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Dec 29 2017

Dankesrede aus Anlass der Verleihung der „Dankbarkeitsmedaille“ an mich und vier andere vom und im Europäischen Solidarność-Zentrum (ECS) in Danzig am 12. Dezember 2016

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von Axel Reitel
Reprinted from PEN-Newsletter 2017

AI letter asking for the release of Axel Reitel

Amnesty International in St. Louis, USA bittet um die Freilassung des Gewissensgefangenen Axel Reitel

prison image of Axel Reitel, Cottbus, GDR, 1981

Der Gewissensgefangene Axel Reitel, Knast Cottbus, DDR, 1981

Verehrte Teilnehmer und Zeitzeugen der Danziger August-Streiks 1980 und der Zeit des Kriegsrechts ab dem 13. Dezember 1981
Verehrte Mitglieder des Auswahl-Ausschusses,
verehrte Mitglieder des Europäischen Solidarność-Zentrums,
liebe Mit-Geehrte,
liebe Lebensgefährtin,
verehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

die „Ausrufung“ der Protestaktion gegen das Kriegsrecht und für die uneingeschränkte Zulassung der Solidarność, geschah  in einem Gefängnisdas vom Ministerium für Staatssicherheit indirekt verwaltet und fest in den Transaktionen der für die Staatsdevisen der DDR verantwortlichen Kommerziellen Koordinierung, kurz: KoKo, verankert war. Sie begann mit handgeschriebenen Aufrufen am 14. Dezember – und erreichte ihren Höhepunkt am 17. Dezember 1981. Das Gefängnisregime war durch Zellenspitzel vom ersten Tag an vorbereitet. Am 17. Dezember erwartete die Arbeitskommandos  in der Speisebaracke eine Hundestaffel. Essen! wurde befohlen. Die Listen aller Verweigerer gibt es: sie werden der Forschung durch die Behörde für die Unterlagen der Staatssicherheit  nur geschwärzt zur Verfügung gestellt.

Während jener vier Tage war das Haftpersonal bewaffnet und lungerte in Scharfschützenmanier auf den Dächern. Wir blickten einander an und die Frage lautete, ob sie schießen. Die Antwort überrascht am Ende vielleicht nicht einmal, aber ich muss gestehen, dass mich die Möglichkeit, einer von dreihundertfünfzig niedergeschossenen politischen Häftlingen zu sein, auch heute noch etwas nervös macht.

Doch es hat sich alles gelohnt.

Der beeindruckende Kampf der Solidarność um Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand mündete nicht nur im Untergang des hermetischen Ostblocks sondern es erneuerte grundlegend die Europäische Union. Den klugen Köpfen der Solidarność war es aus staatstheoretischer Sicht klar, dass Polen „an seiner Westgrenze ein wiedervereintes Deutschland und keine stalinistische DDR“ braucht. So steht es in den Sonderberichten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vom 12. Dezember 1981. Und weiter dort „Fernziel des [“Komitees zum Schutz der Arbeiter” für inhaftierte Dissidenten, kurz]: KOR ist die Eingliederung der Volksrepublik Polen in ein vereintes Europa mit einem wiedervereinten Deutschland.“ Das ist nun alles so geschehen.

Die ebenfalls notierte „Überzeugung…dass die Entwicklung in Polen auch auf die DDR übergreifen wird“,  hat sich dagegen nicht bestätigt. Gewiss lagen vielen Menschen in der DDR die August-Ereignisse 1980 am Herzen, am Ende traten zu wenige dafür ein. Auch die friedliche Revolution 1989 in der DDR bekannte sich kaum zu ihrem Vorbild Polen. Deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass der von seiner Anzahl größte Protest in der DDR gegen das Kriegsrecht in Polen ausgerechnet in einer DDR- Strafvollzugseinrichtung stattfand. Nirgends im Land war das Wort so frei als im politischen Gefängnis.

Und auch die Antwort auf unsere Frage ist moderner denn je: Die KoKo, die von Honecker 1966 gegründete Kommerzielle-Koordinierung, war unermüdlich damit beschäftigt, harte Weltmartktwährung, Devisen genannt, in die ewig klammen Kassen der DDR zu spülen. Dazu gehörte auch der frei verkaufbare unbekannte politische Häftling (offiziell durfte es den ja nicht geben).

Aktenkundig sind zwar Gespräche zwischen der Gefängnisleitung  und dem zentralen Operativstab der Stasi über den praktischen Einsatz einer bewaffneten Truppe.  Doch welcher praktische, vernunftbegabte Mensch schießt eine Ware im Geld-Wert von 95.847 mal 350, das sind 33.546.450 Valuta, über den Haufen?  Der Chef der Kommerziellen Koordinierung, Schalck-Golodkowski, dessen Vater bereits ein guter Rechner beim russischen Zaren gewesen ist, dürfte sich, hoch oben, im Sitz der KoKo, im 23. Flur des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße, die Haare gerauft haben – und da wurde eben nicht geschossen!

Schon für Marx war „in Wirklichkeit die treibende Kraft die Beziehung des Menschen zur Materie und das wichtigste daran seine Produktionsweise. Dadurch [wurde] der Marxsche Materialismus in der Praxis [ja] zur Wirtschaftslehre.“[i]

Aber auch aus anderen Gründen wird weiter nach Marx gegriffen, in Opportunitätserwägungen einbezogen, um unablässig zu schmähen, was nicht den Beschreibungen des eingeübten Standpunktes entspricht. Bis  heute ist „die Rechte nicht eben ein  leuchtendes Vorbild. Aber die Linke ist schizophren“[ii] geblieben. Ihr fehlt weiterhin die „Festigkeit der Überlegung und auch ein wenig Bescheidenheit“, stattdessen ergeht sie sich in „eingebildeten Gewändern“[iii]

Man muss seine Zeit wie einen Erwachsenen betrachten, daß heißt ohne voreingenommene Sympathie oder Antipathie. Das heißt nach den Maßstäben der Kritik und der Vernunft.

Möge diese Medaille also auch Gruß und Zuspruch für alle sein, die verstehen wollen und nicht richten, die für eine gerechte Gemeinschaft kämpfen und für Wahrheit und Freiheit gewaltlos im Einsatz sind. Und auch im Gedenken an die bislang namenlos gebliebenen Mit-Streikenden möchte ich mich noch einmal bei den Mitgliedern des Ausschusses und beim Solidarność-Zentrum für diese hohe Auszeichnung aufrichtig bedanken und Sie alle herzlich grüßen.

Haben Sie Dank für Ihre  Aufmerksamkeit.

[i] Vgl. Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes, Europa Verlag Zürich 2007, S. 791.

[ii] Vgl. Albert Camus, Verteidigung der Freiheit, Rowohlt 1997, S. 119.

[iii] Ebenda.

v.l.n.r.: Basil Kerski, Thomas Zaremba, Viktor Witt, Bogdan Borusewicz, Bernd Schalbe und Axel Reitel

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Dec 29 2017

Zeitgeist, Weltgeist, Poltergeist

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On Self-Fulfilling Prophecies and Other Contemporary Realities

by Frederick A. Lubich, Interim Editor of Glossen

           “The order is rapidly fading
and the first one now will later be last”
Bob Dylan, “The Times They Are A-Changin’”

“Zeitgeist, Weltgeist, Poltergeist …”, that was the tentative title for Glossen #43, as we concluded the year 2016 with Glossen #42, which tried to capture the momentous political developments toward the end of that year under the headline “Mauerbau & Mauerschau: Cassandra Calls from Falling and Rising Walls”. In that past issue, poets and academics, former dissidents and today’s civil rights activists, as well as a rabbinical scholar reflected on the meaning of falling and rising walls from Berlin to Jerusalem and beyond, into the New World and its southern border under the imminent presidency of America’s new leader.

The authors of Glossen #42 hailed from both sides of the Atlantic and some of their stargazing into the future from those towering walls – a practice also known as teichoscopy since the fall of ancient Troy – turned out to be quite an accurate prophecy. But before looking at those new horizons, the current issue of Glossen looks back and recalls three of those who had lived through the hardships of history, as exemplified by the story of modern Germany.

Reinhard Andress remembers the life and work of Egon Schwarz, one of the last prominent refugees of the Third Reich, well-known as one of the pre-eminent founding fathers of exile studies here in the United States. If the Holocaust of Nazi Germany was hell on earth, then the Stasi system of former East Germany was comparatively speaking a kind of communist purgatory. Axel Reitel and Utz Rachowski recall the trials and tribulations of the generation born after World War II, including their own incarceration as young men in the so-called “Workers’ Paradise”. Today, the “German Democratic Republic”, a political misnomer par excellence, can serve as a perfect example – avant la lettre – for what has become known these days on this side of the Atlantic as “fake news” and “alternative facts”.

Looking back at the various writings on the wall in the past issue of Glossen, some are worth mentioning for different reasons, as they not only confirm the expected but also adumbrate the unexpected. My own oracle  “Manhattan Menetekel: Access Hollywood-Babylon – From Age-Old Prophecies to Latter-Day Realities” delineated the coming show-down between the “Lose Gun from Manhattan” and the “Rocket Rattler from Pyongyang”. It was a scenario even a blind man could have envisioned, since it was already written all over the wall towards the end of last year, in other words, the topic of countless newspapers and late night talk shows.

The international sensation that both leaders would soon start trading barbs, slinging insults such as “dotard” and “little rocket man” at each other, should not have been surprising at all. But that the impulsive American president would actually soon face-off with his equally unpredictable counterpart in North Korea in a visit close to the Demilitarized Zone, armed to the teeth with more insults and backed up by real military might, that rapid development toward nuclear confrontation with international consequences probably surprised even the most pessimistic doomsayers on both sides of the Atlantic. “Apocalypse Now”? A final scenario ready to go as the world’s ultimate Reality Show!

Rabbi Panitz’ crystal ball gazing in last year’s Glossen was called “And in Her Heart, a Wall. A Jewish Lens on a Walled World” and it turned out to be an even more astounding prophecy. “Next Year Jerusalem”, that millennia old prophecy of the Jewish people scattered all over the world, came true this year – spes contra spem –  as the president of the United States has  indeed recognized Jerusalem as the future capital of Israel. Last year, that writing on the wall was not foreseeable at all. Will that message bring a breakthrough on the road to peace in the Promised Land, the ancient Holy Land of all three monotheistic religions, or will it only lead to more terror, civil war, and ever more refugees?

“Refugees (2016)” was the generic title of three paintings by Jeanne Finkelstein Goodman, which complemented last year’s preface to Glossen. The three paintings depict refugees in various configurations, commemorating their history and anticipating more of their misery, as the new administration of the United States was already announcing new rules and regulations, especially on immigration from the Middle East as well as nationwide deportations across the border in the South West. Finkelstein Goodman’s paintings were also part of a juried exhibition called “Facing Our Fear: Reflections on Our Time” which opened on January 20, 2017 at Old Dominion University in Norfolk, Virginia.

The exhibition was quickly organized to coincide with the day of inauguration of the new president of the United States. It featured the work of roughly twenty poets, scholars, and artists from the artistic and academic community in and around the university who wanted to express their fears and anxieties about imminent policies and rapidly changing realities. In hindsight, some of the visions of these artists turned out to be most revealing and three of them are therefore also represented in chapter IV of this issue and shall be briefly introduced here.

Fred Freeman’s sculpture of a mournful Mother Earth with the subtitle “World Weary of Being Wary” is a foreboding prefiguration of the new environmental policies of the current government that has been in denial of global climate change from day one with worldwide consequences after its withdrawal from the international Paris Agreement. The president’s ecological va banque strategy, heading towards a potential “Scorched Earth” reality down the road, certainly goes hand in hand with his hazard game of nuclear warfare, which he shares with his counterpart in North Korea.

Clearly, Mother Earth, whom the ancients had venerated as the Goddess Demeter, is not only world weary and potentially in more and more trouble, but she is also figuratively speaking increasingly angry and furious. There is no doubt that this fall the wrath of the Goddess was written all across the American continent, as some of its worst hurricanes and firestorms in recorded history have been ravaging it from shore to shining shore. Make America Great Again?

Jenny Windsor’s painting “Persephone” adds to this environmental perspective an important additional gender narrative. Not only is Persephone the daughter of Demeter, she has also been according to myth Hades’ object of perennial wantonness. Since time immemorial he has been abducting her every fall into the underworld, from where she was not allowed to return until the following spring.

Coincidentally, it was not until the end of this year that this ancient rite of fall, this perennial robbing of Persephone by the Lord of the Underworld, in other words, patriarchy’s subculture of rape, was systematically challenged, when Persephone’s modern daughters began to expose in rapidly growing numbers the timeless horrors of Hades and its latter-day perpetrators. And as we ring out the old year 2017, the media is calling it more and more and most appropriately “The Year of the Reckoning”.

Manuela Mourão’s creative installation with the title “To Grab and to Hold” might have appeared at the beginning of this year to some visitors as nothing more than a somewhat enigmatic assemblage. However, in hindsight it turned out to be the conceptual culmination point of this exhibition and its Demeter-Persephone trajectory. In other words, it reflects and represents arguably – as will hopefully become transparent in its accompanying commentary – the zeitgeist of the year 2017 as a virtual Gesamtkunstwerk.

Or to put Richard Wagner’s late-romantic concept of a total work of art into a more timeless vernacular, one could argue that the three above mentioned pieces of art are all part of worldwide Cassandra calls that evoke that looming “Dies Irae”, that ominous “Day of Wrath”, just as the eponymous poem from the time of the Middle Ages used to evoke the Old Testament and above all its much touted “Last Judgement”. And by the same token, one could make the case that the “Day of Reckoning” not only alludes to Saint John’s “Secret Revelations” but also vice versa to all the dirty secrets of man’s sexual abominations which his descendants have been trying to hide throughout history. Or, to update their chronology a bit: From Exit Hollywood to Exit Washington, D.C. … some of them still might have a blast … but remember our latter-day prophet laureate … “the first one now will later be last”!

Dies irae, dies illa, solvet saeculum in favilla! That day of wrath, that dreadful day, shall heaven and earth in ashes lay. That is how one of the translators of this final farewell to our world put it. Heaven forbid such awful destruction, such awesome reckoning! But what about all those high and mighty who thought they could abuse their power for their own personal pleasure, trying to grab and hold on forever? Lo and behold, day by day more and more of them are coming down in shame and disgrace. For them, life on earth will never be the same again. Or to put it differently, from the silver screens of modern Hollywood to the walls and towers of mythic Babylon … mutatis mutandis … sic transit gloria mundi.

Summa summarum: For more on those recollections and latter-day reckonings, see the pertinent commentaries and subsequent chapters in this current edition of Glossen #43. They are all further explorations and investigations of the spirit of our time, the world spirit in all its dialectical contradictions, including some of its past and dark realities as well as some of its future and much brighter opportunities.

Zeitgeist, Weltgeist, Poltergeist: After all its spirited manifestations, its patriarchal and matriarchal realizations, after all the continuing breaking of silence and the increasingly outspoken protestations,  if we keep looking for the good in our world, if we keep searching for the best of all worlds, in short, if we listen to the better angels in all of us, those fallen angels who still can rise and soar, those legendary angels of our history …, in other words, if we keep following Bob Dylan’s “Knocking on Heaven’s Door”, then hell will have no chance and Hades will be no more.

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Dec 23 2017

Grenzen und Reisen

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Mauer und Eiserner Vorhang im Jahr 2016

von Susanne Habel

1961: Die Berliner Mauer wird errichtet – vor 55 Jahren. Länger schon trennt der „Eiserne Vorhang“ – wie ihn Sir Winston Churchill in einer Rede im März 1946 so genannt hat – West und Ost. Und seit 1952 gibt es eine innerdeutsche Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.

Ich bin zu klein, also hebt mein Vater mich auf den Schlagbaum. Wir sind in den Bayerischen Wald gefahren, aus München, meinem Geburts- und Wohnort. Vater hält mich fest, zeigt auf „die andere Seite“. Dort sei er geboren worden, ganz weit dahinten in Mähren, und dahin dürfe er nicht mehr zurück. Ich sehe nur viele Bäume und paar Häuserruinen. Viele jahrhundertelang von Deutschen bewohnten Orte im Grenzstreifen sind hier schon seit Anfang der fünfziger Jahre von tschechoslowakischen Grenztruppen dem Erdboden gleichgemacht worden. Aber das weiß ich nicht, sehe nur sehnsüchtig nach den Blaubeeren und Lupinen, die hier überall wuchern.

Schwarz-weiß Foto von der Autorin und ihrem Vater

Mein Vater, Dr. Fritz-Peter Habel, mit mir als einjährigem Baby. Foto: Charlotte Habel

Erinnern kann ich mich an diesen Moment zwar nicht genau, aber es gibt ein Foto. Das hat meine Mutter gemacht, auch eine von der „anderen Seite“, sie stammt aus einem Pommern, das endgültig verloren ist. Geboren in Schneidemühl/Piła im heutigen Polen, ist sie aufgewachsen in Frankfurt an der Oder, jetzt eine Grenzstadt.

Ich bin ein Jahr alt, da sind diese Grenzen schon fest, und ein Verschwinden dieser Barrieren scheint fast allen undenkbar. Man kann ja auch nicht zum Mond fliegen in meiner Kindheit. Oder doch? Hier ein paar Erinnerungen, an vergangenen Grenzen entlang:

Immer wieder höre ich als Kind und Jugendliche von Geschichte und von diesen Geschichten, vom Recht auf die Heimat, von Flucht und Vertreibung und der Sehnsucht „nach daheim“. In der Schule erfährt man wenig davon, zuhause mehr, auch von den Großeltern. Ein bisschen kann ich den Schmerz besser nachvollziehen, als wir aufs Land ziehen. Im noch ländlich geprägten Städtchen verstehe ich die Bayerisch sprechenden Kinder in der Volksschule nicht, bin ich die „Zuagroaste“, die auch nicht in den Trachtenverein darf. Später am Gymnasium wird manches einfacher. Viel mehr von jenseits der Mauer und ihrer Entstehung höre ich allerdings auch dort nicht; jahrelang fällt der Geschichtsunterricht aus wegen Lehrermangel.

Mutter schickt immer wieder Päckchen an entfernte Verwandte in der „Zone“, wie man aus Gewohnheit die frühere „Sowjetische Besatzungszone“ immer noch oft nennt: Kaffe (pommersch mit kurzem e), Nähnadeln für die alte Singer-Maschine, Bonbons, Leder für orthopädische Schuhe und feine Nylonstrümpfe. Auf dem Paket muss man außen den Inhalt auflisten, damit die Grenzer wissen, was aus dem kapitalistischen Westen da zu ihnen kommt. Ich halte einen Finger auf die Paketstrippe, damit man den Knoten festzurren kann. Meine Strumpfhosen sind mehrfach gestopft.

1972: In den Pfingstferien fahren wir nach „drüben“. Regen und gelber Ginster an der Autobahn. An der „Zonengrenze“ im Norden in der Nähe von Lübeck werden wir angehalten: Die Grenzer, junge Burschen in DDR-Uniformen, haben auf der Gepäckablage in unserem Auto westlich dekadente Schriften entdeckt, die sie einziehen müssen. Strahlend vor Glück verschwinden sie mit zwei Bravo-Heften und einigen Superman-Comics in ihrer Wachbude, voller Vorfreude auf die verbotene Lektüre. Die Grenzschranke geht hoch, und wir fahren weiter. Bei einem Bahnübergang heißt es auf einem Plakat: „Hier arbeitet ein vorbildliches Schrankenwärter-Kollektiv“. Diese Schranke ist offen, und kein Mensch arbeitet in dem kleinen Häuschen daneben.

Zuerst kommt eine kurze Visite an der Ostsee, kalt und grauschäumend und so ganz anders als die Adria. Dass Leute so verzweifelt sind, zu versuchen, schwimmend oder im Segelboot in den Westen zu fliehen, weiß ich noch nicht.

Wir wohnen in Rheinsberg in der Mark Brandenburg bei einer Tante und müssen uns erst einmal beim Abschnittsbevollmächtigten anmelden. In Tantes Wohnung stehen die alten Nußbaum-Möbel der Großeltern aus Frankfurt/Oder. Im Wohnzimmer streicht Mutter über den Bücherschrank, einst ihr Rückzugs- und Zufluchtsort. Abends gibt es gute Schlachterwurst, Tante Seide will dem Westbesuch was bieten. Wir sollen von Stars und Adeligen erzählen, dabei verachte ich das Goldene Blatt.

Bei einem Ausflug zum Großen Stechlinsee werden wir beim Fotografieren in der Nähe des dortigen Kernkraftwerks fast verhaftet. Solche strategisch wichtigen Bauten darf man natürlich nicht fotografieren. Abends schrauben wir den Stern vom Mercedes ab, damit ihn niemand als Trophäe mitnimmt. Die Scheibenwischer sind am nächsten Morgen weg.

