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Dec 27 2016

Jürgen Fuchs kommt nach Polen

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von Utz Rachowski

Eröffnungsvortrag an einer internationalen Germanisten-Konferenz über Jürgen Fuchs in Wroclaw (Breslau) im November 2016

 

Jürgen Fuchs war nie in Polen. Heute kommt Jürgen Fuchs nach Polen.

 

„NIKE WENN SIE ZÖGERT

Am schönsten ist Nike
wenn sie zögert
die rechte hand an die luft gelehnt
herrlich wie ein befehl
aber die flügel zittern

Sie sieht
den einsamen jüngling
der langen spur
des kriegswagens folgen
dem grauen weg in der grauen landschaft
aus felsen und kahlem wacholder

bald wird der jüngling sterben
schon senkt sich die waagschale
seines schicksals

Nike hat große lust
sich ihm zu nähern
und seine stirn zu küssen

aber sie fürchtet
dass er
die süße der kosung nie empfunden
wenn er sie kennenlernte
fliehen könnte wie die anderen
während der schlacht

Also zögert Nike
und entschließt sich doch
in jener haltung zu verharren
die ihr die bildhauer beibrachten
beschämt ob dieses augenblicks der rührung

…“                                          Übertragen von Karl Dedecius

(aus: „Poesiealbum 86“, Berlin 1974)

 

Das ist natürlich ein Gedicht von Zbigniew Herbert. Jürgen Fuchs hat es früh wahrgenommen, schon Anfang der 70er Jahre, als in der Reihe „Poesiealbum“, diese kleinen Heftchen, die sich jeder für 90 Pfennige leisten konnte, auch ein Heft zu Herbert erschienen war. Zwei Jahre später, im Gefängnis der politischen Polizei „Stasi“ in Berlin Hohenschönhausen beschwieg Jürgen Fuchs neun Monate lang, was er bald nach seiner Entlassung in seinen „Vernehmungsprotokollen“ in einem Gedicht aufschreiben sollte: „Am schönsten ist L. wenn sie zögert“. L. – das ist Lilo, seine Frau. Sein Mut zu solcher literarischen Nähe, als wäre sie selbstverständlich, bei der Jürgen Fuchs mit einer Übertragung nicht zögert.

Zbigniew Herbert und Jürgen Fuchs. Dieses Beispiel gleich am Anfang für die, fast möchte ich sagen: unbewusste Wahrnehmung und Verinnerlichung, polnischer Poesie durch Jürgen Fuchs.

 

Auch einen anderen großen Dichter Polens, Tadeusz Różewicz, hatte er in seinen frühen Jahren gelesen. Dessen Lyrik, wird gesagt, sei eine „Poesie der gewürgten Gurgel“. Różewicz schrieb: „Man hat die Lyrik auf der Jagd nach Originalität und Unwiederholbarkeit lächerlich gemacht, aus ihr ein Kinderspielzeug, ein avantgardistisches Kalb mit zwei Köpfen gebastelt. Also muss ich das alles begraben und die Erde darüber festtreten… Die Lyrik muss, um auferstehen zu können, sterben… Ich trage in mir ein Verbot, schöne Gedichte zu schreiben.“

Das passt zu Jürgen Fuchs.

 

Ich erinnere mich gut. Jürgen lernte ich im September 1968 kennen, als ich auf die Erweiterte, die „Goethe-Oberschule“ in Reichenbach kam mit der neunten Klasse, er bereits in der Zwölften. Heute gibt es in dieser Stadt eine Jürgen-Fuchs-Bibliothek, zu deren Entstehung ich etwas beitragen durfte. Damals kamen wir schnell ins Gespräch, denn es waren wieder einmal „Große Zeiten“, der Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei lag nur eine Woche zurück. Durch unsere Stadt waren tagelang die Panzer gerollt und der aufgewirbelte Staub war noch in der Luft, die aufgerissenen Straßen mit Pflastersteinen übersät. Da sagte er mir gleich am Anfang, vor wem ich mich zu schützen habe, hier an der Schule, wer von den Lehrern gefährlich sei und mit der „Stasi“, die an der Schule aus- und einging, zusammenarbeiten würde. Später schrieben wir die Motorrad- und Autonummern dieser Besucher auf, um sie in der Stadt wiederzuerkennen. Wenn sie zum Beispiel vor dem Eiscafé standen oder vor der Waldgaststätte „Schwarze Katz“, wo wir uns manchmal trafen. Bevorzugt und in Ruhe sahen wir uns jedoch lieber bei uns zu Hause, er saß dann bei sich in dem großen Ohrensessel, ich erinnere Grün, an der Wand ein Zettel: „Sie brannten die Helligkeit dieser Zeit in unsere Augen, die Zweifelnden. Wie weit verbrannt ist schon das Licht?“

Später im Schuljahr machte er Abitur und wurde im Herbst, im November 1969, zur Armee eingezogen. „Die steinerne Welt“. Ich erlaube mir dieses Kurzschließen eines Titels von Tadeusz Borowski mit Jürgen Fuchs, denn viel später, in Jena, sollte Jürgen ein Prosastück schreiben, das den Titel „Das Fußballspiel“ trägt. Borowskis Buch hatten wir gelesen. Dieser schrieb: „Ich lief mit meinem Ball zurück und warf ihn ins Spiel… er rollte ins Gras. Ich ging ihn holen. Als ich ihn aufhob, sah ich noch einmal zur Rampe hinüber… die Rampe war leer… zwischen zwei Eckbällen hatte man hinter meinem Rücken dreitausend Menschen vergast…“. Jürgen Fuchs spielte Fußball, wie der Protagonist der Erzählung Borowskis in den 1940er Jahren in Auschwitz, Fuchs 1970 in einer Kaserne in Plauen im Vogtland. Bei Jürgen Fuchs erschoss sich während des Fußballspiels ein Soldat. Er sah die Gehirnmasse oben im Dach des Unterstands, dem Postenpilz. Nach diesem Erlebnis kam Jürgen auffällig verändert und tief verstört, zu einem Urlaub 1970 in unsere kleine Stadt zurück und las mir, in seinem grünen Sessel sitzend, ein neues Gedicht vor, nicht leise, wie ein Schrei aus „gewürgter Gurgel“:

„Gelbe landschaft leben
Unser tag unter ihren händen
Zerschnitten sein lied

In formierten farben
Der schlächter – wir
In den städten
Singen die sorglosen
Lieblich
Vers um vers
In unseres schweigens schrei

Die uns den atem nehmen
Der warnung wort
Leben mit uns

Aber ich höre
Der ich vergesslich sein soll
Auf befehl ab sofort:

Sie lügen im licht
In meiner sprache
Treten hervor
Finden klebrigen glauben
Wie sollten sie’s nicht
Bei der alten vergesslichkeit

So in der nacht
Fremder leuchtschrift flimmer
Euer vergessen
Das da grinst und grölt und
Fleisch inhaliert

Ruf ich zu euch:
In mode wird kommen gelb
Die gelbe landschaft
Mit asche gedüngt

Wenn nicht“

(September 1970)

 

In Jena, Jahre später dann als Student der Psychologie, schrieb er dieses Armee-Erlebnis konkreter, fast möchte ich sagen befreit und befreiend, auf.

„Das Fußballspiel“: „Aber ich habe es doch erlebt… ich werde nicht vergessen, was uns dieser Unterfeldwebel oder Unterwachtmeister, wie er sich gern nannte, am zweiten Tag im Vorbeigehen sagte: Damit wir uns gleich richtig verstehen, wer hier durchdreht und Faxen machen will, der muss sich schon was Besonderes einfallen lassen, hier gab’s schon alles: Aufhängen, Fenstersturz, Tabletten, auf Wache abknallen, alles schon dagewesen.

Gar nichts Besonderes (Hervorhebung – U.R.), nur ein Sonnabendnachmittag im Juni, die Kaserne ruht, ein angeketteter Schäferhund bellt, einige Soldaten spielen Fußball. Die drei Schüsse waren kaum zu hören, etwas dämpfte den Schall. Na und, der Posten am Tor ist tot, das kommt vor… Dann wird er abgedeckt, dann wird er abgeholt, dann wird Sand gestreut, weil dort doch jemand lag, in seinem eigenen Blut an einem Sonnabendnachmittag, und ich spielte Fußball, zwanzig Meter entfernt…“

„Also zögert Nike
und entschließt sich doch
in jener haltung zu verharren
die ihr die bildhauer beibrachten
beschämt ob dieses augenblicks der rührung

sie weiß
dass man im morgengrauen
den jungen finden wird
mit offener brust
geschlossenen lidern
und mit dem herben geschmack des vaterlands
unter der steifen zunge“

 

Heute kommt Jürgen Fuchs nach Polen. Ich kam hierher zum ersten Mal aus Gründen der Liebe, zu einem Mädchen aus Warschau namens Hanka im August 1973. Nach Wrocław gleich im Herbst, wenige Tage vor meiner Einberufung zur Armee. Ich war um Mitternacht hier am Bahnhof aus dem Zug nach Warschau gestiegen. Es fand gerade das Welt-Studententheater-Festival statt, ich sah in 24 Stunden eine Aufführung des legendären Jerzy Grotowski direkt am Rynek, ein zweites Stück mit einer Gruppe 40 nackter Japanerinnen und stieg zur nächsten Mitternachtsstunde wieder in meinen Zug. Als ich später Wolf Biermann und Jürgen Fuchs von diesem Tag in Wrocław berichtete, blieben sie eher distanziert, vielleicht glaubten sie mir die nackten Japanerinnen nicht… Wolf sagte: „Ach, was redest Du da von Freiheit, die mit ihrer Schwarzen Madonna, von dort kommt niemals was Neues.“ Jürgen verteidigte Wolf Biermann zugleich: „Du musst bedenken“, sagte er zu mir, „dass Wolf seit fast einem Jahrzehnt nicht reisen darf, er kann sich das nicht vorstellen“. Aber auch er blieb skeptisch und nicht nur den Japanerinnen gegenüber und sprach lieber vom aufziehenden Eurokommunismus in den westlichen Ländern. Ich aber besuchte meine Freundin Hanka weiterhin und machte in Wrocław Zwischenhalt.

Fünf Jahre später, am 16. Dezember 1980, weckte mich Jürgen um sechs Uhr dreißig früh, ich war nicht gerade begeistert, denn vor 10 Tagen war ich aus dem DDR-Gefängnis nach Westberlin gekommen und trachtete, endlich einmal auszuschlafen. Jürgen und Lilo hatten mich nach meiner Haft sofort in ihre Wohnung aufgenommen und stellten mir ein Zimmer zur Verfügung, um mich vor dem Aufnahmelager Marienfelde zu bewahren. Regelmäßig päppelten sie mich beim Frühstück mit Alete-Kindersäften auf. Jürgen und Lilo hatten an diesem Morgen im Flur den Fernseher angeschaltet und sagten nur: Schau mal! An diesem Tag wurde in Gdansk das Denkmal für die Opfer des Werftarbeiterstreiks von 1970 eingeweiht, bei dem es bis zu 100 Tote gegeben hatte. Auch das Bild im Fernseher war dunkel, wir sahen Tausende von Menschen über die Brücken der Werft ziehen. 100 000 Menschen kamen. Dann wurden am Denkmal die Namen der Toten verlesen. Offenbar nicht im Protokoll stand, was jetzt geschah: Die Menschen riefen nach der Nennung jedes einzelnen Namens: Jest wsród nas – er ist unter uns! Ich war erschüttert vor Freude, auch vor Rührung, was ich verbergen wollte und sagte zu Jürgen: „Das ist ja meine Rede seit Grotowski, die Polen machen das – und zwar mit der Schwarzen Madonna“.

Später, 1981, trafen wir mehrere Male Adam Zagajewski in Westberlin, der ein Stipendium des Deutsch Akademischen Austauschdienstes hatte. Am 28. November 1981 veröffentlichten wir Drei in der Frankfurter Rundschau ein gemeinsames Gespräch unter dem Titel „Poetisches Prinzip Aufrichtigkeit – oder wie es ist, muss es nicht bleiben“. Das war 15 Tage vor Verhängung des Kriegsrechts über Polen. Eine Veränderung in diese Richtung hatten wir natürlich nicht gemeint, sondern eingefordert demokratische Grundrechte wie Streikrecht und Pressefreiheit und Freiheit des Wortes auch für die Menschen in der DDR. Aber auch Themen angesprochen, zu denen Adam Zagajewski uns klare Sätze sagte, deren innerer Sinn für mich noch heute Gültigkeit hat. Zagajewski: „Das Beim-Namen-Nennen der Dinge ist die einzige Chance der Literatur. Es kommt darauf an, die Wahrheit zu erkennen und zu sagen. Das kann auf vielerlei Weise geschehen. Die platte und die verrätselte Lüge haben zum Gegner die einfache Wahrheit und das Rätsel der Kunst…Wenn jemand begabt ist, hat er eine sehr kleine, seltene Möglichkeit. Sie ist wertvoll. Das, was die Politik betrifft, ist so allgemein, dass es fast jeder aussprechen kann. Es ist keine große Schwierigkeit, über Politik zu sprechen… Man muss ganz egoistisch diese ‚kleine Möglichkeit’ schützen, damit sie nicht im Gerede untergeht. Man soll hier ganz egoistisch sein… Aber ich denke, dass man dieses ‚Etwas’, das man vielleicht hat, der Welt zurückgeben sollte. Es kann aus dieser Sicht eine Gefahr sein, dies dem Publizistischen zu opfern“.

