ein dünnes Süppchen zu verdienen. Viel später gab er den in Scharen herbei strömenden Studenten den seltsamen Rat: Sie sollen Bücher nicht nur mit dem Verstand begreifen wollen, sondern auch mit dem Rückenmark lesen. Sich an der Geschichte erfreuen und gleichzeitig verstehen und begreifen, wie sie gemacht wurde. Diese Art zu lesen, so Nabokov sinngemäß, sei ein Genuss, der alle anderen Genüsse übertreffe. Er hatte also beides im Sinn: das Rationale und das Sinnliche. Die „Rinderschädel“, „Priesterbärte“ (deren Artverwandte sich auch im Kyrillischen wiederfinden lassen), aber auch deren „Aufleuchten“, wenn es gelingt, nach Übereinkunft, sie zu trefflichen Wörtern und Sätzen zusammenzufügen. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Welt, ihre Zustände und was sie in den Angeln hält zu beschreiben: mit Hilfe dieser winzigen Zeichen (Abstraktionen von Abstraktionen, die wiederum auf Teufel komm raus von etwas abstrahiert wurden), die zusammengesetzt ein Wort ergeben, das, unter Berücksichtigung kultureller Übereinkunft und entsprechender Phoneme, „Mond“ heißen kann. Und kaum ist das Wort ausgesprochen oder steht auf dem Papier, sehen wir „Licht“ fließen: über eine Waldlichtung vielleicht? Bäume werfen lange, gezackte Schatten, im Unterholz knackt es und große Vögel schwingen sich auf, streichen schwerfällig über die Wipfel. Und für Sekunden sieht es so aus, als würden sie die strahlende Himmelscheibe durchmessen. Deren Krater, Täler und „Canyons“ ein Gesicht zu bilden scheinen, von dem Kinder mitunter behaupten, es sei das Antlitz des Mannes, der dort oben wohne.

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Jun 27 2011

Gabriele Haefs

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Dem Hamsun eine Gasse?

Kein norwegischer Dichter hat es je zu solchem Weltrum gebracht wie Knut Hamsun (*1859 – †1952) – abgesehen vielleicht von Henrik Ibsen, den Hamsun übrigens zutiefst verachtete und über den er in seinen Romanen immer wieder mit bissigem Spott herzog. Das „kleine Wesen“ (wie Hamsun ihn nannte), auch wenn er laut Augenzeugenberichten ein absolut mieser Charakter war, erscheint seinen Landsleuten heute mehr denn je als heiligmäßige Lichtgestalt. Ibsens Widersacher Hamsun dagegen hat in seinen späten Jahren die Nazis unterstützt und gilt deshalb in der guten Gesellschaft bis heute eher nicht als salonfähig. Und doch hat er eine treue Fangemeinde. Man solle die Vergangenheit ruhen lassen und nach dem größten Romancier, den das Land jemals hervorgebracht hat, endlich in der Hauptstadt Oslo eine Straße benennen, sagen die einen, und sie verweisen darauf, dass nicht einmal der böswilligste Hamsunverächter in dessen Werk irgendwelche Hinweise auf die Nazisympathien finden kann. Man solle also Werk und Autor trennen und die Straße sozusagen dem Werk widmen. Und sei es, indem man sie nach einer Figur aus einem Hamsunbuch nennt und nicht nach dem Mann selbst. Nichts da, widerspricht die andere Seite, er hat die Nazis unterstützt und schreckliche Dinge gesagt und getan. Nie und nimmer darf so einer eine Straße kriegen. (Dass in anderen norwegischen Orten, die irgendeinen Bezug zu Hamsun haben, wie Narvik, Mo i Rana oder Stokmarknes, durchaus Hamsun-Straßen existieren, wird dabei nicht weiter erwähnt; von Oslo aus gesehen ist alles andere öde Provinz und eben nicht der Rede wert).
 
Unmittelbar vor Beginn des Jahres 2009, in dem Hamsuns 150. Geburtstag zu feiern war, wurde abermals energisch diskutiert, vielmehr es wurde nicht diskutiert, denn eigentlich sagen alle dasselbe wie eh und je. Und der Kompromissvorschlag, einen Platz in der Nähe des Osloer Hauptbahnhofs nach Hamsun zu benennen, hat die Befürworter nur verdrossen. Dabei spräche einiges für diese Lösung: Just dort spielen große Passagen von Hamsuns erstem großen Romanerfolg Hunger mit seinem so oft zitierten Anfang: „Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist …“
 
Als Oslo noch Kristiania hieß, verortete der junge Hamsun sich politisch auf der extremen Linken und bezeichnete sich als Anarchisten. Heute ist die Gegend um den Hauptbahnhof sozialer Brennpunkt und immer wieder in der Diskussion. Geht also nicht, findet die Hamsunfraktion, entweder er kriegt eine richtig noble Straße oder man lässt es. Dabei hätte der Hamsun der Hunger-Periode mit seinem Hang zu Randgruppen und Rauschmitteln aller Art bestimmt nichts gegen eine solche Benennung gehabt — Die Sache mit der Anarchie ist übrigens noch nicht erforscht. Wieso Hamsun sich dazu bekannte, hat er selbst nie begründet. Immerhin trug er, damals Straßenbahnfahrer in Chicago, als einer der wenigen seiner Kollegen trotz der Drohungen der Bosse nach Hinrichtung der Haymarket-Märtyrer 1886 ein schwarzes Band am Revers.
 
Die Sache ist also erst einmal unentschieden und blieb das auch während des Hamsunjahres. Wobei „Hamsunjahr“ als Bezeichnung leicht übertrieben klingt. Wurden zum Ibsenjahr 2006 (anlässlich des 100. Todestag des „kleinen Wesens“) nicht weniger als 80 Prozent von Norwegens gesamtem Kulturbudget investiert, um dem Namen Ibsen in aller Welt zu huldigen, so fließen die Mittel für Hamsun eher spärlich –- zu sehr hat der Mann sich selbst ins politische Abseits manövriert.
 
An dieser Stelle scheint es nun angebracht, nachzusehen, was Hamsun eigentlich getan, gesagt und geschrieben hat, denn darüber wird interessanterweise längst nicht mehr gesprochen. Die Anti-Hamsunstraßenfraktion erklärt nach wie vor, der Mann sei ein schrecklicher Nazi gewesen, nach so einem dürfe man keine Straße benennen, während die Pro-Fraktion sagt, im Gegenteil, eigentlich war er gar keiner und wenn doch, so hat ihn seine Frau dazu verleitet. Die Behauptung, Frau Hamsun sei an allem schuld gewesen, ist allerdings nicht mehr zu halten, seit der Historiker Ingar Sletten Kolloen seine Hamsunbiografie vorgelegt hat, für die er erstmals Einblick in Familienpapiere und bisher gesperrte Gerichtsprotokolle nehmen durfte. Marie Hamsun schwärmte zwar für Hitler und das Dritte Reich, reiste immer wieder auf Vortragstournee dorthin und ließ sich von Goebbels und Göring gleichermaßen hofieren, aber dass Hamsun sich von ihr (oder von irgendeinem anderen Menschen) zu irgendeiner Ansicht hätte verführen lassen, muss einwandfrei ins Reich der Sage verwiesen werden. Ansonsten hat die Diskussion sich verselbständigt. Der Autor Sverre Henmo, dem es nach eigener Aussage egal ist, ob es in Oslo irgendwann eine Hamsunstraße geben wird oder nicht, sagte bei einer Diskussion auf der Osloer Buchmesse im November 2008, dass offenbar niemandem an Informationen zum Thema gelegen sei. Alle hätten ihre feste Meinung, die sie nicht durch Recherchen ins Wanken bringen wollten. Und immerhin, so denken viele, die sonst nichts weiter über die Angelegenheit wissen, wurde Knut Hamsun nicht wegen Landesverrats verurteilt und verlor sein ganzes Vermögen. Das kann doch nicht ohne Grund geschehen sein.
 
Nur ist die Sache mit dem Landesverrat und dem Prozess auch so ein Thema, das lieber unter den Tisch gekehrt wird. Denn eigentlich hätte die Sache ganz einfach sein könnten: Die Norwegische Exilregierung in London erließ Ende 1944 etliche Gesetze, nach denen nach der Befreiung Norwegens von der deutschen Besatzung Kollaborateure bestraft werden sollten. Rückwirkend für die ganze Besatzungszeit. Dass es keine Möglichkeit gab, diese Gesetze in Norwegen bekannt zu machen, spielte dabei keine Rolle. Wichtigstes Kriterium für die Bestrafung als Landesverräter war die Mitgliedschaft in der norwegischen Nazipartei. Mit diesem Gesetz hätte die Sache ein Ende haben können, denn Knut Hamsun war nachweislich niemals Mitglied der norwegischen Nazipartei. Nur war er eben der prominenteste Norweger überhaupt, eventuell neben Vidkun Quisling, dem norwegischen Naziführer, der gleich 1945 hingerichtet wurde, als das Bedürfnis nach Rache noch ganz besonders heiß loderte. Doch die wieder eingesetzte norwegische Regierung schien sich nicht ganz wohl dabei zu fühlen, einen in aller Welt bekannten, fast tauben Greis (Hamsun war 1945 immerhin bereits 86) vor Gericht zu stellen, weshalb er erst einmal in die Psychiatrie eingewiesen wurde, wo Hamsun deutlich das Gefühl hatte, er sollte hier auf höchsten Regierungsbefehl für senil und unzurechnungsfähig erklärt werden. Ob er mit diesem Gefühl richtig lag, ist bisher nicht zu beweisen, die entsprechenden Unterlagen sind nämlich noch immer gesperrt. Dass die Psychiater sich alle Mühe gaben, ist jedoch unübersehbar. Was immer Hamsun sagte, wurde gegen ihn verwandt. Auf die Frage, was einen Zwerg und ein Kind unterscheide, antwortete er: „Das Alter“, was als Zeichen für mangelnde Urteilskraft verbucht wurde. Warum ein Mann seine Frau nicht hintergehen solle, fragte der Psychiater. Weil sie dann auf die Idee kommen könnte, nun ihrerseits Seitensprünge zu machen, sagte Hamsun, und schon war er als moralisch verkommen eingestuft. Am Ende befanden die Psychiater auf „dauerhaft geschwächte seelische Fähigkeiten“ (was genau das sein mochte, wurde nie aufgeklärt), weshalb er nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden konnte. Vor Gericht gestellt wurde er aber trotzdem, denn nur so konnte sein Vermögen konfisziert werden, und Hamsun verbrachte seine letzten Jahre in bitterer Armut. Obwohl seine Anwältin, Sigrid Stray, Antifaschistin mit tadellosem Leumund aus dem norwegischen Widerstandskampf gegen die deutschen Besatzer, beweisen konnte, daß ihr Mandant kein Parteimitglied gewesen war und folglich auch nicht gegen das Gesetz von 1944 verstoßen haben konnte.
 
Dabei war er ein in aller Welt viel gelesener Autor, dessen Werke immer wieder neu aufgelegt wurden, nur Norwegen bildete von 1945 bis 1950 die große Ausnahme. „Wir waren hamsunsüchtig, so wie man rauschgiftsüchtig sein kann“, das schrieb rückblickend 1956 die deutsche Literaturhistorikerin Friederike Manner. Der Erfolg allerdings hatte sich für Hamsun erst relativ spät eingestellt. Seine ersten, auf eigene Kosten gedruckten Veröffentlichungen, Alm- und Fjorddramen, entstanden unter dem Einfluss der „Bauernerzählungen“ des von ihm so verehrten Bjørnstjerne Bjørnson, fanden so gut wie keine Abnehmer. Seinen künstlerischen Durchbruch errang er 1890 mit dem Roman Hunger. Zuvor hatte er seinen Stil radikal verändert. Hunger weist keine Spuren mehr auf von Alm- und Fjordidylle. Der Roman spielt in der Großstadt unter verkrachten Künstlern, die Kritiker sahen darin den „neuen Menschen“, Opfer seiner dekadenten Nerven und des Tempos der modernen Zeit, riefen den Autor zum Genie aus und stellten ihn auf eine Stufe mit Dostojewski. Ein höheres Lob war damals kaum denkbar.
 
Das Publikum blieb überaus gelassen, verkaufsmäßig war Hunger ein Fiasko. Das galt auch für die anderen Romane dieser Periode, von denen neben Hunger der bekannteste Mysterien ist (in diesem Roman gönnt Hamsun sich übrigens das Vergnügen, auf vielen Seiten Ibsen auf wunderbar formulierte Weise mit Hohn und Spott zu überschütten). Der große Erfolg setzte erst ein, als er, des bohèmienhaften Lebens in den großen Städten müde, wie er behauptete, seine Romane abermals auf dem Land ansiedelte und seiner nordnorwegischen Heimat, vor allem seinem Heimatbezirk Nordland, ein literarisches Denkmal setzte. In Nordland spielen Romane wie Pan, Benoni, Rosa und Segen der Erde, der Roman, der ihm den Nobelpreis einbrachte.
 
Vor allem der alte Hamsun suchte sich für seine Romane bisweilen andere Schauplätze. (Die Stadt Segelfoss, Die Weiber am Brunnen und die Landstreicher-Trilogie spielen an der norwegischen Südküste, Das letzte Kapitel im Gebirge in der Nähe der ostnorwegischen Stadt Lillehammer). Aber das in den Büchern gezeichnete Bild der Welt ändert sich nicht mehr: Die Welt ist schlecht und ungerecht, die Reichen und Mächtigen nutzen ihre Macht und ihren Reichtum gewissenlos aus, und wenn die Armen überleben wollen, müssen sie zu allen Mitteln greifen, die sie überhaupt nur finden können. Die Wahl dieser Mittel wird mit Sympathie beschrieben, zugleich kann das Armeleutekind Hamsun sich zeitlebens bei der Schilderung der Reichen und Mächtigen nicht von Bewunderung und leisem Neid befreien, weshalb die Reichen und Mächtigen eben nicht als negative Karikaturen erscheinen.
 
Bleibt die Frage, ob man Hamsun als Nazi bezeichnen kann oder nicht. Ein Sympathisant war er jedenfalls. Als Kind hatte er immer wieder schreckliche Geschichten über die Hungersnöte gehört, die während der Napoleonischen Kriege durch die von Großbritannien verhängte Seeblockade in Norwegen wüteten. Später konnte er beobachten, wie britische Industriemagnaten in Norwegen Fabriken gründeten und Land und Leute rücksichtslos ausbeuteten. Der Kontakt mit irischen Auswanderern in den USA konnte seine Sympathien für das britische Empire dann auch nicht vergrößern. In den USA gelangte er zudem zu der Überzeugung, dass dieses Land sich zu einer imperialistischen, kapitalistischen und militaristischen Hölle entwickeln würde, wenn ihm nicht jemand ordentlich auf die Finger haute. Deutschland dagegen war für Norwegen schon immer das Tor zur Welt. Norwegische Künstler gelangten über Deutschland zu internationalem, Ruhm. Deutschland als Land der Dichter und Denker erschien Hamsun (der in seinem Leben keine 300 Tage die Schule besucht hatte) als positiver Gegenentwurf zu allem, was er an den USA verachtete, und fortan hieß er einfach alles gut, was in Deutschland geschah. Ein Land, das gegen Großbritannien und die USA Kriege führt, muss man einfach unterstützen, so – vereinfacht formuliert – war Hamsuns simple Überzeugung. Er hat schreckliche Dinge geschrieben, am schrecklichsten seine Polemiken gegen den im KZ gefolterten Ossietzky. 1934 wurde er gebeten, eine Solidaritätsadresse für Carl von Ossietzky zu unterschreiben. Hamsun weigerte sich, verwies darauf, dass Konzentrationslager schließlich eine britische Erfindung seien und „wenn die (deutsche) Regierung sich veranlasst gesehen hat, Konzentrationslager einzurichten, dann sollten Sie und alle Welt begreifen, dass das seine guten Gründe hat.“
 
Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß die maßgeblichen norwegischen Zeitungen eher Hamsuns Ansicht teilten, wie sie überhaupt bis Kriegsbeginn erschreckend deutschland- bzw. hitlerfreundliche Standpunkte vertraten. Hamsun erklärte schon früh seine Unterstützung für Quisling; 1936 veröffentlichte er in der Zeitung Fritt Folk („Freies Volk“), dem Zentralorgan der norwegischen Nazipartei, einen Wahlaufruf, in dem es über Quisling hieß: „Wenn ich zehn Stimmen hätte, dann würde er sie alle bekommen. Sein fester Charakter und sein unbeugsamer Wille tun uns gut in diesen Zeiten.“
 
Er rief nach der Besetzung seine Landsleute auf, den deutschen Besatzern keinen Widerstand zu leisten, die Deutschen seien ja doch unbesiegbar und Widerstand werde nur zu schrecklichen Strafaktionen führen. Er fand es lobenswert, dass seine Söhne sich freiwillig an die Ostfront meldeten, und er scheint keinerlei Versuch unternommen zu haben, seine Frau Marie von ihren Propagandareisen ins Reich abzuhalten (wobei man allerdings zugeben muss, dass die Ehe inzwischen zu einem solchen Fiasko geworden war, dass er erleichtert aufatmete, wann immer Marie das Haus verließ). Und er hat Hitler, der Hamsuns Werke sehr schätzte, persönlich besucht! Der Besuch endete allerdings katastrophal. Hamsun wollte die Gelegenheit nutzen, um sich über das Vorgehen der Besatzungsbehörden in Norwegen zu beschweren und die Ablösung des allgemein verhassten Reichskommissars Terboven zu verlangen. Was Hitler so verärgerte, dass er den Besuch vorzeitig abbrach.
 