Die Autorin, ihr Vater und ihre Schwester am Stechlinsee

Am Stechlinsee: meine Schwester, mein Vater und ich (von rechts). Foto: Charlotte Habel

Einen Nachmittag fahren wir nach Ost-Berlin. Auf dem fast menschenleeren Alexanderplatz steht ein Wägelchen mit Reibekuchen, fettig, aber gut. In HO-Gaststätten muss man sich anmelden, und es gibt nur wenig Essen. Die Brandenburger Alleen sind unterbrochen von eintönigen grauen Häusern mit leeren Schaufenstern und oft noch Einschusslöchern aus Kriegszeiten. „Sind alle arm im Kommunismus?“, fragt meine jüngere Schwester.

Auf der Rückfahrt müssen wir am Grenzübergang bei Hof nur erklären, warum wir den Kofferraum voll haben mit einer billigen DDR-Brause, die uns gut geschmeckt hat. Das Zeug heißt Gin-Fizz und wir dürfen es gern ausführen, jedoch nicht das gedruckte Kalenderblatt mit dem Schloss von Rheinsberg: „Kunst“ dürfe man nicht mitnehmen, erklärt der Grenzer. Sein Vorgesetzter lässt mit sich reden, hat den billigen Druck wohl als wertlos erkannt. Dann sind die Häuser wieder bunt und die Schaufenster wieder voll. Vom Gin-Fizz wird allen bei der nächsten Geburtstagsfeier schlecht.

1978: Noch einmal ein Sprung, diesmal über den Eisernen Vorhang in den Osten: Über Österreich und Jugoslawien geht es nach Rumänien; dort quer durchs Land nach Bukarest und an das Schwarze Meer. Hinter der rumänischen Grenze bei Arad darf ich ans Steuer. Vaters Hauptwarnung lautet: „Nicht zu dicht auf Fuhrwerke auffahren – im Vergleich zu einem Mercedes stehen die still!“ Stimmt. Die Störche und Esel auf der Straße auch. Autos gibt es kaum, Essen fast nur in den vorab über eine ADAC-Reise mitgebuchten Interhotels. Für Mutters schwachen Magen empfiehlt der Kellner: „Karpfen mit viel Gemüse“. Der Karpfen ist in Fett gebacken. Das Gemüse ist ein Glas mit sauren Gurken. Kein Fernsehen, abends spielen wir Karten. „Wasser nicht aus Leitung trinken“, warnt eine Frau im Hotel.

Ich lerne Rumänisch, geht leicht mit guten Lateinkenntnissen. Vater spricht Tschechisch, er kommt auch gut damit durch. Auf den Dörfern in Siebenbürgen sprechen viele Deutsch. Man freut sich über den Besuch von „Landsleuten“. Viele Siebenbürger „Sachsen“schleppen Äpfel und Eier aus der kleinen Privatwirtschaft an. Mutter verschenkt eine Handtasche und ihr zweites Paar Schuhe. In Bukarest herrscht kalte Pracht und eine noch gedrücktere Atmosphäre als auf dem Alex in Ost-Berlin.

Straßenbild

Großpold/Apoldu de Sus im Kreis Hermannstadt/Sibiu. Foto: Susanne Habel

Und wieder am Meer: Das Schwarze ist nicht schwarz, sondern leuchtend Türkis. Wir treffen Verwandte, die im Flugzeug angekommen sind und sich so den Kulturschock erspart haben. Abends lernen wir Schafkopfen von meinem Cousin und Lockenlegen von meiner Cousine. Kein Fernseher, keine Bar im Hotel. Morgens liegt auf den zerbröckelten Fliesen neben dem Pool eine tote Schlange, sie erinnert mich an Ovid und seine Metamorphosen. An den dorthin aus Rom verbannten Dichter erinnert auch die Hafenstadt Constanța mit einer Statue. Rom scheint hier weiter entfernt als der Mond. Den Erdtrabanten haben einige Menschen den inzwischen doch erreicht. Angeblich konnten die Astronauten aus dem All die helle Chinesische Mauer sehen. Der Eiserne Vorhang war wohl eher zu grau. Oder doch blutigrot?

Auf der Rückfahrt besuchen wir noch einige orthodoxe Moldauklöster im Norden Rumäniens. Die Kirchen mit ihren bunt mit Heiligenbildern bemalten Wällen sind oft von quadratischen Schutzmauern umgebenen. Feste Mauern gegen die Türken, aber die Kommunisten hielten sie nicht auf. Aufhalten kann uns fast noch die Donau: Nur eine Fähre quert sie bei Brăila, wo wir hinüberwollen, fast bis ins alte Bessarabien. Vom Donauufer ist der Höhenabstand zwischen der Straße und dem Deck der Fähre gut 50 Zentimeter, die der Mercedes auf das Flachboot herunter stürzt. Kein Airbag schützt uns, aber wir haben auch keinen Achsenbruch, als wir auf der anderen Seite die schlammige Uferstraße hoch fahren. Hier hätte keiner einen Benz reparieren können. Wir eilen nach Westen zurück, verschenken unterwegs noch einige Lederutensilien. In Budapest kaufen wir bestickte Blusen, in Ungarn gibt es mehr Waren und mehr freie Worte.

Im Innenhof des Hotels in Wien sprudelt ein Springbrunnen. Nicht das Paradies hier, aber sogar das Brunnenwasser ist trinkbar. „Kommunismus ist Scheiße“, sagt die jüngere Schwester.

1989: An der Münchener Ludwigs-Maximilians-Universität studiere ich Anglistik und Germanistik und bin voll mit der Zulassungsarbeit zum Ersten Staatsexamen beschäftigt. Englisch ist so schön westlich, und meine Examensarbeit hat auch nur mit neuerer amerikanischer Literatur zu tun. Die jüngere Schwester ist ebenso im Endspurt ihres Studiums und heiratet in diesem Jahr ihre Sandkastenliebe. Das sind die Themen, die für uns im Mittelpunkt stehen.

Der Osten hinter dem Eisernen Vorhang dagegen scheint so fast vergessen; auf den Mond fliegt ja inzwischen auch keiner mehr. Im Sommer in der Steiermark im Südosten Österreichs blicke ich nach Jugoslawien über eine Grenze, die bald durchlässiger wird als ein leckes Boot. Die Aufstände in Polen, die Vorgänge um Gorbatschow, die DDR-Flüchtlinge in der deutschen Botschaft in Prag: Das sind Dinge, die abends in der ARD-„Tagesschau“ kommen. Ich will davon nicht sehr viel wissen oder hören. Ich habe vielleicht auch Angst, es wäre eine Seifenblase: Wenn ich sie anfasse, platzt sie. Als die Mauer am 9. November  fällt, kriege ich das zuerst nicht wirklich mit. Wenn das Studium vorbei ist und ich eine Stelle habe, fahre ich mal „rüber“ sage ich mir, anders kann ich den ehemaligen Osten ja nicht nennen. Nach meinem Staatsexamen suche ich erst mal nach einer beruflichen Aufgabe, nicht nach der alten Heimat meiner Eltern.

1992: Bei einer journalistischen Recherche fahre ich kurz nach Reichenberg/Liberec im Norden der gerade noch existierenden „Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik“ und von dort nach Dresden: Die Häuser in den sächsischen Dörfern, durch die unser Bus fährt, sind immer noch grau und oft beschädigt, wie auch sehr vieles in der Dresdner Innenstadt. Aber im Hotel Kempinski im Taschenbergpalais ist schon die Filiale einer US-Kette. Ich kann Latte Macchiato bestellen und alle ausliegenden Zeitungen lesen, wie in einem Wiener Kaffeehaus. Dresden ist wieder in Mitteleuropa. Für die Heimfahrt nach München brauche ich keinen Personalausweis. Jetzt hätte ich gern noch eine feste Stelle, aber viele zusätzliche  Bewerber strömen aus den „neuen“ deutschen Bundesländern nach Westen.

 

Zeitreise zurück: Auf Spurensuche

2010: Jetzt besucht ich tatsächlich zum ersten Mal Berlin. Nicht Ost oder West. Einfach ganz. Ich plane und erkunde, zunächst mit Atlas, Karte, Reiseführer und Stadtplan, später mit Apps im Smartphone. Sehe mir Orte an, wo Geschichte geschrieben wurde, und das oft in den letzten 56 Jahren, zu meiner Lebenszeit. Erleichtert werden Spurensuche und Berlinbesuche auch bald dadurch, dass 2012 ein Relikt der Nazi-Zeit fällt: Das Personenbeförderungsgesetz von 1935, das der (Reichs-) Bahn ein Monopol auf den Linienverkehr in Deutschland, gewährt hat, wird geändert: Jetzt fahren erschwingliche Fernbusse durch das ganze deutsche Land: Studenten, Tramper, Familien und Rentner pendeln endlich zu günstigen Preise durch die schon seit 1990 wieder vereinigte Bundesrepublik Deutschland. Und da ein Kollege in Berlin arbeitet, sitze ich bald im Fernbus dorthin!

Foto vom Brandenburger Tor

Brandenburger Tor: Halteverbot, aber freie Passage. Foto: Michael Leh

Durch das Brandenburger Tor kann ich von Westen passieren, und komme auf der anderen Seite in der Gegenwart an, nicht in einer Welt aus den Fünfzigern:  Links und rechts Botschaften am Boulevard Unter den Linden, links und rechts die überall gegenwärtigen US-Kaffeeketten. Wirklich neu für mich sind die Scharen von Spatzen überall, die um Krumen betteln: Ist der märkische Sandboden, der in Berlin oft zwischen Pflastersteinen und Fahrbahnen zu sehen ist, notwendig für das Sperlings-Staubbad? Oder liegt es an den vielen Alleen? Tausende Platanen und Linden sorgen gemeinsam mit Kiefern für die berühmte „Berliner Luft“, wie sie schon in dem Schlager von 1906 besungen wird. Flanieren möchte ich unter den Linden, jedoch nicht allein, und schon gar nicht überall abends. Bei Streifzügen in vielen „ethnischen Kolonien“ gehe ich stramm und trage meine Tasche vor der Brust. Nicht nur Drogen-Dealer und Roma-Bettler, sondern ganze Rudel anderer verdächtiger Typen sind hier unterwegs. Die betteln nicht, die holen sich, oft auch mit Messereinsatz, wie es die Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2015 zeigt: 2.571 Raubüberfälle auf der Straße, fast die Hälfte der Tatverdächtigen haben keine deutsche Staatsbürgerschaft, ein Migrationshintergrund wird gar nicht erst angegeben. 40.675 Körperverletzungen, davon 10.029 gefährlich und schwer.

Die Spuren der Mauer sind in Berlin weitgehend beseitigt. In Berlin selbst starben nach neuesten Zahlen mindestens 140 Menschen zwischen 1961 und 1989 an der Mauer, und sogar schon 37 in den Jahren vor Errichtung der Mauer im August 1961. Man findet vor allem einige eher sterile Gedenkstätten. Also hinaus ins Umland!

2012: Von Wedding-Gesundbrunnen geht es über die einstige Stasi-Hochburg Hohenschönhausen, wo das MfS residiert hat und sein zentrales Stasi-Gefängnis führte, in den Barnim nördlich von Berlin: Hier war kein Grenzgebiet, aber in der „Waldsiedlung“ Bernau bei Wandlitz-See wohnten die DDR-Bonzen in eher spießigen Reihenhäusern, die noch stehen. Das einstige Kaufhaus mit Westwaren und das Hallenbad sind verschwunden. Nicht weit entfernt verfällt die gigantische ehemalige FdJ-Hochschule. Die vielen leeren Gebäude schluckt der märkische Dschungel. Unter einem überwachsenen Hügel liegt in der Nähe der Bunker von Erich Honecker. Unter anderem ist noch Wachtturm auf dem großen Gelände zu sehen. Hier wollte die paranoide DDR-Führung einen Atomschlag aussitzen, wenn der Westen die Mauer vermeintlich mit Gewalt nehmen sollte. Und zwischen diesen beiden Orten liegt am Bogen-See auch noch das einstige „Jagdhaus“ von Joseph Goebbels, Liebesnest des Nazi-Propagandaministers.

Wachturm und FdJ-Hochschule

Wachtturm beim Honecker-Bunker und die FdJ-Hochschule bei Prenden. Fotos: Susanne Habel

2013: Ein berühmter Schauplatz steht auf dem Programm: Die Glienicker Brücke, lange gesperrt, verbindet Berlin und Potsdam. Hier stehe ich und sehe vom einstigen „Westen“ hinüber nach dem ehemaligen „Osten“ in Brandenburg. Hier fanden die spektakulären Agentenaustauschaktionen statt. Im Rucksack habe ich das Buch Strangers on a Bridge von James Donovan über den Austausch des KGB-Spions Rudolf Abel gegen den CIA-Agenten Francis Gary Powers, der als U-2-Pilot Aufklärungsflüge über der Sowjetunion machte und dabei über dem Ural abstürzte. In dem Buch erzählt der amerikanische Anwalt Donovan, wie es ihm gelang, Powers (und den in Ostberlin inhaftierten US-Studenten Frederic Pryor) im Februar 1962 auf der Glienicker Brücke gegen den deutschstämmigen russischen Juden Abel austauschen zu lassen, der amerikanische Atomgeheimnisse an die Sowjetunion verraten hatte.

2014: Ist die Mauer zurück? Ich stehe auf der anderen, der Potsdamer Seite, in der Ex-DDR: Wieder flattert über der Glienicker Brücke die DDR-Flagge mit Hammer und Zirkel, steht ein Stacheldrahtverhau auf der Fahrbahn: Nicht betreten, nicht fotografieren – ganz wie vor 26 Jahren, Zeitreise live: Der Regisseur Steven Spielberg kann die Brücke vier Tage lang für 10.000 Euro total sperren lassen, um den berühmten Austausch im Spielfilm Bridge of Spies auf die Leinwand zu bringen. Das Team wartet auf Schnee. Noch ist kein Schauspieler zu sehen. Der Film kommt ein Jahr später in die Kinos. Mark Rylance, stiehlt als stoischer Oberst Abel seinem Anwalt Donovan (Tom Hanks) die Schau und bekommt einen Oscar als bester Nebendarsteller. Ich sehe den Film 2015 in einem funkelnden Protzpalast am Potsdamer Platz, der zur Zeit der Mauer von Sperren durchzogen und eine Postenwüstenei war.

Glienicker Brücke und die Dreharbeiten zu Bridge of Spies

Vorbereitung zu den Dreharbeiten zu “Bridge of Spies” an der Glienicker Brücke. Foto: Michael Leh

Die DDR-Grenze verlief jedoch nicht nur auf Brücken und auf dem Land, sondern im seenreichen Berliner Umland auch am und im Wasser. Als begeisterte Schwimmerin kam ich auch in Berührung mit diesen früheren Demarkationslinien, daher folgen noch zwei Zeit- und Wasserreisen.

2014: Nördlich von der Glienicker Brücke liegen zwei idyllische Seen, durch die die DDR-Grenze auch verlief: der glasklare Groß Glienicker See und der Sacrower See. Beide Seen sind zur Zeit des Eisernen Vorhangs Schauplatz von Fluchtversuchen über das Wasser in die Freiheit. Am Groß Glienicker See verlief die Mauer am westlichen Ufer und dort gibt es auch eine Gedenkstätte.

Die Autorin an der Mauergedenkstätte

Die Autorin an der Mauergedenkstätte vor dem Groß Glienicker See. Foto: Michael Leh

Der einstige Grenzpostenpfad am Groß Glienicker See ist heute auf der einen Seeseite ein Uferweg. Dort liegt andere Gedenkstätte, die erst noch voll renoviert werden muss: Das Alexander-Haus in Groß Glienicke, wird zu DDR-Zeiten enteignet. Das Holzhaus verfällt nach der Wende und wird fast abgerissen. Doch der Journalist Thomas Harding, ein Urenkel des einstigen Erbauers, des jüdischen Arztes und Klinikleiters Alfred Alexander, rettet es in letzter Minute. Wie, das schildert Harding im Buch The House by the Lake (erschienen 2015 bei William Heinemann/Penguin Book). Die ergreifende Geschichte vom „Sommerhaus am See“ (deutsch bei dtv 2015), in dem seine Großmutter Elsie so glückliche Sommer in den Dreißigern verbracht hat, überspannt über ein Jahrhundert.

Das "Alexanderhaus"

Links oben: das „Alexanderhaus“, einst auf der DDR-Seite der Mauer gelegen. Vorne rechts der einstige Grenzposten-Weg. Foto: Susanne Habel

Weiter südlich erstreckt sich der Sacrower See mit der schönen Gaststätte „Landleben Potsdam“ am Nordufer, einstmals das Stasi-Heim „Waldfrieden“. An der Südspitze des Sees liegt in Sacrow die „Heilandskirche am Port“ direkt am Jungfernsee (im Havelbereich). Die Kirche mit freistehendem Campanile, von Friedrich Wilhelm IV. erbaut, verfiel zu DDR-Zeiten direkt am Mauerstreifen.

2016: Die Ausstellung „Gärtner führen keine Kriege“  vom 15. Juli bis 10. September 2017 in Schloss Sacrow zeigt, wie die Parklandschaft, die Peter Joseph Lenné einst bei Potsdam geschaffen hat, vom DDR-Regime zu einer wüsten Grenzeinöde gemacht wurde: Man riss die Parkanlagen ab. Der Garten um Schloss Sacrow wurde zu einem Zwinger, in dem alle DDR-Grenzhunde für den Einsatz an der Mauer scharf gemacht wurden. Unter Wasser lauerte „Stalinrasen“, mit Stahlstacheln gespickte Matten. Mindestens neun Menschen verloren allein bei Sacrow bei einem Fluchtversuch das Leben.

Im Sacrower Park streife ich durch knietiefes Gras  zum Ufer: Dort kann ich das tun, was jahrzehntelang verboten war: Vor der Heilandskirche schwimmen, zwischen Paddel- und Ausflugsbooten. Nur der internationale Schifffahrtsverkehr hat hier noch Vorrang. Ich nehme wie einst die Pilger am Jakobsweg eine Süßwassermuschel aus dem Jungfernsee mit, die ich am Seegrund im märkischen Sand finde.

Die Autorin vor der Heilandskirche

Vor der Heilandskirche im Jungfernsee. Foto: Michael Leh

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Dec 23 2017

Ein Mauerlied

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von Angela Scarlis

Auf der Mauer, auf der Lauer,
sitzt ‘ne kleine Wanze,
schaut euch nur die Mauer an,
wo die Wanze tanzen kann.
Auf der Mauer, auf der Lauer
sitzt ‘ne kleine Wanze.

                                                   Lotte von Winkestein

…….

Ihr habt es mir befohlen, es ist erbaulich,
eine Mauer zu glossieren, anzuschauen.
Ich muss euch sagen, es ist erstaunlich,
was ich sehe. Laßt es euch anvertrauen.

…….

Auf der Mauer, auf der Lauer

Stolz ist man auf die Mauer – doch wer sieht,
wohin sie streben, die himmelhohen Türmelein.
Im Graben balgt sich derweil so manches Würmelein,
ängstigt sich um sein Leben unter der Sonne heiß.
Stürmer im Spiele necken sich, trumpfen auf und wetten.
Der Ober sticht den Unter, das weiß jeder – auch die Netten.
Herren auf die Damen mit blondem Haar und Kußmundcharme,
manch zartes Füßchen tritt ins Näpfchen. Voll Fett – Gott erbarm’!
Wer ein echter Hengst ist, liebäugelt mit den Damen der lüstren Künste,
tollt sich, rollt sich voll des Eifers in den brünstig verführerischen Dünsten.

sitzt ‘ne kleine Wanze

Wer schreitet kühn mit schnellem Schritt zur Bühne?
Ein königsgleicher Hühne im Rampenlicht ganz ohne Mühe.
Sonnengelb flimmert im Abendrot sein glänzendes Haar;
er grüßt sich selbst in der jubelnd aufgewühlten Schar – fürwahr.
Sophokles, der Helden-Dichter, kommt leider nicht flüsternd vorbei,
dem dreisten Unterhalter bühnenreife Worte in den Mund zu legen.
Verwegen wie ein freches Kind drückt er sich rotzig aus – und legt sein Ei.
Trotzig schließt er schmollend den Mund, bläst auf die dicken Backen.
Zum Scherz schlägt er zusammen – Fuß an Fuß – seine Hacken.
Spielt da einer den Clown? Hau den Lukas, schreit der Degen. 

schaut euch nur die Mauer an

Trumpeltiere wuselig wie Hunde der Prärie scharen
sich auf weichem Plüsch, auf feinen Seidenstoffen
mit schwindelresistenten, fetten Rattenpaaren
ums Kitzelkarussell. Sie jaulen, johlen wie besoffen.
Die Wanze staunt, erfreut sich des Gemetzels Hitze,
erlaubt sich zwischendurch ein Mahl mit etwas Blut.
Derweil der Rumpelkönig tanzt besessen um die heiße Glut.
Ein Mauerblümchen reckt sein Köpfchen aus der Ritze
und sucht verzweifelt nach dem Edelmann für die Mamsell,
damit sie ungestört dem Laster frönen können – im Rosenrondell.

wo die Wanze tanzen kann

Mit und ohne Ranzen schlagen Klein und Groß sich über Stock und Stein,
treu befahnt im Sturm mit Sternen, schwarz gewichstem Leder um das Bein.
Mit Gitarre um den Hals besingt so mancher seine Lorelei. Keiner legt sich jetzt zur Ruh.
Aus dunklen Löchern züngelt höllisch’ Lachen, welch ein Knurren, dauernd Murren;
die Uhren an den dunklen Mauerwänden hören niemals auf zu surren.
Weit ist der Weg nach verlorener Schlacht um das schönste Hundekissen.
Schaut hin, wie sie alle tanzen um das schwangere Kängeruh,
wie es hüpft, sich juckt und zuckt, wo die Wanze einst gebissen.
Keine Mauer ist zu hoch für blaue Blümchen – sogar in diesem Land,
jeder könnt’ sie pflücken mit Entzücken, obgleich von fernem Strand.