 

Ich habe mich an diese mahnenden Worte Adam Zagajewskis gehalten, war aber später auch zutiefst bestürzt über die Klage meines sterbenden Freundes Jürgen Fuchs, der vor seinem Tod schrieb, er hätte so gern eher Liebesgedichte geschrieben, als dem Politischen folgen zu müssen, das ihm aufgezwungen war. Deshalb schreibe ich manchmal Gedichte wie zum Beispiel über einen Hund namens Suki, der in Amerika, in Pennsylvania lebt.

Adam Zagajewski hat zu diesem, meinem letzen Buch, zur polnischen Ausgabe 2015, das Vorwort geschrieben. Ich zitiere es vollständig, weil er darin auch besonders auf Jürgen Fuchs zu sprechen kommt:

 

„Utz Rachowski gehört einer Generation an, die die Literatur nicht nur mit einem leeren Blatt auf dem Schreibtisch und nicht nur mit Rezensionen, Preisverleihungen, Ambitionen, Neid und Aufenthalten in eleganten ‚Häusern der kreativen Arbeit’ assoziierte, sondern durchaus auch mit dem Risiko, das die Herausforderung an das politische System mit sich brachte. Die damals jungen Dichter und Schriftsteller der DDR, eines Staates, der nicht mehr existiert, riskierten viel mehr als ihre polnischen Kollegen. Die ostdeutsche Stasi (nur wer überhaupt kein Deutsch kann, mag dieses Wort für den Namen einer Lieblingskneipe der verarmten Intellektuellen in Krakau halten – ‚U Stasi’) war eine allgegenwärtige und grausame Organisation, die bewusst oder unbewusst die Methoden der Gestapo fortsetzte.

Ein Freund von Utz Rachowski, Dichter und Prosaautor Jürgen Fuchs, zahlte mit seinem Leben für den Konflikt mit dem bereits verschwundenen Staat – er starb an Krebs, den höchstwahrscheinlich die radioaktive Bestrahlung auslöste, der Fuchs im Gefängnis der Stasi ausgesetzt wurde. Utz Rachowski blieb jedoch am Leben, obwohl er auch verfolgt und verhaftet wurde, und schreibt weiter.

Eines der Dilemmata dieser Generation war die Frage: Was tun nach dem Fall des Systems? Die Schriftsteller dieser Generation, nicht sie allein selbstverständlich, sondern in solidarischer Mitwirkung mit viel mächtigeren gesellschaftlichen Kräften, trugen den Sieg davon. Aber in der Literatur kann ein Sieg leicht zur Niederlage werden. Die Dichtung kann sehr gut mit der Tragödie, Katastrophe, Melancholie, mit dem Tod und dem Liebesversagen (damit am besten!) umgehen, sie ist aber ratlos gegenüber dem Sieg. Nur ein Pindar weiß den Sieg zu besingen. Der Triumphalismus ist etwas Abstoßendes – wie lange kann man allerdings triumphieren, eine Woche, zwei? Deswegen kam es oft vor, dass manche Vertreter dieser ‚siegreichen’ Generation ins lange Schweigen gerieten. Gewiss kam es manchmal zum gänzlichen Verstummen – auch wenn ich einen konkreten Fall weder nennen könnte noch möchte. ‚Siegreiche Generation’ und ‚lost generation’ – die Unterschiede sind nicht groß…

Die Literatur ist kein Spiel. Ich kann nicht sagen, was sie ist, aber auf keinen Fall ein Spiel. Sie hat jedoch etwas Spielerisches an sich – vielleicht deswegen verhöhnte die nächstkommende Generation so gern die ‚Sieger’.

Das Büchlein von Utz Rachowski, ‚Miss Zuki czyli Ameryka jest całkiem blisko’ (‚Miss Suki oder Amerika ist nicht weit’), wird die schmerzlichen und paradoxen Dilemmata der Generation Jürgen Fuchs nicht lösen. Ich bewundere jedoch die frische und gelassene Aussagekraft der Gedichte, den Verzicht auf jegliches Kombattantentum. Auch der Bund mit dem Hund oder Hündchen gefällt mir. Die Tiere erfahren die Geschichte viel seltener als die Menschen, aber wenn es schon dazu kommt, zahlen sie dafür den höchsten Preis. Sie beschenken uns sehr reich, vor allem mit einer Art Unschuld, die wir – sowohl die Sieger als auch die Verlierer – nicht mehr haben.“

(Übersetzung von Ewa Szymani, die auch die Gedichte meines Buches ins Polnische übertrug.)

 

Damit, und das will ich festhalten, hat der wohl bedeutendste lebende polnische Dichter, Adam Zagajewski, an unsere Generation den Namen Jürgen Fuchs vergeben.

 

Auch Jürgen Fuchs schrieb ein Gedicht: über zwei große Hunde.

Ein deutscher Professor interpretierte es kürzlich, unglücklicherweise. An mein kleines Hündchen Suki dagegen in Amerika hat sich (zum Glück!), obwohl es niemals beißt, noch kein deutscher Professor herangetraut… aber mehrere polnische wie Ewa Matkowska, Stanisław Rogala oder Stefan Kaszynski.

Der Text des Gedichtes von Jürgen Fuchs lautet:

Auf dem Gang zum Briefkasten / sah ich zwei große Hunde / Auf den Rücksitz / Eines Autos springen / Sie bellten nicht / Sie saßen sofort still / Ich ging weiter / Als sei nichts geschehen

Der Professor schreibt: „…und tatsächlich ist jedoch sehr vieles geschehen, in ihm nämlich, dem aufmerksamen lyrischen Subjekt. …Ob es perfekt abgerichtete Spürhunde waren? Auf der Suche nach ihm? Weil er auf dem Weg zum Briefkasten ist? Wer hat sie, als er sich näherte, zurückgerufen? Weshalb steht dieser Wagen hier? Wer belauert ihn?“

In Verteidigung der Poesie und dieser beiden Hunde sage ich: solche Fragen an die Lyrik von Jürgen Fuchs zu stellen, halte ich für nicht legitim, für Unsinn, denn sie nehmen dem Gedicht das Wichtigste: das Geheimnis. Und reduzieren das lyrische Kunstwerk wiederum aufs nur Politische, etwas was der Poesie von Jürgen Fuchs viel zu oft geschieht – funktionale Reduktion der Literatur auf den biografischen Hintergrund. Mein Wrocławer Freund, der Lyriker Marek Śnieciński, würde sagen: so geht das Wesentliche in der Poesie überhaupt verloren: die Wunde, die nach dem Lesen eines Textes im Leser zurückbleibt.

 

Damals, kurz vor Veröffentlichung des polnisch-deutschen Gesprächs mit Adam Zagjewski, Jürgen und mir, damals im Herbst 1981, verließ Zagajewski Westberlin und ging zurück nach Krakau, wo ihn das Kriegsrecht in der Nacht zum 13. Dezember überraschte. Ich ging an diesem eiskalten Sonntag ganz früh im hohen Schnee von Berlin-Kreuzberg zum Tempelhofer Damm 42, zu Lilo und Jürgen. Was können wir jetzt tun? Nie werde ich unsere Bedrückung und unsere Ohnmacht vergessen, als wir dort auf den Stühlen saßen, versunken, fassungslos überrascht. Ja, bis Jürgen Fuchs seine Stimme erhob: Was bedeutete es, dass Jaruzelski seine paramilitärischen Zomo-Spezialeinheiten gegen die Arbeiter und Intellektuellen losschickte, aber die sowjetischen Panzer nicht über die Grenze gerollt waren? Wie kommen wir an Informationen, über das, was dort geschieht. Wie kann man Öffentlichkeit in der Bundesrepublik herstellen, wen dafür gewinnen? Wer wurde in Polen verhaftet, wer interniert?

Es folgten Solidarisierungen von Heinrich Böll und vielen anderen, das alles ist bekannt, wie Josef Rauvolf es so schön bei einer Jürgen-Fuchs-Tagung in Jena sagte: das kennen wir alle hier. Und es folgte damals die sogenannte „Polnische Teilung des Verbandes Deutscher Schriftsteller“. „Verantwortlich für Polen?“ hieß ein Buch, in dem auch Jürgen Fuchs und Heinrich Böll sich verantwortlich zeigten. Gegen den hartnäckigen Widerstand aus den Reihen von DKP und SEW und ebenfalls vieler Linksintellektueller. Einer davon, verschrieb genau in dieser nach Hilfe und Solidarität schreienden Situation dem polnischen Volk: Disziplin und Arbeit…

Wer sich erinnern will und mehr wissen will vom absoluten Nichtverstehen der deutschen Intellektuellen im Westen gegenüber Polen in dieser Zeit, dem sei das brandneue und von Frau Prof. Marion Brandt herausgegebene, Buch „Fortschritt unverhofft. Deutschsprachige Schriftsteller und die Solidarność“ empfohlen. Darin auch ein Aufsatz von Jürgen Fuchs: „Der strenge Tourist aus Hamburg oder ein Kolumnist rettet Polen“, worin er den ganzen Irrsinn der von linker Utopie und Ideologie befangenen Leute im Westen darstellt und grundlegend analysiert. Eben dieser Generation im Westen, auf die wir nach unserer Ausbürgerung trafen, mit der wir plötzlich leben mussten… als die USA auf der kleinen Karibik-Insel Grenada landete, waren in Westberlin 30 Tausend Demonstranten auf der Straße, um zu protestieren, als über das Nachbarland Polen eine Militärdiktatur verhängt wurde, kamen kaum 300 Leute zum Kurfürstendamm…

 

Im Herbst 1982 machte ich mich auf die Reise nach Polen mit einem Studentenausweis der Freien Universität Berlin, „verkleidet“ als Student der Kunstgeschichte, das Passbild zeigte einen bärtigen Typen, der so etwa wie Rasputin aussah. Ich trug einen schwarzen Fellmantel und rechnete ernsthaft und im schlimmsten Fall damit, dass ich in Polen umgelegt werden würde.

Als ehemaliger Ostdeutscher durfte ich natürlich nicht durch DDR-Gebiet fahren, meine Tour nach Warschau führte über Nürnberg, Wien und Prag.

Im Kopf hatte ich einige Adressen, die Adam Zagajewski uns noch gegeben hatte. Ich hielt mit unverfänglichen Telegrammen zu Lilo Fuchs Kontakt, gab Lebenszeichen wie „Hanka geht es gut in Warschau“. Dort besuchte ich Krzysztof Karasek, in Wrocław Leute, die die Literaturzeitschrift „Odra“ auch unter Kriegszustand am Leben erhielten und besuchte in Krakau Adam Zagajewski und Julian Kornhauser. Ich hatte einige bescheidene Geschenke dabei und nahm aus Polen Namen, Adressen und Texte von internierten Autoren mit. Diese Texte las ich dann übersetzt im RIAS Berlin, Gedichte zum Beispiel von Tomasz Jastrun, der noch immer in einem Internierungslager saß.

 

Nicht zuletzt durch unser Gespräch in der „Frankfurter Rundschau“ kam ich näher in Kontakt zum Solidarność-Büro Westberlin und lernte u.a. Andrzej Więckowski und Włodzimierz Nechamkis kennen, die eine literarische Zeitschrift vorbereiteten, gedacht als Berliner Pendant zur Pariser „Kultura“. – „Archipelag“. Sie machten mich sofort zu ihrem einzigen deutschen Redakteur, und ich schrieb in der Westberliner „tageszeitung“ (taz) nach deren Redaktionsschluss jeweils die Zusammenfassungen der polnischen Texte in Deutsch, die in jedem dritten Heft erschienen.