Hamsun hat sich zudem immer wieder für norwegische Widerständler eingesetzt, denen Verhaftung oder sogar Hinrichtung drohten. Er hat dem deutschen Verlagsmann Max Tau die lebensrettende Einreiseerlaubnis nach Norwegen besorgt. Auch für seine Anwältin, die wegen ihrer Aktivitäten im norwegischen Widerstand inhaftiert worden war, setzte er sich ein und konnte ihre Freilassung erwirken, weshalb es für die Anwältin Sigrid Stray gleich nach ihrer Rückkehr aus dem schwedischen Exil im Sommer 1945 ganz selbstverständlich war, ihren alten Mandanten aufzusuchen und seine Verteidigung zu übernehmen. Hamsuns Engagement gegen Terboven und für dessen Opfer wurde beim Prozess auch erwähnt. Doch das half ihm auch nicht weiter. Sein Vermögen, wie gesagt, wurde eingezogen und in den Wiederaufbau Norwegens investiert.
 
Seine Schandtaten wiegen noch heute so schwer, dass in Norwegens Hauptstadt, die er beschrieben hat wie kein zweiter, keine Straße nach ihm benannt werden darf. Ob man dazu nun eine Meinung hat oder nicht, eins steht fest und lässt sich aus seinen Schriften problemlos belegen: Knut Hamsun, der sich nicht einmal von seinem Nobelpreis übermäßig beeindrucken ließ, sondern gereizt reagierte, als Frau Marie ihn mit der freudigen Nachricht beim Frühstück störte, hätte über diese ganze Debatte vermutlich mit den Schultern gezuckt, um dann in einem wunderbaren Roman die Leute, die sich über Dichternamen für Straßen gegenseitig zumindest verbal die Köpfe einschlagen, so lächerlich zu machen, wie er das so gern mit Dichtern von der Art des “kleinen Wesens” Ibsen machte.


Mit freundlicher Genehmigung aus Anne Helene Bubenzer, Gabriele Haefs:Lesereise Oslo: Auf der Suche nach Ibsens Bad, Wien: Picus Verlag GmbH, 2010.

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Jun 27 2011

Carol Anne Costabile-Heming

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The Stasi on Display in Berlin: The Role of the Museum in the GDR’s Contested Legacy[1]

Memory always reflects the interests and experiences of those doing the remembering.–Rudy Koshar (199)

Introduction
In the 20 years since the fall of the Berlin Wall, scholars and critics repeatedly have debated the ways in which the GDR past can be explained, commemorated or preserved. Although popular films such as Sonnenallee (1999) and Goodbye Lenin! (2003) fueled a wave of Ostalgie in the form of Spreewaldgurken and other consumer goods, the legacy of the GDR’s cultural and political institutions is more contested. The international acclaim, which the academy award winning film, Das Leben der Anderen (2006), received, brought the controversial legacy of the Ministerium für Staatssicherheit (MfS or Stasi) in the GDR into the international limelight. While Florian Henckel von Donnersmarck’s film presents the details of Stasi interrogations and surveillance in a realistic way, the depiction of the main character Hauptmann Wiesler as a positive hero misrepresents career officers in the Stasi and in so doing devalues the very real trauma that dissidents under surveillance suffered. The film’s opening shots depict an interrogation in a detention center, a setting made to look like the Hohenschönhausen prison, even though the Gedenkstätte director, Hubertus Knabe, denied von Donnersmarck permission to film on location because he believed the screenplay falsified the history of the site. Because of such ambiguity, the film simultaneously received critical acclaim for its cinematic techniques and harsh criticism for its lack of historical authenticity.[2]

Such questions of historical authenticity are at the heart of debates about the film, to which scholars have had a decidedly different reaction than the popular media. In 2008, the German Studies Review devoted a portion of one volume to the film, in which scholars addressed both the film’s popularity as well as its problematic portrayal of the Stasi. Thomas Lindenberger, for instance, examines the film’s two-fold authenticity, namely its ability to give those unfamiliar with the GDR and its secret police organization a sense of what the surveillance system entailed as well as the way in which the film has distanced itself from other movies about the GDR such as Sonnenallee and Goodbye Lenin! Conversely, Mary Beth Stein claims that the film perpetuates misconceptions about the GDR and the Stasi, and she suggests that the focus on Wiesler’s motivations makes the film more readily accessible to foreign audiences (568 and 570). Indeed, someone who knows nothing of the surveillance system in the GDR can leave the theater following a viewing of the film with the feeling of being an expert.[3] Jens Gieseke criticizes the film’s lack of authenticity, noting that it provides clues about the current discourse of dealing with the past without actually dealing with that past (“Stasi Goes to Hollywood”). On the other hand, Manfred Wilke, well known for his work as a consultant with the Enquete Commission and as co-director of the Forschungsverbund SED-Staat, who also served as a consultant to the film, surprisingly considers the portrayals believable.[4] Further confusing the issue of authenticity, Roman Grafe argues, is von Donnersmarck’s overlay of dates, places and newspaper titles, which serve to confuse the viewer and lend a documentary air to an entertainment film. Grafe criticizes the film quite strongly, chastising critics who reacted positively to it. For him, the positive response sets up a dangerous precedent, enabling perpetrators to view themselves as good people and abdicate their complicity (183). Indeed, Jens Gieseke warns that the Stasi and IMs are turning into “Erinnerungsorte,” thereby becoming icons in the film. Such media images slowly erode actual memories (“Die Stasi und ihr IM” 107).

Public and media fascination with the Stasi has not waned. In May 2009 Die Zeit published an article entitled “Wir haben uns alle geirrt” revealing that the police officer who shot and killed student Benno Ohnesorg in 1967 was, in fact, a Stasi operative. Such sensationalist reports underscore the divide between real life accounts and the depiction of the Stasi on the big screen or in the media. This disparity begs the question as to how the Stasi as an artifact objectively can be commemorated or preserved. What message do we learn from the Stasi on display? The answer may lie outside the movie theater at the actual sites of Stasi activities.

If we accept Rudy Koshar’s standpoint that “Memory always reflects the interests and experiences of those doing the remembering,” it is easy to understand why the cinematic representations of the Stasi have met with such varied reactions (199). Indeed, the responses to Das Leben der Anderen mirror closely those of other controversial legacies, such as the portrayal of Hitler in Der Untergang (2003/2004) and the depiction of the White Rose resistance group in Sophie Scholl – Die letzten Tage (2005). Unlike an entertainment film, however, a memorial site or museum is an “intermedial genre” (Arnold-de Simine 254), wherein the question of what is displayed, from which perspective, and to what end is of paramount importance.
This essay looks at the context in which the Stasi’s legacy can be understood by examining the preservation and musealization of the Stasi legacy at three museums and Gedenkstätten in Berlin: STASI. Die Ausstellung zur Staatssicherheit, a permanent exhibit under the auspices of the Gauck/Birthler/Jahn Behörde; the Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstrasse, which occupies the former Stasi Headquarters, and the Gedenkstätte Hohenschönhausen, a former Stasi remand prison. These sites bring the inner workings of the Stasi into the public sphere, showcase differing perspectives, and thus contribute in numerous ways to the social, cultural and collective memory of the Stasi in united Germany. Each site employs a different framing strategy unique to its particular focus and perspectives on the Stasi, with sponsorship and funding playing crucial roles in their sustainability. Furthermore, their respective interpretation and contextualization of the Stasi’s legacy offers the most fertile ground for understanding the complexity of its commemoration for future generations.[5]

Memory culture(s)
Established on 8 February 1950, the Stasi was modeled on the Soviet KGB and the secret service agencies of the other East Bloc countries. Unlike these surveillance organizations, the Stasi was tied closely to the SED, extending its reach to all corners of society. According to Jens Gieseke, the Stasi’s breadth was due in large part to its fixation on security risks through “Feindeinflüsse,” that could happen at any moment (Mielke-Konzern 102). Such risks could come from within as well as from external forces. For this reason, freedom of expression was closely watched by the Stasi. As David Childs and Richard Popplewell explain, “[t]he pervasiveness of the security organs served to prevent public expression of any thought hostile to the SED line. The very knowledge that they were there and watching served to atomize society, preventing independent discussion in all but the smallest groups” (63). In an effort to control the information to which ordinary citizens had access, the Stasi paid close attention to the cultural sector, particularly following the uprising in Hungary in 1956. Writers and intellectuals also were subjected to more intense scrutiny following the construction of the Berlin Wall in 1961, an event which physically served to limit any external influences. Following the Wall’s construction, the SED feared any dissent that could occur internally. These internal dissidents were different from external enemies, for they were not opposed to the system in place, but rather, sought to reform it from the inside. As a result, these dissidents tried to articulate their positions from within the current discourse. In response, the Stasi established Hauptabteilung XX, responsible for opposing political underground activity and political-ideological diversion, in the spring of 1964. Equally essential to the information gathering system of the Stasi was the network of inoffizieller Mitarbeiter or IM, who infiltrated all types of private and social spheres. By the late 1980s, the MfS employed as many as 91,000 full time officials and another 175,000 unofficial collaborators (Dennis 3).

Memorials dealing with the German past “are fraught with symbolic meaning and become contested terrain” (Dueck 601). Yet, as Maurice Halbwachs wrote, monuments are central to the formation of collective memory. Going a step further, Pierre Nora spoke of “rememoration,” a phenomenon that Koshar describes as “a framing strategy of remembering to remember the past in the present rather than trying to reconstitute past events in all their detail” (284). For Silke Arnold-de Simine this cultural memory “is actively constructed, shaped and handed down by social institutions” (254). Anne Fuchs and Mary Cosgrove choose to speak of memory contests, which are “highly dynamic public engagements with the past that are triggered by an event that is perceived as a massive disturbance of a community’s self-understanding” (2). This characterization is particularly apt in light of the controversy that erupted after the Sabrow Commission made a recommendation to incorporate Alltag or quotidian GDR life in addition to mechanisms of the Gewaltherrschaft in future planning for memorializing the GDR (Wohin treibt die DDR Erinnerung? 17-41). Established in 2005 by the Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, this committee of experts comprised of historians, writers and activists was charged with developing the concept for a decentralized organization devoted to coming to terms with the SED dictatorship. The commission’s recommendation proposed that future study and commemoration of the GDR heritage focus on three specific thematic areas: “Herrschaft—Gesellschaft—Widerstand,” “Überwachung und Verfolgung,” and “Teilung und Grenze” (Wohin treibt die DDR Erinnerung? 23). Transmitting adequate commemoration into a museum setting has become the major bone of contention in the representations of the Stasi I discuss here.

As a repository for the past, a museum follows a specific set of criteria as it builds its collection. In analyzing these criteria Andreas Huyssen argues that one must “determine to what extent [the museum] helps overcome the insidious ideology of the superiority of one culture over all others in space and time, to what extent and in what ways it opens itself to other representations, and how it will be able to foreground the problems of representation, narrative, and memory in its designs and exhibits” (34). To be sure, an exhibition becomes something removed from daily life. Museum visitors are detached from the objects on display; this sense of detachment thus distances them from that which is being observed.

Dan Ben-Amos emphasizes the importance of collective memory as a positive force, which “becomes the creative imagination of the past in service of the present and an imagined future” (299). Twenty years beyond the fall of the Wall it has become a crucial time for GDR citizens to “collect” their history, for this act of “collecting” counteracts any fears of forgetting the past. However, because of the GDR specificity of the sites discussed here, it is difficult for them to become a part of the fabric of united Germany’s collective memory, an issue at the heart of debates about public funding for the sites. This makes the act of “collecting memory” all the more difficult, and at the same time, all the more crucial. Furthermore, it makes the examination of how specific museums do this all the more imperative.

STASI. Die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit
Of the three exhibitions and memorials to be discussed here, STASI. Die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit provides the most generalized and contextualized approach for those visitors lacking basic knowledge of the history and activities of the Stasi. Located in the Bildungszentrum des BStU in the vicinity of Checkpoint Charlie, this exhibition, sponsored by the Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik is a permanent display open to the public at no charge.[6] In the foreword to the exhibition catalog, Marianne Birthler, the second Federal Commissioner, remarks that the exhibition’s function is to contribute to the contemporary discussions about the coming to terms with GDR history, “um Legendenbildungen und Geschichtslügen entgegenzuwirken” (Stasi. Die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit 5). She posits that the exhibition does more than just inform about the Stasi, for it also can “für die Bedeutung der Menschenrechte sensibilisieren, zur Wertschätzung von Freiheit und Demokratie beitragen und zeigen, wie sehr eine Gesellschaft auf Zivilcourage und bürgerschaftliches Engagement angewiesen ist” (Stasi. Die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit 5). Thus, the exhibition clearly has a mandate to inform about the past so that Germany can come to terms with it and move beyond it.

Stasi. Die Ausstellung

This exhibition contains three thematic segments, which include information on the history of the Stasi, examples of the impact of the Stasi on individual biographies, and portrayals of the intersections of the Stasi with everyday life. These three segments are independent of each other, and therefore they can be viewed in any order. It is a small exhibition, whose intent is to allow visitors to draw their own conclusions and connections based on what they observe.

The history of the Stasi is depicted in nine display cabinets: “die Funktion,” “der Apparat,” “die Methoden,” “die Allgegenwart,” “die Hauptamtlichen,” “die Bruderorgane,” “die Westarbeit,” “die Inoffiziellen,” and “das Ende.” A variety of artifacts comprise the display including photographs, facsimile documents, and three dimensional objects such as spy cameras and Geruchskonserven.

Geruchskonserven

Stasi Spy Camera

Six personal biographies highlight the direct impact that the Stasi had on the lives and careers of ordinary GDR citizens. Hung from the ceiling, the three dimension half rounds that house the documents and artifacts of these individuals showcase the depth and breadth of the Stasi’s reach into the private sphere.[7] The final segment consists of a series of seven wall panels depicting Stasi intrusion into everyday life, including youth, sports, cultural, travel, churches, industry, and the Nationaler Volksarmee. This segment demonstrates quite clearly, that although GDR citizens tried to carve out private lives, the Stasi was intent on gaining as much access as possible.

The overall composition of this exhibition is historical and informative. It documents Stasi activity in all areas of life, from official functions and the military, as well as in the public and private spheres. It serves the purpose of a broad presentation of the Stasi from the beginning of the GDR to its end. Though it is located in Berlin, the displays focus on all geographic areas of the GDR. In terms of a national narrative, this exhibition speaks directly to the laws as set forth in the Stasi Unterlagen Gesetz and conforms to Joachim Gauck’s plea “Sich der Vergangenheit zu stellen,” which he articulated in the official press kit for the first Stasi exhibition (Der Bundesbeauftragte 1).

Though Germany has been unified for more than 20 years, it still struggles to define a national narrative that reflects the experiences of all citizens. Whereas confronting the Nazi past formed the backbone of West German consciousness and self-identity for nearly 45 year (up to the fall of the Wall), the GDR’s self-representation as an anti-fascist state informed its relationship to the Nazi past. For citizens of the former East, it remains the legacy of the Stasi’s surveillance and repression that still needs to be addressed and incorporated into a national narrative. To this day there still is a lack of understanding on the part of many Westerners about the Stasi surveillance system and its importance in the lives of former GDR residents, and this exhibit therefore fills an important educational role.

Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße
While STASI. Die Ausstellung zur Staatssicherheit is an officially commissioned and supported site, the other two sites to be discussed here grew out of grass roots initiatives to preserve the legacy of the Stasi for future generations. The Forschungs- und Gedänkstätte Normannenstraße is located in Haus 1 of the Stasi’s central headquarters in Berlin-Lichtenberg, a site that Frank König terms the most important perpetrator site of GDR history (253).[8] The entire region has gained in popularity as a tourist site, evidenced by the 2009 publication of a guidebook entitled Stasi-Stadt. Die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Ein historischer Rundgang by the Christoph Links Verlag.

Stasi Head Quarter Haus 1

Opened to the public on 7 November 1990, the Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße is an outgrowth of a grass roots movement formed by civil rights activists under the name Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße (ASTAK) (Verheyen 156 and König 207-23). The idea to create a memorial site here dates to the days immediately following the storming of the building on 15 January 1990. The two-pronged focus serves to guide attention to both memory and research. ASTAK advocated not only for the creation of the permanent exhibition, but also directed its efforts toward the documentation of and research into all aspects of Stasi activity, as well as the creation of forums for discussion and for the support of victims.

Financial difficulties plagued the early years of the site, and in 1993, the Berlin Senate Committee for Cultural Affairs decreed that the center should operate under the auspices of the Federal Commission for the Stasi Files. ASTAK members resoundingly rejected this proposal, operating the museum on a volunteer basis for a six-month period. In subsequent years, funds from the Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen and the Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur provided financial support for the continued operation of the museum. The main parts of the exhibition focus on Stasi memorabilia, observation equipment, and the office of Stasi chief Erich Mielke.

The entry foyer contains original artifacts including a series of flags and statues that were housed there during Stasi times.

Stasi Memorabilia

 

 

The collection of memorabilia draws attention to the traditions that formed the core of the Stasi’s self-definition, including relics exchanged between the Stasi and the KGB, which are displayed in glass curios, as are beer glasses with the Dynamo emblem, the Stasi-sponsored soccer club. The Ministry’s main office complex is housed here, and Mielke’s office and private rooms are preserved in their original condition.