Auf der Mauer, auf der Lauer,
sitzt ‘ne kleine Wanze.

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Dec 22 2017

Manuela Mourão’s Conceptual Installation „To Grab and to Hold” at the Exhibition “Facing Our Fear” with Some Reflections from a Transatlantic Perspective

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by Frederick A. Lubich

“Zeitgeist” was the theme proposed a year ago for this edition of Glossen. Throughout the year 2017, nothing seemed to crystallize that would qualify as a real zeitgeist phenomenon until the ball got rolling with the fall of Harvey Einstein. In this context and in retrospect, the exhibition “Facing Our Fear” at Old Dominion University in Norfolk, Virginia gains increasingly sharper contours which shall be traced in the following reflections.

The exhibition opened on Jan 20, 2017 and was organized to coincide with the inauguration of the 45th president of the United States of America. In paintings and installations as well as in  poetry readings, artists, students and professors of the university and its local communities expressed their current apprehensions about the new president, covering in their works of art topics that ranged from sexual harassment to climate change and the politics of immigration. It was quite an intense and emotional event and one of the young poets could not hold back her tears after she had read her very moving poem. Her personal experience and poetic expression struck me and resonated with deeper chords in me.

Manuela Mourão, a visual artist and professor of English at Old Dominion University, was another participant in the exhibition. Born and raised in Portugal, she also brought an Old World sensibility to her vision that in hindsight turned out to be quite a perspicuous premonition of the Brave New World of contemporary America, adding an additional dimension to the fear that the American Dream could morph after all into a veritable American Nightmare.

Photo of art installation. Chastity belt in cage with roses below

Manuela Mourão: “To Grab and to Hold”

Mourão’s installation displayed a bouquet of red roses, but they were not put into a vase with water but rather laid on the bottom of a cage, where they soon would wilt and waste. So what was the message in this mixed media work of art? “A rose is a rose by any other name“, Gertrude Stein suggested famously, in other words, things are what they are. But at the risk of being a romantic bore, one can also argue, that roses can mean so much more.

Since antiquity, the rose has symbolized like no other plant the magic of love and the beauty of womanhood, ranging from innocence to experience, connoting both innocuous flirtation and ultimate defloration, whereby the sounds of the last two nouns already clearly betray their etymological derivation from the Latin word “Flora”, the name of the goddess of flowers and fertility in ancient Roman mythology.

During the time of the crusades, the order of the Rosicrucians adored the white rose as a symbol of renewal, which in turn inspired many centuries later the young martyrs of the White Rose to their code name under which they fought and died in their resistance against their country’s brutal fascist regime. And the rose not only symbolizes the sweet beginning of love but also its bitter end such as in the expressions like “War of the Roses”. The latter translates into the German expression “Rosenkrieg” and as such it refers much less to the English civil war between the Houses of York and Lancaster in the late Middle Ages and much more to the modern battle of the sexes and their final law suit in a civil court of divorce.

The German-Bohemian poet Rainer Maria Rilke, probably best known for his early Art-Nouveau poetry with all its flowery imagery, was also a modern master of multiply-coded metaphors, especially when it came to the rose and its manifold symbolism. Literary scholars have counted close to two dozen symbolic variations in Rilke’s rose poetry. Mourão’s dark roses can evoke all those old-world memories and much more.

In her assemblage “To Grab and to Hold” she also included a stylized chastity belt adorned by a dark red heart. In light of the numerous erotic and sexual connotations of the rose, this installation begins to reveal itself along with its telling title as an intricate mis en scene that in turn also alludes to the recently much discussed topic of our “culture of rape”. The latter has always been the dark subculture of patriarchy’s gender hierarchy. From this perspective of sexual politics, the medieval chastity belt reinforces this deeply duplicitous cultural tradition, in which serenading female beauty has been going hand in hand with brutally subjugating it.

At a closer look, this mis en scene turns into a mis en abyme, literally a gaze into the abyss, or, as this technical term has been redefined in art history, as a visual technique in which an image contains a smaller copy of itself. Either way, this installation reflects and represents both perspectives, since the look into the cage also opens up the view of the medieval chastity belt right from the depth of the Dark Ages. This miniature torture chamber for female sexuality is certainly the most painful and shameful form of incarceration a male-oriented society has inflicted upon women in its perennial and at times desperate quest of maintaining absolute control over the opposite sex.

To add insult to injury, medieval husbands could even claim to protect their wives with this iron underwear from all those errant knights who were out there to conquer not only the lands of other lords but also their fair ladies as additional trophies. In that fashion, the chastity belt doubled as an anti-rape shield and thereby as an utterly sexist symbol for the double standard of a patriarchal society. Throughout the centuries this morbid contraption morphed into the fashionable garment of the crinoline, which in Spain was also not so coincidentally called Verdugado, the “guardian of virtue”. This sartorial monstrosity reached in the middle of the nineteenth century its most excessive dimension, ranging from eighteen to twenty-four feet at the bottom, before it began to change its shape again and turned into the corset of the Victorian Age. This time around, it forced the female body mercilessly into the hour glass shape, thereby perfectly ready made for the male gaze around the turn of the century which became also known for its cultural decadence.

In other words, the habitual “damsel in the distress”, supposedly waiting to be rescued by some knight in shining armor, was in reality the ultimate and multiple victim of a thoroughly  misogynistic society, in which male passion and sexual aggression could parade and masquerade as heroic gallantry and virtuous chivalry. Of course, not all men were like this. Even then, there must have been more than a few good men guided by common sense and enlightened by human decency, but unfortunately they were by far not enough, as we know from our cruel history all the way into high modernity. The hidden agenda of medieval knighthood continues to inform our modern vocabulary in which so-called “cavaliers” are still known as “lady killers”. From the feuds of the medieval aristocracy to the sexual power games in today’s high society and its nouveau riche … nothing is new … “noblesse oblige”!

“Les extrêmes se touchent”: Sigmund Freud famously identified the two central human drives opposing each other as the “Lustprinzip” and the “Todesprinzip”, the pleasure principle and the death principle. Students of medieval epics or romantic opera know, that Tristan and Isolde can only experience the ecstasy of love by uniting it with the agony of death, a moribund agony which became known amongst cultural cognoscenti around the world as a melodramatic “Liebestod”.

During the Roaring Twenties of the Weimar Republic, this romantic mix-up of love and death transmogrified into the gruesome reality of a series of sex crimes known as “Lustmord”. Just like the romantic notion of “Wanderlust” gained popular traction during the nineteenth century in the English language, the German word “Lustmord” became vice versa a term of lurid attraction in the English speaking world in the first part of the twentieth century. Maria Tatar’s study Lustmord. Sexual Murder in Weimar Germany remains to date the definite study on this ghastly case history.

Between the tragic trajectory of consenting lovers in the world of romantic art and the victims of sexual predators in the world of brutal reality emerges the “Heideröslein” (Little Rose on the Heath) as one of the most well-known poems by a young Johann Wolfgang von Goethe, Germany’s most celebrated poet of 18th century Weimar Classicism. It has been set to music by numerous composers, most notably by Franz Schubert and is a center piece of Germany’s romantic Lieder canon and folksong tradition which in turn continued to inspire following generations of musicians from opera composers to rebellious rock bands like Rammstein, whose song “Rosenrot” clearly pays tribute to Goethe’s little red rose.

“Sah ein Knab ein Röslein stehen”, saw a boy a little rose …, thus begins Goethe’s poem that describes in the first stanza a young boy, who stumbles upon a beautiful red rose in the meadow. In the second stanza, the rose begins to speak, thereby sounding like  a blooming maiden, who tells the young boy that she does not want to be plucked. In the third and last stanza, the “wilde Knabe”, the “wild boy” tells the rosy maiden, that he will pluck her anyway and although she tries to fight him off with her thorns, he prevails in the end and she has to succumb: “Half ihm doch kein Weh und Ach, musst es eben leiden”, in other words, as one translator put it: “She cried and sighed in vain and had to let it happen”.

Goethe’s “wilder Knabe” is a poetic word for boy and an antiquated version of the Middle High German word “Knappe”, meaning young squire. In its modern variation, it still retains some of the old chivalric splendor of medieval youth and continues to resonate in names like “Wiener Sängerknaben”, the German term for the Viennese Choir Boys. In sharp contrast to the German word “Knabe”, its Anglo-Saxon cognate “knave” experienced a significant deterioration in meaning, describing in modern English not only an old-fashioned boy servant, but also a tricky and deceitful fellow, in short a rogue given to knavery. In other words, the bloodline of this “Knabe” goes from the wantonness of wild whipper snappers all the way to the savagery of Jack the Ripper.

On the war on roses and their bloody metamorphoses: From the roses of the meadow to the Rosenbergs in the Ghetto, from rape to torture and from war to mass murder runs the ghastly gamut of warfare against the proverbial other, or to put it more precisely, from the witch hunts of the Middle Ages to the growing pogroms against Jews in High Modernity, from the burning at the stake to the inferno of the Holocaust, in short, from gynocide to genocide …, that has been man’s deadly force and fury time and again towards all those, who supposedly did not fit or submit to the powers that be. Their various forms of final solutions have left an endless trail of blood and tears throughout world history.

“Die Welt als Wille und Vorstellung”, the world as will and representation, that magnum opus of Arthur Schopenhauer, as pessimistic as its late-romantic world view might be, could also be turned upside down for the sake of a happier humanity. Just imagine, Hegel’s “Weltgeist”, his  timeless World Spirit, might after all still have a modern, mind-boggling ball, if one could only refocus the conflicting principles of Freud’s psychology through the lenses of Hegel’s dialectical philosophy, then there might still be hope for a future world history together with a happier humanity. And Germany’s dark modern history, so out of joint with enlightened modernity, might have after all and against all odds a case in point.

Whereas the Third Reich was the last and most disastrous manifestation of man’s will to absolute power and Aryan supremacy, the contemporary Federal Republic of Germany has in turn emerged in central aspects as its essential opposite. Whereas Nazi Germany persecuted and exterminated millions of civilians, the current German government has invited more than a million refugees fleeing from civil war in the Middle East to resettle in Germany. That is an unprecedented number in the annals of oppressed nations and their forced mass migrations into a far-away society that is culturally and ethnically very different from their own.

And whereas Nazi Germany propagated the ideals of “survival of the fittest”, today’s Germany not only practices compassion with the weakest, the survivors of war-torn countries, it also promotes programmatically the ideals of gender equality within its own institutions of democracy. For example, in planning for the fourth term of her government, Angela Merkel declared her intentions to base its political representation completely on the principle of gender parity. And last but not least, whereas fascist ideology preached and practiced the military strategy of the “scorched earth”, modern-day Germany is an international pioneer in environmental policies and recycling technologies.

“Verkehrte Welt” is a German term for a world which has been turned upside down and inside out. There is no linguistic equivalent for it in the English language, probably, because the history of the English speaking world has never gone through such topsy-turvy turmoil, such dialectical contradictions as the world of German speaking countries has. In literary history, the world view of the “verkehrte Welt” emerged out of the literature of German Romanticism, in which the Freudian concept of the “Heimlich-Unheimliche” first manifested itself avant la lettre most conspicuously.

“Heimlich-Unheimlich” is an untranslatable wordplay on the German word “Heim” which means home. Its adjective “heimlich” assumes in German the meaning “secret” or “secretive”, thereby reflecting the understanding that things kept at home will remain unknown to the outside world. The subsequent negation of “heimlich” into ”unheimlich” in turn changes the meaning of “secret” into “uncanny”, or, to be  more precise and linguistically closer to home, into “strangely familiar”. The double bind of “Liebestod” and “Lustmord” can exemplify this uncanny transmutation, in which the bonds of love turn so to speak into the bondage of death.

In his seminal essay “Das Unheimliche” (1919), Freud got a lot of psychoanalytical mileage out of this linguistic contradiction. And down the road, the road of Germany’s modern history, the collective drive of the “Heimlich-Unheimliche” should bring out the worst of its abysmal discrepancy, revealing the beloved homeland as a country of utter terror and bottomless horror, a “verkehrte Welt”, Mary Shelley’s Frankenstein could have never ever imagined in all its modern monstrosity.

The ultimate other of patriarchal reality is the matriarchal imaginary. And in deed, the research of the Swiss-German school of matriarchal mythography provided the ideal groundwork for the growing cultural critique of patriarchal history. Especially Johann Jakob Bachofen’s magisterial study Das Mutterrecht (The Mother Right), an encyclopedic tour the force through ancient religions and civilizations, as well as Carl Gustav Jung’s archetypal depth psychology helped to lay new conceptual foundations for social and political movements ranging from modern Feminism and Women’s Liberation to present-day Femen-style shock demonstrations. These movements of emancipation were all inspired to varying degrees by the mythic matrix of the Magna Mater and her cultural ideals of peace and liberty and – mutatis mutandis – equality and prosperity for all.

On modern paradigm changes and their sexual politics: If the current American president as the most powerful man in the world is raising fears among several major demographic groups such as liberals and immigrants and last but not least women of all walks of life, then the current German chancellor, considered to be the most powerful woman in today’s world, does exactly the opposite, especially when seen through the perspective of women, liberals and immigrants.

Framing the political portraits of those two most powerful world leaders in Europe and America from an archetypal point of view, one could certainly characterize the American president as a patriarchal pushback, a phallocratic backlash so to speak and – vice versa – the German chancellor as a kind of matriarchal  comeback of Otto von Bismarck, the Prussian Chancellor and political founding father of a united Second German Empire, only now thoroughly transgendered into a magnanimous Lady Liberty who is opening the doors of her re-united Germany to all the huddled masses fleeing their war-torn countries in the Middle East.

In her younger years, Angela Merkel was known in political circles as “das Mädchen”, or “the Girl” and as she rose to power to become her country’s first female chancellor, she became known as “Mutti”, as “Mommy”, so called derisively by her distractors and affectionately by her supporters. But no matter how Germans look at her, today she stands respected by democracies around the world as a role model for a liberal society, a flourishing economy, a welfare system with solid social security and – ultima ratio – a progressive environmental policy designed to preserve and recycle the wealth of Mother Earth. Or to rephrase it more mythographically, she represents a contemporary manifestation of the archetypal avatar of the Magna Mater as Alma Mater, the Great Nurturing Mother who was known for her maternal cornucopia throughout antiquity, symbolizing the material abundance of our world which was to be shared with all of humanity.

“Die Zukunft wird weiblich sein oder gar nicht“, the future will be female or not at all. That vision was a popular slogan in Germany in some of the more imaginative circles of its student movement in the late sixties and early seventies of the last century. That movement does not seem to have lost any of its progressive momentum.  On the contrary, less than a year after the exhibition “Facing our Fear”, the wanted list of sexual predators, the phalanx of falling men is growing by leaps and bounds, challenged by a growing group of rising women who are now courageously  confronting and exposing them. In the process, these women have become known as “The Silence Breakers”, a united female front that Time Magazine has recently chosen and personified as the “Person of Year”.

If Edvard Munch’s iconic image “The Scream” inaugurated the twentieth century as a silent scream that already conjured up all the pain and suffering of its coming miseries and atrocities, then the “Silence Breakers” of Time Magazine represent the latest “Scream” shattering not only the silence about female suffering in the past but also the glass ceilings over their future. Together they are turning the tables, they are re-writing history and every former “Damsel in Distress” comes back – at least figuratively speaking – as a formidable “Belle Dame Sans Merci”.

And that proud and prickly Bella Donna, that late romantic revenante with such a foreboding French name straight out of a Gothic novel is no picnic in the park, no “déjeuner sur l’herbe” as in Edouard Manet’s impressionistic masterpiece – unless his young ladies and gentlemen reverse their roles and exchange their fancy Belle Époque clothes. If there is any poetic justice in this world, then the fair ladies in this travesty, this veritable tableau vivant, certainly would amount to an epic epiphany, because they finally could stand up in all their Victorian mercilessness for all their sisters in their present and past distress. And the brotherhood of all …

those wandering knaves and knights,
who still can’t imagine how it once felt,
can now not only walk in their shoes
but also try out their latest chastity belt!

That certainly would be la dernier cri of their latter-day hypocrisy that argues that their sexual aggression was nothing but mutual affection. And drag queens who can sing and dance, they all could join the silence breakers, throw up their legs and support them as kinky movers and shakers, forming chorus lines and cabaret songs like “Good Bye Weinstein, Hello Einstein! Zeitgeist, Weltgeist, Poltergeist … Willkommen, Welcome, Bien Venue … whatever the rhymes and rhythms might be for this Exit Hollywood Revue … it is high time, that those once so high and mighty keep rumbling and tumbling down.

Which brings us back to “Facing Our Fear” and the “Harasser in Chief”, as the current president of the United States has become known amongst his most outspoken critics. No matter what his legacy will be, he certainly will also go down in history with his loose locker room talk of “grab and hold”. Speaking of locker room talk, in this context Mourão’s assemblage of cage and chastity belt gains an additional political subtext by becoming a visual double entendre for “Lock Her Up”. That was the infamous battle cry at the former campaign rallies of the present president against his formidable female opponent. Not only was this slug of a slogan meant to hit her below the belt, but where there are locks and keys, one can also easily lose the latter, and then who or whatever remains locked up, can be left to turn rotten and soon forgotten.

Demagogues have always been eloquent masters of sexual innuendo and chauvinistic bravado, tapping and digging into that unsavory swamp of “blood and soil” that the fascist propaganda of the Third Reich extolled as the pure source of Germany’s rebirth and the fertile ground to make the fatherland great again. And such a patriotic uprising is always a male phantasy, a chauvinistic imaginary, as already the word fascism, rooted in the Latin cognates ”fascis” and “fascinus” reveals, as they signify and associate phallic power and empirical prowess.

The only comic relief in this rebirth of national greatness is the president’s public obsession that his hands might not be big enough. For what? To grab and to hold! Not to mention other potential shortcomings for someone with an agenda of not so subtle megalomania. Whatever his deeper issues might be, “bigly” is most likely the correct password into this masculine mystery. And if one last laugh is not enough, one might also reconsider the strange transformation from holding hands to groping paws as a secret evolution in reverse, reminiscent of Nietzsche’s nefarious “Blonde Bestie”, that prowling, predatory “Blond Beast”, that came to symbolize Nordic superiority, predestined for more Lebensraum in the East.

“There is no business like show business”, goes a well-known American maxim, but the current political circus has turned the experience of popular amusement more and more into a nationwide bewilderment. The satirists of the Weimar Republic thought they were funny, when they lampooned the leading loudmouth of the Nazi party as a pathetic performer and sent him up as a high wire acrobat in Munich’s famous “Zirkus Krone”. But all these memories are spooky specters that keep haunting those of us who have deep roots back in the Old World – like Manuela Mourão home in Portugal and mine in Germany – because we have seen and heard this uncanny spectacle in America’s current politics before and it appears strangely familiar.

Zoon politicon as sexual predator: The Greek term zoon politicon literally means political animal and it is an expression characterizing someone who is a natural in playing party politics. Nowadays, this political concept describes not only skillful players in the public arena, it also reveals quite a few of them as sexual animals, latter-day throwbacks to a much more primitive stage in the process of our so-called Western Civilization.

Looking at these sexual predators historically, their downfall seems to mark one of the last stages of the Sexual Revolution that started over one hundred years ago in the western world. Their ongoing exposure appears to make sure, that this sexual and political revolution with its continuing education and emancipation of both sexes will have a happy end. We need to do better than they have done, if we in deed want to strive for the best of all worlds. To put it differently, just as the past of mankind has been literally “his story”, its future has to be just as literally “her story”. And if the pre-patriarchal mythology of the Magna Mater has any real validity, her future will be again a culture of true gender equality, at least according to the scientific conjectures of our modern cultural anthropology.