Die Redaktionssitzungen boten Überraschendes, denn immerzu gab es dort laut ausgetragene heftige Streitereien mit erhobenen Fäusten, die manchmal, wie ich fürchtete, sehr knapp an Schlägereien vorbeigingen. Danach saßen wir alle wieder friedlich in einer Pizzeria in Schöneberg und aßen einen großen Teller Nordsee-Muscheln. Oh, dachte ich: Waren dies vielleicht die wahrhaften Nachfahren, mit denen ich es hier zu tun hatte, der Schlachtschitzen aus Adam Mickiewicz’ „Pan Tadeusz“, den Leuten aus Soplicowo, die sich ebenfalls stets untereinander heftig stritten – jedoch augenblicklich vereint erscheinen, an die Waffen eilen, wenn die Türken vor Wien stehen, siehe Sobieski, oder die Truppen des russischen Zaren kommen, siehe Kościuszko, oder die Europäische Union mit unverständlichen Verordnungen ans Tor klopft – dann warten sie nicht auf Hilfe durch irgendeinen Napoleon, vertrauen nur auf sich selbst.

Bei Mickiewicz übrigens fällt mir eine weitere Parallele zu Jürgen Fuchs auf: Nach seinen großen Dichtungen „Die Totenfeier“, „Konrad Wallenrod“ und „Pan Tadeusz“ widmete er sich beinahe ausschließlich nur noch dem Politischen, dem Freiheitskampf seines Volkes.

 

Das erste Heft von „Archipelag“ erschien im Herbst 1983, jeder von uns hatte am Anfang 100 D-Mark gegeben, viele andere gespendet. Jeden Sonntag sammelten wir vor den Kirchen Westberlins, die von Polen, damals 30 Tausend in Berlin, besucht wurden. Jeder Spender, wenn er das wollte, wurde am Ende des Heftes genannt und die überlassene Summe verzeichnet.

Jetzt gerade hörte ich hier im Mai 2016 von einem Polen, „Archipelag“ sei von irgendwelchen Geheimdiensten finanziert worden. Nein, ich war damals dabei. Bei den Geld-Jägern und Sammlern. Nichts war geheim.

Das waren auch die Jahre, besuchte man Jürgen Fuchs spontan, dass man, wie ich zum Beispiel, Menschen wie Wiktor Woroszylski in seiner Küche antraf und kennenlernen konnte. Woroszylski war sofort nach Verhängung des Kriegsrechts verhaftet und interniert worden, nach 1983 konnte er reisen.

Auch Jürgen Fuchs veröffentlichte in der Zeitschrift „Archipelag“, Günter Grass und viele andere deutsche Schriftsteller, vor allem auch polnische Autoren wie Gustaw Herling-Grudziński, Józef Mackiewicz, Adam Zagajewski, Ryszard Krynicki und Tadeusz Nowakowski.

 

Jürgen Fuchs verschaffte ich damals Kontakt zu meinen Schlachtschitzen, bewahrte ihn aber vor den Wort-Schlachten unserer Redaktionssitzungen. Jürgen lud daraufhin den „Archipelag“-Redakteur Włodzimierz Nechamkis zu einem Gespräch ein (veröffentlicht in: DIE ZEIT vom 16. November 1984), in dem er den Umgang mit polnischen Emigranten in Deutschland scharf kritisierte. Im Internet kann man das heute noch nachlesen.

In dieser Zeit, Mitte der 80er Jahre, waren in Westberlin auf dem Stadtgebiet zwei große Märkte entstanden, die sogenannten „Polenmärkte“.

Im Sommer 1989 schrieb Jürgen Fuchs ein Gedicht, über das, was er dort gesehen hatte:

„Die nach hinten gedrehten Arme

Der alten Frau, die etwas
Verkaufen will
Aus ihrer Tasche
Berlin Tiergarten, zwei junge Polizisten
Der eine eifrig
Der andere verlegen
Er hat seine Dienstmütze abgenommen
Sieht sich um
Lächelt
Aber es gibt nichts zu lächeln, es ist Sommer
Sprechen die Polen deutsch?
Ein wenig
Vielleicht sprechen sie
Ein wenig
Deutsch

Deutsch kann man lernen
Unter verschiedenen Umständen
Wenn Flugzeuge kommen
Wenn Soldaten
Die Grenzbäume wegdrücken
Wenn Kinder weggeholt werden, Offiziere
Und Frauen, kann man es lernen
Beim Goethe-Institut
Kann man es lernen
Im Sprachkurs
Ichduersieeswirihrsie
Kann man lernen oder
Komm Se
Kann man lernen
Mitkommen

Und man kann zusehen
Wie Stempel in Pässe gedrückt werden
Lustige Stempel, wie die
Von der Kinderpost
Bären
Gummibären
Nein, nicht den russischen
Den nicht
Wir sind in Berlin, in Deutschland, es kommt darauf an
‚Schwarzhändler abzuwehren, die
Gesetze und Hygienebestimmungen durchzusetzen’
Und wir sind in der Gegenwart
Also alles mal zwei
Die Grenze
Die Kontrolle
Das Beäugen und Durchwühlen
Das geht nicht
Ausgeschlossen:
Danke, gute Reise
Auf Wiedersehen

Ein kleines Auto
mit einem schwarzen Nummernschild
Auf der Stadtautobahn
Vollbepackt
Vollbesetzt: Die Blicke
Aus anderen Wagen, Opel
Mercedes
VW

Dass man anhalten möchte
Oder losrasen
Blicke
Aus Wagenfenstern
Augenwinkeln
Panzerluken
Auch aus diesem Trabbi da
Dieser kleinen eckigen Kiste
Die zu Besuch ist als besonderer Anlass
Diese Blicke
Wir sind Deutsche
Und was seid ihr?
Ihr schwarzen Nummernschilder! Die Schwarzen
Am Bahnhof Zoo, aus Ghana, Sudan
Oder woher die kommen
Große Taschen
Was die wegschleppen

Diese Blicke

Ihr Gedichte aus der
„Landkarte, schwer gebügelt“
Sagt etwas
Was kommt dagegen an?
Ein Mensch, der einen Schlips trägt?
Der in vollen Sätzen spricht
Der einen schäbigen Anzug anhat?
Der aus dem Meer des Blutes kommt?
Oder aus dem des Vergessens?
Der im Schlaf weint

Der mit sich selbst redet
Ein Vertriebener ist
Aus welcher Stadt kommt er?
Wie hoch, ihr polnischen Gedichte
Ist die Unruhemiete?

Ihr polnischen Gedichte
Was ist eine Aktuelle Kamera?
Was ist
Eine Republik?
Was ist
Ein europäisches Haus?
Vielleicht
Der Strand von Kopenhagen, von Gdansk, wo man
Spazierengehen kann
Ohne erschossen
Zu werden

Aber diese Blicke
Und der neue Metallgitterzaun
Um das leere Stück Erde
Nahe der Mauer
Am Potsdamer Platz
Tauschen wir
Ihr polnischen Gedichte?
Tauschen wir

Anthologien
Verse

Bis der
Zoll kommt
…“

(aus: Horch und Guck, Heft 26 (2/1999)

 

Jürgen Fuchs war nie in Polen. Dieser Satz, mein Satz ist vielleicht nicht ganz richtig.

Ich denke dabei an die Übersetzungen durch Małgorzata Łukasiewicz, die ebenfalls zu dieser Konferenz gekommen ist und heute noch davon berichten wird, und ich denke an die Gedichte von Jürgen Fuchs, die Ryszard Krynicki übersetzt hat, Texte die dann alle im „Zweiten Umlauf“, also im Untergrund in den 80er Jahren in Polen erschienen sind.

 

Nach dem Fall der Berliner Mauer hatte Jürgen Fuchs noch knapp zehn Jahre zu leben, er widmete sie fast ausschließlich der Öffnung und Erschließung der Stasi-Akten. Seine Erkenntnisse und seine Recherchen flossen in sein Buch „Magdalena“ ein, über das während dieser Konferenz noch viel gesprochen werden wird, wie ich den Titeln der Beiträge anderer Referenten entnehme.

Mich interessiert an dieser Zeit Anfang der 90er Jahre, dass zwei polnische Intellektuelle sich damals strikt gegen eine Öffnung dieser Akten aussprachen. Und gleich in der Anfangsphase der Entstehung der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) mit Jürgen Fuchs in einen harten Disput gerieten. Was übrigens auf den schon damals bestehenden Bekanntheitsgrad von Fuchs hinweist.

Andrzej Szczypiorski und Adam Michnik.

 

Szczypiorski argumentierte gegen eine Öffnung der Akten, weil er befürchtete, angesehene Aktivisten des Widerstands, die sich jahrzehntelang in der Opposition engagiert hätten, könnten bei den Verhören durch die Geheimpolizei auch einmal kurz schwach geworden und vielleicht zusammengebrochen sein. Durch die Öffnung der Akten wären diese Schwächen dann allen sichtbar und die Betroffenen am Ende diskreditiert. Jürgen Fuchs aber konnte Andrzej Szczypiorski überzeugen und schrieb ihm öffentlich, wie er Briefe von der Familie und Fotos seiner Tochter Lili 1992 in den Akten gefunden hätte, die ihn vorher nie erreichten, von der Stasi abgefangen und archiviert. „Jetzt, nach Jahren“, schrieb er, „sind sie angekommen“.

Anders bei Adam Michnik, der sich stets gegen eine Öffnung der Geheimpolizei-Akten aussprach, in Deutschland und in Polen. Michnik strebte von Anfang an den Konsens mit den ehemaligen kommunistischen Eliten an – gipfelnd darin, dass er den ehemaligen Chef der polnischen Geheimpolizei (SB) Czesław Kiszczak einen Persilschein ausstellte und ihn einen Ehrenmann nannte.

Stellen Sie sich vor, Jürgen Fuchs hätte Erich Mielke zum Ehrenmann erklärt und wäre heute Mehrfach-Millionär als Inhaber eines Zeitungsimperiums. An seinem Todestag hatte Jürgen Fuchs einen Kontostand von 637 Deutschen Mark.

Ich spreche den Konflikt zwischen Michnik und Fuchs hier in Polen an, gewiss dessen, dass ich dafür verbale Prügel einstecken werde, vor allem von deutschen Freunden, denn Michnik war für uns alle ein großer Name, ein Vorbild, auch für Jürgen Fuchs – aber hier scheint mir eine Linie zu bestehen, die bis in die Gegenwart reicht. Es gibt in Polen ein „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN), das Pendant zur Stasiunterlagen-Behörde der Bundesrepublik. Das IPN war über Jahrzehnte hinweg bei den politischen Machtträgern Polens äußerst unbeliebt und stand unter verbalem Dauerbeschuss von Adam Michniks „Gazeta Wyborcza“.

Ich denke, dass dies eines von vielen Problemen war, die der alten Macht, der PO, vorigen Herbst auf die Füße fielen und ihre Abwahl in der Regierung zur Folge hatte. Denn der angestrebte Konsens, der Ausgleich mit den Kommunisten war eine Kinderkrankheit der Politik Polens nach dem Neuanfang, die chronisch wurde, und führte zu nichts anderem als Korruption und Cliquenwirtschaft, dabei auf den Lippen jedoch immer die demokratische Maske – jetzt nach dem Machtverlust ist das Geschrei groß und die EU wird um Hilfe angerufen, eine freie Wahl-Entscheidung der polnischen Volkes zu revidieren. Die Ursprünge des Konflikts scheinen mir zu liegen eben in dieser Zeit, als Fuchs mit Michnik in Konflikt geriet über das Verhältnis eines demokratischen jungen Landes zur Vergangenheit. Denn wir wissen ja, Konflikte, die einbetoniert werden, dampfen eines Tages an die Oberfläche. Die deutsche Presse jetzt erinnert mich fatal an die der Jahre von August 1980 bis Frühjahr 1983. Völliges Nicht-Verstehen, Arroganz, Drohgebärden und Häme. Wieder einmal – als seien sie in den deutschen Genen gegenüber Polen tief verankert.

Vielleicht sollten wir – die Generation Jürgen Fuchs – jetzt doch noch einmal unsere polnischen Vorbilder der 80er Jahre überdenken und nachschauen, was sie in den letzten 35 Jahren wirklich beigetragen haben zur Schaffung einer polnischen Republik.

Warum zum Beispiel wurde Anna Walentynowicz von ihren einstigen Mitstreitern medial begraben und für verrückt erklärt? Wohl wegen ihrer Argumente und ihres klaren Verstandes.

Womöglich verspiele ich mit diesen Worten gerade die mir zugesprochene Solidarność-Verdienstmedaille – aber so ist das, will man dem Fuchsschen Motto dieser Konferenz folgen: Sagen, was ist!