Stasi Office

Erich Mielke's Office

Dirk Verheyen remarks that “visitors were generally struck by the banality of Mielke’s offices, the petty-bourgeois decorative taste that accompanied [Mielke’s] security paranoia […]. No sophisticated, high-tech equipment, but old typewriters and telephones” (157-8). Thus, these rooms present an inside look at the innermost and quotidian workings of the secret police. As Christian Halbrock notes, this was an “Ort der Repression” (31). On an additional floor, displays document both surveillance and opposition in the period from 1945 to 1989. A special permanent exhibition documents the fate of the Jehovah’s Witnesses in the GDR. Immediately following the end of World War II in 1945, Jehovah’s Witnesses were granted official status as “Opfer des Faschismus.” East German authorities grew increasingly suspicious of the group’s political neutrality, banning their beliefs in 1950. This unleashed a wave of persecutions at the hands of the Stasi.[9]

Like “STASI. Die Ausstellung zur Staatssicherheit,” this museum grants visitors insight into the various operations that the Stasi had under its control. Because it occupies the original offices, it can foreground the Stasi’s image of itself. Visitors with a good understanding of the Stasi can find this site-specific museum an emotional experience. [10] This was particularly true in the beginning, when most visitors were GDR citizens, curious and anxious to get a glimpse at the organization that had terrorized their society for so many years. In just three months during 1990, 9,000 people visited the site (Verheyen 158). According to König, nearly 70,000 visitors on average tour the site each year (König 207).

The financial struggle that this site has endured sheds light on the tenuous position that Stasi-specific sites occupy within the memory landscape of united Germany. Often supported through private initiatives, federal funding has been more tenuous. Because many of the decision makers at the federal level are from the West, they therefore have no real stake in the survival of institutions dedicated to preserving and educating about the GDR. In general, the memory landscape in Germany is fraught with political jockeying for positioning and validation. As Frank König remarks about the case of Normannenstraße: “Es geht um die Durchsetzung von Geschichtsbildern, um die Konkurrenz zwischen erlebten Geschichten und gemachten Erfahrungen sowie wissenschaftlicher, nüchterner Expertise und pädagogischen Zielvorstellungen: Überspitzt gesagt Emotion gegen Kognition” (309).

ASTAK emphasizes heavily the site’s function as one of political education, a standpoint that some view with skepticism. Verheyen, for instance, proposes that “ASTAK prefers a confrontation (Auseinandersetzung) with the East German past that is offensiv and kritisch, yet fears that the official approach tends toward increased disinterest and/or post facto manipulation of memory and interpretation” (162). Conversely, Halbrock emphasizes the authenticity of the location and the grass roots movement that made the site possible (31). The publication of a guided walking tour adds an additional dimension to this site for it foregrounds both the enormity of the Stasi operations in Berlin as well as the way in which the presence of the Stasi served to alter this once idyllic neighborhood, as streets disappeared and new structures were built specifically to serve the needs of the Stasi.[11]

The Gedenkstätte brings two very different focal points to the forefront, depicting very clearly the complexity of the Stasi legacy within the larger framework of a national memory narrative. On the one hand, this is a perpetrator site, and its preservation foregrounds the Stasi’s Selbstbild and special status. The entire complex testifies to the Stasi’s magnitude, and the way in which it availed itself of city planners and city resources to take over an entire neighborhood. On the other hand, the site also strives to commemorate those people who had fallen victim to Stasi terror. This dichotomy between perpetrator and victim, preservation and commemoration contributes to the tensions that remain as the Stasi legacy becomes part of a broader narrative on commemoration and remembrance.

Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
The final site of importance to this discussion is the Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Located on a former manufacturing site from the early twentieth century, the Nazis used the facility as a welfare agency, with a forced labor camp located nearby. The Soviet Military Administration took control of the facility in 1945, using the site as an internment camp for war criminals. In October 1946, it changed functions from an internment camp to a Soviet detainment prison that housed not only suspected Nazis but also political opponents. This legacy set the tone for the function the site was to have in the GDR. In 1951, the facility came under the control of the Stasi, and remained a central Untersuchungshaftanstalt until the winter of the “Wende,” closing officially in 1990.[12] Like the Stasi main facility in Lichtenberg, the detention center in Hohenschönhausen absorbed the surrounding area; the facility itself was sealed off and on city maps, the entire area appeared simply as an empty space (Erler and Knabe 4).

Former inmates were instrumental in securing the site; by 1992 it was placed under Denkmalschutz and declared officially a memorial site; financial support derives from a foundation that began in 1995. The memorial foundation has been working hard to renovate and preserve the site. Within the context of commemoration in Germany, this site is designed to serve as both a Denkort and a Lernort. On 1 July 2000, the Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen was declared a “rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts,” whose double function as a center for documentation and dialogue serves to investigate the history of the facility from 1945 through 1989, to educate through exhibitions, events and publications, and to stimulate confrontation with the forms and repercussions of political suppression in the communist dictatorship (Stiftung Gedenkstätte 6).[13] Indeed, many regard the facility as having a double symbolism as a site representing both victims and perpetrators. More than 330,000 visitors toured the facility in 2010 (“Gedenkstätte verzeichnet neuen Besucherrekord”).

This memorial differs greatly from the other two sites treated here, firstly because this site as a prison exhibits the actual facilities used for terror and punishment, and secondly because it is accessible only with a guided tour. Even more significant, the guides are Zeitzeugen, often former inmates who experienced first-hand the psychological and physical torment and torture during their detention; the former inmates’ personal experiences often dictate the tenor of tours, a circumstance about which former prison guards and interrogators frequently protest (Knabe 291-8). Because of the decade long use of Hohenschönhausen, there are several generations of eyewitnesses, each of whom had a different experience; these different experiences are then reflected in the tour. The use of former inmates as guides and their biographies as the thematic basis for the site inserts a degree of emotion and empathy that the other sites do not possess. Yet it is precisely the employment of the eyewitnesses that remains a controversial sticking point, particularly among former Stasi officers. They accuse Knabe and the eyewitnesses of a one-sided portrayal of events (Knabe 254-5 and König 291-301).[14] The main objective for the establishment of the memorial was to preserve the history of the prison, including the painful experiences suffered by the inmates as well as depictions of injustices of the justice system in the GDR (1. Tätigkeitsbericht 10).

The permanent exhibition consists of a series of buildings that date from two specific periods. In the “U-Boot,” or basement of the older prison, which went into operation in spring 1947, visitors can see not only the cells in which prisoners were held, but also water torture chambers and a space, less than one square meter in size, where prisoners were made to stand or squat motionless for hours.[15] Prisoners housed in this area were subjected to both physical and mental torture. The “U-Boot” held prisoners until 1961.

The so called U-Boat

In the 1950s, the Stasi undertook a major construction project, expanding the original building complex with a new building, housing 102 prisoner cells and 120 interrogation rooms. The interrogations took the form of a one-on-one conversation between a prisoner and an interrogator. Under the rubric of psychological terror, the interrogators served as the only contact person for the prisoner, who otherwise was isolated from all other inmates. The guided tour begins with an informational film about the prison. Tour guides then lead visitors into the U-Boot tract, down various corridors of the new building where they can view a typical cell as well as an interrogation room. Other stopping points include the photography room and the courtyard, where visitors can see the Freigangkäfige, the outdoor cages where prisoners exercised in isolation.

Hallway

Stasi Cell

Interrogation Rooms

Unlike the other two sites discussed here, Hohenschönhausen grants visitors insight into the GDR’s political justice system and the ways in which this system of justice impacted individual freedoms. As an authentic site of terror and tyranny, the memorial offers a realistic look at prison conditions and the system of punishment in the GDR. Because it served as a remand prison, it also underscores the tactics that the Stasi used to silence critical voices; many dissidents were imprisoned there for months without ever having been charged of any crimes.

Conclusion
Andreas Huyssen argues that “remembrance shapes our links to the past, and the ways we remember define us in the present. As individuals and societies, we need the past to construct and anchor our identities and to nurture a vision of the future” for “a society’s memory is negotiated in the social body’s beliefs and values, rituals and institutions” (249). In the conscious efforts of civil rights activists to contextualize the Stasi past for present and future generations, they are attempting to place an indelible mark on history, to tell their story, and to ensure that the GDR’s difficult past becomes part of the fabric of 21st-century Germany’s memory and potential for the future. Mary Beth Stein argues that a film such as Das Leben der Anderen succeeded in moving “die historische Aufarbeitung about the East German past beyond the fundamental opposition of victims and perpetrators and the black-and-white rhetoric of the 1990s” (577). Though each of the museums discussed here contributes to the dialog about the GDR past within the national narrative, they have not succeeded in breaking out of the victims versus perpetrators dichotomy.

 

Each of the three sites strives to inform the national and international public about the legacy of the Stasi. As the official federal office dealing with the Stasi past, the Federal Commission has a duty to present factual information. For the most part, “STASI. Die Ausstellung zur Staatssicherheit” provides visitors with a historical overview of Stasi activity in a variety of situations from political to cultural spheres. The exhibition presents documents in an unredacted format, an overt attempt to appear factual and unmediated. While one cannot dispute the accuracy of the facts, the selection of artifacts and their means of display are a form of interpretation. The site reflects the overall image of the Federal Commission as an objective Aufarbeiter and in so doing positions itself as an omniscient arbiter of its own image. In contrast to the state sponsorship of “STASI. Die Ausstellung zur Staatssicherheit,” the memorials at Normannenstraße and Hohenschönhausen grew out of grass roots activism led by former victims, a circumstance that certainly colors their presentation of the Stasi’s legacy. Normannenstraße and Hohenschönhausen occupy authentic locations and thus afford visitors the opportunity to reflect on the terror mechanisms of the Stasi at the very localities where the terror occurred; these places also have the potential to feed on the emotions of the visitors. Although both facilities portray the Stasi from the victims’ perspective, both also have an intentionally pedagogical agenda to inform the public. A critical distinction between these two sites lies in their approach to the Stasi’s legacy: Normannenstraβe emphasizes the power structures and thematizes the repressive nature of the Stasi; Hohenschönhausen focuses intently on the representation of resistance and opposition on the part of those interned there. At Hohenschönhausen, education about the past is coupled with remembrance.[16]

The door to the cell where Jürgen Fuchs was held for nine months

 

Critics such as Verheyen suggest that the former victims “developed a very distinctive perspective on each of the two memorial sites, insisting on a leading and controlling role that ought to be played by ‘Betroffene’” (184). This continues to be a point of contention as can be seen in the case of former Stasi officers who have objected to their portrayal as perpetrators, insisting that they acted within GDR law.

Even though both Normannenstraße and Hohenschönhausen are products of local initiatives, they also are dependent on federal funding, which often subjects them to broader policy issues pertaining to commemoration and remembrance. In making recommendations for the way that the GDR past should be remembered, the Sabrow Commission suggested that these two institutions should cooperate more closely. Hohenschönhausen’s response is that it does indeed work cooperatively with Normannenstraße, but they object to a merging of the two institutions, precisely because of the distinction between a site of the victims and that of the perpetrators (Sabrow, Erinnerungsorte der DDR 114-15). To be sure, the wealth of documentation offered at all of the sites can provide visitors with significant information to form an educated opinion about that which is displayed. However, no one site on its own can lay claim to representing the entire legacy of the Stasi, for each draws on a specific perspective. Taken as a whole, however, these museums present visitors with a multitude of perspectives from which they then can form their own conclusions. While the museum culture contributes in this way to the dialogue about the national memory narrative in united Germany, it by no means defines it.

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Notes

1. I am indebted to Dr. Rachel Halverson, Dr. Andrea Fieler and Dr. Caryn Connelly for their insightful reading and helpful suggestions on this manuscript.

2. See Hermann.

3. Gieseke likens Das Leben der Anderen to other recent films that attempt to present history authentically, Sophie Scholl die letzten Tage (2005) and Der Untergang (2003/2004).

4. Even dissidents subjected to constant surveillance by the Stasi such as Wolf Biermann generally approved of the film.

5. For a discussion of the debates and challenges surrounding Germany’s attempt to create a memorialization policy, particularly as it pertains to the use of authentic sites, see König.

6. This new permanent exhibition replaces the previous exhibition housed in a building used by the GDR’s Interior Ministry.

7. The individuals are Hermann Josef Flade, Burkhard Herzel, Gerd Stöcklein, Gabriele Stötzer, Thomas Jonscher and Susanne Hartzsch-Trauer. The exhibition catalog contains their biographical information. The emphasis on private citizens in this instance contrasts sharply with the early exhibition, which focused on more sensational cases such as those of Wolf Biermann and Jürgen Fuchs.

8. Beginning in August 2010, Haus 1 is undergoing renovations; the museum has been moved across the street to Haus 22.

9. On 14 March 1990, the group was recognized legally as the “Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovahs in der DDR”.

10. König points out that the lack of commentary and contextualization can make understanding the displays difficult for those without sufficient knowledge about the Stasi (248).

11. The tour is designed to take 60 minutes (without actually touring Haus 1).

12. After the fall of the Berlin Wall, Hohenschönhausen’s most famous inmate was none other than former Stasi Minister Erich Mielke.

13. Financial support for the memorial site is shared equally by federal and state agencies.

14. This nearly reached an impasse at an event on 14 March 2006, when former officers decried the fact that the memorial portrayed them as perpetrators.

15. I participated in a tour in summer 2003 led by a former inmate who had been victimized by the water torture. He graciously demonstrated the body positions that the prisoners had to maintain throughout the torture. It was obvious, that the memory of the torture was still very vivid in his mind. This is one of the aspects that make a visit to Hohenschönhausen an extraordinary experience. The reconstruction of the U-Boot has been controversial; former Stasi associates maintain that the cells never existed in the form in which they currently are depicted. For details about the controversy see König 259.

16 A poster outside one of his cells reminds visitors of the late Jürgen Fuchs, who was an inmate there for 9 months.

 

Comments Off on Carol Anne Costabile-Heming

Jun 27 2011

Utz Rachowski

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Die Stimmen des Sommers

Meines Vaters Atem

Das Land, in dem mein Vater geboren wurde, war schon gefallen, im Spätsommer, zwei Jahre vorher, als er am Heiligen Abend einundvierzig, ungeschützt auf einem Panzer stehend, in seinem Fernglas die Kirchenkuppeln der Stadt Moskau sah.
Dabei, die Ellenbogen angewinkelt, das Glas vor den Augen, verrutschten die Ärmel seiner Uniformjacke ein wenig nach hinten, die aufgenähten Litzen eines deutschen Feldwebels der Waffen-SS, und gaben die wollenen Pulswärmer über seinen Unterarmen frei, die meine Großmutter in Reichenbach im Vogtland für ihn gestrickt hatte.
Das Fernglas, dessen Linsen hin und wieder durch seinen Atem beschlugen, und dessen Adapter er mehrmals drehte und neu justierte, ehe er begann, die Gläser mit bloßen Fingern zu wischen, hielten ein Paar gewaltige Handschuhe, für deren dichte, mehrschichtige Fadenstruktur die Hände meiner Mutter an langen und einsamen Kriegsabenden in Plauen gesorgt hatten.
Die aus ihrer Hand hervorgegangenen Kniestrümpfe, Schurwolle, gearbeitet im späten November, als der Feldzug meines Vaters sich schon anschickte zu dauern, in Plauen, Reichenbach und Leipzig, staken in neuen, großzügig geschnittenen Filzstiefeln, bis zur Hälfte, das Leder, sorgfältig gefettet.
Dr. Goebbels hatte den Frauen über Volksempfänger gesagt, was mein Vater für Hände, Füße und Kopf benötige.
Das stak jetzt in ihren Köpfen.
Und sie hatten fleißige Hände, die Frauen; Großmutter, Mutter.
Jedoch, es schien meinem Vater trotz aller Fürsorge kalt zu werden, an seinem Standort, es war Weihnachten, ganz weiß dort, sodass er, nachdem er schon einige Male das Standbein gewechselt hatte, jetzt häufiger und unruhig mit den Stiefeln auf die Stahlplatte des Panzerturmes stampfte, schließlich herabsprang und zu einem Wachposten, einem Gefreiten der Aufklärer, sagte: Keine zwei Wochen mehr, dann haben wir sie. Lassen Sie sich dann auch ablösen, ich geh’ schon mal rüber ins Zelt, mich aufwärmen. Es soll Christ-Stollen geben.