“Coincidentia oppositorum”, the collapse of opposites, that’s what scholars of the Magna Mater are calling her maternal law and material order. It is the mythic matrix of the eternal dying and becoming which Goethe had famously conjured up word for word for the first time in European literary history in his classical poem “Selige Sehnsucht” (Soulful Longing). There, he invokes the timeless cycle of dying and becoming as the “Stirb und Werde”, which has become a well-known proverb out of the master works of German literature. After all, it evokes the arch principle of death and rebirth, of creation and destruction, which is of course the bottom line in the chthonic realm of the pagan Great Mother Earth, who in turn is the archetypal opposite of the celestial kingdom of the Christian God Father in Heaven. In a final reversal of our earthly fate and heavenly fortune, Goethe’s Faust conjures up at the very end of its epic drama the poetic epiphany of the “Eternal Feminine” and elevates her into a cosmic panorama, where she rules supreme again like Babylon’s Ishtar and Astarte way back when.

Back to the future: From heaven to hell, from womb to tomb and back again, in the Eleusinian Mysteries of ancient Greece, this magic cycle of life and death and rebirth has been celebrated in the sacred trinity of Demeter, Persephone and Hermes. They provide the original matriarchal role model for patriarchy’s coming takeover, and its physical and metaphysical ascendency. Whereas Demeter represented the Great Mother, Persephone personified her divine daughter, who disappeared every fall into the underworld only to come back again in spring. This annual rebirth and return to earth was accompanied by Hermes, the messenger God, who opened the hermetically sealed border between this world and the other world. In Greek mythology, Persephone was also known as Kore whose name simply means “The Maiden” and her symbolic ttributes were all the flowers of spring. Great painters of the Mediterranean Renaissance like Sandro Botticelli and others loved to paint her in all her floral glory. Or, to update her ancient résumé, Kore, the ancient Greek Maiden, is the original “Flower Girl”.

Which brings us back to Manuela Mourão’s installation “To Grab and to Hold”.  Its telling title turned out to be quite an uncanny prophecy. In addition, it finds a perfect counterpart in the snapshot of Al Franken, posing as a make-belief sexual predator over a sleeping Leeann Tweeden. His assault arrested in midair – a mentally arrested schoolboy prank par excellence – is a revealing tableau vivant, graphically illustrating man’s relentless impulse to “grab und to hold”. As such it sure will become an emblematic image – if not anthropological pastiche – of man’s timeless knight errantry, ranging from more or less harmless tomfoolery all the way to brutal violence and horrible depravity. In any case, Goethe’s “wilder Knabe” is back again, but his puerile knavery comes back now as a timely caveat.

“Pueri sunt pueri et pueri puerilia tractant”, goes an old Latin adage, meaning, that boys will always be boys and boys will always do boyish things. Al Franken, who had made himself a name in his younger years as a popular comedian in Saturday Night Life might wish that this old Roman proverb still holds true and somehow excuse his adolescent stupidity. But men will be men no more, if they continue to act like wild boys, schoolyard bullies and so much worse.

Harvey Weinstein, the once almighty director of Miramax, has become the ultimate poster boy of that rogues’ gallery, especially since Time Magazine put him on the cover of its Oct. 23 edition. With his glowering look, staring out of a dark background he has become in deed the face to fear, if you are a woman out and alone at night. The illustrious magazine comments the famous and now so infamous director’s fast fall from grace in three telling, alliterative words: “Producer, Predator, Pariah”.

“O tempora, o mores”, that’s how the Romans since Cicero’s times commented and lamented the passing of time and the decay and perdition of its customs and morals. This year, Time Magazine followed in their age-old footsteps twice by turning not only the arch perpetrator of sexual assault into a cover story but also by honoring the countless victims of sexual assault into their annual “Person of the Year”. In other words, in this year’s Time Magazine, the Zeitgeist has indeed found its most telling reflection and representation, in short its voice and face.

In a strange anticipation of all these scandalous mass revelations in America, Germany witnessed a similarly shocking experience in the numerous sexual assaults which altogether left over a thousand women violated during the 2015/2016 New Year’s Eve celebration in Cologne and other German cities. What further complicated matters politically, was the fact that the perpetrators were all young Arab men, who were either part of the recent immigration wave to Germany or who resided in the country illegally. Clearly, from the barbarity of civil war to the brutality of sexual assault, mankind has always found ways to bring the worst out of itself. When on the other hand, we have also known so much better along the way.

Ars Amatoria was the title of the poetic manual for lovers by Ovid, Rome’s most famous writer in exile, teaching respect for each other and mutual fulfilment way back in the times of Roman antiquity. And the Moorish troubadours and Christian minstrels, roaming the Holy Roman Empire of the High Middle Ages, further fine-tuned in their courtly love songs the medieval perceptions of what is right and what is wrong when a man is courting a woman. All of its advice is still valid today as it was way back then. Even if love can get out of hand!

“Amantes, amentes”, lovers are crazy, that was the Latin title of a comedy by the German Baroque dramatist Gabriel Rollenhagen. And the French of course know about this craziness too with their notion of l’amour fou. And if the folly of love remains unrequited, it will drive the one left behind even crazier. Then, the only road to take is the high road, the way of the “Hohe Minne”. That’s what Walther von der Vogelweide, Germany’s most renowned wandering minstrel of courtly love had called the fine art of sexual sublimation. If need be, that will always be the Freudian way to go. Anytime and anywhere, and along the road true love can always be found right then and there! In any case, Plato’s world view still holds true, at least it is a longing lover’s best bet: “At the touch of love, everyone becomes a poet.”

“Dichter und Denker”, poets and thinkers – that was the well-known characterization of the Germans before they plunged with their celebrated high culture into the depth of unimaginable barbarity. And as they returned from the abyss and looked into the mirror, the nation of “Dichter und Denker” emerged as “Richter und Henker”, as “judges and henchmen” who had sentenced the innocent and executed them. This contradictory self-description has become in Germany a well-known definition of its own split identity. Probably only the famous nation of poets and thinkers could forge more rhymes even out of their most infamous crimes. In other words, the best …and the worst … and back again …

“Die beste aller Welten”, the best of all worlds! That was the utopian horizon of the German philosopher Gottfried Wilhelm Leibniz, the last true continental polymath and one of the first philosophical trailblazer of the Age of Enlightenment, whose neo-platonic theodicy envisioned the world as part of a divine universe in pre-stabilized harmony. During the times of the Old Testament, that heavenly vision of earth was called Paradise and ever since that legendary Fall of Man we have lost it and long to find it again and again After all, in the Garden of Eden even that  dubious l’amour fou, somewhere between devilish and divine seemed to have worked out perfectly fine.

“Paradise Now”, that phantom was not surprisingly also a favorite phantasy of the so-called Woodstock Generation that had hoped, that this legendary land of yore would be just around the corner as history was turning the next page and we would all enter the promised “New Age”. And the best way to get there was the popular parole “Make Love Not War”. On top of it, that magic mantra also promised to be the most enjoyable mode of subversion of that bad old war-mongering patriarchy. But on the other hand, it also could be badly misunderstood as a battle cry to always pursue whatever you want no matter what. However, Woodstock’s much celebrated “Free Love” was never that cheap. It was never just a matter of “grab and hold”. Already the wild boys of the Rolling Stones knew much better when they kept reminding us in those days that “you can’t always get what you want”.

“Beauty is truth, truth beauty”, that was the quintessence of John Keats’ “Ode on Grecian Urn”. His romantic equation could not be more timely than in our troubled times of “fake news” and “alternative facts”. According to Keats and in tune with his beauty of truth, we need in deed another romantic revolution and Germany, the motherland of European Romanticism, might have already come up with a practical solution, or at least with a like-minded organization.

“Zentrum für politische Schönheit”, Center for Political Beauty, that is the name of a loose alliance of several dozen action artists, founded in Berlin in 2009, who have been drawing attention to social and political controversies like the refuge crisis in Germany, the rise of rightwing parties and their attempts to redefine Holocaust memories. Inspired by the agitprop strategies of artists in the Weimar Republic, these guerilla artists stage sensational events or build provocative public monuments in order to create nationwide media attention and national if not international discussion.

Following this model, one could consider to re-install Mourão’s installation in a public space and turn it into an interactive work of art, where people could participate by complementing for example the bouquet of wilted roses by adding fresh flowers, thereby reminding all of us of all those flowers and all those hearts that have been broken and continue to be broken so wantonly by men who keep wanting them so recklessly. After all the memorials that commemorate the casualties of war, it is high time that we begin to remember all those who were disgraced in the name of love.

Close-up of chastity belt in cage with roses below

No more “Lock Her Up”

“Paradise Now”- Revisited: After everything is said and done, this is Woodstock’s lasting legacy, this is the ultimate truth and beauty of its much touted “Flower Power”. Before grab comes to hold and push comes to shove and things get out of hand, this has to be the law of love, this has to be the lay of the land …

Only when

all the powers belong to the flowers,
when this will be our future folklore,
only then can they all truly blossom
and will not break and fade any more.

Yes, you might say I am a dreamer, to recall John Lennon’s song “Imagine”, that new age ode to a better world, but I am quite happy to agree with him, because I know I am not the only one and we “hope someday you’ll join us and the world will be as one.”

***

Since the beginning of this year, and the exhibition “Facing our Fear”, we have made against all odds surprising progress in make this world a better place by breaking the silence and speaking more and more with one voice. In conclusion, I want the two following female voices speak out for themselves and ultimately for all of us.

The first one is the Mexican painter Frida Kahlo, whose life and art is a perfect evocation and personification of the fate of a broken rose. Not only was she already in her youthful years  physically broken by a horrible accident, in addition, she was subsequently also professionally crippled by a culture that would not let her flourish as an artist as she deserved simply because she was a woman in a culture defined by male dictates and desires.

Speaking of flower power: Kahlo painted and photographed herself time and again wearing flowers in her hair and her favorite ones were red roses. In memory of her life and art, today’s world of floriculture commemorates and celebrates her by having named a red rose after her “Frida Kahlo Floribunda Rose”. In other words, wherever a Floribunda blooms, Frida Kahlo, the lifelong artista moribunda becomes alive again in a blossoming flower. And on a deeper, much deeper symbolical level, she also figures as a modern reincarnation of Demeter’s beautiful daughter Persephone.

The second voice is that of Salma Hayek, the Mexican-born actress, who recently told her excruciating experience of playing Frida Kahlo in the Academy Award winning film Frida produced by no other than the once so mighty mogul of Miramax himself. In her long, one-page essay called “Harvey Weinstein Is My Monster Too” published in The New York Times on December 17, Salma Hayek writes: “When so many women came forward to describe what Harvey had done to them, I had to confront my cowardice and humbly accept that my story, as important as it was to me, was nothing but a drop in an ocean of sorrow and confusion.”

“My story”: Hayek writes that it was her “greatest ambition” to play Frida Kahlo and tell “her story”. However, in the long process of telling it, Harvey Weinstein made it again “his story”, not least by forcing Hayek to play a nude scene just to please him to which she finally gave in so that she could save “her story”. She writes about her dire dilemma: “He said yes to Frida. Then it was my turn to say no to him at all hours of the night.“ She could not have put the nightmare of her collaboration with her “Monster”, the grotesque consequences of its twisted contradictions more succinctly. And as if to remind her of his morbid prerogative as a latter-day cavalier he warns her most ominously: “I will kill you, don’t think I can’t.”

Toward the end of her grim and truly gothic story, Hayek turns her harrowing experience into the larger political perspective by demanding the creation of true gender equality in our future film industry and she concludes: “I am grateful for everyone who is listening to our experiences. I hope that adding my voice to the chorus of those who are finally speaking out will shed light on why it is so difficult, and why so many of us have waited so long. Men sexually harassed because they could. Woman are talking today, because, in this new era, we finally can.”

Comments Off on Manuela Mourão’s Conceptual Installation „To Grab and to Hold” at the Exhibition “Facing Our Fear” with Some Reflections from a Transatlantic Perspective

Dec 07 2017

Exposing Antiziganism through Remediation

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Investigation into a Xenophobic Murder in Revision (2012)

by Maria Hofmann

Abstract: Racist attacks against immigrants and refugees are on the rise in Germany; they are, however, not a new occurrence. In 1992, two Roma men were shot near the German-Polish border, presumably in a hunting accident for which the two German hunters never faced legal consequences. Twenty years later, Philip Scheffner’s documentary film Revision (2012) reexamines the case and its circumstances by interviewing officials, eye-witnesses, and families of the victims. While this approach at first sight resembles the traditional format of rectifying past events of social injustice by uncovering the truth, Revision goes beyond the mere recovery of facts.

I argue that, instead of presenting one true version of the case, it rather confronts the audience with the scope of possible stories that are shaped by personal perspectives, memories, and social conditions. This is achieved by the use of different strategies that reveal, and, at the same time, add layers and layers of mediation. I will analyze the remediating strategies employed in Revision, and show how they expose this almost forgotten case not only as a symbol of systematic antiziganism and xenophobia in Germany, but also as an example for the interconnected relationship of memory, media, and their representation.

 

 

In 1992, two Roma men were shot near the German-Polish border, presumably in a hunting accident for which the two German hunters never faced legal consequences. Twenty years later, Philip Scheffner’s documentary film Revision (2012) reexamines the case and its circumstances by interviewing officials, eye-witnesses, and families of the victims. While this approach at first sight resembles the traditional format of rectifying past events of social injustice by uncovering the truth, Revision goes beyond the mere recovery of facts. I argue that Revision uses specific aesthetic strategies to address the state of mediation and remediation in this particular case in order to reconstruct the systemic societal reasons for this event.

One famous example of a previous documentary film investigating a criminal case is Errol Morris’ The Thin Blue Line from 1988. At the time of its release, The Thin Blue Line offered a ground-breaking new perspective on the possibilities and impact of documentary film by investigating a murder that had happened 12 years earlier with the alleged murderer already behind bars. The Thin Blue Line made it possible for the case to be re-opened, and it saved the convicted Randall Dale Williams from the death sentence. Furthermore, Alexandra Heller-Nicholas claims that it “introduced many thematic and stylistic elements that have since become commonplace, not only in other documentary feature films but also in related areas such as television documentary” (109) with e.g. the use of re-enactments and the depiction of material evidence. Like The Thin Blue Line, Revision centers around interviews with people who have not been interviewed for the official investigation. The Thin Blue Line incorporates these interviews to either bring facts to light that give a different account of the events or to reveal certain witnesses as liars. Both aspects contribute to the film’s overall goal to give a different, more truthful version of what had happened. With new information being given, the re-enactment of the shooting changes to represent different versions. (Heller-Nicholas 111) In Revision, the purpose of the selection of interviews is far more unclear at first sight. One example are the interviews with the victims’ families that do not have any valuable information to contribute to the criminal case. They do, however, make up a large portion of the first part of the film. Here, it becomes apparent that Revision is not simply and solely interested in finding the truth in the sense of factual evidence of the case. What happened that night is quite clear from early on with more and more details getting filled in over the course of the film. Instead of pursuing a correction of a legal ruling, Revision focuses on the variety of different narratives, on a multitude of possible perspectives. This is further emphasized by the interview of an eye-witness that can tell exactly what had happened with the two victims in that night. This could be assumed to be the core element and climax of the film as the quasi-confession of David Ray Harris is in The Thin Blue Line. In Revision however, this interview is not given more weight than any other, no special space is reserved at the end of the film, no climactic importance given to this piece of information. It has the same weight as the interviews with the families that, despite their lack of new facts, have a central role in contributing to the multi-faceted circumstances of a case like this. Here, the depiction of the two dead men as members of a family is important, the consequences of their deaths not only for their wives and children back in 1992 but also on their lives today, the further impact on the next generation. It reminds the viewer that any event is always embedded in a complexly mediated system rather than completely isolated and detached as a news podcast or a legal case might make it appear. The film approaches this single event from a myriad of different possible perspectives which becomes clear in the reoccurring theme of the ‘beginning of the story’ which is set up by Scheffner’s first voice-over:

The film begins with the end of a story. A story with many beginnings. For me it begins with a radio traffic message. In 1992 in Germany, two years after reunification. “Due to a fire on the Berlin-Szczecin autobahn, the German-Polish border crossing is temporarily closed. Traffic is held up for 3km.” For a family from the city Craiova, the story begins much earlier: In 1989 in Romania, shortly after the revolution. For another family from Alba Iulia, the story begins 1991. In Romania with pictures from Germany.

Over the course of the film, the viewer hears different versions of the events of this night:

Nadrensee, North East Germany, June 29, 1992. Two farmers discover something lying in the corn. On closer inspection, they recognize two human bodies. They drive towards the village to look for help. Behind them, the field is in flames.

On June 29, 1992, two people are shot in a field close to the German-Polish border. […] On June 29, 1992, Edache Calderar is shot in a field close to the German-Polish border. The second body is identified by relatives currently at the refugee centre in Gelbensande near Rostock. His name is Grigore Velcu called Parizan, from the city Craiova in Romania. […]

On June 29, 1992, Eudache Calderar and Grigore Velcu are shot in a field close to the German-Polish border. […]

Different words all describing the same single event reveal how the choice of words informs our perception; e.g. when a report uses the names of the victims, it ensures that the viewer perceives them as people rather than anonymous entities, and enables us to empathize with them, and to sympathize with the families. At the same time, the fact that different words can be used to describe the same occasion emphasizes that all descriptions are always the result of human narrativization bound to interpretation, purpose, and goal of the speaker. It is important to point out that this multitude of versions all exist simultaneously without one being more viable or more truthful than another. While The Thin Blue Line’s changing reenactments represent a truth-finding process at the end of which one – the factually most accurate – version emerges, Revision’s approach is more interested in the multitude of versions itself. I do not argue that Revision’s program is to advocate for postmodern relativism in which truth is irrelevant altogether. Instead, the film reflects on the complexity of a case deeply embedded in a system of mediation (of which Revision is part as well) that goes well beyond the concept of only one true descriptive story. In order to enable the viewer to judge or intervene, the film forces us to work through this complexity by making us aware of the multitude of simultaneously valid truths.

This multitude also emerges from the various people in the interviews which Revision highlights by framing them differently. When Scheffner interviews officials, such as lawyers, forensic examiners, policemen, they speak from a different social role than family members. Consequently, the families are interviewed as a group rather than individuals; a circumstance on that one of the sons also comments; he expresses the wish to be interviewed separately. Additionally, the family interviews take place in their homes; they are surrounded by their personal items, and wear everyday clothing. In contrast, the interviews with the officials take place in their professional workplace with the interviewees sitting behind their desks surrounded by items that underline their professional capacity. An especially illustrative example is the figure of Romeo Tiberiade who is interviewed once as the officer for Roma affairs in the district council of Dolj, and once as a former asylum seeker in Germany talking about his personal experience.

Figure 1. Interview with officer

Figure 1: Interview with officer for Roma affairs Romeo Tiberiade

Figure 2. Interview with former asylum seeker

Figure 2: Interview with former asylum seeker Romeo Tiberiade

This separation between personal and official space exists in regard to the content but is visually emphasized outside of the interview framing as well. Interviews alternate with silent shots of the windows in the rooms where the interviews take place. Many of the windows in Germany go out to nature settings, one can see trees with green foliage, while the windows in Romania show courtyards, other houses, the village, people.

Figure 3: Window in Germany

Figure 3: Window in Germany

 

Figure 4: Window in Romania

Figure 4: Window in Romania

Naturally, this separates the lives of people in different cultures, social roles, and countries which reminds of the complexity and multiplicity of a case such as this one, and in what kind of various spaces it continues to have meaning. At the same time, Revision stands out by not showing and reproducing certain negative stereotypical representations of Romani people that are common in media. (Novoselsky) Revision consciously avoids these images dominated by connotations of dirt, filth, and chaos, and instead gives the individuals space for their perspective. By doing so, the film reacts to a visual but also verbal media situation in which people are reduced to negative stereotypes as Scheffner himself found when the two men had only been characterized as human traffickers. (Kassler 25)[1]

At the same time, the visibility of the window’s frame and the reflection of the glass (see fig. 3 and 4) highlights the window’s function as a separator between the inside and the outside. Even though the transparency of the glass creates a link between the two, it is only ostensibly permeable but ultimately represents a physical barrier, just as media grant us access to remote spaces while the medium itself confines this perspective. This reminds the viewer that even though Revision presents stories, and narratives from various angles, the ‘truth’ as a whole can never be conceived.

The direct use of the camera in the film also contributes to that reminder. In one instance, Scheffner and his camera man try to capture the exact visual conditions the hunters must have experienced when they shot at the two men.

Figure 5: Recreation of light conditions

Figure 5: Recreation of light conditions

The viewer learns that they made sure that the light conditions exactly matched the night of June 29 1992 to understand if the story of the hunters claiming they thought they were shooting at boars is plausible. In the off, one can hear the two men discussing the adjustments of the camera to imitate the scene in front of their eyes as closely as possible; one can also hear their frustration in this attempt, which echoes with the viewers’ frustration being presented with an image and being told at the same time that it does not look like reality. They conclude that what they see, and what the camera shows, is still not an exact match, but they agree that it is hard to believe that one could mistake a human for a boar under these conditions. This scene certainly has the purpose of recreating the circumstances of the event in order to determine the likelihood of certain versions; simultaneously, it also reveals the limitations of a camera to depict reality. The moving image has an intrinsic, very convincing “strong evidentiary power” (Nichols 35); this scene confronts the viewer with the boundaries of this power, and one’s own misguided trust in it. When a journalist recounts the events of an attack on a refugee center that escalated into violent fights, he reveals another effect of the camera lens: “Without my camera, I wouldn’t have endured this for half an hour.” His observation confirms the concept of the camera as a mediating filter but also exposes the protective power of an image compared to the real experience.