 

Warten wir mal ab, denke ich: Vielleicht – Polen hat uns das schon einmal gezeigt – und wir konnten damals nur zusehen und staunen – als dort plötzlich etwas völlig ungeahnt Neues entstand. Ich hoffe und werde abwarten mit Geduld, ob es auch diesmal etwas Heilsames sein wird, womöglich ein Impuls für das sieche Europa.

Vielleicht hat Jürgen Fuchs mit seinem Widerspruch gegen Adam Michnik vor langer Zeit, eben durch diesen Streit, mit dazu beigetragen.

Mal sehen, denke ich, was die Mitbewohner des „Pan Tadeusz“ jetzt so treiben in ihrem Dorf Soplicowo. Zurzeit streiten sie wieder einmal mächtig untereinander.

Sie haben dabei meine ganze Aufmerksamkeit. Und meinen Respekt.

 

Soweit einige Bilder, Erinnerungen und erste Steinchen zu einem Gesamt-Bild von Jürgen Fuchs, zu dem Sie, liebe Freunde und Kollegen, dann die Ihren legen werden, um das Mosaik zu vollenden. Ein Gutteil seiner Mitstreiter sitzt vor mir.

Ich habe heute viel persönlich Erlebtes berichtet in Bezug auf Jürgen Fuchs. Das war auch mein Weg, denn es ist meine ganz individuelle Absicht, den Freund Jürgen Fuchs, wie Vergil einst den jüngeren Dante, jetzt ganz einfach an die Hand genommen zu haben und ihn ein wenig zu geleiten, meinen älteren, den toten Freund zu begleiten ans Licht, wenn er heute zum ersten Mal nach Polen kommt.

Hier vielleicht, in diesem Land, denke ich, hier vielleicht zögert Nike nicht mit ihrer Hilfe, mit Solidarität für einen Dichter. Jest wsród nas – er ist unter uns!

Diese Solidarität kommt aus dem kollektiven Bewusstsein der Nation – da spürt man die Verbundenheit mit den Toten. Und überhaupt: die Toten – in welchem Land Europas gibt es einen solchen Totenkult? Wer zu Allerseelen oder Allerheiligen… zum Friedhof geht, der wird das Jenseits sehen, riechen und anfassen können. Der wird plötzlich wissen, dass es das Totenreich gibt, dass wir unsterblich sind.                               Artur Becker (Kosmopolen)

Utz Rachowski, Reichenbach/Vogtland, Juli – Oktober 2016

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Dec 27 2016

“And in her heart, a wall”—A Jewish Lens on a Walled World

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by Michael Panitz

Reagan at wall

U.S. President Ronald Reagan speaking in Berlin, 1987: “Tear down this wall”

 

1. Introduction: The View from Berlin…

            Walls dominate so many landscapes, past and present. The fear of walls and, conversely, the fear of not having walls, are the focal point of contemporary political controversy. Physical walls separate men and nations. Legal walls complement the work of steel, concrete and barbed wire. A promised wall against Mexico propelled Donald Trump to the U.S. presidency, and the desire for a “wall” against unwanted migration across the English Channel motivated the Brexit vote.

On the other hand, some walls have come down. Ronald Reagan’s 1987 challenge to Soviet Prime Minister Mikhail Gorbachev, “Tear down this wall”, a challenge that came true in the following two and a half years, has found an echo in contemporary German political life. Angela Merkel, eager to lead a Germany that is a home to refugees, not a creator of refugees, has allowed in large numbers of Middle Easterners fleeing war and terrorism in their homelands to enter. Her actions have inspired admiration in some quarters, but occasioned deep opposition in others.

In Wim Wenders’ 1987 film classic, Der Himmel ueber Berlin, two guardian angels subtly support the life-weary and lift up the downtrodden.  Unlike the people they seek to help, the angels Damiel and Cassiel can walk through walls, including “The Wall”. Eternal, they recall all the ages of the past, including the devastated urban wilderness of 1945, as they move, unseen, throughout their appointed city. They follow an old man, a modern-day Homer, but unlike his namesake, a would-be bard of peace. Homer leads them into the open field that had been the Potsdamer Platz before the War and the ensuing Cold War, but instead of the built-up assemblage of earlier days, they see only the graffiti- covered Berlin Wall. I interpret that scene as the film-maker’s statement on the history of his century: In an era in which militarism, racism, and the quest for domination have supplanted the more positive connotations of Kultur, a wall, Die Mauer, has replaced the architectural glories of civilization.

 

And yet: the negative impact of walls is not the entire story. Walls are bivalent. Walls can sometimes protect, as well as exclude and confine. The wall defined the town in ancient and medieval times. Indeed, Zaun, “palisade”, is etymologically as well as concretely at the heart of the definition of the “town”. The walled city was a haven for the serf fleeing his oppressive master. A sojourn of a year and a day in that jurisdiction annulled any claim to deprive the former serf of his liberty. In the language of the medieval German lawcodes: “Stadtluft macht frei”.

2. Walls in German-Jewish History

           Walls have been prominent in German-Jewish history throughout the past millennium. In 1084, when Archbishop Rüdiger of Speyer invited Jewish merchants into his city to help in its economic development, he “surrounded their district with a fine wall, to protect them from the insolence of the mob.” (1)

But over the course of the High and Late Middle Ages, as the Christian component became more central to regional and national identities throughout Christendom, invitations and charters to groups of Jewish merchants gave way to expulsions of Jewish communities, or failing that, to incarcerations—and protective walls became ghetto walls.

The history of the Jewish community of Frankfurt can serve as a representative example of German Jewry. (2)  In 1462, the Holy Roman Emperor Frederick III forcibly removed the Jews of Frankfurt to a newly-constructed, although unpaved, walled district abutting the old city walls. A thirty-foot high wall cut them off from the world. Bitter, the Jews confined to their street, the Judengasse, called their domicile “New Egypt”. Not the Jews themselves, but their Christian jailers, controlled movement in and out of the ghetto. Jews were locked in every night as well as on Sundays and Christian holidays.

But the greatest Jewish fear during the Middle Ages, as is mentioned in passing in Archbishop Rüdiger’s charter, came not the duly-constituted central government but rather from anti-establishment forces. Rebellions against central authority, in Frankfurt as elsewhere throughout Christendom, featured attacks on the Jews and the plundering of their property. One such attack against the Judengasse of Frankfurt was by a mob incited by the local guild leader Vincent Fettmilch, in 1614. In the aftermath of the attack, the imperial government mounted a stone imperial eagle above the gates to the Jewish street proclaiming that the inhabitants and property of the Judengasse were “Protected by the Roman Imperial Majesty and the Holy Empire.” (3)

Jews had to face other challenges, in addition to mob violence. Local government was often more hostile to Jews than imperial authorities. The Frankfurt city leaders resisted attempts to end the ghetto during the 18th century, when other German ghettoes were being opened up.  The walls of the Frankfurt ghetto were finally demolished in the 1790s, not by the triumph of Aufklärung-era toleration, but as collateral damage caused by the artillery fire of the several attacking armies during the wars of the French Revolutionary era, aiming instead for the city arsenal. Subsequently, in 1806, the city’s French-appointed governor, the Grand Duke Karl von Dalberg, extended the French system of equal rights to adherents of all religious communities in Frankfurt. The city government attempted to reestablish the ghetto in 1807, but in 1811, Dalberg definitively eliminated the requirements for Jews to live in the ghetto and to pay discriminatory taxes—in exchange for a payment of 440,000 guilder by the Jewish community.

The protection of the government “from the insolence of the mob” vanished during the Nazi period, when Hitler’s anti-Semitism united so many Germans of all stations in nationalist and racist frenzy. In 1938, the government itself organized the Kristallnacht attacks upon the synagogues and the Jewish community of Germany. As for “Stadtluft macht frei,” in German-Jewish history, it gave way to “Arbeit macht frei.”

The benumbed survivors, beholding the crematorium that Nazi-dominated Europe had become for Jews by 1945, could not have anticipated that Germany would again become attractive to Jews, seven decades later.  But Jews, including many Israelis as well as those who have left the USSR or post-Soviet Russia, have settled in Germany. In 2006, two thirds of a century after Kristallnacht, the Ohel Jakob synagogue in Munich—the cradle of Nazism– was reopened triumphantly. In 2015, the Jewish population of Germany had risen to 118,000—the eighth largest Jewish population among the countries of the world. Today, in the aftermath of the Brexit vote, there is an upsurge of interest, on the part of English Jews descended from German-Jewish refugees or Holocaust survivors, in reclaiming their German citizenship and moving back to Germany, if necessary.

But for the newly-repatriated Jews of Germany and their children, the Messiah has not come. A growing community with highly visible institutions, the Jews of Germany are nonetheless in need of considerable police protection, against the mounting violence. The attacks on Jews are mostly the work of Arabs in Germany, and to some extent by the neo-Nazis still existing at the fringe of German political life. In 2016 as in 1084, not only those who would divide God’s children into fratricidal camps build walls. Some walls are still needed against those who hate.

3. The Wall of Jerusalem: Exile of the Divine Spirit

Wall of Jerusalem

People praying at the kotel (Western Wall), the holiest site in Judaism.

            The most famous wall in Jewish history is the kotel (“wall”), i.e. the Western Wall.  It is imprecisely thought to be the surviving wall of Herod’s Temple. In fact, the lowermost half of the kotel, partly below and partly above the contemporary street level, is a Herodian-era retaining wall, shoring up the western face of the plaza at the summit of Mount Moriah, known as the Temple Mount. This was the site upon which Herod rebuilt and greatly enlarged the Second Temple.  Like Herod’s building, and contra the current propaganda from Arab and UNESCO circles denying the Jewish connection to the Temple mount, that earlier building, dating to the late 6th century B.C.E., had stood on the footprint of Solomon’s Jerusalem Temple. Much of the kotel was completed during Herod’s lifetime, but recent archaeological excavations have revealed that the basic work on the kotel continued after his death in 4 BCE.  (The top layers of the kotel, composed of smaller stones, are the work of much later builders, Arab and Ottoman.)

After the destruction of the Temple, the kotel, the sole surviving wall of that entire complex, gained in religious significance for Jews. Rabbi Akiva, a leading member of the “Founding Fathers” of Rabbinic Judaism and the preeminent rabbinic mystic of the early 2nd century, is credited with the notion that the Shekhinah (God’s presence) is exiled along with the children of Israel. This idea resonated with later Rabbis. In a standard Rabbinic commentary attributed to the 4th century Rabbi Acha, (Exodus Rabbah 2:2) the Shekhinah, God’s Divine Presence, left the burning Temple to dwell at the kotel, thereby imparting sanctity to it. (4)

It is not surprising that Rabbis were the pioneers of this reinterpretation of the significance of an historical wall. Rabbinic Judaism achieved a position of leadership within the Jewish world precisely because it had a coherent strategy for balancing the traditional and the progressive in the changed conditions of Jewish life after the destruction of the Temple.

Christians referred to the kotel as “The Wailing Wall” (Klagemauer, in 19th century German sources). This was based on the discriminatory restriction of Jewish access to that site. After the Christianization of Rome, Eastern Roman and Byzantine emperors (4th through 7th centuries) barred the Jews from having access to that site except on the anniversary of the Babylonian and Roman destructions of the two successive Jerusalem Temples, both commemorated on the 9th day of the Hebrew month Av. Since the kotel visit was at a time of national mourning, it became connected with “wailing”. (5)

Jewish access to the site waxed or waned depending on the degree of anti-Jewish animus of particular rulers. Formal permission for Jews to worship routinely at the kotel was a product of Ottoman rule in the mid 16th century. Various 19th-century Ottoman administrative firmans reconfirmed the Jews’ ardently-sought right to visit the kotel, in the face of local Arab opposition, while upholding long-standing bans on new construction.

During the period of British administration of Palestine (1917-1948), strife surrounding the Jewish practice of praying at the kotel reflected the growing tensions between local Arabs and the increasing number of Jewish newcomers to the country. The strife came to a head in 1928-1929. On the Day of Atonement in late 1928, Orthodox prayer wardens placed a screen on the pavement perpendicular to the kotel. This was in keeping with Orthodox synagogue practice, to separate the men and the women during prayer. After receiving Arab complaints, British police removed the screen. In 1929, seizing on this opportunity, the local Arab mufti, Haj Amin al-Husseini, orchestrated a series of riots and massacres against Jewish settlers. He incited Arabs to violence by alleging that the Jews were violating the status quo at the Holy Sites and were plotting to seize the Al-Aqsa mosque on the Temple Mount, just above the southern corner of the kotel. (6)

Successive plans to partition Palestine into a Jewish and an Arab state, in 1937 and in 1947, were accepted by Zionist leadership but rejected by the Arab world. When Israel declared its independence in 1948, Jordan was among the Arab states to invade its territory. In the fighting, the Jordanian legion ousted the Israeli defenders from the Old City of Jerusalem, including the kotel and its immediate environs, although Israeli forces controlled the western “New City”.