Der Heidelbeerwald

Jetzt ist der Kaffee fertig, und Mutter, morgen Geburtstagskind, hat schon das gute Service aus dem Wohnzimmerschrank genommen, und es schien mir, als wäre sie dabei leiser aufgetreten, als sie Tassen, Teller und Kanne durch das Zimmer trug. Als sie unseren Tisch erreichte, schien sie zu schweben.
Ich nehme eine der federleichten Tassen, drehe sie um, sie schwebt in meinen Händen wie der leise Schritt meiner Mutter über dem Boden, die Unterseite nach oben, aber noch während ich das Bild der hellblauen, gekreuzten Schwerter unter der Königskrone zu enträtseln suche, schreit der ganze Tisch auf, wie mit einer Stimme, ich solle sofort die Tasse hinstellen. In diesem Moment unter diesem einzigen, Schrei, beinahe, hätte ich sie wirklich fallen gelassen.
Lasst den Jungen in Ruhe, er hat Ferien, sagt meine Großmutter, die gerade das Wohnzimmer betritt. Vor sich her trägt sie eine schwere Steingutplatte, auf der Heidelbeerkuchen liegt, aufgeschichtet zu einer Pyramide.
Na klar, du wieder musst ihn in Schutz nehmen.
Sagt mein Vater.
Die letzten in diesem Jahr, sagt meine Großmutter und ignoriert den Einwurf meines Vaters, gestern haben wir den ganzen Tag gebraucht, um so viele für euch zu pflücken. Aber wir haben ja unseren Heidelbeerwald, dort finden wir immer noch welche, sagt sie und blinzelt mir zu.
Ich muss noch schweigen und sitzen bleiben. Wenn die Erwachsenen reden, darf ich Kakao trinken aus einer der leichten Tassen aber vorsichtig und vom Heidelbeerkuchen essen, soviel ich will: Und darf träumen, soviel ich will.
Mein Vater sagt: Mit Salz und Brot haben sie uns begrüßt. Und Blumen haben sie auf unsere Panzer geworfen, in der Ukraine.
Mein Vater ist auf dem Vormarsch. Onkel Rudi sagt nichts und spielt mit seinem großen, goldenen Ring an der rechten Hand. Er ist Friseur, hat ein eigenes Geschäft in Leipzig, er ist reich und spielt den Überlegenen mit seinem Ring.
Irgendwie und irgendwoher verdankt er seinen Reichtum mehreren Säcken mit „europäischem Menschenhaar”, einer Beute, die er aus dem Krieg mit nach Hause brachte. Seine Perücken, die er selbst knüpft und dann verkauft und die besten Stücke zur Faschingszeit verleiht, sie haben ihn reich und überlegen gemacht.
Irgendwie und irgendwoher.
Im Krieg war er Fahrer eines „Sankra” und nicht Feldwebel, wie mein Vater. „Sankra” heißt “Sanitätskraftwagen” – erklärte er mir, als ich vor einem Jahr in die Schule kam.
Während Vater spricht und Onkel Rudi an seinem goldenen Ring dreht, sieht Onkel Herbert unter den Tisch. Er hat keine Feldwebeluniform getragen und kein Menschenhaar erbeutet, er hat ein kurzes und ein langes Bein, und alle sagen zu ihm: Na du, du warst ja ausgemustert. Das ist alles, denn er durfte nicht teilnehmen am Krieg wie Vater und Onkel; sein Blick trifft sich unter dem Tisch mit dem von Tante Hilde, seiner Frau, die einen kleinen Buckel bekommt, wenn sie so gekrümmt auf ihrem Stuhl sitzt und unter den Tisch schaut, an dem es für sie nichts zu erzählen gibt.
Aber ich muss sitzen bleiben und darf essen und trinken, soviel ich will.
Und träumen.
Großmutter schenkt mir noch eine Tasse Kakao ein, ungefragt, aus der großen, zerbrechlichen Kanne, und ich nehme mir noch ein Stück vom Heidelbeerkuchen.
Meine Tasse ist jetzt leer, und meine Großmutter schaut nicht herüber zu mir, aber meinem Vater mitten ins Gesicht. Da trinke ich lieber nichts mehr und bin auch satt vom Kuchen und träume jetzt lieber.
Zuerst träume ich immer, was ich weiß, später kommen die richtigen Träume. Ich weiß, dass, während Onkel Rudi, der Friseur, und Vater, der Feldwebel, in ihrem Krieg waren, die Frauen, die Schwestern, Mutter, Tante Hilde und Tante Margarete, ihre kranke Mutter aus Plauen gerettet haben. Aus dem zerbombten, brennenden Plauen. Mit einem Handwagen über die zerstörte Autobahn. Bis nach Reichenbach, wo die Heidelbeerwälder stehen und Großmutter auf sie wartete. Das habe ich abgelauscht bei früheren Familienfeiern, aber nicht viel mehr, nichts Genaues, und so träume ich jetzt lieber etwas anderes, vom Sommer draußen etwa, dem Garten meiner Großmutter, der die ganze Zeit, während ich im Zimmer bleiben und schweigen muss, seine Geräusche wie einen sanften Ruf durch das weitgeöffnete Fenster des Wohnzimmers schickt.
Oder ich träume von dem riesigen blauen Nachtfalter, der gestern früh, als wir ganz zeitig aufstanden, um die Heidelbeeren zu suchen, zwischen den Speichen des Fahrrades meines Bruders saß. Und den ich gefangen und in eine mit Laub und Gras gefüllte Kiste getan habe, die jetzt draußen im Garten an einem schattigen Platz steht. Mit einer Glasplatte abgedeckt, die Spalten der Holzkiste mit Kitt verklebt.
Aber Großmutter sagte, ein Nachtfalter brauche keinen Schatten, sondern die Nacht und kein Laub und kein Gras.
Geh ruhig hinaus, sagt meine Mutter, jetzt, in den Garten, wenn du willst, aber lauf nicht zu weit fort.
Ich höre beim Aufstehen und Hinausgehen noch, wie meine Großmutter sagt: Da hätte sich dein Großvater im Grab umgedreht. Aufs Gymnasium wolltest du nicht, weil sie da so komische Mützen tragen, aber zur SS bist du gegangen, weil du ein Deutscher sein wolltest. Das hat dir ja nicht gereicht: ein Staatenloser, der aus Polen kommt. Ein Polacke. Dann hast du das Land überfallen, in dem du geboren wurdest, und später noch ein paar andere. Dein Großvater hätte dir eine runtergehauen, der wusste immer, wo er hingehörte.
Vielleicht hat mich Mutter hinausgeschickt, weil sie weiß, was kommen wird, wenn Großmutter vorher so schweigt.
Im Garten herrscht der August mit seinen Blumen, den leergefegten Beerensträuchern und den Vogelstimmen darüber, den reifenden Luisen und Klapslieblings. Die Auguster aber sind noch nicht reif, manchmal liegt schon einer im Gras, aber den nehme ich nicht, den hat der Wurm vom Baum geholt, würde Großmutter sagen.
Jetzt muss ich nicht mehr still sitzen und schweigen, sondern darf laufen und springen und könnte, gäbe es jemanden, der mir zuhören würde, reden, soviel ich will. Aber mein Bruder ist schon groß und an die Ostsee verreist, in ein Ferienlager, und meine Freunde sind heute ins Freibad gegangen, nur ich muss daheim bleiben, weil die Tanten und Onkel gekommen sind und Mutter morgen Geburtstag hat.
Morgen ist Sonntag, und morgen gibt es einen Ausflug zum Waldsee. Vorigen Sommer sah ich, wie eine Ringelnatter dort mitten am Tag über das Wasser schwamm. Wir werden zu essen mitnehmen und am Geburtstag meiner Mutter ein großes Picknick machen, wie in jedem Jahr. Und fahren werden wir in dem neuen, weißen Sportcoupé von Onkel Rudi und Tante Margarete, einem Auto, wie es sich in unserer Stadt niemand leisten kann, nur jemand aus Leipzig, der im Krieg Beute machte. Und wenn ich richtig gerechnet habe und weil Onkel Rudi sowieso zweimal fahren muss, weil wir acht Personen sind, kann ich ihn vielleicht überreden, dass er mich zweimal mitnimmt. Dann wäre ich entschädigt für dieses Kaffeetrinken heute Nachmittag.
Aber weil es jetzt doch keinen gibt, mit dem man darüber reden könnte, über „Brot und Salz“ zum Beispiel oder “europäisches Menschenhaar” oder wie Plauen ausgesehen haben mag, als es brannte, gehe ich hinüber zu der Holzkiste, in die ich gestern den Nachtfalter gesetzt habe.
Ich nehme die Glasscheibe herunter und stochere mit einem Zweig zwischen Gras und Laub herum. Der Falter war blau, mit silbernen Pünktchen auf den Flügeln, breiter als meine Hand, die Schönheit selbst, wie meine Mutter ausrief, als ich ihn ihr zeigte, wie er da in den Speichen des Rades schlief.
Und die Freiheit selbst, sagte meine Großmutter, die uns dabei überraschte. Der muss frei sein.
Nein, sagte ich, den will ich haben.
Aber jetzt, wo ich endlich Zeit habe, finde ich ihn nicht, er scheint verschwunden zu sein. Ich schütte die Kiste um, verteile vorsichtig das Gras auf der Wiese, streiche das Laub auseinander, untersuche genau die Ritzen der Kiste, aber die sind dicht, die Bretter fest miteinander verzahnt, die Fugen mit Kitt verschmiert. Wie er herausgekommen sein soll, weiß ich nicht. Er bleibt verschwunden.
Was für ein Tag, sage ich laut und laufe zurück ins Haus, um von dem Unglück zu berichten.
Als ich ins Zimmer komme, ist Onkel Rudi schon auf dem Rückzug.
Ich gebe Vollgas, sagt er gerade, und mit dem „Sankra”, gib ihm, aufs freie Feld, wo die beiden liegen, eine Kugel zerhaut mir die Frontscheibe und ein Splitter das linke Zwillingsrad. Ich raus, die beiden, gib ihnen, hintendrauf, und mit Vollgas zurück. Haben überlebt, die beiden.
Jetzt sagt keiner was, und ich stehe allein mit meiner Nachricht. Was ist denn, zischt mein Vater, da sage ich nichts, auch Großmutter und Mutter nichts und laufe zurück in den Garten. Ich klettere auf einen der Birnbäume, und, wäre jetzt jemand hier, mit dem man reden könnte, oder einer wäre mir aus dem Zimmer nachgelaufen, würde ich es nicht anders tun als jetzt: stumm sitzen zu bleiben, zwischen den Ästen, einen Fuß frei, in der Luft baumelnd, den anderen in der obersten Baumgabel abgestützt. Bis in die beginnende Dunkelheit hinein, bis Großmutter oder Mutter sich meiner erinnern, wenn es längst zu spät ist, und nur weil das Abendbrot auf dem Tisch steht.

Die blaue Nacht

Weil ich schon weiß, wie das weitergeht an solch einem Geburtstagsvorabend, weil ich es schon kenne, bin ich von allein ins Bett gegangen.
Ich will noch ein bisschen lesen in dem neuen Pferdebuch, das Fury heißt und das mir ein Schulfreund über die Ferien geborgt hat. Ein Buch von “Drüben”, wo er Verwandte hat, unsere Familie nicht.
Unten im Haus haben sie Musik angestellt, jemand singt “Schwarzer Kater Stanislaus schnurredieburrebummbumm “, und ganz spät am Abend, wenn ich schon eingeschlafen bin und sie unten einiges getrunken haben, werden sie anfangen zu singen, was ihre Lieder sind: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord” oder „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederham“. Tante Margarete wird kreischen bei diesem Lied, und wenn ihre Stimme sich dann überschlägt, werden sie alle “Völker hört die Signale” singen, aber nur diesen einen Satz und danach durcheinander, wobei die Männerstimmen die der Frauen übertönen “Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier, drum fahrn wir nicht nach Hawaii, drum bleibnwerhier“.
Ich bin aufgewacht, schon vor ein paar Minuten, schon als sie ihren Kaiser Wilhelm wiederhaben wollten. Großmutter steht vor meinem Bett, einige Meter entfernt, im Nachthemd, aber wenn ich mir die Augen reibe, steht sie nicht, sondern sie schwebt. Ein blaues Licht scheint von ihr auszugehen, ihre Füße, die in alten Hauspantoffeln stecken, schweben etwas über dem Boden, das blaue Licht strahlt von ihrem Nachthemd her und wird mit jedem Pulsschlag meines Herzens, den ich jetzt ganz deutlich spüre, stärker und dann wieder schwächer.
Und jetzt erinnere ich mich an das Schweben meiner Mutter, als sie heute Nachmittag das Service im Wohnzimmer herantrug, und erinnere mich an eine ferne Nacht, als ich einmal viele Stunden lang aus dem Fenster den vollen Mond anstarrte, wie er sein Licht dem Schlag meines Herzens angepasst hatte, wie das Licht dunkler und wieder heller wurde, bis der Mond sich schließlich geteilt hatte und zwei volle runde Gestirne vor meinen Augen standen, die, als ich sie für einen Moment schloss, zusammengefallen waren wie ein Fernsehbild im Augenblick des Ausschaltens.
Meine Großmutter spricht.
Wir sehen das Abblättern der Tage vom Wipfel des Baumes, aber wie der Stamm seine Jahresringe hervorbringt, sehen wir nicht … Wir erkennen das dunkel Vergangene am hellen Schein, der von dort in die Zukunft fällt. Unser Leben ist nur ein Echo der Schreie, die unsere Vorfahren ausstießen … Du wirst die Freiheit verlieren und wiedergewinnen, deshalb ließ ich heute den Nachtfalter frei, er ist deinesgleichen, du brauchst die Freiheit und die Nacht, nicht Brot und Haus …Die Welt wird sich spalten in zwei Welten für lange Zeit, und beide werden sich Gerechtigkeit nennen. Der Zorn wird dein Haus sein und dein Brot.
Großmutter schweigt. Sie steht im weißen Nachthemd an meinem Bett, von blauem Licht umgeben, und mit jedem Schlag meines Herzens, der sich auf die Pupillen überträgt, verpocht ihr Bild vor meinen Augen. Solange, bis ihre Umrisse nur noch durch den schwach-blauen Schein dieses merkwürdigen Lichtes wiedergegeben werden, bis schließlich auch er verlischt.

Der Tag der Väter

Ich spüre ein Jucken auf meiner Wange, das kurz aussetzt, wiederkehrt an anderer Stelle, auf Stirn, Nase und Auge. Erst als es sich zu meinem Ohr hin bewegt und ich den Brummton vernehme, und noch während ich die Augen einen Spalt öffne, zuschlage, sehe ich die Fliege, die mich geweckt hat und jetzt zum Fenster und dann in den Garten hinaus fliegt. Es ist heller Morgen.
Aus der Küche höre ich die Geräusche des beginnenden Tages, die Stimmen der Familie, über denen eine fremde Männerstimme liegt, die mir jedoch bekannt vorkommt. Heute sind die Stimmen besonders laut, denn heute ist Sonntag und Mutter hat Geburtstag.
Ich springe aus dem Bett, nehme mein Geschenk vom Regal, eine Zeichnung, gemalt in der Schule mit Wasserfarben, mein Selbstporträt als Junger Pionier mit Halstuch und weißem Hemd. Es ist mir wirklich ähnlich geworden, und ich bin stolz und weiß, Mutter wird sich darüber freuen und mich loben vor der ganzen Familie.
In der Küche, die Zeichnung in meiner Hand, gehe ich auf Mutter zu, um ihr zu gratulieren, alle anderen sitzen am Tisch und schweigen, ich umarme sie, aus dem Radio dröhnt laut die Männerstimme, aber Mutter drückt mich nur kurz an sich und legt mein Geschenk auf den Tisch, unbesehen, die Männerstimme wiederholt immer wieder den Namen „Berlin”, und Mutter dreht sich weg, als würde sie weinen.
Ich schaue Großmutter an, Tante Hilde und Onkel Herbert, Onkel Rudi und Tante Margarete, alle starren sie auf die Tischplatte, mit gekrümmten Rücken, wie geschlagen, nur Vater steht abseits und stiert auf die gelbe Skalenbeleuchtung am Radio.
Aber jetzt hebt Großmutter ihr Gesicht, ihr Blick geht in den Garten, dreht dann ins Zimmer zurück und bleibt an mir hängen. Sie sagt: Jetzt sind wir alle gefangen. In Berlin haben sie eine Mauer gebaut.
Na und, denke ich, was geht mich diese Mauer an, heute ist Sonntag, heute hat Mutter Geburtstag.
Jetzt ziehen sie auch die Kampfgruppen ein, sagt Vater zu Onkel Rudi, dem Friseur, da hast du wieder Glück, du mit deiner Lunge. Aber du warst, sagt Onkel Rudi und dreht an seinem goldenen Ring, nicht fünf Jahre in Sibirien.
Und meine Großmutter schreit plötzlich Vater an, unvermittelt und wie besessen: Du bist ja wieder dabei, du hast ja überall mitgemacht, ich hab euch ja gesehn, wie die Gespenster saht ihr aus, mit Gasmasken seid ihr rumgelaufen in unserem Heidelbeerwald.
Komm, trink deinen Kakao, sagt Mutter zu mir, aber ich rühre die Tasse nicht an, heute steht das kostbare Service nicht auf dem Tisch, es ist im Wohnzimmer im Schrank geblieben – und Großmutter schreit weiter: Sogar in die Partei wolltest du, alles mitmachen wolltest du, wo was zu kriegen war, aber da haben sie dich nicht einmal genommen, weil du in der Waffen-SS warst. Das Beten wolltest du mir verbieten und mir meinen Gott nehmen, damit du in Ruhe Karriere machen kannst. Und in der Schule bei dem Jungen hast du dich groß gemacht, Elternbeirat, und deutsch-sowjetische Freundschaft, und Kammer der Technik, und Gewerkschaft, und dem Jungen hast du verboten, die Hosen, die Blue-Jeans zu tragen, die mich ein Vermögen gekostet haben. Das tragen in Amerika die Viehtreiber, hast du gesagt…
Großmutter schweigt, und bevor Mutter eine Bewegung machen kann und zu mir sagt: Komm, trink jetzt, der Kakao wird kalt, sagt Onkel Rudi, der Friseur, mit leiser Stimme: Der Spitzbart, keiner hat die Absicht, eine Mauer zu bauen, hat er gesagt, dieser Spitzbart.
Tante Hilde und Onkel Herbert bleiben stumm, wie immer, doch Tante Margarete hebt langsam ihren Kopf und sagt zu ihrem Mann, ein wenig keck, wie es ihre Art ist: ‘S gibt kein Bier auf Hawaii, drum bleib’n wir hier, komm, lass uns fahren sonst ist alles aus. Vielleicht gibt’s in Thüringen noch eine Stelle oder nach Bayern zu. Mach schnell jetzt.
Sie stehen auf, und mein Vater, der ganz weiß im Gesicht ist, setzt sich auf den Platz von Onkel Rudi, direkt vor den Radiolautsprecher.
Und unser Picknick, rufe ich, und euer neuer Wagen, das Sportcoupé? Wir wollten doch zum Picknick fahren, an den großen See, und in den Wald gehen, und schwimmen wollten wir, du hast doch heute Geburtstag, Mutter, heute ist doch Sonntag.
Da streicht meine Mutter ganz sanft über meinen Kopf hinweg, beinahe schwebend, und sagt nur: Später vielleicht. Später einmal.