Documentary film has always had a complicated relationship to reality. By its own definition, documentary is a nonfictional genre, i.e. a genre that links to reality directly, that represents the actual rather than imaginary worlds. The filmmaker’s choices, views, and perceptions, however, influence the film she creates. Pointing the camera at one object instead of another already shapes the narrative into a certain perspective on reality. Just like the historiographer, whose limited objectivity Hayden White revealed in the 1970ies, the documentary filmmaker can never give a full account of “wie es eigentlich gewesen ist”. Instead one can only gain access to entirely mediated pieces of information that are compromised by the medium as well as the mediator. Errol Morris claims in an interview with Werner Herzog about The Act of Killing: “[W]hatever documentary is, it’s not adult education. Presumably, it’s an art form where we are trying to communicate something about the real world.”

In Revision, the relationship between immediate experience and its representation is further complicated by the strategies employed in the interviews. The first scene of an interview shows the interviewee listening to a recording of their own statement, confirming their agreement with what they said. On a practical level, this strategy allows the interviewees to correct or revise their statement making sure their words convey what they want to say. Making this process part of the film certainly gives the impression of transparency in terms of an ethical treatment of the film’s subjects with the goal to not misconstrue statements, as well as in terms of an ethical filmmaking itself in showing the complexity of the issue along with the complexity of the humans who happen to be part of it. In an interview with Dieter Kassel, Scheffner elaborates on the reasons for choosing this strategy:

Aber damit ist eine der Grundfragen des Films gestellt: Wer spricht da, wer erzählt eigentlich die Geschichte? Das ist eine ganz zentrale Frage, weil die Geschichte je nach Perspektive ganz anders beginnt, ganz anders endet und auch eine ganz andere politische Dimension entwickelt. Wir wollten, dass die Menschen, mit denen wir sprechen, das höchste Maß an Kontrolle über das haben, was sie sagen. Wir wollten, dass eine Art von filmischem Raum entsteht, der die Machtverhältnisse, die in so einem Interview entstehen, zum Wanken bringt. (25)

At the same time, the moment of the interviewees listening to their own recorded voice reveals the volatility of the present moment that one can only attempt to capture. Listening to the statement alone already alters and changes it forever, adding layer after layer of mediation. It emphasizes that none of the things one sees on the screen are part of one’s own present except for the screen itself. The same is true for the interviewees whose own voice acts like a ghost of the past; even if they corrected their previous statement it will always only represent a correction, never an actual change to the past event. These scenes are haunted by the past without creating a direct link to it.

The landscape shots inserted throughout the films give a similar impression.

Figure 6: Landscape shots of the crime scene

Figure 6: Landscape shots of the crime scene

For the most part, they show shots of the field in Nadrensee, thus, the location of the crime. Yet, none of this is visible in these peaceful and serene scenes that show the corn swaying in the wind or the monotonous hypnotizing movement of farming machines and windmills. There is no sign that two people lost their lives there, no sign of the tragedies their families had to endure. In the film these shots offer moments of contemplation for the viewer to gather one’s thoughts while these moments are simultaneously fully informed by the accounts of the film, i.e. by the knowledge of the crime and its impact. This knowledge haunts these calm shots and, thus, contrasts past and present, absence and presence, the invisible and the visible.[2]

The result of these aesthetic strategies is a changed perception of the viewer. Documentary films often aim at a call of action, the creation of a viewer’s intrinsic motivation to become active and change whatever issue the film is targeting, e.g. The Thin Blue Line clearly aims at a new trial for Randall Dale Adams to have him acquitted based on the proposed outrage of the audience of the film. Heller-Nicholas further argues that The Thin Blue Line’s self-reflexive questioning of the validity of evidence, and thus of documentary film itself, puts the spectators in a position to become “critical viewers rather than passive consumers” (114). For Revision, the legal consequences of the crime, the fact that the hunters were never persecuted, are far less important. This film does not take the place of a private investigator searching for the guilty through evidence but rather the place of a historian, and to be more precise, of an effective historian according to Michel Foucault’s concept of genealogy. Foucault demands a rejection of the concept of history as “retracing the past as a patient and continuous development” (380) and calls to “relentlessly disrupt its pretended continuity” (380). By presenting us with a multitude of different and contradicting perspectives that all simultaneously exist (rather than replacing one another), Revision argues against the belief in one true history that can be reconstructed as The Thin Blue Line might have us believe. Like all filmmakers’, Scheffner’s and Morris’ choices shape the depiction and arrangement of the visual material on which the truth claim of documentary film is based. As Michael Renov puts it:

But public history cannot simply be an aggregate of private histories strung together or nimbly intercut. […] Delegating the enunciative function to a series of interview subjects cannot, in the end, bolster a truth claim for historical discourse; the enunciator, the one who ‘voices’ the text, is the film or videomaker functioning as historiographer. (27)

Along the lines of making Revision a genealogical project, Scheffner, however, goes beyond that by being a constant presence in the film; he reads the voice-over narration, conducts the interviews, discusses with his cameraman. One scene especially reveals his perspective:

Scheffner asks the lawyer who is surrounded by volumes of legal writing making him the official representative of the law in the film about his notification of the liability insurance for hunters that covers hunting accident such as the one from June 29 1992. That is to say that the insurance would have covered any claims “if the families had put in a claim.”

Lawyer: That’s how our legal system works. I can only fulfill demands when someone files a claim. That is, seen from a legal perspective. It’s possibly difficult for you to relate to but…

Scheffner: It is difficult to relate to. Legally or not.[3]

This emotional response of indignation and outrage from the filmmaker is a singular event in the movie. It intentionally breaks the established separation between official and personal narratives by forcing the lawyer out of his social role as representative of the law, and addressing him as a private person – as a human – on a moral rather than a legal issue. This outbreak along with Scheffner’s continuous presence throughout the film affirms his own “grounding in a particular time and place, [his] preferences in a controversy” (Foucault 382) which makes him a genealogist and effective historian in comparison to Morris’ not atypical, traditional relinquishment of any personal existence of the filmmaker in the movie.

The goal of Revision is not simply to make the viewer an activist against antiziganism, racism, and an unjust legal system but to put the viewer in a critical space of medial awareness. The film displays this case not as criminal investigation but as a result of societal systems and patterns, and thereby, alludes to the issues and problems in today’s society. Scheffner sums up the program of his film: “Also diese kriminalistische Form der Aufarbeitung ist gescheitert. Unser Schwerpunkt war die Frage: Was kann eine filmische Form als Ergänzung oder als andere Form des Umgangs leisten?“ (Kassel 25) This program reflects on a media situation in which the authentic experience, the immediacy of reality represents an impossibility. The movie ends with the statement of one of the daughters; she says: “If you had at least one lasting memory of him. You’d have at least that memory when you miss him. But we don’t have memories. We have photos.”

Endnotes

[1] This issue represents a common problem in our current media-dominated era. A limited amount of certain images is repeatedly reproduced which not only leads to the stigmatization of the represented with inadequate properties but also to the loss of meaning of these images. Examples include historical events like the Holocaust but also current topics such as the refugee crisis. While the oversaturation with negative stereotypes is a common practice for antiziganist and antisemitic propaganda, contemporary documentary filmmakers aim at addressing these problems; e.g. A Film Unfinished (2010) by Yael Hersonski re-examines and re-contextualizes archival footage from the Warsaw ghetto in order to reveal the harmful intentions of its production.

[2] In his film Respite (2007), Harun Farocki uses a similar strategy in order to explicitly reveal the layers of remediation of certain images. When showing peaceful archival footage of a Nazi transit camp in the Netherlands, the narrator points out that one cannot see these images without also seeing representations of Nazi atrocities that overshadow any engagement with elements of the Holocaust. These strategies aim at exposing the media structures surrounding an event which allows a different access to remembering.

[3] See clip here: https://youtu.be/fBpxCEIoZ5U. The tone of the conversation is more comprehensible in German: “Mag vielleicht für Sie ein bisschen schwer vorstellbar sein, aber…” Scheffner: “Das ist auch schwer vorstellbar. Da gibt’s… ‘tschuldigung, aber juristisch hin oder her, ähm.”

Bibliography

A Film Unfinished. Directed by Yael Hersonski, Oscilloscope, 2010.

Alter, Nora. Projecting History. German Nonfiction Cinema 1967-2000. University of Michigan Press, 2002.

Benson, Thomas W., and Brian J Snee. “New Political Documentary. Rhetoric, Propaganda, and the Civic Prospect.” in: The Rhetoric of the New Political Documentary, edited by Thomas W. Benson & Brian J. Snee, Southern Illinois UP, 2008, pp. 1-23.

Bruzzi, Stella. New Documentary. A Critical Introduction. Routledge, 2000.

Buckland, Warren. The Cognitive Semiotics of Film. Cambridge UP, 2008.

Foucault, Michel. Aesthetics, Method, and Epistemology. New Press, 1994.

Gordon, Avery F. “Some Thoughts on Haunting and Futurity”. Borderlands, 10:2, 2011, pp. 1-21.

Hattendorf, Manfred. Dokumentarfilm und Authentizität. Ästhetik und Pragmatik einer Gattung. Universitätsverlag Konstanz, 1994.

Heller-Nicholas, Alexandra. “Framing Truth and Testimony. The Interrogation of Justice in The The Thin Blue Line.” Screen Education, no. 67, 2012, pp. 109-114.

Hohenberger, Eva. Die Wirklichkeit des Films, Georg Olms, 1988.

Kassel, Dieter. “Revision. Über den ungeklärten Tod zweier Männer.” Chilli, 12.2012, pp. 24-25.

Nichols, Bill. Introduction to Documentary, 2nd Edition. Indiana UP, 2010.

Novoselsky, Valery. “Shaping Attitudes Towards Roma Via On-line Media.” Media Education Centre, 11. Nov. 2014, http://www.mediaeducationcentre.eu/eng/?p=2149.

Pörksen, Bernhard. “‘In einer Welt der Simulation wird das Reale zur Obsession’ Im Gespräch mit Norbert Bolz.” Communicatio Socialis, vol. 35, no. 4, 2002, pp. 439-458.

Renov, Michael. “Toward a Poetics of Documentary.” Theorizing Documentary edited by Michael Renov, Routledge, 1993, pp. 12-36.

Respite. Directed by Harun Farocki, Harun Farocki Filmproduktion, 2007.

Revision. Directed by Phillip Scheffner, ARTE, 2012.

The Thin Blue Line. Directed by Errol Morris, Miramax, 1988.

“Werner Herzog and Errol Morris talk about ‘The Act of Killing’.” YouTube, edited by VICE, 07 July 2013, https://youtu.be/LLQxVy7R9qo.

White, Hayden. Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-century Europe. John Hopkins UP, 1973.

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Dec 06 2017

Utz Rachowski: Vom Stasiknast zur Opferberatung — Eine deutsche Jugendbewältigung

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Das Gespräch führte Frederick A. Lubich

Frederick Lubich: Lieber Utz, Du bist bereits als Vierzehnjähriger mit den Organen der Staatsicherheit in der DDR in Konflikt geraten. Das war 1968, als wir 68’er in Westdeutschland ebenfalls auf Konfrontationskurs mit dem Establishment gingen und einige von uns nicht nur auf die Barrikaden stiegen, sondern sogar im politischen Untergrund landeten. Erzähl von Deinen Erfahrungen aus der Welt hinter dem Eisernen Vorhang.

Utz Rachowski: Ja, lieber Frederick, das Jahr 1968 war auch für mich ein absolut prägendes. Bärbel Bohley, die DDR-Bürgerrechtlerin, die man später “die Mutter der 89er Revolution” nannte, sagte einmal, dass 1968 – sie meinte den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei – “das Grunderlebnis unserer Generation” gewesen sei.

Mein Bruder, der sechs Jahre älter ist als ich, war daran beteiligt, die Panzer, die direkt vor unserer Haustür vorbeirollten, mit seinem Motorrad aufzuhalten, auszubremsen – eine völlig absurde und ohnmächtige Handlung. Für mich eine Szenerie, die ich nie vergaß. Diesen 20. August beschrieb ich später in meiner Erzählung “Der letzte Tag der Kindheit”.

Mit der “Stasi” kam ich jedoch erst 1970, also im Alter von 16 Jahren in Berührung. Wir hatten in der Oberschule einen Literatur- und Philosophiezirkel gegründet, weil uns der offizielle Unterricht einfach anödete. Es gab einen neuen Direktor, der tatsächlich die Fahnenappelle Montag früh manchmal in seiner Majors-Uniform abnahm, das hieß dann “Stillgestanden”, alle Schüler im Blauhemd, der “Fanfarenzug” blies die Trompeten und die Trommeln rasselten… ich dachte am ersten Tag dort, ich sei in einer Kaserne gelandet. Es war verboten, auf den Fluren der Schule zu sprechen und im Schulhof mussten wir in der Großen Pause im Kreis gehen. Die Lehrer waren gegenüber der Zeit meines Bruders dort vom Direktor ausgewechselt worden, der Geschichtslehrer züchtete Schäferhunde für die nahegelegenen Grenztruppen, der Deutschlehrer hatte grad mal 100 Jahre Geschichte drauf, vom Erscheinen des Kommunistischen Manifestes bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges … es war zum Verzweifeln. Deshalb suchten wir nach anderen Wegen, um ans wahre Leben zu gelangen. Da fanden wir in der Stadtbibliothek einige Bücher von Heinrich Böll, darin die Beschreibung seiner Schulzeit im NS-Reich, die Beschreibungen ähnelten aufs Haar unsrem Alltag, die Militarisierung, der ideologische Drill, das Verstellen-Müssen, das Lügen. Da wussten wir, wo wir lebten … Diktatur sagten wir nicht, aber wir begannen zu tasten, was das sei.

Frederick Lubich: Während Ihr im Osten einen Literatur- und Philosophenzirkel gründeten, gründeten wir mehr oder weniger zur gleichen Zeit in Heidelberg einen Poetenzirkel, trafen uns regelmäßig, lasen uns unsere neuesten Texte vor und wetterten bei Gelegenheit gegen unsere faschistische Geschichte, die aus unserem Heimatland der Dichter und Denker eine  Mördergrube der Richter und Henker gemacht hatte. Von Agenten des Staates, die auch in Heidelberg nach Sympathisanten der linken Terrorszene fahndeten, glaubten wir uns damals vollkommen unbehelligt, aber wenn ich heute so zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an zwei Mitglieder unserer Runde, die irgendwie nicht ganz reinzupassen schienen. Aber bestimmt ist das eine aus dem Osten verschleppte Phantom-Phantasie, nachdem wir nach dem Fall der Berliner Mauer von dort so viele Schauergeschichten zu hören bekamen.

Utz Rachowski: Kann ich mir sehr gut denken, dass da Informanten auch an euch dran waren und dass dies keineswegs Phantasie ist. Wegen aufsässiger Reden in der Öffentlichkeit wurden wir damals von einem Kirchendiener verpfiffen, der auch nicht so ganz ins heilige Gemäuer zu passen schien und mit “Sicherheit” zwei Göttern diente. Der Direktor holte sofort die “Stasi” an die Schule, sechs Zimmer wurden geräumt, jeder Schüler der Gruppe einzeln verhört, ich als “Rädelsführer” (so wörtlich in den “Stasi”-Akten) vier lange Stunden lang. “Wer sind Ihre Auftraggeber im Westen, wer leitet Sie an!?” war eine der ständig wiederkehrenden Fragen des Vernehmers. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass aus der Atmosphäre des Landes selbst Widerstand und eigenes Denken erwächst. Ich spielte im Verhör den Blöden, hatte riesige Angst, denn zu Hause hatte ich inzwischen Gedichte von Reiner Kunze und Wolf Biermann. Eine Haussuchung hätte mich direkt schon mit 16 Jahren in den Knast gebracht. Ich wurde entlassen mit der Auflage, mich ausschließlich um den Unterricht zu kümmern, später aber dann relegiert von der Schule und aus der “Freien Deutschen Jugend” ausgeschlossen und ging mit 17 auf den Güterbahnhof als Hilfsarbeiter.

Nicht zu vergessen und völlig parallel nahmen wir natürlich die Bilder aus dem Westfernsehen auf, auch das Ostfernsehen berichtete kontinuierlich darüber: die Studentenrevolten in Paris und Westberlin. Rudi Dutschke, er war im letzten Moment vor dem Bau der Berliner Mauer 1961 auf einem Motorrad mit seinem Bruder aus der DDR nach Westberlin geflüchtet und dort zum wichtigsten und bekanntesten Studentenführer geworden – er  war ja einer von uns! Das wussten wir. Und wir sahen das brennende Baltimore, die Rassenunruhen und den Tod von Martin Luther King – all diese Bilder waren parallel zu den hiesigen ostdeutschen bei mir im Kopf.

Frederick Lubich: Im Jahr 1979 wurdest Du wegen sogenannter „staatsfeindlicher Hetze“ zu 27 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Wie kam es dazu?

Utz Rachowski: Ich machte einfach weiter nach meinem Rausschmiss aus der Schule, den Margot Honecker abgezeichnet hatte als “Ministerin für Volksbildung”. Ich las und diskutierte mit Freunden. Durch meinen Freund Jürgen Fuchs, der später zu einem der bekanntesten Bürgerrechtler der DDR und auch Schriftsteller wurde, und mit dem ich ein Jahr lang auf die Oberschule ging, bekam ich Kontakt zu Kunze und Biermann und besuchte beide. Nach Biermanns Ausbürgerung 1976 geschah mir noch nichts, aber drei Jahre später war ich dran. Übrigens “säuberte” die Stasi da 1979 ganze Regionen von Biermann-Sympathisanten, ich war mit mindestens 15 Leuten dieser Art allein aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt im Knast. Es war gerade einen Amnesty verkündet worden und der Staat musste seine Gefängnisse wieder auffüllen, diesmal mit uns … eine rein wirtschaftliche Sache war das auch. Schließlich wurde ein Großteil der Verhafteten nach längerer Haft in den Westen verkauft. So auch ich. Dabei hatte ich niemals einen Ausreise-Antrag geschrieben, wollte nie in den Westen gehen oder gar abhauen.

Rachowski Knast-Foto 1979

Utz Rachowski: Knast-Foto aus der Stasi-Akte 1979

Frederick Lubich: Die DDR hat Dich schließlich an die BRD verkauft. Vielleicht hat ja Dein einstiges Heimatland mit dem Erlös ein Kinderkrankenhaus gebaut. Was waren Deine ersten Eindrücke vom Westen?

Utz Rachowski: Jetzt muss ich leider lachen, lieber Frederick – Kinderkrankenhaus – da hätte ich ja gern eingesessen dafür, aber nachweislich kauften die aus den Erlösen des Menschhandels Luxusartikel die Bonzen und ihre Weiber. Ja, es ist richtig, manchmal auch Rohstoffe, die es nicht gab für die Industrie. Da sitzt man doch gern dafür ein! Wegen fünf Gedichten, das hieß wörtlich “staatsfeindliche Hetze in Versform” – tolle Sache, Heine hätte sich mit uns totgelacht, nee gesund gelacht natürlich, wie wir. Wenn wir noch Kraft hatten nach dem Drei-Schicht-System lachten wir wirklich viel im Knast, aber nicht in der Einzelhaft bei der Stasi.

Meine ersten Eindrücke im Westen waren: Oh schön, jetzt hast Du Ferien! Ich war auch gesundheitlich angeschlagen, obwohl ich erst 26 war und gut trainiert als Volleyballer in den Knast kam. Jetzt musste ich Herzmittel nehmen, zog direkt bei Jürgen Fuchs ein und redete mit ihm die ganze Zeit, war sofort drin auch in der Welt der Schriftsteller, der Linken. Diese nämlich suchten wir und verstanden uns als solche politisch. In meinem Kopf war sowas wie ein Gemisch aus frühem Marx (“Philosophisch ökonomische Manuskripte”) und der Bergpredigt. Seit dem 19. Lebensjahr trug ich lange Haare, einen Bart und eine Baskenmütze, um wie Che Guevara auszusehen.

Frederick Lubich: Ja, der Che Guevara, das war auch unser Held im Westen. Perfekt als wilder Bürgerschreck für das konservative Establishment samt seinen kapitalistischen Alt-Faschisten und ideal als hehre Lichtgestalt für die am Horizont heraufziehende Utopie. Und obendrein ein Märtyrer, gejagt durch die CIA im bolivianischen Dschungel. Und so hatte auch ich als aufmüpfiger Gymnasiast bald an Stelle eines Bildes von Homer ein Riesenposter von Che in meiner Bude. Für viele von uns Jugendlichen im Westen war das damals eine mehr oder weniger abenteuerliche Hobby-Revolution – so sehr uns auch eine bessere, gerechtere Welt am Herzen lag – , für euch im Osten führte ein ähnlicher jugendlicher Sturm und Drang zu politischen Verhören, Jugendhaft und Berufszerstörung.