The armistice ending the fighting between Jordan and Israel took effect by 1949. Article VIII of the Armistice Agreement provided for Jordan to grant Israeli Jews access to the kotel, but Jordan refused to implement that clause. Consequently, no Israelis visited the kotel from 1949 until 1967.

4. The Wall in a Song of Longing

Shuly Nathan

Shuly Nathan, the singer chosen by Naomi Shemer
to perform “Jerusalem of Gold” at the 1967 festival
(Image source: http://www.shuly-nathan.co.il/gallery.en.html)

            At a Jerusalem song festival in May, 1967, commemorating the 19th anniversary of Israel’s independence, a Hebrew song about Jerusalem herself received its premiere The song, “Yerushalayim shel Zahav”, “Jerusalem of Gold”, composed by a leading Israeli songwriter of the 1960s, Naomi Shemer, expressed the longings of the Israeli and the Jew at being unable to enter the Old City and to complete a religious pilgrimage to the Western Wall. In her lyrics, Naomi Shemer evoked the pain of loss: “How the cisterns have dried/ The market place is empty/ And no one visits the Temple Mount /in the Old City”./ Within the rocky caves/ The winds are howling/ And no one descends to the Dead Sea/ By way of Jericho.”

The first stanza of “Jerusalem of Gold” contains a haunting reference to the kotel:

                        Uv’tardemat ’ilan va’even
                        Sh’vuyah bachalomah
                        Ha’ir asher badad yoshevet
                        U-v’libbah—chomah

Several popular translations or paraphrases of the song are current. These versions are meant to fit the prosody of the original melody. They do not reflect the poetic nuances of Shemer’s original lyrics. Moreover, —as translations seldom can—these renditions do not capture Shemer’s biblical allusions.

With these thoughts in mind, I offer the following translation of the second half of the first stanza. I have placed quotations around the biblical quote incorporated into the verse:

                        And in the trance of tree and stone,
                        Like a dreamer, held in thrall,
                        Is the city, who “dwells alone”
                        And in her heart — a wall.

Shemer’s allusion is to the biblical Book of Lamentations 1:1, “Alas, the city, once filled with people, now dwells alone…” That vision, of Jerusalem deserted, opens the biblical lament on the depopulated city whose inhabitants were slaughtered and their few survivors deported to Babylon. There are many references to Jerusalem in the Bible, quite a few of them optimistic. The choice of such a sad image emphasizes the deep sorrow of the songwriter, a Zionist Jew of her generation, beholding the age-old capital of the Jewish world barred from its people.

From start to finish, “Yerushalayim shel Zahav” is a love song, not to an individual, but to the city of Jerusalem.  In that song, the Wall serves as a synecdoche for the Old City of Jerusalem, the Jerusalem of sacred memory.

In the final stanza of the song, Shemer protests her relative lack of worth to be adorning Jerusalem, to be singing its praises: “I am lesser than the least of your children, the last of your lyricists.” The very mention of the city is staggering, in almost a sensuous manner. (7)

                        Key sh’mekh tsorev et ha-s’fatayim
                        Ke-n’shikat saraf
                        ‘im eshkakhekh yerushalayim
                        ‘Asher kulah zahav.

                        For your very name scorches the lips
                        Like the kiss of a seraph of old
                        “If I forget you, o Jerusalem”—
                        She who is all of gold. (8)

In this stanza, Shemer’s biblical quotation is of a Psalm text, and the more hidden allusion is to the inaugural vision of the prophet Isaiah.

Psalm 137 is the great lament of the refugees, sung upon their deportation to Babylon:

                        By the rivers of Babylon
                        There we sat down, and wept,
                        When we remembered Zion. (verse 1)

The conclusion of that Psalm is a vow, taken by the exiles, never to forget Jerusalem, on the pain of dire consequences:

                        If I forget you, o Jerusalem,
                        Let my dominant hand lose its dexterity
                        Let my tongue cleave to the roof of my mouth
                        If I set not Jerusalem above the foremost of my joys. (verse 6)

This verse is honored in Jewish popular culture in several artistic ways. There is a variety of creative responses to its mandate, to set “Jerusalem above the foremost of my joys”:

A home adornment seen in many traditional Jewish households is a mizrach, a plaque or wall hanging placed on the Jerusalem-facing interior wall of the house, filled with quotations and representations designed to call Jerusalem to mind. In this manner, the householder will not invoke the curse of the Exiles by valuing his home more than the Jerusalem home from which he has been exiled. Again, at traditional Jewish weddings, the dancing is high energy, especially the first set immediately following the formal beginning of the wedding meal. As a final song, and a signal to the musicians and dancers to return from delirium to dining, the band will play a traditional rendition of a song, “Jerusalem”.  In this musical manner, the revelers have avoided the sin of forgetting Jerusalem, even at a time of celebrating the joy of connubial bliss, arguably the “foremost joy” that a person can experience.

Shemer’s citation of this verse, therefore, signals an ardent quality to the pledge to remain mindful of Jerusalem and committed to its restoration.

The key to the allusion to Isaiah in the song’s final stanza is the species of angel mentioned in the lyric, the seraph. Shemer specified that order of angel, rather than any other, because “seraph”, from the Hebrew root s.r.ph = burn, means “fiery angel”.

In Isaiah, chapter 6, the prophet experiences his inaugural vision of God.  He envisions God holding court inside the Jerusalem Temple, with ministering angels surrounding His throne and chanting “Holy, holy, holy is the LORD of hosts…” Isaiah regards himself as unworthy to be in the presence of this numinous reality, because he himself is a mortal, a man of unclean lips.  But a seraph touches his lips with a glowing hot coal taken with tongs from the Temple altar, and reassures him that by this contact, the mortal’s sin has been taken away. After that, Isaiah hears the Divine Voice asking for a volunteer to accept the mission of prophesying to the People Israel, and Isaiah offers himself. (Isaiah 6:1-8)

For Shemer, the very name “Jerusalem” scorches the lips, but following the logic of the biblical text underneath her own, she can now be purified enough to fulfill the wish that is the refrain of the entire piece:

                        Ha-lo l’khol shirayikh
                        ‘Ani kinnor

                        For all of your songs,
                        Let me be the harp!

5. The People Have Returned to Their Wall—But They Are a House Divided

Paratroopers

Israeli Paratroopers at the kotel, June, 1967
(Photo by David Rubinger. Source:
https://www.idfblog.com/2012/05/20/three-faces-the-story-of-jerusalems-reunification/)

Shemer’s song proved to be timely as well as timeless. During the weeks encompassing the appearance of “Jerusalem of Gold”, in the Spring of 1967, the Egyptian president Gamal Abdul Nasser—perhaps spurred by Soviet disinformation (9) – resumed the Arab quest to destroy the State of Israel. Egypt and its ally, Syria pressured a reluctant King Hussein of Jordan to join their alliance. Consequently, and against the hopes of Israel’s military planners, one of the fronts of battle during the Six Day War was Jerusalem. After heavy fighting, Israeli forces captured the city.

Israel’s Minister of Defense in 1967, General Moshe Dayan, described the return to the kotel as the symbol of the entire Israeli victory in the Six Day War:

                        There was one moment in the Six-Day War which symbolized the great victory: that                         was the moment in which the first paratroopers — under [General Moti] Gur‘s
                        command — reached the stones of the Western Wall, feeling the emotion of the                         place; there never was, and never will be, another moment like it. Nobody staged                         that moment. Nobody planned it in advance. Nobody prepared it and nobody was prepared                         for it; it was as if Providence had directed the whole >thing: the paratroopers weeping                         — loudly and in pain — over their comrades who had fallen along the way, the words of the
                        Kaddish [the prayer for the dead] heard by Western Wall’s stones after 19 years of silence,
                        tears of mourning,  shouts of joy, and the singing of “Hatikvah“. (10)

The new reality, in turn, found its expression in art. When composing her song, Naomi Shemer had no thought that within weeks, events would overtake the reality of the past 19 years of Israeli exclusion from the kotel. But after the surprising Israeli victory, and the reunification of Jerusalem, she penned a new stanza for her song:

                        Chazarnu el borot hamayim
                        Lashuk velakikar
                        Shofar kore’ behar habayit
                        Ba’ir ha’atikah

“We have returned to the cisterns/ to the market and the square/ a shofar sounds on the Temple Mount/ in the Old City”.

Even secular Israeli Jews—roughly 80% of Israeli Jews in 1967 were secular rather than Orthodox—were caught up in the spiritual excitement of being able to return to the kotel. Images of battle-hardened soldiers, praying and crying at the kotel, filled the nation’s news. In that atmosphere of crisis, followed by relief, Shemer’s song became a second national anthem. The subjunctive mood of the final line of the refrain, “let me be the harp”, became understood as an indicative declaration: “For all your songs, O Jerusalem, I am the harp.”

In the half-century since the Six Day War, Jerusalem has remained central to the national aspirations of the Jewish people, and the kotel, in its heart, has remained a focal point of Jewish concern.  In our era of ubiquitous cameras, a “kotel-cam” allows viewers world-wide to gaze upon the wall and the activities taking place in its vicinity, 24 hours a day. It is a destination of choice of millions of visitors from Israel and abroad each year. In the Hebrew month of Tishrei (September/October), the season of the Jewish High Holidays, numbers of visitors climb. A record 1.5 million visitors went to the kotel in Tishrei, 2009. (11)

But tensions endure. Security is tight at the kotel, because of concerns for the safety of the worshipers.

In addition to the stubbornly-persisting Arab-Israel dispute, involving claims and counter-claims about the significance of the kotel in Judaism and in Jewish history, there is also an intra-Jewish debate about access to the kotel. One of the significant religious developments within Judaism during the decades since 1967 has been the rise and growth of feminism within non-Orthodox Jewish religious communities. Non-Orthodox Jews do not separate men and women during worship, and in their worship services, women as well as men, sing or chant audibly. Both of those departures from pre-modern Jewish tradition are anathema to the Orthodox. Hence, the conduct of worship at the kotel has been a point of contention for decades.

Israel’s government, responding to political considerations—Orthodox political parties are in the ruling coalition– has typically sided with the Orthodox side of the debate. Even after negotiating compromises with the representatives of non-Orthodox Jewish groups about where groups of women may pray, the Israeli government has bowed to pressure from fervently Orthodox segment of the Israeli electorate and failed to honor those agreements. However, The Israeli Supreme Court has ruled against the government in this matter. It has mandated that one section of the kotel, the part most traditionally visited over the past several centuries, shall keep the gender-dividing screen erected by the Orthodox rabbinate, to satisfy the concerns of that portion of the faith community, but that another part of the kotel, closer to its southern terminus, should be open for egalitarian worship, men and women commingling and participating equally. The fervently orthodox, for their part, are seeking to enact new laws to undo the Supreme Court ruling. As of this writing, Israel’s interior minister, Aryeh Deri, representing the “Shas” orthodox political party, is introducing a bill into Israel’s parliament to criminalize non-gender segregated Jewish worship at any portion of the kotel. (12)

The situation remains unresolved today. In this instance, it is not the Wall that divides, but people’s contradictory views about what is appropriate in that symbolically important venue.

 

Amidst the welter of connotations, both positive and negative, about walls, perhaps a closing image, taken from the biblical book of Psalms, will serve as a reminder that the idealist still yearns for a radically better tomorrow, in which the sight of walls—Jerusalem’s walls, in particular— can inspire people to reaffirm the best of our hopes, not the worst of our fears.

                        Walk all about Zion, encircle her.
                        Count her towers, review her ramparts, scan her citadels.
                        Then tell her story to later generations;
                        Tell of our God Who will guide us forever. (Psalm 48:14-15)

 

Note: This essay is an independent meditation on walls, from a Jewish perspective, but it may be read as a companion piece to the earlier meditation that I published in Glossen 39 (2014), “There are People with Stony Hearts. There are Stones with Human Hearts” — on the twenty-fifth anniversary of the Fall of the Berlin Wall”.