Wir gehen auch, sagt Onkel Herbert, und Tante Hilde steht vom Tisch auf, nimmt aus ihrer Handtasche die Geldbörse und legt ein Zweimarkstück neben meine Tasse: Für die Ferien, du hast ja noch ein paar Tage. Geh doch ins Schwimmbad und kauf dir ein Eis oder eine Bockwurst.
Komm, sagt Onkel Herbert, wir fahren mit dem Bus zum Bahnhof, in zehn Minuten fährt einer, vorn an der Straße. Darf ich mitgehen, frage ich Mutter, und sie nickt.
Onkel Rudi sitzt am Steuer seines Sportcoupés und hupt noch einmal, Tante Margarete winkt lange und lässt eines ihrer teuren Tücher aus dem Wagenfenster flattern.
Wenn es noch einen Weg gibt, denke ich, in Thüringen oder nach Bayern zu, werden sie vielleicht Kaugummi schicken oder das Fortsetzungsbuch von Fury oder Blue-Jeans, damit Großmutter nicht wieder “ein Vermögen” tauschen muss von “unserem” Geld. Vielleicht werden sie sogar wieder reich, dann bekomme ich, später, wenn ich so groß wie mein Bruder bin, das Kofferradio, das ich im Versandkatalog meiner Freunde gesehen habe.
Tante Hilde und Onkel Herbert bringe ich noch an die Bushaltestelle. Aber heute ist Sonntag, der Bus kommt früher, keiner steigt aus, außer uns wartet niemand am Bushäuschen, sodass wir uns nur noch “Auf Wiedersehen” zurufen können, ganz ohne Umarmung. Aber Tante Hilde läuft im Bus schnell zu einem Fenster, drückt beide Hände gegen die Scheibe. Von außen, für mich, sieht es aus, als würden sie, als eine verzweifelte Geste, für immer dort kleben bleiben.
Ich gehe die Straße zurück, am Garten vorbei, zurück zum Haus.
Weiter unten spielen ein paar Kinder, immer zwei stehen sich gegenüber, die Arme erhoben und die Hände in der Luft gegeneinander gedrückt. Sie singen: Goldne, goldne Brücke, wer hat dich denn zerbrochen
Sie rufen mich, aber ich muss jetzt doch etwas essen und trinken, der Tag ist heiß, und mir ist ganz schwindlig. Nur Großmutter und Mutter sitzen noch in der Küche. Das Radio haben sie abgedreht. Vater ist zu Bett gegangen, obwohl es noch nicht Mittag ist, kalkweiß, wie Großmutter sagt, und Mutter sagt, er ist ja bei der Kampfgruppe.
Ich trinke den Kakao aus, nehme ein Stück Heidelbeerkuchen in die Hand, um es auf dem Weg zu meinen Freunden zu essen.
Ob wir ihn vom Ferienlager zurückholen müssen?, fragt meine Mutter in die leere Küche hinein, und Großmutter sagt: Warten wir noch einen Tag, an der Ostsee soll jetzt so schönes Wetter sein.
Ich schlage die Tür zu und will eigentlich gleich zum Gartentor hinaus, hinunter auf den Weg, zu meinen Freunden, aber da höre ich sie wieder singen: Goldne, goldne Brücke, wer hat dich denn zerbrochen? …Der Goldschmied, der Goldschmied, mit seiner Jungfrau Tochter … gefangen … gefangen … mit Ketten und mit Stangen …
Und jetzt, weil keiner meiner Freunde mich am Gartentor bemerkt, weiche ich vorsichtig zurück, ohne Geräusch, und verschwinde ungesehen hin zur großen Gartenwiese, wo alles noch so geblieben ist wie gestern Nachmittag, selbst die umgestürzte Holzkiste, in der ich nach dem verschwundenen Falter gesucht hatte, ist noch da.
Plötzlich aber bleibe ich mit einer jähen Bewegung stehen, ich höre genau die Stimmen des Sommers: die Vögel unter den Beerensträuchern, den Wind in den Apfelbäumen, die Fetzen des Liedes, das meine Freunde unten auf dem Weg singen, alles ganz deutlich, jedes Geräusch überlaut, aber seltsam voneinander getrennt, vom anderen geschieden, wie vom schneidenden Ton einer Säge zerteilt, wie allein auf der Welt.
Und mit einem Mal weiß ich: Ich bin vielleicht an allem schuld, weil ich “die Schönheit selbst”, den blauen Nachtfalter in diese Kiste aus Holz sperrte, sind wir jetzt alle gefangen, meine Freunde, Großmutter, Vater und Mutter, die Tanten und Onkel, mein Bruder an der Ostsee. Vielleicht war ich allein schuld an diesem zerstörten Sonntag, der der Geburtstag meiner Mutter hätte sein sollen, mit Picknick und Schwimmen im See … Und ich hob mich von der Gegenwart ab wie ein Schrei meiner Vorfahren. Ich trat mit der ganzen Kraft meines linken Fußes gegen die Kiste, das Holz splitterte unter der Wucht des Stoßes, mit dem rechten trat ich gegen die aufragenden Leisten, die noch nicht geborsten waren, brach sie mit Händen und Füßen auseinander und stampfte auf ihnen herum, bis sie zersplitterten.
Sollen die ihre Mauern doch bauen, wann sie wollen, dachte ich, aber nicht zu Mutters Geburtstag, nicht am Sonntag, nie wieder sonntags soll Mutter Geburtstag haben.

Der Tod auf Hawaii

Später, wir saßen beim Abendbrot, Vater lag noch im Bett und war krank, Mutter war nicht bei Tisch erschienen, Großmutter hatte das Radio wieder angeschaltet, gab es den ersten Toten dieses Tages.
Die allererste der uns verbotenen Nachrichten von “Drüben” lautete, Graf Berghe von Trips habe sich mit seinem Rennauto auf dem Kurs von Monza überschlagen und sei im Wagen verbrannt.
Die leben ihr Leben weiter, sagte Großmutter.

November 91 – 4.Januar 92

Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Aus: Utz Rachowski, Beide Sommer. Zwei Erzählungen und drei Essays Leipzig: Leipziger Literaturverlag, 2011

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Jun 27 2011

Gabriele Eckart

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The Reception of Miguel de Cervantes’s Texts Don Quixote and El Coloquio de los Perros in Post-Reunification German Literature

It is a false commonplace in the field of German studies that Cervantes was not an important influence on German literature after the time of Heinrich Heine.  This study attempts to demonstrate that many literary texts written after the fall of the Berlin Wall (1989) in different ways attempt to give new life to Cervantes’s protagonists.  Although there are also other interesting intertextual references to Cervantes’s texts during this time, only those will be examined that refer in one way or another to the breakdown of the socialist experiment in the GDR and the process of German reunification.  I wish to show that the way in which the authors treat Cervantes’s protagonists is influenced directly by their stance in this sociopolitical “Wende.”[1]

In Joochen Laabs’s travel novel Späte Reise, published in 2006, the main protagonist remembers the “wanderlust” from which he suffered in the GDR, where traveling outside its borders was forbidden with the exception of travel to a few other socialist countries.  Now, after the fall of the Wall, he can satisfy it.  In the GDR, the protagonist had worked as a streetcar driver.  The following paragraph describes how he secretly had dreamed of driving all the way to Spain:

Wenn ich […] auf dem seitlichen Gleis nach Madlow unterwegs war […] war es nur ein Gedankensprung bis zu Don Quijotes Mühlen in der Mancha; und wenn die Bahn in dem maroden Gleis nicht so gelärmt hätte, wären die sich zischend drehenden Mühlenflügel ohne weiteres zu hören und der Ritter, lanzebewehrt über Rosinantes Mähne gestreckt, im Anritt zu erspähen gewesen. (85)

Don Quixote and the windmills are functioning here as a synecdoche for the country of Spain that the protagonist worried he might never see.

In another travel novel from this period, Bernd Wagner’s Paradies (1997), a female protagonist from East Berlin travels to Hamburg after the fall of the Wall, accompanied by her West German boyfriend, Konrad.  During this journey, she has a strange dream:

und dann … hat [Konrad] mir […] das verliehen, was zu tragen immer mein größter Traum war, Don Quichotes Kopfbedeckung, das goldene Baderbecken!  Ich saß dabei auf Sancho Pansas Esel […].  Das Becken war breitgehämmert zu einer Art Kardinalshut… Ich wollte es runden und glätten, indem ich es Konrad, der jetzt weiter von mir entfernt stand, zuwarf wie eine Frisbeescheibe.  Doch die Scharte am Hutrand wurde mit jedem Wurf tiefer, bis daraus eine rotierende Sichel wurde und ich im Schlaf rief… Nicht anfassen, nicht anfassen! (171-2)

With Quixote’s basin – an icon in literary history – on her head, the protagonist without doubt is celebrating the freedom that she gained with the fall of the Wall.  But, how do we interpret the nick at the rim that is deepening and turning the hat into a rotating sickle that could hurt or even kill them?  A sickle, as is well known, was part of the emblem of the Soviet Union.

In contrast to Laabs and Wagner in whose novels Quixote plays an important role in the context of the newly gained freedom to travel – he symbolizes the splendor of another world that was unreachable until now – Volker Braun uses Cervantes’s hero to attack from “a comic perspective” (Fiedler 342) the opportunism of former GDR officials who after the fall of the Wall became successful capitalists from one minute to the next.  In the narrative Der Wendehals (1995) the first-person narrator meets by coincidence Mr. Schaber, who was a high-ranking Party official until 1989.  The narrator hardly recognizes him because he looks so “fein gekleidet, gebürstet und gebräunt, und er geht stolz wie ein Banker einher” (9).  With the help of old friends, Schaber got hold of an important post in the financial academy.  Schaber is busy, the narrator is lamenting, but he has no ideals anymore.  To express the contempt that he feels for Schaber, the narrator refers to Don Quixote, playing with the contrast between a real (with ideals) and a false (without ideals) knight-errant:

er sitzt noch auf dem Pferd des Engagements (einem Gebrauchtwagen, den ihm die Firma stellt, einen gut erhaltenen Opel), aber er reitet auf kein Ideal mehr zu, er ist nur in Trab.  Was für ein armer Ritter, eine reisige Seele – des Geschäfts.  Ein Kaufmann des Ausverkaufs (in seinem eigenen Laden.) (9)

With the following words, Schaber tries to justify his sudden change from a Communist  Party official to a capitalist: “Ich bin vom hohen Roß, und danke meinem Gott.”  He adds, “Was zählt das schon, ob du oben sitzt, wer sieht dich darauf an? Das war einmal… Achtung, Ansehn, Ehre.  Jetzt stehst du vor dir selbst da.” (17)  Unfortunately, Braun’s narrator does not reflect upon the fact that a person who so quickly is able to climb down from Rocinante and master a new, completely earthly existence, cannot have been a true Don Quixote.  No doubt, Schaber must have been an opportunist already before the fall of the Wall.  Had he really believed in the ideals in which he had pretended to believe as a Communist Party official, it would have been harder for him to deal with the reality of the socialist experiment’s collapse.  As we know, for Don Quixote losing his dream world led to his death.  That Braun’s narrator is obviously in pain in the face of the loss of Schaber’s former self as a believed-to-be communist shows his unconscious nostalgia for the GDR and his problems in coming to terms with the new political situation.   An indication of these problems is also the mysterious epigraph at the beginning of Der Wendehals, in which Braun quotes Don Quixote’s squire: “’Liebe Frau’, erwiderte Sancho, ‘wenn Gott es wollte, so wäre ich froh, nicht so heiter zu sein, wie du mich siehst’” (5).  As Christine Cosentino pointed out, Braun’s figure Schaber actually represents a part of the author’s own self, one who at the same time is his “Widersacher und Alterego” (180).  Taking this observation into consideration, we could interpret the epigraph as an expression of Braun’s inner doubts about his perception of reality at that time.

Steffen Mensching’s interpretation of the myth of Don Quixote demonstrates that he, too, suffered from such nostalgia when he wrote the narrative Quijotes letzter Auszug (2001) – as in Braun’s case, not nostalgia for life as it was in the GDR, but for the time when communist ideals were not questioned.   In Mensching’s text, Quixote is protesting against his author, Miguel de Cervantes: “das Buch [ist] eine einzige Lüge” (6).  Although the protagonist has to admit the reading of it is “vergnüglich, spannend, amüsant” (6), he makes it clear that he hates the content of the book, especially its ending.  That he dies with a “Widerruf [im] Maul” (12) – Don Quixote, as is well known, under his real name Alonso Quijano, retracts his belief in the ideals of chivalry – furthermore, that he dies in bed and not in a battle for his ideas Mensching’s protagonist finds unacceptable.  That Cervantes ended his story in such a deplorable way could only be explained, Mensching’s narrator thinks, by Cervantes’s fear of the Inquisition.

The ending of Cervantes’s novel has often been discussed in the history of world literature.  Jorges Luis Borges, for instance, wrote, “Cualquier otro autor hubiera cedido a la tentación de que Don Quijote muriera en su ley, combatiendo con gigantones o paladines alucinatorios, reales para él.” (31) / (“Every other author would have given way to the temptation that Don Quixote would die in his struggle, fighting with giants or hallucinated paladines who were real for him.”) (Transl. G.E.)  After having quoted a critic who criticized Cervantes for having Quixote wake up from his illusions before his death, Borges continues,

A ello podemos contestar que la forma de la novela exige que Don Quijote vuelva a la cordura, y también que este regreso a la cordura es más patético que el morir loco.  Es triste que Alonso Quijano vea en la hora de su muerte que su vida entera ha sido un error y un disparate. (31) / (To this, we can respond that the form of the novel requires that Don Quixote return to his reason and also that this return to mental health is more pathetic than to die mad.  It is sad that Alonso Quijano sees in the hour of his death that his whole life was an error and nonsense.) (Transl. G.E.)

However, this realization that all his actions that he performed in the name of his ideals were errors and nonsense, a utopian socialist such as Mensching has to reject.  Therefore, he corrects, so to speak, Cervantes’s text that is about a man who sallies out into the world with a raised lance to change it in the name of his ideals and dies in the end when he awakes from his illusions.  Mensching’s narrative Quijotes letzter Auszug is supposed to offer proof that such an undertaking is not at all a “Ulk und Dumme[r]jungenstreich” (12) – and that at no rate can it be called madness.  Therefore, instead of dying, Mensching’s Quixote wakes up from a coma and sallies out once more; the revolution will go on….  Without a squire because Sancho died from disillusionment, Don Quixote rides to Barcelona where Cervantes is supposed to live.  He wants to force him to rewrite the end of the book.  However, instead of Cervantes, he finds only Avellaneda there – the false author of the second part of Don Quixote of La Mancha.   For having created unrest, Quixote is arrested and put to the pillory.   When later on he finds the “real” author of Don Quixote, Cervantes tells him the book is just fiction; he should go to hell.  Followed by a mob, which even Sancho’s widow is part of, Quixote escapes to a cliff at the shore near Gibraltar.  There, exhausted but still strong and armored, he waits for his pursuers.

Apart from the size and complexity of both texts, Cervantes’s and Mensching’s Don Quixote also differ through different attitudes regarding the narrators.  While in Cervantes’s case the narrator strongly distances himself from the imagined world of his main protagonist – by means of which it becomes recognizable to the reader as a mad world – in the case of Mensching’s narrator, such a distance is missing.  Mensching’s Quixote speaks in the first person, without any self-irony; therefore, the world in his mind seems to be the “correct world” to the reader.

Nevertheless, there is some humor in Mensching’s book.  It comes from political hints at concrete events that occurred after the fall of the Wall.  The following example, without doubt, refers to the shocking revelations about the luxurious life of the East German nomenclatura in Wandlitz near Berlin.  In the following example, Don Quixote tells Sancho Panza how he stepped between two fighting men at a market:

ein junger Heißsporn verteidigte, mit rührendem Elan und Unverständnis meine Ehre, edel und selbstlos hätte ich, will sagen, Don Quijote, gekämpft, nur für die Regeln hoher Ritterschaft, der zweite, ältre lachte, geh mir mit deinem Heiligen, um Gold und Reichtum ging es ihm […].  Die letzte Meinung kränkte mich, die erste war mir peinlich. (45-6)

In the following paragraphs, Quixote rejects the accusation that he fought for gold and riches; and it makes him likable that his fame, which the firebrand praises, embarrasses him because, admittedly, sometimes he fell prey not to the greed for gold, but to vanity.  Without doubt, this evaluation of the two men’s arguments represents Mensching’s thoughts regarding the characters of the men who represented the GDR leadership:  They had their flaws, but they were not capitalists in disguise.

Interestingly, neither Braun nor Mensching, who are committed Marxists, try to interpret Cervantes’s hero from a Marxist perspective.  It would mean seeing the hidalgo Don Quixote mainly as “Ideologieproduzent[en], der den Warenproduzenten – Sancho Pansa ist Bauer – in das Schlepptau seiner Verstiegenheiten nimmt” (Dieckmann 17).  Instead of trying to demystify Don Quixote in Marxist terms, Braun and Mensching interpret the fact that Quixote had an ideology – no matter what kind – positively.  At least he believed in something; he had ideals and didn’t give them up in times of disbelief.