Utz Rachowski: Und im Westen lebte ich ja dann in Berlin-Kreuzberg, dort gab es viele Anhänger der RAF. Diese berühmt-berüchtigte Terror-Gruppe und deren Aktivisten waren dort unterwegs. Ich lernte auch Marianne Herzog kennen, die wegen RAF-Beteiligung zwei Jahre in Frankfurt/Main im Knast gewesen war, sie verstanden wir gut. Sie sah dort als junge Frau, wie die Bomber beladen wurden, um ihre Fracht nach Vietnam zu expedieren. Sie kam ja auch aus dem Osten wie wir. Sie hatte ein Auto für RAF-Leute besorgt, wobei sie eine Pelzmütze und eine Sonnenbrille trug, es wurde nie wirklich geklärt, ob sie wirklich gerade diese Helferin der RAF war. Sie stritt es jedenfalls durchweg ab und wurde trotzdem verurteilt. Blöd fand ich nur, dass sie mich mit “Genosse” anredete, als ich in den Westen kam, das war für mich vorbei. Erste schwere Enttäuschungen kamen später, als ich begann, an der Freien Universität Berlin zu studieren und die übriggebliebenen West-Linken meiner Generation persönlich kennenlernte. Noch war ich “in Urlaub”.

Rachowski Sallmann 1985

Utz (links) mit Salli Sallmann in Lissabon 1985

Utz Rachowski: Mein Freund Salli Sallmann ist Autor und Liedermacher, er kommt auch aus dem Osten, stammt aus dem Umkreis der 1975 verbotenen „Renft-Combo“ in Leipzig und wurde 1977 ausgebürgert, auch aus dem Knast. Wir lernten uns erst in Westberlin kennen und sind sehr gute Freunde geworden bis heute.

Frederick Lubich: Ich kam Anfang der 70’er Jahre in Prag und Avignon zum ersten Mal mit Bürgern der DDR in Kontakt und kann mich noch sehr gut an diese Begegnungen erinnern, wohl sicherlich auch deshalb, weil diese Deutschen eben von „drüben“ kamen aus jenem anderen Deutschland hinter Stacheldraht und Todesstreifen. Die stärkste Erinnerung habe ich jedoch an eine Begegnung mit dem in den Westen ausgewiesenen Dichter Peter Huchel, als ich 1972/73 ein Jahr in Newcastle in Nord-England studierte. Die dortige Universität hatte allerdings nicht nur ihn, einen ehemaligen Dissidenten der DDR, zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, sondern auch einen Repräsentanten des ostdeutschen Bildungssystems, der in perfektem Oxford-Englisch von seiner Fremdsprachendidaktik schwadronierte. So ließ er zum Beispiel seine Studierenden Frankreichs „beauty spots“ auf Englisch beschreiben – ich kann mich noch gut an diesen Ausdruck erinnern. Als ich ihn in der anschließenden Diskussion fragte, warum er die Schönheiten westlicher Länder beschreiben lässt, wenn die Bürger seines Landes sie nie sehen werden, da brach der gastgebende englische Professor meine Wortmeldung sehr schnell mit der abstrusen Erklärung ab, dass dies zu einer politischen Diskussion führen würde …

Noch absurder war jedoch die Erfahrung, die ich nach dieser stummen Diskussion in einem Gespräch mit Peter Huchel machte. Er schien mir gegenüber zuerst recht frostig, bis er  im Verlauf des Gesprächs langsam auftaute und schließlich meinte, dass er mich zuerst für einen linksradikalen West-Deutschen gehalten hatte, der ihm seine Verbannung aus dem sozialistischen Arbeiter-Paradies zum Vorwurf machen würde. Im Rückblick scheint mir dieses sonderbare Missverständnis ein weiterer bezeichnender Augenblick auf dem langen Sonderweg unserer so zerrissenen und widersprüchlichen deutschen Geschichte zu sein. So hatte sich Hegel ihre Dialektik bestimmt nicht vorgestellt! Du hast auf Deinem Lebensweg zwischen kommunistischem Osten und kapitalistischen Westen sicherlich eine ganze Reihe solcher Augenblicke erlebt.

Utz Rachowski: Ach, lieber Frederick, wie bin ich Dir dankbar dafür, dass Du mir das erzählst! Denn wie sehr habe ich solches dann selbst erleben müssen … Meine erste Lesung an einem Westberliner Gymnasium vor Schülern der Abiturklasse wurde nach 12 Minuten jäh vom anwesenden Studienrat mit einem wütenden Schreianfall unterbrochen: “Ich lasse mir nicht von Ihnen drei Jahre Unterricht kaputt machen!” Au weih, im ersten Moment wusste ich überhaupt nicht, was er meinte … ich hatte angefangen, eine Erzählung zu lesen ganz in der Tradition von Turgenjew und Hemingway, die ich wie diese “Väter und Söhne” nannte. Exakt recherchiert, aber sie spielte im Osten, dazu noch im Knast und schilderte den Einsatz eines Vaters für seinen Sohn, der sich politisch “falsch” geäußert hatte. Der Vater erinnert sich an seine Zeit als Wehrmachtssoldat und die ewigen “Ordnungsübungen” dort, die am Ende zu einem Parteisaneneinsatz in Polen wurden … er sieht die Parallelität des Geschehens. Das war für den Studienrat wohl zu viel … Aber: die Schüler verteidigten mich – das war neu für mich im Gegensatz zur Schule im Osten, sie waren mutig und sprachen frei ohne Furcht gegen ihren Pauker!

Das Beispiel, die tastende Vorsicht, die Du in der Begegnung mit Peter Huchel beschreibst, habe ich – sehr zu meinem Bedauern, das war ein grundsätzlicher und andauernder Schmerz (!) alle meine Jahre im Westen hinter (!) der Mauer – verzweifelt beinahe, körperlich stetig gespürt, ganz parallel immer wieder reproduziert so auch erlebt.

Ich habe da meine ganz persönliche eigene Theorie: Das letzte Mal, dass westliche und östliche deutsche Linke nach 1945 wirklich zusammenkamen, war 1968 anlässlich der Okkupation der Tschechoslowakei. Dann nie wieder. Absurde Dinge folgten: 30 000 Demonstranten auf dem Kurfürstendamm im Oktober 1983, als die kleine Karibik-Insel Grenada von den Amerikanern besetzt wurde – aber zwei Jahre vorher demonstrierten keine 300 Menschen, als im Nachbarland Polen eine Militärdiktatur ausgerufen wurde. Dann die einäugige und teils auch ostgesteuerte westdeutsche Friedensbewegung, kein Verständnis dafür, dass beide Seiten abrüsten müssen, dass es auch eine Friedensbewegung im Osten gibt!

Jürgen Fuchs hat bis zuletzt auf eine, wie er immer sagte, “authentische Linke” gehofft. Ich sehe diese nicht am Horizont. In den Abendnachrichten sagt immer der schon vom Bundestag lange als – “wie ein Stasi-Angehöriger handelnde” bezeichnete Gregor Gysi, der seinen Mandanten, den berühmtesten Dissidenten der DDR, Prof. Robert Havemann, bespitzelte, die Wahrheit über die Gegenwart, fast genau das, was ich auch denke … Soll ich ins Irrenhaus ziehen…? Jetzt behauptet Gysi z.B., dass er natürlich nie ein Spitzel war, sondern dass man damals seinen Trabi während der Fahrt abgehört hat – da fehlt dann im Irrenhaus nur noch der landesweit berühmte Patient, der sich wie in Friedrich Dürrenmatts „Physiker“ Albert Einstein nennt …

Jetzt weißt du, warum ich kein „Linker“ bin, aber es mir immer großen Spaß macht, ’ne große Klappe zu haben. Übrigens: Große Klappe, sei vorsichtig, lieber Frederick, wenn Du das veröffentlichen willst, denn dann könnte die deutsche Justiz uns auf die Fresse hauen – Gysi gewinnt in Hamburg jeden Prozess, wenn einer sagt, er sei ein Spitzel gewesen. Freunde von mir, wie z. B., Freya Klier, eine kämpferische und langjährige Bürgerrechtlerin, haben da ihre Erfahrungen gemacht.

Noch was Lustiges zu den USA: Freya erzählte mir, dass sie vor ein paar Jahren mit einer deutschen Regierungsdelegation dorthin eingeladen war, aber als sie ankam, wollte man sie gar nicht mit zu Obama vorlassen. Weil sie einstmals im Gefängnis gewesen war. Das klappte dann doch, und ich habe ein Foto, wo beide sich die Hände schütteln, denn Freyas Tochter hatte einen Film gedreht über Obamas Familie und sie hatten sich so viel zu erzählen, dass Freya weitergeschoben werden musste, vom Besuchs-Protokoll …

Frederick Lubich: Vor mehreren Jahren warst Du als „Visiting Writer-in-Residence“ am Gettysburg College hier in den Vereinigten Staaten. Was waren Deine Eindrücke vom großen, kapitalistischen Klassenfeind der einstigen DDR?

Utz Rachowski: Sowas wie Freya geschah mir auch, als ich dort im College am Kopierer stand, um später meinen Studenten Gedichte von Walther von der Vogelweide nahe zu bringen. Eine Professorin, aber eher im Scherz, rief: das ist er, wir haben einen Professor am College, der im Knast war! Die Vorgeschichte meiner Einladung dazu war diese: 2007 war ich schon 53 Jahre alt, als ich zum ersten Mal in die USA kam. Mein Freund Hans Joachim Schädlich hatte mich nach Carlisle in Pennsylvanien an seinen Freund Wolfgang Müller vermittelt, der dort am Dickinson College Germanistik-Professor war, jetzt in Pension. Nicht zuletzt war Wolfgang ja auch Gründer und jahrelanger Herausgeber von Glossen, eines der ersten Online Journale, in dem jetzt auch dieses Interview erscheint!

Ich war aufgeregt wie verrückt und ebenso froh. Dazu kam noch eine Einladung gleich für diese erste kurze Woche nach Gettysburg PA und nach Baltimore. Ich war überwältigt und glücklich. Ein Jahr später erreichten Wolfgang Müller und mein dort neu gewonnener Freund Jorge Sagastume, dass ich eingeladen wurde zu einem Poesie-Festival, wiederum nach Carlisle. Da hatte ich schon zusätzliche Einladungen durch Laurel Cohen-Pfister nach Gettysburg und Philadelphia. Daraus entstand wiederum dieser Lehrauftrag für deutsche Literatur in 2012 am Gettysburg College. Ich war also vier Monate dort, meine Studenten waren einfach toll und warmherzig und klug. Eine der schönsten Zeiten in meinem Leben. Zurückgekehrt schrieb ich ein ganzes Buch über ein kleines Hündchen dort, das ich neben meinem Job am College zu betreuen hatte. 2008 war ich schon da, als gerade die Wahl Obamas stattfand, ich spürte deutlich eine Aufbruchsstimmung, eine neue Offenheit der Leute, mit denen ich Umgang hatte.

In all diesen Zeiten meiner Anwesenheit traf ich kaum einen unfreundlichen Menschen in den U.S.A. Abstoßend war der Rummel und Kontrollwahn bei der Einreise. Aber ich hatte – wahrscheinlich, weil ich ehemaliger politischer Häftling war – sogar ein O-One-Visum gekriegt und keinerlei Probleme, der Officer wunderte sich nur, dass ich kaum Bargeld dabei hatte und keine Kreditkarte besaß … aber angab, für das Justizministerium des Staates in Sachsen zu arbeiten, das kriegte er nicht zusammen in seinem Bild von einem Einreisenden … er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bei meinen erneuten Einreisen zwischen 2008 und 2012 erkannte er mich sogar wieder und wir lachten zusammen – als ich ihm stolz meine amerikanische (!) Kreditkarte der PNC-Bank zeigte.

Noch heute stehe ich mit meinen Studenten von Gettysburg in gutem Kontakt, natürlich die „Mädels“ voran: sie schicken mir Fotos von ihren Freunden und Hunden, Hochzeitsfotos und sogar warme Schals. Mehrmals traf ich mich auch mit Professoren in Deutschland, bei denen ich in den USA gelesen und vorgetragen hatte, so Katrin Pahl aus Baltimore und Gary Baker aus Granville Ohio, der mich sogar im Vogtland besuchte.

Mit großer Sorge sehe ich allerdings die Entwicklung jetzt in den Staaten … nach Obama dann – Trump, das geht nicht in meine Birne rein …

Frederick Lubich: Wie bist Du mit Deinen traumatischen Erinnerungen an deine Jugendzeit, Untersuchungshaft und Gefängnisstrafe fertig geworden? Oder kehren die Gespenster jener Zeit noch immer zurück?

Utz Rachowski: Mir geht’s echt gut. Ich habe sofort nach dem Knast meine Erinnerungen, später Erzählungen auch darüber geschrieben und überhaupt viel über meine bewegte Jugend. Ich schrieb mir diese ganze Diktatur vom Hals. Ohne die guten Leute in schlechter Zeit zu vergessen. Im Westen hatte ich große Schwierigkeiten, überhaupt als Autor anerkannt zu werden – die einen wollten mich missbrauchen als kommunistisches Opfer – da war ich gleich weg und zwar sofort – die anderen erwarteten von mir deutliche marxistisch-utopistische Bekenntnisse – dazwischen bin ich fast verhungert und arbeitete lieber in Westberlin bei der Schneeberäumung oder als Dreher in einer Fabrik. Kurze Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer standen die Dissidenten im Blickpunkt der Feuilletons, das hielt nicht lange an. Interessant ist, dass bis heute immer ein Misstrauen blieb zwischen den Autoren, die in der DDR geblieben waren und denen, die weggingen oder ausgebürgert worden waren wie ich. Genauso war das nach 1945, Leute wie Hermann Kesten oder Hans Sahl, der zu meinem zweiten Buch das Vorwort schrieb, sind mir deshalb sehr nah.

Frederick Lubich: Ich hatte den alten, schon halb erblindeten Hans Sahl in den 80er Jahren, als wir für mehrere Jahre in Manhattan, New York wohnten, noch mehrmals auf Veranstaltungen im Deutschen Haus der Columbia University erlebt. Er war damals einer der letzten bekannten Repräsentanten des deutsch-jüdischen Exils in Amerika und figurierte vor allem in New Yorker Emigranten- und Intellektuellenkreisen als eine Art Kultfigur. Und dann, auf seine ganz alten Tage kehrte er nach West-Deutschland zurück. Wie steht es heute mit dem Heimweh ehemaliger ostdeutscher Dissidenten und Emigranten nach dem Land ihrer Jugendzeit?

Utz Rachowski: Interessante Frage, lieber Frederick! Ich war nämlich zusammen mit Erich Loest der einzige Schriftsteller von den Ausgebürgerten oder Geflohenen oder Ausgereisten aus der DDR, die dauerhaft nach 1989 in ihre alte Heimat zurückkehrten. Die anderen blieben alle im Westen und fragen mich heute ironisch manchmal – so mein naher Freund Hans Joachim Schädlich – was man denn an einem Donnerstag in Reichenbach im Vogtland – totale Provinz! – so macht! Interessant auch, dass sich die alten Freundschaften aus der Jugend hier nicht wieder beleben ließen, nur in einem Fall. Aber ich habe neue Freunde in der alten Heimat zumindest in den großen Städten, in Leipzig und Dresden, dazugewonnen.

Frederick Lubich: Seit mehreren Jahren bist Du auch in der Betreuung ehemaliger Stasi-Opfer aktiv. Was sind dabei Deine wesentlichen Erfahrungen und Erkenntnisse?

Utz Rachowski: Ja, seit nunmehr 15 Jahren reise ich durch Sachsen, immer einen Tag in einer anderen Stadt, drei Tage die Woche. Ich berate im Auftrag des „Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen“ – neuerdings ist der Name geändert zu „Sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ – Menschen, die politisch Schwierigkeiten in der DDR hatten. Da kommen also Leute, die inhaftiert waren oder aus dem Studium geflogen sind oder im Beruf rausgeflogen sind, weil sie aufmüpfig waren, oder Leute, denen das Haus weggenommen wurde oder die gesundheitlich erkrankten durch Eingriffe des Staates. Als ich vor 15 Jahren mit der Arbeit begann, kamen 560 Menschen pro Jahr – jetzt immer mehr, mindestens 850 und manchmal bis zu 1500. An manchen Tagen ist die Arbeit kaum mehr zu schaffen.

Frederick Lubich: Hast Du die alle über die Jahre allein betreut oder hattest Du Mitarbeiter? Und wie war ihre psychotherapeutische Ausbildung dafür?

Utz Rachowski: Ich war ja bei diesem Job ein totaler Quereinsteiger! Die Behörde in Dresden suchte 2003 händeringend jemanden dafür, denn Du ahnst es schon, wer von den festen Sessel-Sitzern in Ämtern und Behörden will sich schon zum normalen Volk hinab begeben. Das ist umgekehrt wie bei Kafka: die kommen niemals vom Schloss runter … Sie fragten mich, und ich sagte zu. Offenbar nahmen sie mich gern, weil ich mit den Leuten gut reden kann und vor allem alles durch hatte, was von Betroffenen an Problemen an mich herangetragen werden könnte: Rausschmiss aus der Schule, Exmatrikulation von der Universität, Armeedienst, Elektriker, Stasi-Knast und „normaler“ Vollzug im Gefängnis, Erfahrung im Westen vor 1989.

Ich habe keinerlei psychotherapeutische oder auch juristische Ausbildung, aber die Leute können gut mit mir sprechen und vertrauen mir. Wenn es sich um traumatisierte Menschen handelt, mache ich ihnen Vorschläge, sich in fachspezifische Behandlung zu geben. Ich überrede sie sanft, sonst werden sie aggressiv, was auch vorkommt, denn sie vermuten anfänglich immer den „Staat“ hinter meiner Person. Oder, das ist die Regel, ich leite sie weiter an die Gerichte oder die Rehabilitierungs-Behörde.

Viele stellen jetzt erst mit Renteneintritt fest, dass es Lücken in der Berechnung gibt und stellen erst jetzt Anträge auf politische Rehabilitierung. Wenn z. B. ein Ingenieur rausflog, weil er abschätzig über die Einheitspartei gelästert hat, und danach immer LKW fahren musste, wird er in der Rente heute so gestellt, als wäre er immer Ingenieur geblieben. Schlimm ist, dass die Leute die Beweise für ihre Verfolgung selbst erbringen müssen, denn natürlich sind oftmals keinerlei Akten vorhanden. Alle Menschen, die zu mir kommen, können übrigens auch darauf einen Antrag stellen, ob es eine Stasi-Akte über sie gibt. Oftmals werden sie dann fündig und entdecken auch Beweismittel für ihren Antrag auf berufliche oder strafrechtliche Rehabilitierung. Ich werde diesen Job noch eine Weile machen, weil er mir sehr sinnvoll erscheint. Die Büro-Sitzer-Leute, die mich einstellten, können kaum so mit den Betroffenen reden wie ich, der alles Mögliche selbst erlebte, deshalb nahmen sie mich auch, obwohl ich wie gesagt ein vollkommener Quereinsteiger war. Ich verlange zum Beispiel nicht sofort den Personalausweis, kaum dass die Menschen das Büro in der jeweiligen Stadt betreten, das würde sie sofort abschrecken. Ich sah das aber, wenn mal Büro-Typen mit mir solche Beratungen machen, das kommt auch vor, aber selten. Ich frage die Menschen freundlich und beginne, ganz langsam, mit ihnen zu sprechen. Auch wenn schon wieder zehn Leute vor der Tür stehen. Oftmals bedanken sie sich bei mir Jahre später, wenn ich mal wieder in ihrer Stadt bin.

Frederick Lubich: Apropos Spätschäden der Aufmüpfigen und Aufrichtigen. Der bekannteste Aufrührer der DDR war sicherlich Wolf Biermann. Er erwähnt auch Dich mehrmals in seiner jüngst erschienenen Autobiographie. Deine persönliche Bekanntschaft mit ihm geht bis in die sechziger Jahre zurück. Was sind Deine denkwürdigsten Erinnerungen aus Eurer gemeinsamen Zeit?