 

Notes

  1. Archbishop Rüdiger’s charter has often been anthologized. See, among other sources, William W. Hallo, David B. Ruderman and Michael Stanislawski, eds, Heritage: Civilization and the Jews Source Reader. (NY: Prager Publishers, 1984), p. 123.
  1. On the establishment of the Frankfurt ghetto, the attack on the ghetto by the followers of Vincent Fettmilch in 1614, and the eventual physical and legal destruction of the ghetto during the French Revolutionary and Napoleonic period, see A. Freimann and F. Kracauer, Frankfort, in the “Jewish Communities Series”, (Philadelphia, Jewish Publication Society of America, 1929), pp. 40-43, 95-104, 106-107, and 177-208.
  1. Imperial German protection of Jews of the Holy Roman Empire was a stable—if often inadequate— feature of Jewish political history for the half millennium following the massacres of Rhenish Jewry during the First Crusade, 1096. See Guido Kisch, The Jews in Medieval Germany (Chicago: The University of Chicago Press, 1949), especially p. 34 and pp. 107-110.
  1. Gershom Scholem, On the Mystical Shape of the Godhead: Basic Concepts in the Kabbalah, trans. Joseph Dan (NY: Schocken Books, 1991) pp. 140-196. On Rabbi Akiva and the concept of God’s Divine Presence accompanying the Jewish people into their Exile, see Scholem, p. 148.
  1. Hence, the designation “Western Wall” is older than the usage “Wailing Wall”. See Hillel Halkin, “Philologos” column, Forward newspaper, January 12, 2001.
  1. Haj Amin al-Husseini was the father of modern Arab and Islamic politics. After inciting the anti-Jewish riots of 1929, he orchestrated the Palestinian Arab revolt against British authority in Palestine and against Jewish settlers, 1936-1938. With the British suppression of that revolt, he escaped to Berlin, where he was warmly welcomed by Adolf Hitler. Al-Husseini worked for the Nazi regime to recruit Bosnian Muslim soldiers for the SS. The Handzar division of the SS committed atrocities against Jews and partisans in France and in the Balkans. After the Nazi defeat, al-Husseini escaped to Cairo, where he mentored the young Yasser Arafat. He, thus, personally represented the link between Islamism and Nazism.  See Barry Rubin and Wolfganag Schwanitz, Nazis, Islamists and the Making of the Modern Middle East (Yale University Press, 2014), pp. 150-152 and 230-233. While the U.S. State Department initiated procedures to bring al-Husseini to justice, the CIA intervened to protect him, and he ultimately died of natural causes in Beirut in 1974.
  1. Psychologists speak of “Jerusalem Syndrome”, a mental unbalancing experienced by certain religious souls upon encountering Jerusalem. On several occasions, in the course of my visits to Jerusalem, I have witnessed people, outlandishly garbed in pseudo-biblical costume, behaving erratically in public venues.
  1. My translation of this stanza, and of Psalm 137:6, below.
  1. See Isabella Ginor and Gideon Remez, Foxbats Over Dimona – The Soviets’ Nuclear Gamble in the Six-Day War, Yale University Press (New Haven & London, 2007). This work of investigative journalism relies on Soviet archives, opened to researchers only after the fall of the Soviet Union. The authors’ thesis is that, fearful of Israel’s progress towards attaining nuclear power, the Soviets incited the 1967 war by giving disinformation to Nasser. Their plan was to send their air force pilots to Egypt to fly their own advanced warplanes, MiG-25 fighters, known as “Foxbats”, disguised as Egyptian air force planes, and to bomb Israel’s Dimona nuclear reactor. The Israeli destruction of the Egyptian air force in the first 90 minutes of fighting in the 1967 war thwarted that plan.
  1. Dayan’s recollections were quoted by Prime Minister Rabin in a 1995 address to the Israeli parliament on “Jerusalem Day”, the date on the Hebrew calendar corresponding to the anniversary of the Israeli victory in the battle of Jerusalem. Rabin himself had served as the Chief of State of the Israel Defense Forces in that war. See “Address to the Knesset by Prime Minister Rabin on Jerusalem, 29 May 1995”. Israel Ministry of Foreign Affairs.
  1. Arutz Sheva / Israel National News, Oct. 19, 2009.
  1. “Haredi lawmakers look to outlaw mixed prayer at Western Wall”, The Times of Israel, Nov. 29, 2016. Regarding egalitarian public worship at the “Robinson’s Arch” location of the kotel: I myself have conducted such services at this alternate location on several occasions over the past decade.

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Dec 27 2016

My Own Private Hieroglyphs: “Mr. & Mrs. KKK Making Hate” and “The Woman and the Devil”

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von Peter Wortsman

In jüngeren Jahren fehlte mir manchmal die genügende Klarheit, mich in Worte auszudrücken. Da griff ich als Zuflucht in eine Bildersprache zurück, my own private Hieroglyphs. Sie sind Produkte eines verkrampften Unmutes. Die meisten Cartoons, die ich damals mit der linken Hand kritzelte, landeten sofort im Mülleimer. Unter den überlebenden Bildern sind ein paar, die vielleicht etwas über die heutige Unruhe aussagen. Ich überlasse es dem Leser, oder vielmehr dem Betrachter, die zwei Skizzen „Mr. and Mrs. KKK Making Hate“ und „The Woman and the Devil“ als Trump-l’oeis im heutigen Teufelskreis der Unvernunft zu deuten.

Wortsman Mr. and Mrs. KKK Making Hate

Wortsman The Woman and the Devil

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Aug 29 2016

‘Habent sua fata libelli’: Zum Interim von Glossen

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von Frederick A. Lubich

„Bücher haben ihre eigenen Schicksale“, so wusste es schon der altrömische Grammatiker Terentianus Maurus im dritten Jahrhundert vor Christus. Spätestens zur Zeit des europäischen Humanismus ist dieser altehrwürdige Ausspruch zur zeitlosen Spruchweisheit geworden. Jedoch nicht nur Bücher haben ihre Schicksale, sondern auch Zeitungen und Zeitschriften. So gab es zum Beispiel im neunzehnten Jahrhundert in den Vereinigten Staaten zahlreiche deutschsprachige Zeitungen, jedoch nicht zuletzt die zwei Weltkriege haben ihnen einen nachhaltigen Schicksalsschlag versetzt. Heute gibt es hierzulande nur noch eine Handvoll solcher Zeitungen, die sich aus jener Zeit erhalten haben, allen voran die New Yorker Staatszeitung und die Nordamerikanische Wochenpost. Und wer weiß, wann auch den letzten deutschsprachigen Zeitschriften hier in Nordamerika, wie etwa dem rund hundertjährigen Magazin Das Fenster, die Stunde schlagen wird. Und auch in südamerikanischen Ländern wie Brasilien und Argentinien ist es um die einstige Vielfalt deutschsprachiger Publikationsorgane ähnlich bestellt.

Für Glossen hat sich jedoch das geflügelte Wort vom Schicksal der Bücher buchstäblich in Form der Beflügelung bewahrheitet. Die Zeitschrift ist das erste deutsch-amerikanische Kulturjournal seiner Art, das sich von Anfang an vom Papier löste und dessen Seiten sinnbildlich gesprochen Flügel entfalteten und in den elektronischen Cyberspace abhoben – oder auf gut Deutsch-Amerikanisch: Glossen startete Online!

Werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf die Geschichte dieser elektronischen Zeitschrift. Im Jahr 1997 gründete die deutsch-amerikanische Germanistengruppe bestehend aus Christine Cosentino, Wolfgang Ertl und Wolfgang Müller die Zeitschrift mit dem Untertitel German Literature and Culture after 1945 als eines der ersten multi-medialen Online-Magazine im internationalen Kulturbetrieb, das sich folgendermaßen definierte: „Glossen is a peer reviewed, bi-lingual scholarly journal on literature, art, and culture in the German speaking countries after 1945. […] It contains scholarly articles, original literary texts in German or in English translation, images, audio, and video representations. The journal appears online two to three times a year and encourages contributions of scholarly and creative nature which take advantage of the online format.”

Mit Wolfgang Müller als “Managing Editor” und einem festen, redaktionellen Mitarbeiterstab von insgesamt sechs Mitgliedern stieg Glossen über die Jahre zu einem der bekanntesten und angesehensten Journale seiner Art diesseits und jenseits des Atlantiks auf. Um aus der Reihe der zahlreichen Beiträger nur einige der namhaften Autoren und Autorinnen zu nennen: Gabrielle Alioth, Michael Augustin, Michael Blumenthal, Bas Böttcher, Volker Braun, Thomas Brussig, F.C. Delius, Esther Dischereit, Jörg Drews, Gabriele Eckart, Michael Eskin, Jochen Gerz, Freya Klier, Alexander Kluge, Uwe Kolbe, Stefan Krawcyk, Günter Kunert, Anton Leitner, Doris Liebermann, Sten Nadolny, Oskar Negt, Auma Obama, Utz Rachnowski, Anna Rosmus, Hans Joachim Schädlich, Christoph Schlingensief, Helga Schubert, Ingo Schulze, Rainer Stollmann, Ulrich Treichel, Gerald Uhlig-Romero, Alissa Walser, Peter Wortsman und – last but not least – der berühmteste Namen unter ihnen, Herta Müller, Nobelpreisträgerin für Literatur.

In seiner konzeptionellen Mannigfaltigkeit, die von literarischen, literaturkritischen und kulturhistorischen Essays über Anekdoten, aktuelle Blogs, satirische Vignetten, Rezensionen,  Künstlerportraits und Interviews bis zu Tonaufnahmen, farbigen Bildsequenzen, Video-Aufzeichnungen von literarischen Lesungen und ausführlicheren Fragebögen zum Thema der Emigration und Integration reichte, hatte sich Glossen im Laufe der Zeit mit seiner immer wieder illustren kreativ-publizistischen Gesellschaft zu einem einzigartigen Kommunikationsmedium im internationalen Gedankenaustausch profiliert. Vor allem die politischen Spannungen und kulturellen Widersprüche im gespaltenen wie auch wiedervereinten Deutschland standen dabei immer wieder im Brennpunkt der Diskussionen und – mutatis mutandis – der Kontroversen und Provokationen. So musste zum Beispiel auch noch in einer der jüngsten Ausgaben ein von beiden Seiten ursprünglich gutgeheißenes und bereits publiziertes Interview im Nachhinein auf Antrag der Autorin, mit der das Gespräch geführt worden war, wieder gelöscht werden.

Kultur hin und Politik her, in jedem Fall war das Online-Journal im Laufe der Jahre immer mehr zu einem virtuellen, transatlantischen Ocean-Liner zwischen Alter Welt und Neuer Welt geworden, der in seiner facettenreichen Konzeption immer wieder durch theoretischen Tiefgang wie multimedialen Hochglanz zu brillieren verstand. In anderen Worten, Glossen war „glossy and profound“ und in seinen diversen Foren glaubten sich seine Autorinnen und Autoren noch lange kreativ tummeln und kritisch austauschen zu können.

„Life is what happens while you are busy making other plans” – so meinte schon John Lennon und ihm mehr oder weniger folgend glaubte auch Wolfgang Müller nach vierzig Glossen-Nummern im Frühjahr 2015 aus heiterem Himmel das Ende dieses Cyber-Journals verkünden zu können. Jedenfalls ging der graugewordene Lotse, schnauzbärtig wie der alte Bismarck, so unauffällig wie unwiderruflich von Bord – und nach ihm sollte auch sein Schiff ebenfalls sang- und klanglos untergehen. So zumindest hatte er es geplant.

Auf Grund zahlreicher Schreiben, die den dräuenden Untergang von Glossen sehr bedauerten und auch immer wieder die Hoffnung auf eine Weiterführung dieses in seiner Art einzigartigen transatlantischen Journals zum Ausdruck brachten, habe ich mich schließlich bereit erklärt, zur Überbrückung als sein Interim Managing Editor zu fungieren, bis die Position wieder fest besetzt werden kann. Rührt/rühren Sie also bitte entsprechend die Werbetrommel, damit sich bald eine permanente Herausgeberschaft etablieren kann.

Was das Interim-Team betrifft, so hat sich in der Zwischenzeit eine Gruppe von rund zwanzig Mitstreitern zusammengefunden, die definitives Interesse an einer Mitarbeit in einem vorläufigen Advisory Board und Editorial Board bekundet haben. Im Sinne unseres transatlantischen Unternehmens kommen sie denn auch aus einem halben Duzend Ländern in verschiedenen Erdteilen, inklusive Deutschland, Irland, England, Kanada, Nord-Amerika und Neuseeland. Zu ihnen gehören Gabrielle Alioth, Michael Augustin, Gerrit-Jan Berendse, Heinz Blumensath, Michael Blumenthal, Ingo Cornils, Christine Cosentino, Gabriele Eckart, Michael Eskin, Silke Falkner, Gisela Holfter, Elke-Vera Kotowski, Marko Martin, Hans Mayer, Stephan Resch, Jay Rosellini, Anna Rosmus, Kerstin Steitz, Rainer Stollmann, Peter Wortsman und Fred Viebahn. Besondere Erwähnung verdient Sarah McGaughey, eine frühere Kollegin Wolfgang Müllers am Dickinson College in Pennsylvanien, die sich begeistert bereit erklärt hat, als Online Editor die computertechnische Seite von Glossen zu übernehmen.