Erich Loest  – who had left the GDR, where he spent seven years in prison for political reasons long before it collapsed – uses the figure of Don Quixote to ridicule those who wish to repeat a socialist experiment in East Germany.  In an essay published in the journal Die Zeit in 2002 he attacks the renowned literary critic Werner Mittenzwei for his strongly expressed nostalgia for the former GDR in the book Die Intellektuellen (2001).  In contrast to Volker Braun’s turncoat Schaber, Mittenzwei really seems to have believed in communist ideology and the realization of its ideals in the GDR.  Therefore, as Loest puts it “[f]ür Mittenzwei bricht 1989 eine Welt zusammen und beginnt ein wahres Jammertal von Hass und Verfolgung”.[ 2] Referring to Don Quixote, Loest states, “Als Hoffnungsstrohhalm erscheint ihm [Mittenzwei] der Aufruf “Für unser Land,” in dem die Don Quixotes der DDR ein letztes mal versuchten, ihre Illusionen zu bewahren.”  In the following, Loest plays with the famous contrast between the idealistic Don Quixote and the earthly Sancho:  “Aber die Sancho Panzas waren längst mit ihren Trabant-Eseln zu neuen Ufern unterwegs” – a hint at the masses of East Germans who in their small cars called “Trabant” were about to satisfy their “wanderlust” that was suppressed for so long.

Loest takes one more step in his attempt to make Don Quixote topical for the period after the fall of the Wall.  To Mittenzwei’s advice that humankind should repeat the socialist revolution to see if the next time the experiment might be more successful, Loest replies,

Das hatten wir in einem Witz, in dem Lenin seinen Genossen zurief: ‘Zurück in die Schweiz! Alles noch mal von vorne!’  Deshalb nenne ich Werner Mittenzwei einen roten Don Quixote.  In diesem Vergleich liegt auch Trost: Cervantes ließ seinen Helden am Ende ein Testament machen und friedlich, befreit von Wahnideen, die Augen schließen.  In diesem Sinne wünsche ich Mittenzwei ein langes Leben.

Another East German writer who shed new light on the figure of Quixote from the perspective of the “Wende” in 1989, Ingo Schulze, should be mentioned here.  In his novel Neue Leben (2005) the critical intellectual Georg, shortly after the fall of the Wall, started the first free newspaper in a Saxon city.  In the description of the opening reception, the narrator states, “Georg hatte ernst wie Don Quichotte auf seine Gratulanten herabgeblickt, verwundert, daß jene, gegen die er ins Feld ziehen wollte, sich nun lächelnd zu seinen Füßen wanden”  (98).

As Braun did, Schulze employs the famous Spanish protagonist to attack the opportunism of former Party officials who after the fall of the Wall changed their political views too fast to be believed.  However, in contrast to Braun, Schulze is claiming Quixote’s role for that of his main protagonist, an alter ego of the author.  According to the romantic interpretation of Don Quixote (by which Quixote is not a fool, but a brave fighter for a better world) this protagonist is a real Don Quixote, not as Braun’s Schaber, a false one.   Georg’s dream world is not enlightened by the utopia of the Golden Age, but by that of a press free from the terror of censorship.  However, the Party officials who always opposed this kind of press suddenly are not his enemies anymore; Don Quixote is standing there with his lance raised, and those whom he wanted to battle against are “smilingly” winding at his feet.   How would Cervantes’s hero have reacted if his mighty enemy, the Knight of the Mirrors, had behaved in such a strange way?

To summarize the result of this examination at this point, we have seen very different references to Don Quixote in the case of six East German writers.  Their interpretation of Cervantes’s protagonists was influenced by their more positive or more negative attitude towards the fall of the Wall and the process of German reunification.  One of them, Erich Loest, had left the GDR already before its collapse and, as a half-East, half-West German, serves as a bridge to the West German Martin Mosemann’s adaptation of Cervantes’s novel Don Quixote.  Loest used, as we saw, his reference to Don Quixote to criticize sarcastically those East Germans who still are dreaming of a new socialist experiment.  Mosebach’s contribution to the adaptation of Cervantes’s novel in the context of German reunification refers to the political chaos in the East of which, we could say, the very different interpretations of Cervantes’s novel are a reflection.  Ironically, Mosebach asks in the face of this chaos if it was worthwhile to give freedom to those behind the now-broken-down Wall.

Mosebach’s contribution to the reception of Don Quixote in post-Wall Germany is a prologue and epilogue to his new translation of Manuel de Falla’s opera for puppets Meister Pedros Puppenspiel.  It was performed at the Kabinettheater in Vienna in 2001.  As is well known, the plot of de Falla’s opera follows a chapter of part two of Don Quixote of La Mancha.  Mosebach’s prologue and epilogue consist of dialogues between Quixote, Sancho, and Master Peter, the puppeteer; they are written in trochaic verses.  The time is the 20th century as is indicated by a “Würstchenbude” (4) the smell of which excites Sancho’s stomach.   His donkey is replaced by a bicycle.  Such parts of the stage set leave no doubt that Mosebach’s prologue and epilogue are not comments about seventeen-century Spain, but about the problems of contemporary Germany.  That those problems have to do with the process of reunification is indicated by questions of Quixote as, for instance, the following: “Warum führt das Freiheitschenken / nur in immer größre Wirrsal?” (6) – a hint at the mentioned political chaos in the East.

The plot of Mosebach’s prologue is more or less identical with the last part of Cervantes’s 25th chapter of part two of Don Quixote: The narrator introduces the puppeteer, Master Peter, and his talking ape; Peter honors Quixote as a hero by praising his courage.  In the epilogue, there are important changes.  At first, the plot follows the beginning of Cervantes’s chapter 27 in part two where it turns out that Master Peter is Ginés de Pasamonte – a galley prisoner whom Quixote had liberated in part one of the novel.  To get away faster, he had stolen Sancho’s donkey.  In part two of Cervantes’s novel, Pasamonte covers parts of his face with an eye patch.  In this disguise, he can perform as a puppeteer without Quixote and Sancho recognizing him.   However, Mosebach has Sancho recognizing Pasamonte after the puppet show in which, as is well known, Quixote destroyed the puppets in his delusion that the action on stage was reality.  The squire recognizes him by Pasamonte’s bicycle; it’s his!  The former galley prisoner had stolen it from him after having been liberated by Quixote.  Sancho tears off Pasamonte’s eye patch; now, also Quixote recognizes him and says reproachfully, “Schlecht vergolten, undankbarer / hast du Räuber Pasamonte / die Befreiung und Erlösung / die dir schenkte Don Quijote!” (4-5) Later, Mosebach’s Quixote adds,

Wenn die Welt ich soll befreien

Warum sind’s nur Bösewichter

Oder tongebackne Puppen

Die mein Schwert zur Freiheit leitet? (6)

Given the fact that this epilogue was written two years after German reunification – exactly during the heated discussion about the fact that many East Germans had worked for the state police – Mosebach’s “villains” could refer to those East Germans who cooperated with the Stasi.  The expression “puppets made from clay” can be interpreted as “people without a soul” – perhaps a reference to the “turncoats” such as Braun’s Schaber.

The question must be raised why we can find so many East German writers who in the context of the “Wende” refer to Don Quixote, but only one West German?  It is probably an indication of the fact that mainly the mind of East Germans was occupied so strongly with those events.  For most West Germans, the events were certainly interesting and perhaps sometimes unpleasant because of the raise in taxes as a result of German reunification, but they did not shake West Germans’ existence as they did East Germans’.  In reference to sociopolitical change, there is an important similarity between Cervantes’s 17th-century Spain and East Germany in the last decade of the 20th century that makes his texts of great relevance for this contemporary period.  As Ernst Bloch showed, Cervantes lived at a time when idealism seemed to have disappeared from the world.  The transcendental ways of thinking, according to Bloch, had become pushed aside “von einer geheimnisvollen Realdialektik” (113) – a reference to the development of modernity that put an end to most people’s transcendental anchorage in the medieval Weltanschauung with its faith in God.  Now again, after the arrival of capitalism in East Germany, idealism – for instance in the form of the belief in a classless society – seems to have disappeared; those who stick to it are considered to be quixotic, following “Trugbildern” (Bloch 118).

In the following, some interesting texts of East German writers published after the fall of the Wall will be pointed out that refer to Cervantes’s Don Quixote, but are not necessarily related to the events of the “Wende” in 1989.  Afterwards, I will examine a text by Fritz Rudolf Fries that reinterprets Cervantes’s novella about the speaking dogs El Coloquio de los perros – commenting very specifically on the events following the fall of the Wall.

Wolf Biermann, whom we could call, similar to Loest, a half-East German and a half-West German  (he grew up in Hamburg, moved in 1953 to East Germany until he was expatriated in 1976), wrote in 2001:

Ich half mir selbst, drum hilft mir Gott

Im Beten seh ich keinen Sinn

Bin ein moderner Don Quichotte

Mich wundert, daß ich so hilflos bin (63).

That Biermann’s lyrical ego in the year 2001 sees himself as a “modern Don Quixote,” meaning as an eccentric and a man full of contradictions, might have to do also with his feelings toward the process of German reunification; however, this is not stated clearly in the poem.  Therefore, it will not be examined further.

An ambivalent case is Fritz Rudolph Fries’s narrative Don Quixote flieht die Frauen: oder die apokryphen Abenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt (1995).  At first glance, it seems that the text would not refer to the “Wende” in East Germany.  It interprets the author Miguel de Cervantes as a womanizer and politically suspicious subject who, being afraid of the Inquisition, portrays himself in his creative writing as a crazy knight-errant who calls himself Don Quixote.  In other words, Cervantes’s novel, according to Fries’s narrator, was mainly created as a red herring for the Inquisition’s censorship office.  And it allegedly worked – the Inquisitor after having read this novel took Cervantes’s name off the list of suspicious people.   Nevertheless, a second reading of Fries’s text shows that it is more than a historical narrative; there are, indeed, important references to East Germany and its situation after German reunification.

After the Inquisition took Cervantes’s name from the list of suspicious people in Fries’s text, at least for seven years, the narrator states, “Freilich blieben da die sieben Jahre algerischer Gefangenschaft, der Einfluss der Ungläubigen, ihre geheime Infiltration, und sei nicht immer der Schriftsteller ein Sprengsatz im eigenen Land und der Leser der Zünder dazu?” (5)  This statement about the function of the writer is a paraphrase of the Marxist concept of “Kunst ist Waffe”.  It seems that Fries in the ideological turmoil that followed the fall of the Wall – a turmoil in which also the function of literature as East German writers saw it was called into question – wanted to reassure himself that nothing had changed for a writer; literature still was needed to criticize and perhaps change reality.

However, there is another reason for seeing Fries’s reinterpretation of Don Quixote as a reaction to the events of the “Wende” in 1989.  It’s a text about files.  The first sentence says, “Meister Cervantes, so las man später in den Akten der Inquisition, habe nicht immer die Wahrheit geschrieben” (5).  In the years after the fall of the Wall and the ousting of the state police, the Stasi files were opened to the public.  The poisoning dust that came out of them destroyed the careers of several writers and other figures of political importance.  Fries’s talking about files of the Inquisition in his text is a disguised way of talking about the Stasi files.  The omniscent narrator in Don Quixote flieht die Frauen conducts research in the Inquisition’s files, which are now open; he discovers that Sancho Pansa, the assistant of the writer and prisoner Don Quixote, had told the Inquisition about the discrepancies between the writer’s life and his supposed autobiography, called Don Quixote de la Mancha.  With the help of those files, the narrator then reconstructs the true story of Cervantes’s life, that is, the story that the Inquisition had gathered listening to Sancho.  This whole procedure reminds us of West German journalists who after the fall of the Wall went to the East to read the Stasi files of prominent writers and then confronted them in the media with the discrepancies between the “facts” found in the files and their life stories as they were told in their books; the most famous example is Karl Corino’s accusation of Stephan Herlin as a liar in his long essay “Aussen Marmor, innen Gips”: Die Legenden des Stephan Hermlin (1996)[3].  In talking about the voracity of a writer’s work in historical disguise, Fries might have gained the inner distance that he needed to be able to cope with such a situation.  However, another interpretation is possible.  Fries, as it was known in 1996 [4], had been an “Informeller Mitarbeiter” of the Stasi until the fall of the Wall.  By turning Sancho Panza into an informer of the Inquisition, the author might have attempted to play down such activity, to give it a more innocuous look, or to trivialize it.

Besides Don Quixote flieht die Frauen, Fries in this period after German reunification published another important reinterpretation of a text of Miguel de Cervantes’s – the novella Coloquio de los Perros (1613).  It is one of the most renown of Cervantes’s Exemplary Novels – a text full of barbed observations on the Spanish society of the time.  The novella is not Cervantes’s magnum opus, but because of E.T.A. Hoffmann’s adaptation in “Nachrichten von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza” (1814) even German readers who are not familiar with Cervantes’s Exemplary Novels know about the famous canine protagonist, Berganza.

In Fries’s reinterpretation of Cervantes’s text, titled Die Hunde von Mexico Stadt (1997), two writers, the East German first-person narrator and his famous West German colleague Günter Grass, are standing on the balcony of a hotel in Mexico City listening to the conversation of two dogs.  They are Berganza and Cipión and function as reincarnations of Cervantes’s protagonists in Coloquio de los Perros. Also four other figures – a poet, an alchemist, a mathematician, and a project maker – are borrowed from Cervantes’s text, with the only difference that Fries’s arbitrista is a woman, “eine Projektemacherin.”  Like Cervantes’s dog, Fries’s Berganza is a picaresque character; he is always hungry, changes masters frequently and consequently comes in touch with very different social spheres.  The main subject of the dogs’ conversation in Fries’s text is of course not Spain, but contemporary Germany, more precisely, the disappearance of the former GDR and rapid westernization of East Germany.  The form of a dog’s conversation and the many references to Cervantes’s text render funny what otherwise would just be one more lamentation about a disappearing world that the narrator attempts to rescue.  In other words, the intertextuality in Fries’s text functions as camouflage for the author’s nostalgia for the GDR, where he had lived more comfortably than today.

Fries’ Berganza is a tall white dog that speaks with a deep voice and uses obscene vocabulary: “Deine Spalte, oder hast du keine, ist ohne Duft”.  Cipión – in Fries’s text a female dog – justifies her lack of sex- appeal: “Die Jahre sind es nicht, die Mutationen, Berganza!  Experimente von Menschenhand” (7).  Instead of appealing to protectors of animals, which after this surprising start of the conversation seems to be Fries’s intention in writing this text, Berganza changes the subject and reflects about the miracle of their ability to speak: “Sind wir zu klagen hier oder doch eigentlich uns zu wundern, dass uns das Wunder der Sprache gegeben ward” (7-8).  This is the same question that Berganza asks in Cervantes’s text.  However, the answer as to why the two dogs can speak is different in Cervantes’ and Fries’ novellas.  In Cervantes’s text, a story about witches tries to explain this miracle; in Fries’ text the witches are missing.  Instead, Cipión just says the dogs have been given the ability to speak in order to “sagen, was sich Menschen nicht mehr trauen” (14).  In other words, the two dogs must have received the mastery of language from a divine source.  The important things that they feel urged to express in Fries’ text concern the process of German reunification – “eine Pest” (17) in Berganza’s words.  In Fries’ story, four people literally die from this plague which is taken literally as an epidemic: the poet, the alchemist, the mathematician and the arbitrista – the same four figures to whom Cervantes’s Berganza had listened in the hospital in Valladolid (with the difference that the arbitrista then was a man).

In that hospital Cervantes’s poet had complained bitterly about not being able to find an intelligent, liberal, and generous prince to whom he could dedicate his poem.  The alchemist complained about his inability to buy the instruments for finding the philosopher’s stone, and the mathematician about his inability to define the quadrant of the circle.  In fact, he came very close, but then he got stuck and couldn’t continue though he had been trying desperately.  Cervantes’s arbitrista’s problem is quite different.  The authorities do not approve of the plan he made to improve the finances of the state.  He had proposed that all vassals of the state between fourteen and sixty should fast once a month and give the money that they saved this way to the king.  The latter wouldn’t have any more debts after twenty years.

J.H. Elliot states about the role of the arbitristas in seventeenth-century Spain:

The arbitrista was the product of a society which took it for granted that the vassal had a duty to advise when he had something to communicate of benefit to king and commonwealth, the assumption being that he would also benefit himself.  Sometimes a crook and more frequently a crank, he might recommend anything from a secret alchemical formula infallibly guaranteed to refill the king’s depleted coffers, to the most grandiose political and military projects. (243)

Cervantes’s low opinion of the proposal of his arbitrista can be seen in the fact that the other figures are laughing about so much nonsense and the narrator adds: ”y él también [el arbitrista] se riyó de sus disparates” (336) / (“and he also [the project maker] laughed about his nonsense”) (Transl. G.E.).

Interestingly, in Fries’ text a high official of the former GDR plays the role of the arbitrista; she had helped put into words the utopian projects of the Party and coined the expression: “Plane mit, arbeite mit, regiere mit” (17).  However, contrary to Cervantes, Fries does not have us laugh about this figure; instead, the East German author portrays her with complete seriousness and tragic emphasis.  Before she dies from the plague – which for Fries, as stated above, serves as a metaphor for the process of German reunification – she writes down her will.  It states that after her death, she wants to be put on ice until the next millennium.  This, without any doubt, expresses the author’s wish that the GDR one day under better conditions would rise from the dead – very similar to Werner Mittenzwei’s dream, which Erich Loest made fun of in his essay “Wider die Dunkelmänner unserer Zeit”.  What supports this interpretation is also the fact that Cipión – Berganza’s object of desire – in the end crawls into the freezer where the “Projektemacherin” is waiting until the next millennium.