Utz Rachowski: Wolf ist ein guter Kumpel, gar nicht arrogant, wie er manchmal erscheinen mag. Er ist sehr eitel, das ist eine gute Grundlage für einen Künstler. Ich halte ihn für so eine seltene Erscheinung in den Jahrhunderten wie Francois Villon oder Heinrich Heine. Nicht weniger. Und ich gehöre nicht zu denen, die ihm ständig hinterher liefen. In Ostberlin besuchten ihn dutzende junge Leute jeden Tag. Ich hielt mich zurück und gewann seine Freundschaft und die seiner Frau Pamela mit meinen Texten. Bei meinem ersten Besuch 1975 arbeitete er einfach weiter an einem neuen Lied und sang es mir mehrmals vor. Wir hatten von Anfang an einen warmherzigen Umgang, wenn ich sagte – dieses Wort stört irgendwie in Deinem neuen Lied – Wolf nahm ohne Zögern den Stift und folgte dem anderen Vorschlag. Er nannte das „Verschlimmbessern“. 1991 schlug er mich für den Eduard-Mörike-Förderpreis vor. Es waren die Zeiten, als er furchtbare Anklagen bekam wegen der Enttarnung vieler Stasi-Spitzel in der Kunst- und Literaturszene der DDR. Damals war ich nah bei ihm.

Frederick Lubich: Ist Wolf Biermann eigentlich heute auch im östlichen Deutschland vollkommen rehabilitiert? Als ich 1983/1984 an der Brown University unterrichtete, lernte ich dort Austauschschüler aus der DDR kennen, die ihn, so wie sie es zuhause im linientreuen Elternhaus gelernt hatten, entsprechend runtermachten. Als ein Schwung von uns zu einem der ersten  Konzerte Biermanns in Amerika ins nahe Smith-College fuhr, wollten sie zuerst alle mit, sind jedoch im letzten Moment mit dem Argument abgesprungen, dass der Sänger in seiner Bedeutung bei weitem überschätzt würde.

Utz Rachowski: Siehste, ich werd‘ mich doch nicht kümmern um die blöden, linientreuen Dumm-Studenten unter den Ostdeutschen, meine amerikanischen Studenten in Gettysburg waren es nicht und nahmen Biermann und viele andere, wie Jürgen Fuchs oder Hans Joachim Schädlich, sehr gern an, als Lektüre und in ihren Biografien. Und überhaupt, wer konnte schon in der DDR in meinen Jahrgängen zumindest in den Siebzigern und Achtzigern Germanistik studieren! Einer wie ich jedenfalls nicht – als ich mich in Leipzig dafür bewarb, schrie der Professor Hartinger mich beim Aufnahmegespräch an: „Was halten sie von der Kulturpolitik unserer Partei!!!?“ In den Studentenakten las ich 1991 von ihm geschrieben: „Eine parteiliche Haltung zu unserer Partei war nicht ersichtlich!“ Großartige Fachleute! Die eben wie dieser Professor nach 1990 sofort von der Uni flogen – jedoch noch bis in die späten 2000er Jahre amerikanische Professoren und Dozenten durch Leipzig und das dortige Literaturinstitut geleiten durften. Jetzt machen das die ehemaligen Lieblingsstudenten von diesem Professor, der von ihm noch gleichgeschaltete Nachwuchs.

Frederick Lubich: Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich in Deutschland lebte und Wolf Biermann als der Bob Dylan Europas plakatiert wurde. Nach Dylans Nobilitierung im letzten Jahr hatten wir beide ja auch schon über Biermanns Nominierung gesprochen. Ich meine, zusätzlich zu seinem poetisch-musikalischen Talent und seiner zeitgeschichtlichen Relevanz lässt sich auch seine kritisch-kreative Bedeutung und seine kulturhistorische Herkunft bis in die Spruchdichtung und den Minnesang Walther von der Vogelweides zurückverfolgen. Meinst Du, genügend Befürworter ließen sich für eine Nominierung Biermanns motivieren?

Utz Rachowski: Das – leider – denke ich nicht. In Deutschland steht die ganze Kultur-Mafia gegen ihn, die sich aus enttäuschten Utopisten zusammensetzt, ost-westdeutschen: black-and white-unite. Wolf hätte den Preis längst verdient. Die gleiche Mafia verhindert zum Beispiel, dass Hans Joachim Schädlich den ebenfalls längst verdienten Büchner-Preis erhält, das ist so durchschaubar, dass es schon wieder lächerlich ist … der feuilletonistische Autor Ingo Schulze bekommt den Büchner usw. Es ist einfach nur noch zum Lachen. Schädlich und ich haben viel zu lachen, wenn wir uns regelmäßig sehen.

Frederick Lubich: Habt ihr eigentlich in unserer geteilten Jugendzeit die musikalischen Höhenflüge unserer westlichen Rockmusik hinter dem Eisernen Vorhang so ganz mitbekommen, von den Stones in London bis zu den Doors in Los Angeles? Welche Rolle spielte diese Musik bei Euch? Und nicht zu vergessen David Bowie, dessen Konzerte ich mehrmals in England und Deutschland live erlebte, mit seinem herrlichen Heldengesang über der zerrissenen Hauptstadt Deutschlands!

Utz Rachowski: Oh ja, klar! Da muss ich gar nix weiter dazu sagen – jeden Tag Manfred Sexauer über Saarbrücken oder Lord Knud über RIAS, Camillo Felgen von Radio Luxemburg usw. Viel auf Mittelwelle, schön verzerrt und schwankend – wie die Lieder von Wolf Biermann, die wir als fünfte Kopie auf unseren Tonbändern hatten – der Beat und Rock geheimnisvoll gerade durch die gezerrten Töne aus einer romantischen  Ferne. Spencer Davis und Eric Burton waren meine Favoriten, kaum vorstellbar, dass Burton nicht aus den USA kam – alle wollten wir natürlich San Franciscan Nights erleben! In der Schule, aber nur vor den Lehrern, hielten wir das Maul – aber ein Lehrer in der Grundschule ging 1967 mal an die Weltkarte vor und zeigte uns einfach, wo Massachusetts liegt – wir jubelten! David Bowie habe ich allerdings irgendwie verpasst, vielleicht eine Altersfrage …

Frederick Lubich: Dein jüngster Gedichtband steht in Polen auf der Bestsellerliste. Dafür gibt es vielleicht sogar mehrere Gründe?

Utz Rachowski: Das hatte ich nie erwartet und habe nur eine Erklärung dafür – die Polen sind genauso verrückt wie ich. Denn sie können ja beim Kauf nicht wissen, dass ich einiges mit Polen zu tun habe als Deutscher, seit meinem 19. Lebensjahr. Aber lange schon hat der große Übersetzer und Vermittler polnischer Literatur nach Deutschland, Karl Dedecius, Polen „das Land der Poesie“ genannt. Das ist für mich ganz klar, das ist es. Im Gegensatz zum Beispiel von Frankreich, wo in der Lyrik seit 1945 nichts mehr passiert ist, gähnend-langweilige „hermetische Poesie“, wehe es ist ein Zeitbezug in einem Gedicht …

Mein Freund aber, Adam Zagajewski, jetzt wieder in Krakau, der lange in Paris im Exil war und auch in Houston und Chicago lehrte, steht auf der Liste zum Nobel-Preis. Ja Polen, dort erscheint in Übersetzung bald meine Prosa und ein Jahr später ein langes Poem, für das ich in Deutschland keinerlei Interesse vorfand. Die Polen haben da eine ganz andere Tradition, die Gattung „Poem“ ist dort durch Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki noch immer im täglichen Bewusstsein aller Leute. Der polnische Verleger bat mich beinahe auf Knien, auch das lange Poem bei ihm zu verlegen – da hat es mich fast umgeschmissen, das hatte ich nie erlebt und im Leben niemals erwartet.

Aber jetzt übersetzte Belletristik in den USA unterzubringen ist eben auch sauschwer … mein wunderbarer Übersetzer, Michael Ritterson, brachte in einigen Literaturzeitschriften Prosa und Gedichte von mir unter. Meine Erzählung „The Wild Huntsman“ (The Literary Review, Madison NJ, Spring 2012) war sogar für einen Pushcart-Prize nominiert, aber einen Verlag für meine Prosa zu finden in den Staaten für ein kleines Buch auf Englisch erscheint aussichtslos… (Das ist natürlich, lieber Frederick, ein Wink mit dem Zaunpfahl … vielleicht weiß ein Leser von Glossen einen Rat).

Frederick Lubich: Kommt Zeit, kommt Rat, wir müssen der Zeit nur Beine machen. Doch noch einmal zurück in Deine Heimat. In Wolfgang Mattheuers bekanntem Gemälde „Hinter den sieben Bergen“ steigt Delacroixs Freiheitsgöttin anstelle mit einer Flinte auf die Barrikaden mit einer Handvoll Luftballons über die Berge des Vogtlands. Was bedeutet Dir dieses Bild?

Utz Rachowski: Mattheuer mag ich sehr, und er ist dazu wie ich Vogtländer, wurde in Reichenbach geboren, wo ich seit 1990 wieder wohne. In seinem Bild macht er meines Erachtens einen Spagat: die bunten Luftballons statt der kühlen Flinte der Revolution weisen auf den Kitsch, der aus der „Revolution“ in der DDR geworden war. Er umgeht die Zensur, weil es bunte Ballons und eine schöne, tolle Straße im Bild gibt, auf der allerdings alle Autos vom Betrachter wegfahren, alles sieht nach Aufbruch aus, gemeint ist aber falscher Konsum und echter Polit-Kitsch wie auf den Parteitagen … Für die einen fuhren diese Autos – man musste in der DDR auf ein Auto zehn Jahre warten – in die Zukunft, für die anderen hauten sie in den Westen ab.

Frederick Lubich: Bei uns in West-Deutschland war nach dem Vorbild der französischen Mai-Revolution im Jahr 1968 eine unserer populärsten Parolen “Die Phantasie an die Macht“.  Das ist auch noch heute einer meiner liebsten Sponti-Sprüche aus jener aufbegehrenden, rebellisch-utopischen Jugendzeit. Mir scheint jedoch, bei euch im Osten trieb die Einbildung noch phantastischere Blüten, jedenfalls sind eure Malermeister und Malerschulen schon seit den sechziger Jahren und seit der Wiedervereinigung Deutschlands mehr denn je im deutschen Kulturbetrieb vertreten und einige von ihnen sind auch international sehr erfolgreich. Was sind Deines Erachtens die Gründe dafür? Ist die Ostmoderne weiterhin Kult?

Utz Rachowski: Ganz einfach, die Brüder Schlegel hatten schon im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eine kleine Wohngemeinschaft in Jena gebildet. Hölderlin kam zu Besuch, Schelling, Schleiermacher, und dann Novalis von Weißenfels runter. Die Romantiker, von denen kommt ja die Parole „Die Phantasie an die Macht!“ Als sie damals Schillers Glocke zum ersten Mal lasen, sollen sie vor Lachen von den Stühlen gefallen sein – das ist also auch ostdeutsche Tradition, keinen Respekt vor den eingefahrenen Wegen der Großen und der Ideologien, wir sind, glaube ich, ein wenig frecher, aber weniger verspielt als die meisten westdeutschen Intellektuellen, und wenn’s drauf ankommt, konsequenter. Jürgen Fuchs in Jena, Wohngemeinschaft Lutherstraße 25, da kam Wolf Biermann zu Besuch und sang seine verbotenen Lieder. Fritz Teufel, der war bei Euch fünf Jahre im Knast unter einer politisch abhängigen bundesdeutschen Justiz, obwohl er hätte lange schon beweisen können, dass er unschuldig ist – meine Hochachtung. Aber im Osten gab es in nur vierzig Jahren 250 000 politische Gefangene …

Ich habe zum Ganzen in Deiner Frage, mal wieder ’ne sehr persönliche Theorie, die aber auch wackeln kann: Während die jungen Leute und Dichter im Westen der Aufklärung folgten, setzten wir im deutschen Osten (und Osteuropa) eher auf die Romantik, denn wir hatten Metternich und Mielke im Nacken (für junge Amerikaner: das waren die Chefs der jeweiligen Spitzel-Polizei). Deshalb sind die östlichen Autoren in ihren Werken sinnlicher, denke ich, als die westlichen. Lieber Frederick, das kann für mich begründete germanistische Prügel geben – von allen Seiten! Ich bitte um Nachsicht.

Frederick Lubich: Mein lieber Utz, Du hast nicht nur meine Nachsicht, Du hast auch meine ganze Bewunderung, Du und Deinesgleichen, die Ihr in Euer Jugend für die Freiheit aller eure eigene Freiheit auf Spiel gesetzt habt und sie auch zeitweilig eingebüßt habt. Das gilt für Dich sowie für Axel Reitel und Freya Klier, die ich Euch alle erst durchs PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland in letzter Zeit näher kennengelernt habe. Wie seid ihr denn damals mit eurer Angst vor Folter und Gefängnis fertig geworden und habt Euch nicht entmutigen lassen, weiterhin Widerstand zu leisten?

Utz Rachowski: Am Anfang waren wir etwas blauäugig und dachten, uns könnte nichts passieren, auch weil wir uns absicherten mit marxistischen Zitaten. Aber als ich mit 16 Jahren das erste Verhör in der Schule hatte durch die Stasi, war für mich klar, das alles sehr ernst ausgehen könnte. Weil man sich selbst und die Freunde nicht verraten konnte, machte man aber natürlich weiter. Es war ja auch ein Erkenntnisprozess: von der uns versprochenen besten aller Welten und dem Ende der Geschichte, die in den Kommunismus münden würde, war uns nach und nach klar, wo wir lebten. Es machte ja auch Spaß, mit Büchern und Diskussionen und einer kleinen Druckmaschine, die wir vom Müll geholt hatten, gegen die Leute von Partei und Stasi etwas zu unternehmen, die Motorräder, Autos und Waffen besaßen.

Frederick Lubich:  Unsere Väter und Großväter hatten, wenn sie Glück hatten, ihre Jugendzeit in der Kriegsgefangenschaft überlebt. Und auch Du hast einen Teil Deiner jungen Jahre, nachdem es mit der sogenannten „Freien Deutschen Jugend“ nicht so recht klappen wollte, in der berüchtigten „Jugendhaft“ verbracht. Und ich habe andrerseits meine Jugendzeit in der größten Freiheit erlebt, die es je in der deutschen Geschichte gegeben hatte. Ich bin mir dieses glücklichen Zufalls schon lange sehr bewusst und auch ausgesprochen dankbar dafür. Der Viehwaggon, der meine mährischen Eltern und Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg in die amerikanische Besatzungszone deportierte, hätte sie ja auch in die sowjetische Besatzungszone evakuieren können. Ich hätte ein DDR-Sachse werden können – und Du umgekehrt ein BRD-Schwabe. Oder wir beide polnische Juden zur falschen Zeit auf dem Sonderweg durch die Abgründe unserer deutschen Vergangenheit.  „The Road Not Taken …“!

Utz Rachowski: Da ergänze ich wirklich nichts, lieber Frederick, ich kann es nicht, weil ich eben genau so wie Du denke, das Glück, davongekommen zu sein, noch zu leben und in anderer Zeit. DDR-Sachse und -Vogtländer zu sein, war noch Glück im Vergleich zu den Viehwaggons unserer Elterngeneration oder dem Marsch unserer Väter (meines Vaters) auf Warschau und Moskau. Wir haben daher auch weniger Leid zu tragen und/oder weniger Schuld.

Frederick Lubich: „Denk ich an Deutschland in der Nacht …“. Diese Verse Heinrich Heines aus seinem Pariser Exil begleiten mich seit meiner Auswanderung in die Neue Welt vor nunmehr vierzig Jahren und hänge ich hier so meinen transatlantischen Gedanken und Erinnerungen nach, dann suchen sie mich bis heute heim. Nach all den Alpträumen unseres Vaterlandes, wovon träumst Du, wenn Du in der Nacht an Deutschland denkst?

Utz Rachowski: Günter Kunert, – einer der bedeutendsten Dichter seiner Generation und bis heute Präsident des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, schrieb einmal, manche weinen halt nachts wegen der Schramme im Lack ihres neuen Autos, die anderen weinen um Deutschland. Das wird so bleiben. Aber wir haben andere Träume und bleiben ein wenig die Unruhigen. Ich träume jetzt immer von meinem Hündchen Suki in seinem pennsylvanischen Garten im schönen Amerika, wo die Zikaden zirpen nachts und ich träume davon, dass mein geeintes Deutschland nicht wieder endet wie die Weimarer Republik.

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Kurzbiografie Rachowski

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Dec 06 2017

Autorenbiografien | Glossen 43

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Reinhard Andress ist Professor für deutsche Sprache, Kultur und Literatur an der Loyola University-Chicago, USA. Er war u.a. Gastprofessor an der Pontificia Universidad Católica del Ecuador. Zu seinen Buchveröffentlichungen gehören: Protokolliteratur in der DDR (2000) und „Der Inselgarten“ – das Exil deutschsprachiger Schriftsteller auf Mallorca, 1931-1936 (2001). Eine Übersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche von Benno Weiser Varons Exilroman Yo era europeo als Ich war Europäer (zusammen mit Egon Schwarz) ist 2009 erschienen. Herausgeber von Fred Hellers Das Leben beginnt noch einmal (2016). Zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu Exilthemen und Alexander von Humboldt.

Albrecht Classen ist University Distinguished Professor of German Studies an der University of Arizona, wo er vor allem mittelalterliche und frühneuzeitliche Literatur und Kultur lehrt und erforscht. Neben seinen mittlerweile 94 wissenschaftlichen Büchern hat er auch neun Bände eigener Lyrik publiziert. Er veröffentlicht regelmäßig Gedichte, seit jüngstem auch satirische Prosatexte, in Trans-Lit2. 2004 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2009 verliehen ihm die Studenten der UoA den Five Star Faculty Award, 2012 erhielt er den Carnegie Foundation Arizona Professor Award, 2015 den Faculty Advisor Award, und 2017 wurde er zum Großritterkommandeur des Most Noble Order of the Three Lions (GCTL) ernannt.

Carol Anne Costabile-Heming is Professor of German at the University of North Texas. She has published widely on Wende literature, including essays and book chapters on Volker Braun, F. C. Delius, Jürgen Fuchs, Günter Grass, Günter Kunert, Peter Schneider, and Christa Wolf, as well as essays on memorialization projects in Berlin. She serves as associate editor for the Journal of Contemporary Urban Studies. Along with Rachel Halverson she published a volume of essays entitled Taking Stock of German Studies in the United States: The New Millennium (2015), and she is currently completing a monograph on Friedrich Christian Delius.

Gabriele Eckart ist eine deutsche Autorin und “Professor of German and Spanish” an der Southeast Missouri State University.

Fred Freeman is a ceramics artist and retired professor of Psychology who taught at Old Dominion University for 37 years. In recent years, he has taken a variety of workshops and classes including some at the Hermitage Museum in Norfolk, at the Contemporary Art Center of Virginia with ceramic artists Lesley Hildreth and Dede Schmidt, and with ceramic artist Barbara Kobylinska.  He has a studio at the d’Art Center at 740 Duke Street in downtown Norfolk and is an associate artist at The Artists Gallery in Virginia Beach. He has won awards of merit and honorable mentions at art shows in the Tidewater communities communities of Hampton Roads in Southern Virginia.

Susanne Habel, 1960 in München geboren und in Bayern aufgewachsen. Übersetzer- und Dolmetscherexamen und abgeschlossenes Lehramtsstudium der Germanistik und Anglistik an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Tätig als Journalistin und Redakteurin in München und Berlin.

Maria Hofmann is a Visiting Assistant Professor at the Department of German at Middlebury College. She received her PhD in German and Moving Image Studies from the University of Minnesota in 2017. Her research examines how nonfictional media respond to challenges of the post-truth era. In particular, she is interested how contemporary documentary films find new and inventive strategies to address issues that suffer from a crisis of perception where conventional media approaches fail to provide critical engagement. Her work focuses on documentary film, genocide and Holocaust studies, and contemporary literature and culture.

Frederick A. Lubich, 1951 als Kind mährischer Eltern im schwäbischen Göppingen geboren und aufgewachsen. Autor von über 400 Veröffentlichungen einschlieβlich Fachbüchern zu Thomas Mann, Max Frisch, Paradigmenwechseln der Moderne, sowie literaturwissenschaftlichen Aufsätzen, journalistischen Essays (Argentinisches Tageblatt, New Yorker Aufbau, Frankfurter Allgemeine Zeitung etc), Übersetzer (u.a. von Yoko Onos Rockoper New York Story und deutsch-amerikanischen Drehbüchern), Herausgeber mehrerer Sammelbände und Autor von rund hundert lyrischen Publikationen auf Schallplatte, in Literaturzeitschriften und Lyrik-Anthologien. Lehraufträge an sieben amerikanischen Colleges und Universitäten und Gastvorträge in über 30 Ländern, sowie Features und Interviews in Rundfunk und Fernsehen in Deutschland, Amerika, Finnland, Marokko und Ägypten.

Manuela Mourão (artist website) is a literary scholar and mixed media visual artist. She teaches literature at Old Dominion University in Norfolk, Virginia, and has published mainly on 18th- and 19th-century literature and culture, as well as on issues of gender and race. Her most recent work explores the intersections of art, scholarship, and personal identity. Three of her exhibitions in particular—Whitewash, Remainders and Habit—exemplify that practice as they investigate race, nationality, and cultural experience from a multidisciplinary perspective that widens the scope of the inquiry to blend scholarly analysis with personal, subjective impressions.