Im Namen aller Mitglieder des Herausgebergremiums möchten wir Autorinnen und Autoren einladen, sich mit Beiträgen sowie Fragen und Vorschlägen bezüglich einer möglichen Mitarbeit an Sarah McGaughey oder mich zu wenden und wir werden sie dann gegebenenfalls im Plenum weiterdiskutieren. Wie bisher sind nach vorheriger Absprache auch Rezensionen von relevanten Neuerscheinungen, Interviews mit profilierten Persönlichkeiten aus dem kreativen und kulturpolitischen Bereich und natürlich literarische und literaturkritische Beiträge im thematischen Rahmen dieses Publikationsorgans weiterhin sehr willkommen.

***

„Music is your only friend until the end“, das war nicht nur die unausgesprochene Losung der Musikkapelle, die an Bord der Titanic bis zum Untergang aufgespielt hatte, sondern vor allem auch die explizite Maxime der Doors in einem ihrer populärsten Rocksongs. Die Macht und Magie der Musik! Obgleich Glossen immer wieder verschiedene Bereiche künstlerischen Schaffens und Gestaltens thematisiert hatte, spielte die Welt der Musik in diesem Magazin bislang nur eine marginale Rolle. Schön wäre, wenn sich künftige Beiträge auch mit diesem Thema des transatlantischen Kulturtransfers ausführlicher beschäftigen würden. Von Erich Wolfgang Korngolds vielfacher Bereicherung der Hollywood’schen Filmmusik über die musikalische Avantgarde deutscher Techno-Bands wie Kraftwerk und Tangerine Dream oder auch Rammsteins Gothic-Metal-Rock und seine international so erfolgreichen schock- und schauerromantischen Bühnenspektakel bis hin zum jiddischen Klezmer-Tango und der Fusion von deutsch-arabischem und afro-amerikanischem Rap und Hip Hop lassen sich immer wieder musikalische Einflüsse und stilistische Vermischungen zwischen Alter Welt und Neuer Welt feststellen, die sich kulturhistorisch wie gesellschaftspolitisch aufschlussreich weiterverfolgen ließen.

Ein ähnlich unterbelichtetes Thema des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs stellte in diesem Journal bislang auch die Welt des internationalen Films dar. Von Carl Laemmle, dem Gründervater von Universal Studios, und Ernst Lubitsch, dem Bahnbrecher der romantischen Filmkomödie, bis zu Wolfgang Petersen und seinem amerikanischen Durchbruchserfolg Das Boot und nicht zuletzt Roland Emmerich, dem unbestrittenen Großmeister des apokalyptischen Katastrophenkinos, ziehen sich die deutschen Spuren durch die Traum- und Alptraumfabrik von Hollywood.

The Day After Tomorrow lautet einer der bekanntesten Blockbuster des internationalen „Masters of Desaster“ aus dem schwäbischen „Muschterländle“. Emmerichs Filmdrama ist eine endzeitliche Mauerschau, in der Manhattan, die imposante Metropole und architektonische Stamm- und Hochburg der westlichen Moderne, von einer eiszeitlichen Sturmflut überschwemmt wird und letztendlich hoffnungslos in ihr untergeht. Die entsprechend internationale Diskussion um den weltweiten Klimawandel sowie die systematische Erforschung und Entwicklung erneuerbarer Energien zum nachhaltigen Schutz der gefährdeten Umwelt sind denn auch aktuelle Themenkomplexe und grundlegende Erfahrungsbereiche, in denen sich die grüne Politik und die diversen ökologischen Projekte der Bundesrepublik in den letzten Jahren weit über ihre Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht haben.

Ein weiteres, transatlantisch relevantes Thema wäre der Übergang von der Exilforschung zur Emigrantenforschung. Während die amerikanische Nachkriegsgermanistik auf bedeutende Weise von deutschsprachigen Exilanten des Dritten Reiches geprägt wurde, werden jüngere akademische Generationen zunehmend von deutschsprachigen Emigranten abgelöst, die aus ganz anderen Beweggründen nach Amerika ausgewandert waren. Auch ihre Lebensläufe, ihre Träume und Wirklichkeiten, wären sicherlich ein aufschlussreiches Forschungsgebiet.

„Die Muttersprache als Heimat der Heimatlosen“, so hatte einst der aus Nazi-Deutschland nach Amerika geflohene Klaus Mann seine Beziehung zur Muttersprache charakterisiert. Wie stehen  heutige deutschsprachige Auswanderer, die viele Jahre nach dem unsäglichen  Zivilisationsbruch des Dritten Reiches in die Vereinigten Staaten ausgewandert sind, zu ihrer deutschen Muttersprache? Von den diversen nationalen Mythen und kritischen Theorien um die vielbeschworene „Heimat“, die sich über Generationen im deutschsprachigen Kulturkreis Mitteleuropas entfalten haben, hier einmal ganz zu schweigen.

Und nicht zuletzt das hochaktuelle Thema der Fluchtburg Europa, die politisch so umstrittene Gegenwartsgeschichte der Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten, die sich Richtung Norden wälzen, um schließlich ganz Deutschland zu überfluten – wie jene wachsenden Bevölkerungsmassen meinen, die einmal mehr das Ende der Alten Welt, den sagenhaften Untergang des Abendlandes am Horizont heraufziehen sehen. Und in der Neuen Welt brauen sich ähnlich fatal-epochale Schauergeschichten zusammen, schenkt man den düsteren Beschwörungen des derzeitigen republikanischen Präsidentschaftskandidaten und seiner beträchtlichen Wählergefolgschaft weiteren Glauben. Diese zunehmenden Krisen- wenn nicht gar Panikstimmungen diesseits und jenseits des Atlantiks stellen sicherlich den virulentesten transnationalen Spannungsbogen unserer Gegenwart dar.

In diesem Zusammenhang können so manche von uns, die wir selbst diesen vielberufenen Migrationshintergrund haben oder auch uns noch gut an die Erzählungen unserer ausgewanderten Eltern oder Großeltern erinnern können , weitere persönliche Erfahrungen und relevante Betrachtungen über Glossen und seine interdisziplinäre Plattform austauschen. Deutschland, Europa und letztlich die ganze Welt stehen vor globalen Herausforderungen und internationalen Bewährungsproben, die sich möglicherweise am kongenialsten im realistisch-utopischen Pioniergeist der deutsch-amerikanischen Doppelparole bewältigen lassen: „Das schaffen wir“ – „The sky is the limit“! Oder doch nicht?

Mauerbau und Mauerschau: Im polemischen Rahmen dieser kritisch-kreativen Perspektive sind alle Interessenten eingeladen, sich mit entsprechenden Beiträgen an der nächsten Glossen-Nummer zu beteiligen. Das Format schließt dem bewährten Konzept von Glossen folgend sämtliche kommunikative Gattungen ein von sprechenden Bildern und aufschlussreichen Geschichten bis zu kulturkritischen Analysen und sozialpolitischen Berichten. Da sich die sprichwörtliche Mauerschau, die bekanntlich auf die homerische Kassandra im kleinasiatischen Troja zurückgeht, letztlich vor allem auf persönliche Eindrücke und emotional-impressionistische Augenblicke beruft, sind entsprechend ebenso kurze Texte willkommen, in anderen Worten Schmähgedichte, Hohe Lieder, Scherbengerichte … anything goes. You go. In German or in English.

Im Idealfall bildet die auf diese Weise entstehende Meinungsvielfalt ein facettenreiches Panorama, das Gegenwart und Zukunft so kontrovers wie konstruktiv zu illuminieren vermag. Da erfahrungsgemäß die Beiträger von Glossen auf Grund der transatlantischen Spannbreite und internationalen Reichweite des Journals ebenfalls verschiedenster Herkunft sind, bitten wir entsprechend, dem jeweiligen Beitrag auch einen kurzen Lebensabriss mit wesentlichen bio-bibliografischen Daten bis zu maximal hundert Wörtern beizufügen. Einsendetermin für die nächste Glossen-Nummer ist der 30. November 2016.

Zum Schluss sei an dieser Stelle den bisherigen Mitgliedern der Glossen-Redaktion Michael Augustin, Gerrit-Jan Berendse, Heinz Blumensath und Rainer Stollmann sowie den Gründungsmitgliedern Christine Cosentino und Wolfgang Ertl für ihre langjährige und erfolgreiche Arbeit an Glossen noch einmal herzlich gedankt. Ein besonderes Dankeschön gilt Wolfgang Müller, dem Ehrenmitglied des Interim-Herausgebergremiums, der als „Managing Editor“ federführend dieses Online-Journal über all die Jahre aufgebaut und weitergeführt hat. Zu zusätzlichen editorischen Gesichtspunkten und autobiografischen Hintergründen seines in den Ruhestand getretenen Hauptherausgebers siehe auch das ausführlichere Gespräch mit Wolfgang Müller in dieser Ausgabe.

Die vorliegende Nummer 41 stellt die erste Ausgabe unter dem neuen Interim-Team dar. In Weiterführung der bewährten Glossen-Tradition versammelt sie literarische und literaturkritische Beiträge, sowie Rezensionen und Interviews.

***

„Habent sua fata libelli“. Da Glossen wie schon Hermes/Merkur, der antike, griechisch-römische Götterbote, vergleichbare, sprichwörtliche Flügel besitzt, die seine Texte in den elektronischen Cyberspace tragen, werden die weiteren Nummern mit wachsendem High-Tech auf jedem Kindle und Smart-Phone überall und jederzeit abrufbar sein. Und wenn wir alle so akademisch wie kritisch-kreativ an Glossen mitarbeiten, dann wird diesem Journal auch weiterhin ein gutes Schicksal beschieden sein. In diesem Sinne freuen wir uns im Namen des gesamten Interim-Teams auf Zuschriften und verbleiben mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen

 

Frederick A. Lubich, Interim Managing Editor
flubich(at)odu.edu

Sarah McGaughey, Interim Online Editor
mcgaughs(at)dickinson.edu

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Aug 27 2016

“The Stars Look Very Different Today“

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Transatlantische Erinnerungen an David Bowie (1947-2016)

von Frederick A. Lubich (Text), Susan Wansink (Fotografie)

„I’m floating in a most peculiar way
and the stars look very different today

far above the world / planet Earth is blue
and there is nothing I can do.”
David Bowie, „Space Oddity“

Der kreative Spannungsbogen von David Bowies kometenhafter Karriere findet in der modernen Pop- und Rockgeschichte wohl nicht seinesgleichen. Er hat jedoch in Goethes klassisch-romantischem Weltgedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ einen metaphorischen Vorläufer:

„Des Menschen Seele / gleicht dem Wasser,
vom Himmel kommt es / zum Himmel steigt es
und wieder nieder / zur Erde muss es / ewig wechselnd.“

So beginnt die episch-poetische Parabel des Weimarer Dichterfürsten, die den realen Lebenslauf und die imaginäre Seelenwanderung des Menschen zwischen Diesseits und Jenseits im Bild des Wassers und seines ewigen Kreislaufs zwischen Himmel und Erde sinnbildhaft veranschaulicht. Goethes Gedicht schließt mit den Versen:

„Seele des Menschen / wie gleichst du dem Wasser,
Schicksal des Menschen / wie gleichst du dem Wind.“

Seit meinen frühen Lehr- und Wanderjahren durch die Alte und Neue Welt begleitet mich im Geiste dieses wunderbare Gleichnis. Als David Bowie Anfang dieses Jahres starb, erinnerte mich sein Tod und darüber hinaus seine musikalische Evolution einmal mehr an Goethes große, parabolische Weltvision. Und dafür gibt es mehrere transatlantische, deutsch-amerikanische Gründe.
Als ich 1972/1973 als junger Bummelstudent ein Jahr in Newcastle upon Tyne, der alten Hafenstadt im Norden Englands lebte, sah ich David Bowie zum ersten Mal live auf der Bühne. Während er zu jener Zeit auf dem Kontinent noch eher ein dunkler Geheimtipp war, hatte er in England bereits den Status eines leuchtend aufsteigenden Rockstars erreicht. Dennoch war er auf diesem Konzert zum Greifen nah. Er befand sich damals in seiner Ziggy-Stardust-Phase und ich war von seiner evokativen Stimme, seinen exorbitanten Liedern und seinem extravaganten Schauspiel sofort gebannt und begeistert. Ich kann mich noch gut erinnert, wie er sich während des Konzerts auf seinen hohen Plateaustiefeln staksend in sein Mikrofonkabel verhedderte, das ihn langsam aber sicher zu Fall brachte. Er ging jedoch so geschmeidig zu Boden und stand auch ebenso gewandt wieder auf, dass sich mir dieses Bild bald zu einem Sinnbild mit dem entsprechenden Untertitel verdichtete: „Like a fallen angel.“

Ein Vers aus Bowies Liedern, der mir damals besonders nachging, war „after all“, ein Kehrreim des Liedes „After All“ aus dem Album The Man Who Sold the World. In ihm fanden sich so kryptisch-provokative Verse wie “Live your rebirth and do what you will!“ oder auch so exaltiert-ekstatische Visionen wie „We’re painting our faces and dressing in thoughts from the skies, from paradise!”