To summarize, besides two short references to Cervantes’s Don Quixote of la Mancha that serve to articulate the emotional suffering caused by the travel restrictions in the former GDR and the joy about the newly gained freedom to travel (Laabs, Wagner), there are three important intertextual references to Cervantes’ texts that can be interpreted as a nostalgic way of saying good-bye to the socialist dreams of the authors (Braun, Mensching, Fries).  Loest, on the other hand, rejects such feelings of nostalgia by laughing at one such man who is dreaming of another socialist experiment as a Don Quixote who is still in love with novels of chivalry.  In Schulze’s case, Don Quixote, quite differently, is a hero who is surprised at the behavior of his enemies who are suddenly not behaving as enemies anymore.  He is also a hero in the West German Mosebach’s epilogue to Meister-Peters-Puppenspiel, a text in which the East Germans, summa summarum, are compared to the ungrateful Spanish robber Ginés de Pasamonte.  Paradoxically, between the lines – not only of Mosebach’s, but also of Braun’s, Mensching’s and Fries’ texts – there is lurking the question of whether everything would be better if the Wall had not come down.

Notes

1 A part of this article was published in German under the title “Don Quichotte und Sancho Pansa in der deutschen Nachwendeliteratur” in Literarische Koordinaten der Zeiterfahrung.  Eds. Joanna Lawnikowska-Koper, Jacek Rzeszotnik.  Wroclaw: Neisse Verlag, 2009: 177-86.

2 To be precise, Mittenzwei does not state directly that mankind should repeat the socialist revolution.  He states that he thinks that according to Marx’s theory, mankind will have no other choice than “das Experiment der Umwälzungen aller bisherigen Verhältnisse in radikal erneuerter Fassung zu wiederholen”  (Mittenzwei 557) if it wants to survive.

3 Besides smaller discrepancies between “truth” and self-representation in Hermlin’s book Abendlicht (1979) from the time when Hermlin was a youth, Corino discovered that Hermlin never was a prisoner in a German concentration camp as he claimed; neither was he an officer of the International Brigades in the Spanish Civil War, nor had he been an active member of the French Resistance.  Critics of Corino’s attack on Hermlin pointed out the fact that although a first-person narrator is employed to tell the story of a man’s life in Abendlicht, the book was intended to be only semi-autobiographical, not completely factual in nature.

4 See Joachim Walther’s book Sicherungsbereich Literatur Berlin: Ch. Links Verlag, 1996.

Bibliography

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(1/8/2007)

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Mittenzwei, Werner.  Die Intellektuellen: Literatur und Politik in Ostdeutschland von 1945 bis 2000.  Leipzig: Faber und Faber, 2001.

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Schulze, Ingo. Neue Leben: Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa.  Berlin: Berlin Verlag, 2005.

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Walther, Joachim.  Sicherungsbereich Literatur: Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik.  Berlin: Links, 1996.

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Feb 03 2011

Rezensionen Glossen 32/2011

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Hubert Winkels, Kann man Bücher lieben? Vom Umgang mit  neuer Literatur. Köln: Kiepenheuer u. Witsch 2010. 392 Seiten

Die Frage, wie sich neuer Literatur zu nähern sei, stellt sich für Literaturwissenschafter wie Literaturkritiker gleichermaßen. Während die germanistische Literaturwissenschaft indes immer wieder zögert, sich auch als Gegenwartsliteraturwissenschaft zu verstehen, setzt sich die Literaturkritik qua Profession seit jeher routinemäßig mit literarischen Neuerscheinungen auseinander. Wenn Hubert Winkels sein nun erschienenes „Lese-Buch“ (23)  im Untertitel Vom Umgang mit neuer Literatur bezeichnet, bewegt er sich also in einem bestellten Feld.

Die auf knapp 400 Seiten zusammengestellten „Erzählungen, Essays und Besprechungen“ (16) sind zunächst vergleichbar mit literaturkritischen Bestandsaufnahmen wie etwa den kürzlich erschienenen von Uwe Wittstock und Richard Kämmerlings. Diese Essay-Sammlungen von mehr oder weniger kurzen Texten und zum Teil erweiterten und überarbeiteten Versionen von Beiträgen, die bereits zuvor im Feuilleton veröffentlicht worden sind, geben einerseits einen Überblick über die deutschsprachige Literatur der letzten 20 Jahre. Andererseits vertreten sie den Anspruch, die seit den 1990er Jahren regelmäßig stattfindenden literaturkritischen Debatten um die schlechte Verfassung der Gegenwartsliteratur in Deutschland nicht nur zu resümieren, sondern in einem spezifischen Sinne auch zu einem Ende zu führen. So stellt Wittstocks Nach der Moderne (2009) fest, dass die deutschsprachige Literatur mittlerweile die Unterscheidung zwischen Hoch- und Populärkultur unterlaufe und sich erfreulicherweise aus dem elitären Nischendasein zum allgemeinen Publikum hinbewege. Analog dazu sieht Kämmerlings in Das kurze Glück der Gegenwart (2011) mit Blick auf die deutschsprachige Literatur seit Mitte der 1990er Jahre eine aus seiner Sicht längst überfällige Weltzuwendung: Erzählt werde nun endlich von der und für die Gegenwart.

Kann man Bücher lieben? ist in eine Reihe mit diesen oder ähnlichen Bestandsaufnahmen zu stellen, die im Kontext weiterer Veröffentlichungen und gleichsam im Modus einer “Self-Fulfilling Prophecy” zunächst den schlechten Zustand der Literatur diagnostizieren und mit literaturprogrammatischen Forderungen koppeln, um genau diese schließlich einige Jahre später erfüllt zu sehen. Bei Winkels wird dies durch die beiden Bände Leselust und Bildermacht (1999) sowie Gute Zeichen (2005) vorbereitet und durchgeführt. Der nun vorliegende Band ist mithin bereits die dritte Zusammenschau, die der Literaturkritiker (Die Zeit) und Literaturredakteur (Deutschlandfunk) zur Vervollständigung seines ganz persönlichen Kanonisierungsprojekts der Gegenwartsliteratur nutzt. Vergleicht man Winkels’ drei Publikationen, lässt sich im Überblick vor allem eine Tendenz feststellen: Die Guten Zeichen, die sich ihm zufolge seit Ende der 1990er Jahre abzeichnen, können sich in der Zwischenzeit auf ein breites Fundament verlassen. Im Zentrum steht damit nun nicht mehr die Frage, ob Literatur sich der neuen Medienkonkurrenz stellen könne. Winkels setzt vielmehr mittlerweile voraus, dass sich deutschsprachige Literatur von ihren “alten Meriten” erholt habe und nun, mit neuem Selbstbewusstsein, eine geschärfte, spezifisch literarische Rolle in der Gegenwartsgesellschaft einnehme.

Doch noch in einer anderen Hinsicht knüpft Winkels’ „Buch der Leselust und Lebensklugheit“ (Klappentext) an bestehende literaturkritische Kontexte an. Aus Anlass einer Buchpräsentation von Volker Weidermanns Lichtjahre. Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute (2006) hat Winkels maßgeblich zu einer Feuilleton-Debatte beigetragen, an der sich unter anderen Volker Hage und Ulrich Greiner wortgewaltig beteiligt haben. Im Zentrum standen dabei die Bewertungsmaßstäbe und Kriterien der Literaturkritik, die Winkels selbst mit der Unterscheidung zwischen Emphatikern und Gnostikern pointiert bezeichnet.

Die Emphatiker sind die mit dem unbedingten Hunger nach Leben und Liebe; Gnostiker sind die, denen ohne Begreifen dessen, was sie ergreift, auch keine Lust kommt; die sich sorgen, falschen Selbstbildern, kollektiven Stimmungen, Moden und Ideologien aufzusitzen. Die Emphatiker haben den Autor im Blick, sie bewerten Haltungen, Zugehörigkeiten und genießen die Lebenskämpfe in Alltag und Politik; die Gnostiker sehen erst einmal Texte und dann frühere Texte und diese auch noch in größeren Kontexten. Sie sind zwei Absätze in der Zeitung oder drei Kapitel in Romanen lang spröde. Das kann den Emphatiker schon nervös machen.(29)

Dass Winkels seinen 2006 in der Zeit erschienenen Leitartikel als programmatischen Ausgangspunkt von Kann man Bücher lieben? einsetzt, legt es nahe, die folgenden Abschnitte anhand des Beobachtungsschemas Emphatiker/Gnostiker zu lesen. Die Essay-Sammlung ist in zehn Kapitel gegliedert: Neben Beiträgen etwa zur “Buchhaltung” und zum Anekdotischen nehmen Besprechungen von deutschsprachiger, US-amerikanischer, britischer und japanischer Literatur den Großteil ein. Zu den Texten im Schwerpunktbereich deutschsprachiger Neuerscheinungen der letzten Jahre zählen etwa Rezensionen zu Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt, Wolf Haas’ Das Wetter von 15 Jahren oder Ingo Schulzes Adam und Evelyn. Im Kapitel der Schriftsteller-Portraits würdigt Winkels unter anderen Klaus Modick und Feridun Zaimoglu. Dass man Bücher lieben kann, ist dabei immer, soviel kommt in den Besprechungen zum Ausdruck, die erklärte Überzeugung Winkels’. Dass diese Liebe jenseits der Unterscheidung von Emphatikern und Gnostikern zu verorten ist, überrascht nicht, gibt es doch keinen, „der voll aufgeht in der Rolle“ (29).

Unabhängig von der Frage, was noch zu würdigen wäre oder fehlt, liegt mit der im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienenen Essay-Sammlung Winkels’ ein weiteres fundiertes literaturkritisches Angebot zur Vermessung (nicht nur) deutschsprachiger Literatur der Jahrtausenwende vor. Dem Umgang mit neuer Literatur wird dadurch zwar mit Blick auf die räumlich-materielle Ordnung von Arbeitszimmern eine weitere „Büchernot“ (17) beschert, dafür ist diese aber umso lesenswerter.

— David-Christopher Assmann


Kathrin Schmidt, Du stirbst nicht. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009. 348 Seiten.

Im Jahre 2009 veröffentlichte die 1958 in der vergangenen DDR geborene Autorin Kathrin Schmidt ihren Roman Du stirbst nicht, für den sie im selben Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Laut Klappentext macht der Roman den Orientierungs- und Sprachverlust nach einer Hirnverletzung erfahrbar, stellt Brüche in der Biographie der Protagonistin dar. Der Leser ist im Umfeld des 20. Jahrestages des Mauerfalls im Jahre 2009 zunächst geneigt, diese Erfahrung auf die Wende zu beziehen, auf den Verlust und das Neukonstruieren von Identität, den Verlust von verbindlichen Werten, auf Orientierungslosigkeit.

Tatsächlich lassen sich diese Bezüge herstellen, denn die Gestaltung der Genesung der Protagonistin Helene Wesendahl schöpft weitgehend aus dem Erfahrungshintergrund der Autorin Kathrin Schmidt. Beide sind DDR-geprägt, haben Psychologie studiert, sind Schriftstellerin und Mutter von fünf Kindern, beide erlitten im Jahre 2002 eine Hirnblutung und muβten sich nach Erinnerungs- und Sprachverlust die Welt neuerobern. Beide erkämpften sich in diesem Prozeβ eine “freiere” Sprache und einen “Gesinnungs- und Verhaltenswandel”. Dieser Interpretationsansatz ist jedoch zu eng, denn im Angesicht der schmerzhaften existentiellen Krise der Hauptfigur/Autorin ist die DDR-Erfahrung nicht mehr das eigentliche Thema. Das Buch ist die Gestaltung von einem lebensbedrohenden Hirntrauma und von der Rückeroberung einer Identität, eine Gestaltung, die weit über einen politisch-sozialen Rahmen hinausgreift. Du stirbst nicht ist ein existentiell allgemeingültiges Buch über Krankheit und Genesung und über die Liebe zum Leben.

Schmidt stellt den Prozeβ der Gesundung aus der Perspektive der fiktiven Figur dar. Sie selbst hatte beim Akt des Schreibens bereit die nötige zeitliche Distanz und wählte den Ausdrucksgestus der 3. Person Singular. Der Ton ist klinisch nüchtern, bar jeglicher Wehleidigkeit. Die Patientin erwacht ohne Sprach- und Erinnerungsvermögen und mit schweren motorischen Schäden auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Sie fühlt sich aus der ihr vertrauten Welt hinausgestoβen und von Chaos und Leere umgeben. Sie versucht, die Augen zu öffnen, hört Stimmen und Geräusche und assoziiert diese mit bruchstüchhaft aus dem Bewuβtsein hochgespülten Kindheitserinnerungen. “Sie hat” –- so der Text –- “kein Bild von sich.”

Von Station zu Station führt Kathrin Schmidt diese Kranke. Sie führt dem Leser das mühsame Wiederfinden des Ichs vor Augen, in dem sich die Rollen einer Ehefrau, Mutter, Schriftstellerin und einer Geliebten brechen. Im momenthaften, blitzartigen Aufleuchten von Erinnerungsfragmenten dringt die Patientin in ihre Vergangenheit und damit in die Gegenwart ein. Es gelingt ihr, nach langwierigen Erinnerungsübungen einzelne Puzzlestücke zusammenzusetzen, die einen verwirrend widersprüchlichen Zusammenhang ergeben. Wie vereinbart sich die erinnerte, dem geplatztem Aneurysma vorausgegangene Ehekrise mit der Fürsorge des Ehemanns Matthes, der ihr jetzt im Krankenhaus Stütze, Anker und Mutmacher ist; und wie verhält es sich mit ihrer intensiven und zerbrechlichen Beziehung zu der transsexuellen Freundin Violoa? Krankheit und Genesung verwischen die Grenzen des Trennenden, machen Neubewertungen in ihrer Ehe möglich. Bei aller Offenheit des Romans sind die Signale in der unmittelbaren Gegenwart auf Versöhnung gestellt.

In dem generell so überzeugend gestalteten Genesungsbericht wirkt die Beziehung zu dem Mann (Viktor), der eine Frau (Viola) sein will, allerdings strapaziert. Viola/Viktor ist im Handlungsgefüge eine konkrete Person, vielleicht ist diese Figur aber auch als personifiziertes Konzept entworfen. Ging es der Autorin um die Veranschaulichung der Problematik der Rollenverteilung im Geschlechterkampf, um ein in den Dimensionen von “Mann” und “Frau” sich verhärtendes festgefahrenes Denken, das der Lösung bedarf? Es bleibt offen.

Schmidt hatte zur Zeit der Wende am von Männern dominierten Berliner Runden Tisch mitdiskutiert. Sie muβte diese Tätigkeit allerdings aufgeben, weil ihre Rolle als Mutter sie überforderte. Der Roman scheint auf das Thema der Bedingungslosigkeit in Geschlechterbeziehungen anzuspielen, denn in der letzten Phase des Krankenhausaufenthaltes sieht die Protagonistin ihren Mann Matthes und sich selbst “anders”, jenseits der “Matthesordnung”, wenig rollengebunden. Sie fragt sich: “Hat es damit zu tun, dass die Leine gekappt ist, an der sie einander in Schach hielten?”

Dieses Buch macht es dem Leser nicht leicht, weil die Autorin bzw. ihre fiktive Doppelgängerin es sich nicht leicht machen. In seiner Detailtreue ist der Bericht erbarmungslos. Minutiös wird der Zustand des Ausgeliefertseins und der Aphasie geschildert: die Ängste und die Hilflosigkeit der Patientin, deren Zucken, Brabbeln, Sabbern, deren Angewiesensein auf Rollstuhl und Rollator — eine als entwürdigend empfundene Existenz mit Hinternabwischen und Gewindeltwerden. Und doch stellt sich beim Lesen des Buches Genuβ ein, denn es demonstriert Selbst/Befreiung aus dem Zustand scheinbar hoffnunslosen “Lebendig-Begraben-Seins”. Du stirbst nicht präsentiert und reflektiert den Triumph eines Menschen über das Chaos, den Triumph einer Schriftstellerin, die ihre Sprache wiedergefunden hat: “Ich schreibe, also bin ich.”

— Christine Cosentino

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Jan 11 2011

Richard Wagner

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“Dass ich nicht Zubehör bin des Landes”
Über die kürzeste Geschichte von Hans Joachim Schädlich

Die kürzeste Geschichte von Hans Joachim Schädlich, die ich kenne, steht in seinem Debütband Versuchte Nähe. Sie hat anderthalb Seiten. Das wäre in etwa der Umfang eines Klappentextes zu einem Roman. Wenn man bedenkt, wie selten Romane das halten, was der Klappentext verspricht, ist der Vergleich nicht ganz falsch. Trotzdem trifft er den Kern der Sache nicht. Soll der Klappentext doch die Neugier für den Roman wecken, der wiederum von der Kurzgeschichte, wenn sie gut genug ist, überflüssig gemacht werden kann.

Die kürzeste, mir bekannte Geschichte von Hans Joachim Schädlich “Schwer leserlicher Brief” handelt von einem Ausreiseantrag, ein Thema, für das Autoren sonst Romane verbrauchen.

Nein, die Kurzgeschichte ist nicht das Gegenteil des Romans, wie man an dieser Stelle annehmen könnte, sie ist bloß seine Widerlegung. Sie tröstet nicht, und sie beflügelt auch nicht. Sie kann einem zwar jeden Zweifel nehmen, aber sie schützt einen vor nichts. Weil die Kurzgeschichte sich ihre Kürze leisten können muss, hat sie die Kunst des kurzen Prozesses zu beherrschen. Trivial gesagt: Kurzgeschichten können grausam sein.

Weil, wenn nicht gelten soll, was meine Sache ist, ich an falschem Ort wohne, lässt Schädlich den Protagonisten seiner Geschichte sagen.

Im Grunde ist alles schneller erzählt, als man denkt, und nichts, was passiert, hält für den Leser länger vor als eine Anekdote. Der Akteur in der Geschichte Hans Joachim Schädlichs ist ein Mann, der den schwer erkrankten Vater im Westen besuchen möchte und dessen Antrag ohne Angabe von Gründen abgelehnt wird. Daraufhin entscheidet er sich zur Ausreise, was er ursprünglich gar nicht vor hatte. Von kurzem Aufenthalt wäre ich zurückgekehrt, heißt es lapidar.