Michael Panitz is an academician and a rabbi. He teaches courses in Hebrew language, Religious Studies, and History at Old Dominion University and at Virginia Wesleyan College, and serves as the spiritual leader of “Temple Israel”, all in Norfolk, Virginia. Dr. Panitz sees the pastoral and the academic sides of his career as several means to the end of fostering ethical and multi- cultural community. In his scholarly publications, Dr. Panitz has focused on aspects of Jewish intellectual and social history illuminating the interaction of Jews with the cultures and ideas of their contemporaries. He is currently researching and writing “See, O Israel”, an intellectual-historical guide to cinematic retellings of Bible stories.

Utz Rachowski, born 1954 in Saxony (Germany). He was a former political prisoner in East Germany and was sentenced to 27 months in jail due to five of his own poems. He published 14 books with stories, essays and poetry. He has received the Reiner Kunze Prize (2007), the Hermann-Hesse-Grant (2008), and the Nikolaus-Lenau-Prize (2014). In 2013 he was nominated in the US for a Pushcart Prize. He is a member of the P.E.N.-Centre of German-Speaking Writers Abroad.

Axel Reitel, geboren 1961 in Plauen/Vogtland, Schriftsteller und Journalist. Ging 1982 nach Haft und Freikauf nach Berlin und studierte an der TU Kunstgeschichte und Philosophie. Schreibt Prosa, Lyrik sowie Features, Reportagen und Essays fürs Radio. Mitglied des PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. 2016 Verleihung der Solidarność-Dankbarkeitsmedaille durch das Europäische Solidarność-Zentrum in Gdansk.

Angela Scarlis, born in Munich, Germany in 1951, lives and writes in Alexandria, VA since 1989. Editor in various German publishing houses, academic publications in the fields of educational science, aesthetic education and gender issues under the name of Dr. Angela Jurinek-Stinner; installations and performances as a visual artist under the name of Angela Scarlis; literary publications under the pen name Angela Goldemund: The Gray Notebook of a Stranger – a Poetic Breviary for Seekers, contributions to TRANS-LIT2 since 2006, recipient of the Lisa and Robert Kahn Lyric Prize 2016.

Christa Speidel, geboren 1966 in Freudenstadt, besuchte die Deutsche Schule in London und das Heinrich Hertz Gymnasium in Bonn. Nach dem Abitur studierte sie Musikwissenschaften und Kulturmanagement in Köln Nach Abschluss als Dipl. Kulturmanagerin VWA arbeitete sie im Bereich PR-und Künstlermanagement. In Köln baute sie “kick.classic” mit auf und war zuständig für die PR verschiedener CD-Veröffentlichungen wie Michael Nymans „Piano Concert“, „Christmas in Vienna“, Markus und Simon Stockhausens „Clown“. PR-Tätigkeit für TV-Serien wie “Hinter Gittern – Der Frauenknast”, “Letzte Spur Berlin”. Ihr mit Jovan Evermann geschriebenes Buch “Hinter Gittern – Der Frauenknast. Die Stars. Inside & Outside” stand im Jahr 2000 auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Jenny Windsor (artist website) was born and raised in Roanoke, Virginia. She has been painting for over thirty years.  She studied art at Tidewater Community College, Old Dominion University and Studio Incamminati in Philadelphia. Her works have been featured in numerous galleries and juried shows selected by jurors as diverse as artists Faith Reingold, William Berry, Sondra Freckelton, curator Brooks Alexander and Tom Armstrong, Director Emeritus of the Whitney Museum. She has received many awards, including a Best-in-Show Award at the Mid-Atlantic Show in Norfolk. Her works are held in over a dozen collections including Norfolk State University, Duke University Hospital, Austin Peay State University, Central Carolina Bank, and Smithfield Foods.

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Dec 06 2017

Erinnerungen an den Exilanten und Literaturwissenschaftler Egon Schwarz (1922-2017)

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von Reinhard Andress

portrait of Egon Schwarz

Egon Schwarz, © Irène Lindgren

Wir haben uns relativ spät kennen gelernt, erst im Jahre 2000, was ich immer bereut habe. Natürlich wusste ich davor von Egon Schwarz – wie hätte das in den Achtzigerjahren als Graduate Student der Germanistik an der University of Illinois auch anders sein können? Ich las seine literaturwissenschaftlichen Ausführungen etwa zu Hesse, Rilke, Thomas Mann, Schnitzler oder allgemeiner zur Exilliteratur und dachte mir, so möchte ich eines Tages schreiben können: nicht verschroben esoterisch übertheoretisierend, sondern elegant, verständlich und einleuchtend eingebettet in einen sozio-historischen Kontext. Ob ich das je geschafft habe, weiß ich nicht, aber ich weiß auf alle Fälle, dass Egons Literaturwissenschaft mir immer ein Vorbild blieb.

Ich kam dann 1993 als Assistant Professor an die Saint Louis University, während sich Egon an der benachbarten Washington University als ehrwürdiger und hoch verehrter Professor befand, was ich natürlich auch wusste. Doch zögerte ich – dummerweise, wie sich herausstellte – die Verbindung zu ihm aufzunehmen. Zu groß war wohl die Ehrfurcht eines angehenden Germanisten vor einer internationalen Koryphäe unseres Fachgebietes. Zufälligerweise brachte uns Frank Baron endlich zusammen. Es gab eine Konferenz für Exilstudien an der University of Kansas, Egon und ich sollten beide dort Vorträge halten, und Frank fragte an, ob ich Egon von St. Louis nach Lawrence fahren könnte. Ich erinnere mich auch gern an die Fahrt durch die Weiten von Missouri nach Kansas, die Egon ausfüllte, indem er mir eine faszinierende Welt langsam erschloss, die so weit über seine Literaturwissenschaft hinausging. Und so kam eine Bekanntschaft, bald Freundschaft in Gang, die für mich mit intellektuell unglaublich reichhaltigen Begegnungen verbunden ist, ob bei gemeinsamen Projekten, den unzähligen, unterhaltsamen Gesprächen oder vorzüglichen Mahlzeiten, ob in St. Louis in seinem gemütlich-magischen Haus mit dem üppigen Garten, in Mexiko, Berlin oder bei uns in Chicago, wo auch meine Studenten ihn als sehr wichtigen und weisen Zeitzeugen erleben konnten. Die Gesprächsthemen waren vielfältig: vom Österreich des fin-de-siècle bis hin zu allen Epochen der deutschen Literatur, Exil, Weltreisen oder Tagespolitik. Als wir uns zum letzten Mal im Oktober 2016 in Chicago sahen, las ich ihm – er schon halb erblindet – Artikel aus der New York Times vor. Wir entsetzen uns über Trump, der ihm nun wenigstens erspart bleibt.

Einerseits war es seine charmant-witzige und spannende Art zu erzählen, die einen zum gebannten Zuhörer machte. Ich erinnere mich noch deutlich an unser Übersetzungsprojekt, die deutsche Version von Benno Weiser Varons spanischem Exilroman Yo era europeo, den wir als Ich war Europäer übertrugen. Weiser Varon war ein Wiener Jude, den das Exil nach Ecuador und dann weiter in die USA und nach Israel verschlug, für das er jahrelang als Diplomat tätig wurde. In Wien war er Egons Spanischlehrer gewesen. Während eines Freisemesters und Nachmittagsstunden bei Egon zu Hause in St. Louis regte ihn meine Rohübersetzung des Romans immer wieder zu informationsreichen Ausflügen in die Geschichte Wiens zur “Anschluss”-Zeit und in das Thema Exil an. Er hatte die Zeit ja schließlich selbst erlebt. Erst durch Egon begriff ich besser die vielen Phasen des Exils, die wiederum meine Exilstudien stark beeinflussten. Und natürlich gab Egon dann der Übersetzung den stilistischen Schliff, ohne den eine Veröffentlichung 2008 wohl kaum möglich gewesen wäre.

Andrerseits war es aber bei Egon auch eine bei älteren Menschen seltene Gabe, genau zuhören zu können und auf den Gesprächspartner einzugehen, die so viele Menschen für ihn gewannen. Er besaß Integrität im höchsten Maße. Als ich so manche Krisen durchmachte, ob privat oder beruflich, er stand mir großzügig mit Rat und Tat bei und wurde zu einem väterlichen Freund, den ich sehr vermissen werde.

Bei einem unserer vielen Gespräche ging es einmal um die Frage, was wohl von unserer ganzen Literaturwissenschaft bleiben würde. Längerfristig herzlich wenig meinte er, doch gab er der Hoffnung Ausdruck, es könnte seine Autobiografie überleben. Diese ist zunächst 1979 unter dem Titel Keine Zeit für Eichendorff erschienen, 2005 in einer Neuauflage als Unfreiwillige Wanderjahre. Im Jahre 2008 wurde sie mit dem Cotta-Preis ausgezeichnet. Übersetzungen ins Englische als Refuge. Chronicle of a Flight from Hitler (2002) und ins Spanische als Años de vagabundo forzado. Huyendo de Hitler a través de tres continentes (2012) liegen ebenfalls vor. Für mich stellt es einen Höhepunkt meiner Laufbahn da, als ich im Frühjahr 2012 auf einer Tagung der Asociación Latinoamericana de Estudios Germanísticos einen Vortrag über Egons Autobiographie hielt und ihn damit vorstellte, bevor er selbst sowohl aus den deutschen und spanischen Versionen vor einem zahlreichen Publikum vorlas.

Was für ein Leben das auch war! 1922 in Wien als Jude geboren, zwang ihn der nationalsozialistische “Anschluss” seiner Heimat in ein Exil, das zunächst nach Bratislawa (Pressburg) führte, dann in ein völkerrechtlich ungeklärtes Niemandsland zwischen Ungarn und Slowakien, weiter nach Prag, Paris und schließlich nach Südamerika, wo er in Bolivien, Chile und Ecuador zehn Jahre unter abenteuerlichen Umständen verbrachte. Nie verließ ihn das starke soziale Bewusstsein, das er sich dort aneignete; nie verließ ihn das Bedürfnis, sich weiter zu bilden, was dazu führte, dass er alles verschlang, was er an Lesbarem fand. Es waren wiederum Glücksumstände, die ihn nach Kriegsende in die USA führten, wo er 1954 ein Doktorat in deutscher Philologie an der University of Washington bekam und sieben Jahre lang an der Harvard University lehrte, bevor es an die Washington University in St. Louis weiterging. Von vielen Gastprofessoren in der ganzen Welt unterbrochen, lehrte er dort zweiunddreißig Jahre lang, zuletzt als „Rosa May Distinguished Professor in the Humanities in Arts and Sciences“. Er schrieb über zwanzig Bücher und Hunderte von Artikeln und Essays, u.a. für die FAZ, die NZZ oder Die Zeit.  Dabei entwickelte er sich zu einem einmaligen Literaturhistoriker und zum Mitbegründer der deutschen Exilstudien, so etwa mit seinem Buch Verbannung (1964), das dokumentarisch eine Phänomenologie des durch Hitler verursachten Exils unternimmt. Sein letztes Buch, Wien und die Juden (2014), stellt eine Sammlung seiner besten Aufsätze zu dem Thema dar. Vielfach wurde er geehrt: so mit Ehrendoktoren der Universität Wien oder der Örebro Universitet, mit der Joseph von Eichendorff-Medaille oder dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.

So glänzend, einsichtig und weise ist die Autobiographie geschrieben, dass ich sie auch meine Studenten lesen ließ, wobei wir, wie erwähnt, Egon auch zweimal als Gast im Unterricht hatten. Wenn ihn auch mehrere Generationen von den Studenten trennten, er gewann sie auch für sich.  Eine Studentin schrieb mir: “Thank you, Professor Andress, for the opportunity to meet such an amazing man. I am so grateful to have had the privilege of reading his autobiography and discussing it with him. A huge honor!” Frappierend war für mich vor allem immer der Schluss, zu dem Egon gegen Ende der Autobiographie kommt:

Zu verkünden, daß Hitler für mich gut war, wäre eine Verhöhnung der Millionen, die er auf dem Gewissen hat und zu denen ich, in jeder Phase des faschistischen Vernichtungszuges durch die Welt, leicht hätte gehören können. Dennoch ist es eine Tatsache, daß ich durch die explosionsartigen Ausbrüche des Hitlerismus in die freie Luft geschleudert wurde, wo ich einen längeren Atem und einen weiteren Ausblick gewonnen habe, als wenn ich in der heimatlichen Enge geblieben wäre. Manche Menschen werden, wenn sie ihnen widerfährt, von der Durchtrennung der Wurzeln, die sie an ihr Fleckchen Umwelt binden, gefährdet oder gar zerstört. Mir hat sie zunächst auch nicht gerade wohlgetan, aber auf die Dauer hat sie Kräfte befreit, die sonst unerweckt für immer in mir geschlummert hätten. Anders als andere Emigranten, die der Heimat nachtrauern, heiße ich daher die Emigration gut und bekenne mich zu ihr, nicht weil sie mir just passierte und man für gewöhnlich sein Leben billigt, sondern beinah als Prinzip, als einen Prozeß, dem ich meine Befreiung und, so sonderbar das auch anmuten mag, die Gewinnung meines Gleichgewichts zu verdanken glaube.

Natürlich war der Weg dorthin nicht leicht, ohne freien Willen den historischen Stürmen der Zeit ausgesetzt, doch auch um den freien Willen kämpfend, ein Thema, das motivisch ebenfalls einen breiten Raum in der Autobiographie einnimmt. Aber welch eine mutig-optimistische Einstellung letztendlich und trotz allem – und eine Einstellung, die sein Leben so stark prägte!

Um auf das Gespräch mit Egon zurückzukommen, in dem es um die Was bleibt-Frage ging: Lesen wir seine Unfreiwilligen Wanderjahre, bzw. lesen wir sie noch einmal. So halten wir diesen einzigartigen Menschen am besten für uns fest und verhelfen ihm zu einem Weiterleben.

[Reprinted from PEN-Newsletter Summer 2017]

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Nov 14 2017

Ansprache am Mauergedenkort 9. November 2017

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Ansprache am Mauergedenkort
9. November 2017

Freya Klier

 

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Regierender Bürgermeister, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Freunde!

1.

Lässt sich nach 28 Jahren noch vermitteln, wie es war, abgeschottet zu sein? In einer Diktatur leben zu müssen, in der auf Dich geschossen wurde, sobald es Dich hinaus in die Freiheit zog?

Fluchtversuche gab es, nachdem die 1400 km lange Grenze zwischen Ost und West mit Erdminen und Selbstschussanlagen aufgerüstet war, immer wieder. Und immer seltener glückten sie. Ich selbst habe mich entschlossen zu fliehen, als 1966 mein 17- jähriger Bruder für 4 Jahre ins Gefängnis kam, weil er und seine Freunde Liedtexte von den Rolling Stones und den Beatles besaßen, die sie der Polizei nicht aushändigen wollten. Die, als sie von der Polizei zusammengeschlagen wurden, „Ihr Nazis!“ riefen.

Zwei Jahre später versuchte ich zu fliehen – ich wollte im Rostocker Hafen mit einem Schiff nach Schweden gelangen.

Mein Plan wurde von DDR-Matrosen verraten, noch im Hafen klickten die Handschellen. Ich kam ins Gefängnis.

Bei jedem DDR-Flüchtling hat sich der Ablauf der Flucht eingebrannt, besonders der Moment des Scheiterns. Auch erinnern wir uns der schlimmen Momente unserer Haftzeit… der schier endlosen Demütigungen durch das Wachpersonal, dessen Macht und Willkür auch im Sozialismus kaum gebremst war.

2.

Später bekam ich mit meiner Familie eine Wohnung im Prenzlauer Berg zugewiesen, und die lag dicht an der Mauer, in der Oderberger Straße. Täglich, wenn wir nach Hause gingen, starrten wir auf dieses Ungetüm aus Beton, das uns signaliserte: ´Hier ist für Euch Schluss – sonst wird geschossen!´

Hinter der Mauer aber, auf der Westseite, stand eine Aussichtsplattform: Dort schauten Menschen aus der freien Welt in unsere Oderberger Straße hinein wie in ein Aquarium. Manche fotografierten, andere filmten. Für uns war es ein unangenehmes Gefühl.

Das endete erst mit dem 9.November 1989. Und wieder schauen wir auf die Oderberger Straße:

Am Abend dieses 9. November 1989 verlässt der Vikar Thomas Jeutner mit seiner hochschwangeren Frau Marianne die Oderberger Straße Nr. 5. Die beiden wohnen hier und wollen noch etwas spazieren gehen, wie fast jeden Abend so kurz vor der Geburt.

Heute entscheiden sie sich für einen längeren Weg – die Oderberger hinunter bis zur Mauer, dort einfach die Straßenseite wechseln und wieder zurück. Dabei wird der junge Theologe Zeuge eines vermeintlichen Hörspiels:

„Wir sind also die rechte Seite, wo die Feuerwache ist, runtergegangen“ – erinnert sich Thomas Jeutner – „sehr langsam, meine Frau stand ja kurz vor der Geburt. Es war schon dunkel. Vor dem Klub der Volkssolidarität, also nicht weit von der Mauer entfernt, stand ein Trabant, mit heruntergekurbeltem Fenster. Und der Fahrer hörte unverschämt laut ein Hörspiel aus seinem Autoradio. Erst ärgerte mich seine Rücksichtslosigkeit, dann blieb ich aber ein bisschen stehen, denn es lief ein Science-Fiction- Hörspiel und das war ziemlich packend: Die Rede war von einem Land mit einer Mauer, und die Mauer sei geöffnet, man hörte viel Trubel…

Ich war sauer. Ich fand es ziemlich geschmacklos, so etwas zu senden. Wir standen ja direkt vor der Mauer – das Ungetüm war ja da! Ich dachte, die spinnen total. Verärgert kehrten wir um…“

Als Thomas Jeutner am Spätabend einen Anruf von seinem Bruder erhält, weiß er, dass das vorhin kein Science Fiction war!

Die Mauer ist tatsächlich offen, wenn auch noch nicht an der Oderberger Straße.

3.

´Es war die erste unblutige Revolution in der deutschen Geschichte´, können Schüler heute in ihren Büchern darüber lesen. Sie ahnen die Dramatik – von der Massenflucht über Ungarn, den Botschaftsbesetzungen in Prag und Warschau, von Gründungsaufrufen oppositioneller Gruppen. Sie lesen, wie zuerst Hunderte DDR-Bürger auf die Straßen gingen, bald schon Tausende und schließlich Millionen – getrieben von dem Wunsch nach Freiheit und Demokratie…

Lesen können sie es – doch ahnen sie damit auch die überbordenden Gefühle ihrer Eltern und Großeltern, als die Mauer schließlich fiel?

Und wann spürten wir selbst, dass dies eine historische Stunde ist? Beim Versprecher eines Politbüro-Mitglieds? Bei den ersten

´Wahnsinn!´ – Rufen auf der Bornholmer Brücke, bei stammelnden Politikern, dem plötzlichen Verkehrschaos?

Spätabends erreichte mich ein Anruf aus Kanada: Unsere Freunde weinten am Telefon, denn sie sahen im kanadischen Fernsehen Trabi-Paraden und Freudentänze auf dem nächtlichen Ku´damm. Ich weinte mit… und nicht zum ersten Mal an diesem Abend.

Schon am nächsten Tag konnte man in Kreuzberg kaum noch treten. Ost-Berlin schien geschlossen Richtung Westen gerückt zu sein. Noch immer herrschte Ausnahmezustand, lag ´Wahnsinn!´ in der Luft. An reguläre Arbeit war nicht mehr zu denken. Was konnte man anderes tun an diesem Tag als mitzustrahlen und im Pennymarkt was Trinkbares zum Anstoßen zu holen?

Am 11.November stand ich dann am Checkpoint Charlie. Eine Schulklasse zog mich dort in ihren Bann, die aussah, als hätte sie bereits zwei Tage und Nächte durchgefeiert. Müde schauten sie auf kofferbeladene Flüchtlinge, durch den Checkpoint hasteten jetzt vor allem Familien mit Kindern: Wer wusste denn, ob das ganze nicht ein Versehen war und morgen die Grenzer wieder aufmarschierten?

Im Unterschied zu seiner Klasse war der Lehrer hellwach – hingerissen kommmentierte er das Geschehen. Der Mantel der Geschichte wehte, und er durfte mit seiner Klasse dabei sein:

´Nadine, schlaf nicht!´, rief er einem Mädchen zu. ´Schlafen kannst Du zuhause. Hier…´ – seine Arme fuchtelten in Richtung der hastenden DDR-Bürger – ´hier fliehen noch Menschen von Ost nach West!´…

Nadine versuchte, sich zu straffen. Und ich vergaß, die Jugendlichen zu fragen, woher sie kommen.

Unter den vielen Episoden in diesem Herbst 1989 gehört diese zu meinen liebsten. Die Schüler dürften heute etwa 40 Jahre alt sein. Und keiner von ihnen wird diese Klassenfahrt vergessen haben, da bin ich sicher.

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