Der Staat hat mit seinem Einspruch den Bürger zum Untertan gemacht. Es geht schließlich nicht darum, ob dieser Staat jemandem eine Reise genehmigt oder verweigert, es geht darum, dass es den Staat grundsätzlich nichts angeht, ob, und wann, und wie, und unter welchen Umständen, der Bürger auf Reisen geht. Ein Staat, der seine Bürger zu Untertanen macht, ist kein Rechtsstaat, er ist eine Diktatur. Um das zu erklären, sollte eine Kurzgeschichte ausreichen.

“Ich kenn mich nicht aus in Akten”, sagt die Person bei Schädlich. “Aber so viel weiß ich: dass ich nicht Zubehör bin des Landes, nicht bleiben muss, wo ich geboren bin.“

Beide, Roman und Kurzgeschichte, handeln, wenn man so will, von einer Eskalation. Die Kurzgeschichte benennt die Gründe, der Roman schildert sie nicht selten auf Teufel komm raus. Der so genannte DDR-Roman folgt zwar nicht in allem der Staatsräson, er versucht sie uns aber gelegentlich ans Herz zu legen, und wird so zur bloßen DDR-Literatur.

Ja, die Kurzgeschichte ließe sich durchaus als Genre der Aufklärung bezeichnen, obwohl sie eine spätere Erfindung ist. Geht man davon aus, dass ihren Kern die Anekdote bildet, so wäre sogar die Enzyklopädie, genau genommen, eine Kurzgeschichtensammlung. Gerade auf die Anekdote aber ist die Diktatur schlecht zu sprechen. Vor allem auf deren Zuspitzung zum Witz.

Die vorliegende Kurzgeschichte aus dem Jahr 1976 erklärt uns klipp und klar, warum die DDR kein Rechtsstaat war, warum sie keine Legitimation besaß. Anderthalb Seiten reichen dafür aus. Schädlichs exemplarische Geschichte gehört, wie man früher gesagt hätte, in die Schulbücher.

Dass man beim Schreiben ans Lesen denkt, ist ein Skandal. Ein unvermeidlicher. Den Brief, den der Titel der Geschichte in Erwähnung bringt, gibt es in vier Kopien. Drei davon sind für die einschlägigen Adressen der Staatsmacht bestimmt, die vierte, so der Autor, für das Gedächtnis, nur entzifferbar durch den Absender. Es ist der letzte Durchschlag. Das, was dem Helden der Geschichte bleibt. Und plötzlich ist es nicht nur die Diktatur, von der hier die Rede ist, sondern auch ihr Nachleben.

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Jan 11 2011

Rezensionen Glossen 31/2011

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Uwe Tellkamp, Der Eisvogel. Roman (Hamburg: rororo, 2006) 318 Seiten.

Der 1968 in Dresden geborene Autor Uwe Tellkamp, der zur Zeit des Mauerfalls Panzerkommandant bei der Nationalen Volksarmee war, erhielt im Jahre 2004 den Ingeborg-Bachmann-Preis für einen Lesetext. Zwei Jahre später veröffentlichte er den Roman Der Eisvogel. Das Werk umreiβt das Psychogramm eines Enttäuschten, der an den demokratischen Strukturen der Bundesrepublik leidet, dann aus Selbst- und Welthaβ in den Bann eines charismatischen rechtsradikalen Wahnsinnigen gerät und zum Mörder wird. Er selbst erleidet dabei Brandverletzungen, kommt in die Berliner Charité, und von hier aus berichtet er seinem Verteidiger in Form der Retrospektive, wie es zu der Tat gekommen ist. Der Bericht ist durchsetzt von den Aussagen anderer Personen, so daβ mit einem vielstimmigen Perspektivwechsel Problemfelder im wiedervereinigten Deutschland thematisiert werden; doch dem Autor gelingt es dabei nicht, die elitären Höhenflüge der beiden Hauptakteure Kaltmeister und Ritter mit überzeugenden Gegenargumenten zu durchbrechen.

Das demokratiefeindliche Buch verstört. Man empfindet Unbehagen, muβ das Buch aber trotzdem ernst nehmen als ein Stück Zeitdiagnose der Nachwendezeit, eine Diagnose, die untergründig Gärendes freilegt. Wie ein roter Faden zieht sich ein Satz durch die Handlung: “Die Dämonen kehrten zurück.” Ernstnehmen muβ man in diesem überladenden Ideenroman ebenfalls die präzise Beobachtungsgabe des Autors und seine Analysen menschlicher Verhaltensweisen in spezifischen Situationen. Hier besticht die Formulierungskraft des Autors, der andererseits, wenn er den Haβtiraden der Herren Kaltmeister und Ritter Ausdruck gibt, den Leser ermüdet, auch langweilt.

Gestaltet wird ein von Pathos durchdrungener philosophischer Redeschwall über eine Revolution von rechts, eine Diskussion, die sich aus Kritik am Mittelmaβ einer als perspektivlos empfundenen Demokratie und aus elitärem Gröβenwahn speist. Der arbeitslose frustrierte Akademiker Wiggo Ritter — ausgebildeter Philosoph und Sozialfall –, der gegen die Welt seines reichen Bankier-Vaters rebelliert, verfällt aus überschäumender Wut den Verführungskünsten des Terroristen Mauritz Kaltmeister, der die Welt mit verquasten Ideen zu verändern sucht. Kaltmeister ist Kopf der Organisation “Wiedergeburt”, die von einfluβreichen Personen aus Wirtschaft, Politik und Kirche finanziert wird. Die paramilitärische Kampfgruppe dieser Organisation, genannt “Cassiopeia”, evoziert historische Dämonen: “gestreckter Arm, geballte Faust, Kampf, Parolen vom Durchhalten und Rückrat.” Auch der Name Kaltmeister ist suggestiv. Doch Kaltmeister vorschnell als Neonazi einzustufen, führt zu Einseitigkeiten, denn in der U-Bahn verteidigt er gewaltbereit “mit Faust und Rückrat” ein arabisch aussehendes Ehepaar gegen Skinheads.

Ritters Gewaltbereitschaft dagegen schöpft aus anderer Quelle, Angst — “Angst ist es, worüber wir uns hier unterhalten, Herr Verteidiger” — : “Wovon leben? Das war die schlichte Frage, die ich mir jeden Tag aufs neue stellte … Es gab immer mehr Arbeitslose, immer mehr Firmenpleiten. Was tun? Drei Möglichkeiten. Die erste war Selbstmord … Die zweite Möglichkeit war Resignation. Ich wählte die dritte: Widerstand.” Man kann dem Helden zugute halten, daβ er letztlich doch aus der terroristischen Organisation aussteigen will. Er fühlt sich am Schluβ von Mauritz bedroht und tötet ihn aus Notwehr. So kann man es deuten.

Am Beginn der kreisförmigen Handlung ist — richtungweisend? — von einem “bösen Traum, einem Albtraum” die Rede. Aber vor allem sollte man nicht vergessen, daβ die von unerträglichem Pathos getragene, generell ironiefrei gestaltete Handlung letztlich doch nicht völlig frei von Ironie und Komik ist, denn die schwülstigen Höhenflüge des Patienten Wiggo Ritter finden in der Berliner Charité immer wieder ein abruptes, ernüchterndes Ende: “ Na, wird’s denn was, Herr Ritter, schon aufs Töpfchen gemuβt? … Sie kriegen ein Zäpfchen, hat der Doktor angeordnet, weil Sie schon zwei Tage keinen Stuhlgang hatten, bitte, zur Seite drehen, Herr Ritter.”
— Christine Cosentino

Helga Kurzchalia, Lamaras Briefe oder vom Untergang des Kommunismus. Roman. Berlin: Verlag Lichtig, 2010

Helga Kurzchalia ist eine Berliner Lyrikerin und Autorin von Prosaliteratur.  Ihr erster Roman, Im Halbschlaf, ein poetisches und sehr persönliches Buch, das in 31 Skizzen den Lebensweg einer sensiblen Ich-Erzählerin im Nexus der „Diktatur des Proletariats“ in der DDR nachzeichnet, kam im Jahre 2000 heraus.  Ihr zweites Buch, Hier, das sie 2007 zusammen mit der Graphikerin Ulrike Brückner und der Fotografin, Angelika Barz im Veenman Publishers Verlag publizierte, ist eine Art Bestandsaufnahme der deutschen Situation nach der Wiedervereinigung. Es enthält Kurzportraits von Menschen, die entlang der einst tödlichen innerdeutschen Trennungslinie und der Außengrenze beider deutscher Staaten zu Hause sind.

Lamaras Briefe,  ihr nun dritter Prosatext,  ist ein Roman in Briefen, die insgesamt eine  sensible und plastische Darstellung der Lebensumstände einer deutsch-georgischen Familie und einiger ihrer Freunde ergeben, die teils in Ostberlin und teils in Tbilissi zu Hause sind.  Die beiden Hauptbriefeschreiber sind Lamara, die Georgische Mutter Ditos, der mit der Ostberlinerin Clara verheiratet ist, Dito und Clara. Der Hintergrund dieser Korrespondenz, in der es in Andeutungen und kurzen Beobachtungen um politische Entwicklungen, aber sehr konkret auch um die Ereignisse und Bedürfnisse des täglichen Lebens geht, sind die für beide Länder so dramatischen und folgenreichen Jahre 1984 bis 1996, in denen Georgien zu einem von Russland unabhängigen Staat wurde, der wiederum in kriegerische Auseinandersetzungen mit den sezessionistischen Bestrebungen in Abchasien und Südossetien geriet. Und es sind die Jahre, in denen durch die sanfte ostdeutsche Revolution die Berliner Mauer fiel, worauf die DDR nur wenige Monate später nach einem Beschluß der DDR-Volkskammer dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitrat.

Der gegenseitige Austausch in Briefen macht sowohl die geographische als auch die potentiell persönliche Distanz sichtbar, die sich aus den unterschiedlichen Lebenssituationen ergeben könnte. Gleichzeitig sind die Briefe Dokumente eines reflektierenden, sensiblen und verständnisvollen Anschreibens gegen diese Gefahr. Sie geben Zeugnisse von Menschen, die um einander werben und einander nicht verlieren wollen, indem sie auf gemeinsame Besuche, Feste, Essen, Kindheitserlebnisse u. a. rekurrieren, sich um gegenwärtige Befindlichkeiten des jeweils anderen sorgen, einander mit verschiedenen materiellen Dingen, wie z. B. Medikamenten,  unterstützen und sich in Kommentaren zu den politischen Ereignissen der Zeit, wie dem Golfkrieg, der Errichtung einer neuen Diktatur nach der Erreichung der Unabhängigkeit in Tbilissi und dem Wandel im Osten Deutschlands einander vergewissern.

Gerade in dieser natürlichen und von den Briefschreibern gewollten Intimität liegt aber auch eine gewisse Gefahr, weil sie ab und an dazu verführt,  mit Andeutungen auszukommen und an Stellen vage zu bleiben, wo für Leser, besonders vielleicht für jüngere Leser, ein Mehr an Erklärungen nützlich gewesen wäre.  Z. B. wäre es interessant, mehr darüber zu erfahren, welche Rolle Wien, London und Ostberlin für die Eltern Claras und für Clara selbst gespielt haben und eventuell noch spielen, obwohl man sich wegen der angegebenen historischen Daten auch denken kann, dass es um Heimat- Flucht- und Sehnsuchtsorte einer sozialistischen, jüdischen Familie gegangen ist.

Lamaras Brief sei allen empfohlen, die etwas über das gegenwärtige Leben einer über den europäischen Kontinent verteilten Familie, über Georgien, die DDR, den Untergang des „sozialistischen Weltsystems“ und Deutschland nach der Wiedervereinigung 1990 erfahren möchten. Vor allem auch, weil man es in einer behutsamen, einfühlsamen Sprache erfahren kann.

— Wolfgang Müller

Thea Dorn, Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände München: Knaus Verlag, 2010. 251 Seiten

Seit Erscheinen ihres ersten Buchs, des Kriminalromans Berliner Aufklärung (Marlow-Preis der Raymond-Chandler-Gesellschaft, 1995) vor rund sechzehn Jahren ist Thea Dorn mit weiteren Romanen (Deutscher Krimi Preis für Die Hirnkönigin, 2000), Sachbüchern, Essays, Drehbüchern (Tatort), Theaterstücken, Zeitungsartikeln, ihrer Arbeit als Dramaturgin am Schauspielhaus Hannover und als Fernsehmoderatorin beim Südwestfunk, wo sie im Wechsel mit Felicitas von Lovenberg die Sendung „Literatur im Foyer“ betreut, zu einem festen Bestandteil der intellektuellen und kulturellen Öffentlichkeit in Deutschland geworden.

Ihr jüngstes Buch, Ach, Harmonistan enthält 28 Essays, die von Januar 2005 bis Dezember 2009 in renommierten deutschen und europäischen virtuellen, akustischen und Printmedien, wie z. B. Cicero, dem Bayerischen Rundfunk, der Literarischen Welt, und der Zeit erschienen sind. Es ist ein Verdienst des Knaus Verlags, daß sie nun an einer Stelle versammelt sind, ermöglichen sie doch einen Überblick über ihre Wortmeldungen zu den, im doppelten Sinne, „deutschen Zuständen“, will sagen Seelenzuständen, der  letzten 15 Jahre. Dabei „outed“ sie sich als radikale Aufklärerin, nichtideologische Feministin und leidenschaftliche Demokratin. Die Dinge „hinterfragen“, das Schlüsselwort der Kritischen Theorie, ist in all ihren Essays Methode.

Die Ziele ihrer skeptisch-ironischen Hinterfragungen sind u. a. der „Kindergartenstaat“, eben ein Harmonistan, der seine Bürger so umfassend hätschelt, daß Freiheit und Verantwortung des Einzelnen, der eigentlich ein selbstbestimmtes Leben führen könnte und sollte, sich kaum noch „rechnen“; der überwiegend männliche Beta-“Löwe“ in der Politik, der zu bedeutungsloser Aggressivität neigt, weil ihm die Alphaqualitäten abgehen; die schon von Sieburg in den fünfziger Jahren konstatierte merkwürdige Sehnsucht der Deutschen nach Katastrophen und die schwer entwirrbaren Geschlechterbeziehungen, ein Dauerrenner in der öffentlichen Diskussion, seit sich der erste Mann seine zukünftige „Gattin“ von einer anderen Sippe an den Haaren herbeizog und die erste Frau dem Jäger vorwarf, das falsche Mammut erlegt zu haben –- zum Mann-Frau-Thema kann man in Harmonistan übrigens eine gelehrte und kluge „tour de force“ durch Wagnerische Opern und das Blaubartmotiv in der Literatur vom 17. bis zum 20 Jahrhundert lesen. Es ist ein zentrales Thema in ihrem Buch, denn die Möglichkeit der Geschlechter, sich auf Augenhöhe zu begegnen ist für sie unmittelbar mit einem voranschreitenden Prozeß der Aufklärung verbunden.

Im politischen Kern jedoch geht es ihr vor allem um die in Deutschland so schwer erkämpfte Demokratie. Churchills Diktum aus seiner 1947iger Rede im Unterhaus könnte auch das ihre sein: “No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.“ Denn sie sieht nicht nur die „deutsche Seele“, sondern auch diese „schlechteste Form des Staatswesens“ in Gefahr. Sich auf u. a. Kant, Marcuse und Habermas stützend, sieht sie die Demokratie nicht nur durch politische Extremismen, wie z. B. den militanten Islamismus, sondern u. a. durch die „selbstverschuldete Unmündigkeit” (I. Kant) von Bürgern gefährdet, die aus Bequemlichkeit geneigt und verführt sind, das Geschenk der Freiheit als Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Speiseeissorten mißzuverstehen. Wiederum Habermas vergleichbar, plädiert sie für ernsthafte Partizipation als wesentlichen Bestandteil jeder Demokratie, die sich durch „mündige Bürger unter Bedingungen einer politisch fungierenden Öffentlichkeit“, realisiere, wodurch sie, die Demokratie, „die politische Gesellschaftsform sei, die „die Freiheit der Menschen steigern“ könnte. (Habermas, Kultur und Kritik) Folgerichtig fordert sie einen zivilen, öffentlichen und ehrlichen Streit, wenn es um öffentliche und, so vermutet man, private Belange geht, hat eine Vorliebe für Leute, die ihre Karten auf den Tisch legen, deutlich sagen, wo sie stehen und mit den Konsequenzen ihrer Überzeugung leben. Daher auch mag sie die Seichten nicht, die im „sowohl als auch“ steckenbleiben und wahlweise mal auf der einen oder anderen Seite kunstvoll argumentieren können, wenn sie es denn überhaupt tun. Dagegen hält sie es eher mit Luthers berühmtem Schlußsatz auf dem Reichstag von Worms, auf dem er nicht, wie erwartet, seinen Glauben widerrief, sondern auf ihm bestandt: […] weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!” Ein Satz, der im kollektiven deutschen Bewußtsein als „Hier stehe ich und kann nicht anders“ aufbewahrt wird.

Die Ironie, ja das amüsant Unterhaltende ihrer Essays soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß es ihr sehr ernst ist mit ihren Themen. Auch hat sie einen feinen Sinn für die Gründe, Hintergründe und Abgründe deutschen Fühlens, Denkens und Handelns, der sich in ihren Essays mit einem heiter sensiblen Sprachbewußtsein mischt. Ich gestehe es, ich bin ein Fan ihrer Texte und wünsche ihnen viele Leser. Chapeau, Madame!

— Wolfgang Müller

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