“Oh no love! You’re not alone“, so beteuerte Bowie bald danach in “Rock ‘n’ Roll Suicide”, dem großen Hit seines nachfolgenden Albums Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars. Spätestens da wusste ich damals als rebellischer, gründlich abgefallener Katholik aus einem tiefgläubigen Elternhaus, dass auch ich einen Schutzengel hatte, der mich verstehen und auf meinem weiteren Lebensweg begleiten würde. Jedenfalls versprach Ziggy Stardust himmelhoch jauchzend:

„I’ve had my share, I’ll help you with the pain,
you’re not alone / just turn on with me …
let’s turn on and be not alone, gimme your hands
cause you’re wonderful, oh gimme your hands.”

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen! Und überhaupt, ganz allgemein betrachtet erwies sich aus objektiver Perspektive Ziggy Stardusts stürmische Welt- und Alleroberung als eine Art musikalische Wiedergeburt des klassisch-romantischen Sturm und Drangs in Form eines rockend verlockenden Sphärengesangs und war somit Teil jener utopischen Energie, die damals eine ganze Jugendgeneration rund um die Welt erfasste und begeisterte. In anderen Worten:

Ziggy Stardust

You were our heavenly high,
our bridge over troubled water – our rainbow in a stormy sky.

***

“Schöne Fremde” heißt ein Gedicht von Joseph von Eichendorff, dessen letzte Strophe lautet:
„Es funkeln auf mich alle Sterne
mit glühendem Liebesblick,
es redet trunken die Ferne
wie von künftigem, großem Glück.“

So wie sich Eichendorff einst in seiner Studentenzeit in Heidelberg in sein Rohrbacher Käthchen verliebt hatte, so sollte auch ich mein Herz in Heidelberg verlieren und zwar an ein kalifornisches Mädchen aus San Diego, das als Austauschstudentin in das alte Lieblingsstädtchen der deutschen Romantiker gekommen war. Als Eichendorffs Liebesgeschichte mit seinem Rohrbacher Käthchen in die Brüche ging, wollte er als Spielmann in die Welt hinausziehen, wie man von seinem Gedicht und mehrfach vertonten Lied vom „Zerbrochenen Ringlein“ erahnen kann. Ja er trug sich bekanntlich sogar mit dem Gedanken, nach Amerika auszuwandern …

„Wer in die Fremde will wandern,
der muss mit der Liebsten gehen.“

So beginnt sein Gedicht „Heimweh“ – und damit nicht auch mich das Geschick seiner Heidelberger Liebesgeschichte heimsuchte, bin ich denn bald gern seinem romantischen Ratschlag und somit meiner „Liebsten“ gefolgt, zumal sie gleich zweimal aus dem sonnigen Süden kam, da ihr Vater aus der römischen Campagna stammte. Von Eichendorffs Taugenichts und seiner Sehnsucht nach dem schönen Italien ganz zu schweigen, – diesem wandernden, schlesisch-böhmischen „Haderlumpen“, wie man in meiner ehemals mährischen – und vordem so österreich-ungarischen – Familie derartig fremdländische Gestalten früher zu nennen pflegte.

Auch meine Liebste war ein großer Bowie-Fan und zudem eine begabt-begeisterte Tänzerin und so haben wir beide denn vor unserem Abschied von Heidelberg auch noch eines von Bowies Deutschland-Konzerten im nahen Mannheim besucht. Er war damals in seiner White-Duke-Phase, ein eleganter Eintänzer, leichtfüßig stepptanzend  – einem beschwingten Engel gleich –  grad so als ging‘s federleicht Stufe für Stufe hinauf ins musikalische Himmelreich.

Bald danach zogen wir in die Neue Welt, wo ich denn in der Tat im Laufe der Jahre nach  altem amerikanischem Brauch ein „gypsy scholar“, also ein Wandergelehrter werden sollte. Unsere erste Station war Ithaca, upstate New York. Von dort ging es dann einige Monate später mit dem Greyhound Bus immer weiter nach Westen Richtung Kalifornien. Im gleichen Zeitraum zog Bowie von Los Angeles in die umgekehrte Richtung zurück in die Alte Welt, nämlich nach West-Berlin. Und als wir nach fast einem Jahrzehnt von New York City, uptown Manhattan, fortzogen und nach weiteren Zwischenstationen schließlich in Süd-Virginia landeten, zog Bowie nach New York City, downtown Manhattan.

Passend zum „gypsy scholar“ entpuppte sich meine Liebste – Neue Welt her und alte Welt hin – frei nach Carlos Santana mehr und mehr als meine wanderlustige „gypsy queen“. And between good-for-nothing and good-for-something we were on the road … again and again … easy riders just like way back when! Ergo, gaudeamus … juvenes dum sumus! Et nota bene! Vivat Musica! Vivat Academia! So zumindest hätten es Eichendorffs fahrende Studenten in seiner Taugenichts-Erzählung zum Ausdruck gebracht.

Während all dieser Wanderjahre begleiteten uns Bowies Balladen und künstlerische Eskapaden und natürlich nicht nur uns, seine oft so wildromantischen Weisen wurden vielmehr für Millionen unserer Generation zum Soundtrack unserer mehr oder weniger rast- und ruhelosen Lebensreisen. „Schläft ein Lied in allen Dingen …“, so beginnt wohl Eichendorffs bekanntester Vierzeiler und David Bowie, der irdische Traumtänzer und überirdische Geisterfahrer par excellence, wusste so manch melodischen Funken aus den schlummernden Dingen dieser wundersamen Welt und ihres so unergründlichen Weltalls zu schlagen. Um hier nur einige seiner bekanntesten Hits zu nennen.

„Fame“ aus dem Jahre 1975 ist nicht nur bemerkenswert, weil dieses Lied Bowies erste Nummer eins in den Vereinigten Staaten wurde, sondern auch weil es in Kollaboration mit John Lennon entstanden ist, dem anderen legendären „God of Rock“ und zweiten großen Idol meiner Jugend – der zudem seinen Ruhm mit dem Leben bezahlen musste. Ein Märtyrer seiner Musik und Prophet einer besseren, heileren Welt.

„Rebel, Rebel“ war das subversiv internationale Fanal zur Rebellion gegen die moralische  Autorität der älteren Generation, eine Parole, die vor allem vielen von uns jungen Deutschen der ersten Nachkriegsgeneration besonders imponierte, die wir uns in den späten Sechziger und frühen Siebziger Jahren in ganz West-Deutschland zur sogenannten „Außerparlamentarischen Opposition“ formierten und A. S. Neills Schriften zur anti-autoritären Erziehung zu einem der Gründertexte des ersehnten New Age deklarierten.

„Fashion“, vielleicht das bekannteste Beispiel für Bowies Glam-Rock-Stil, wurde zum Hohen Lied auf unsere diversen Modetorheiten, die radikal mit allen Konventionen samt ihren gesellschaftlichen Geschlechtsdefinitionen brachen. Als zum Beispiel Bowie bei seinem Auftritt in der New Yorker TV-Show „Saturday Night Live“ einmal ein Kleid trug, reklamierte er für diesen letzten Modeschrei als Vorbild den deutschen Dadaismus und insbesondere eine Photo-Montage des Weimarer Collage-Künstlers John Heartfield. Bowie hat in der Frühphase seiner Karriere wie kein anderer Star der Rockmusik mit seiner androgynen Erscheinung und seinen exotischen Verkleidungen die erotische Freizügigkeit und sexuelle Experimentierfreudigkeit unserer Jugend verkörpert. So wurde er zur wandelnden Ikone der post-modernen Parole „Anything Goes“.

Und last but not least: „Let’s Dance“. Das war Anfang der Achtziger Jahre die Signature-Serenade der noch jungen Dekade, das war noch einmal der euphorische Aufgesang und – im Zenit unserer Zeit – bereits der elegische Abgesang, der wehmütige Schwanengesang unserer Jugend, die sich mehr und mehr dem Ende zuneigte:

„Let’s dance, put on your red shoes and dance the blues,
Let’s sway, under the moonlight, this serious moonlight …”

“Serious Moonlight” hieß denn auch die überaus erfolgreiche, transatlantische Konzerttour, die Bowie im Jahr 1983 durch zahlreiche Länder Europas und Amerikas führen sollte. Wenn es für die sogenannten Neo-Romantiker der Achtziger Jahre eine Hymne gab, dann dieses herrliche Hohe Lied auf den Tanz und Taumel der Jugendzeit. Und welch inklusives Tanzvergnügen obendrein, schließt doch der Kehrreim auch noch alle Möchtegerntänzer großherzig mit ein:

„Let’s sway, sway through the crowd to an empty space …
and if you should fall, into my arms
and tremble like a flower,
let’s dance.“

Yes, let’s dance! Far out! We all have a chance!! Let’s dance with the stars, let’s dance with the  ever changing moon … youth is an eternal honeymoon …

Sternstunde, Mondstunde … so zeitlos ist das Kosmisch-Runde! David Bowie selbst verkörperte Glanz und Glamour des Tanzes vielleicht am galantesten, als er zusammen mit Tina Turner das Tanzbein schwang, wie Aufnahmen davon noch heute anschaulich vor Augen führen können. Wer weiß, vielleicht war ja dieser Pas de deux ein modernes Déja-Vu der biblischen Sage von König Salomon und seiner Hochzeit mit der nubischen Königin von Saba. Was würde wohl Iman, das Super-Model aus Äthiopien zu diesem alttestamentarischen Flashback sagen? Sollte sie doch Bowies letzte Traum- und Ehefrau werden … his modern-day „Queen of Sheba“… and he her sparkling Come-Back-King!

The wisdom of Solomon, the world as will …„ forget all I’ve said, please bear me no ill“. So Bowie in seinem Song “After All”. Bowie hat mehrmals davon gesprochen, dass er bisweilen selbst seine eigenen Texte nicht verstünde. Entsprechend hat er vor allem in seiner Frühphase zu Zeiten seines exzessiven Kokain-Konsums auch hin- und wieder höheren Unsinn von sich gegeben. Zum Glück, denn sonst wäre er ja tatsächlich vollkommen gewesen, ein wahrer Übermensch, wie er in fragwürdigen Büchern steht.

Schon wenige Jahre später hat Bowie denn auch seinen politisch problematischsten Kommentar aus jener Zeit explizit dementiert. Jedoch erst in jüngster Zeit ist auch die Tatsache weiter bekannt geworden, dass er vor allem in seiner Jugend von der schleichenden Befürchtung heimgesucht wurde, dass ihn das gleiche Schicksal ereilen könnte, dem schon andere Mitglieder seiner Verwandtschaft erlegen waren, nämlich dem Familienfluch einer bipolaren Geisteskrankheit. Sein Halbbruder zum Beispiel schien seinen inneren Dämonen nur Herr werden zu können, indem er seinem noch so jungen Leben schließlich ein gewaltsames Ende setzte. Also auch Bowie einmal mehr – Engel und Dämonen her oder hin – eine mögliche Fallstudie für die alte Schizo-Formel von Genie und Wahnsinn? Oder vice versa – per aspera ad astra?!

Bowie1

Ausstellung in den Arkaden am Potsdamer Platz,
Sommer 2016.1

Doch zurück ins bodenständige, wenn auch gespaltene Berlin. Die elektronischen Innovationen der Techno-Musik, wie sie deutsche Komponisten wie Karlheinz Stockhausen und vor allem deutsche Bands wie Kraftwerk und Tangerine Dream in den Siebziger Jahren popularisiert hatten, waren mit ein Grund, warum Bowie in jener Zeit nach West-Berlin zog. In kreativer Kollaboration mit Brian Eno von der britischen Band Roxy Music sowie Iggy Pop, dem Pionier des amerikanischen Punk, sollte Bowie in Berlin neue musikalische Bahnen brechen, die vor allem in den drei Alben der sogenannten „Berliner Trilogie“ (Low, Heroes, Lodger) ihren musikalischen Ausdruck fanden. Der bekannteste Song aus jener Periode ist sicherlich „Heroes“, in dem Bowie in einer Refrain-Variation so überschwänglich singt: „I, I will be king and you, you will be queen.“

Der englische Text unter dem Bild von David Bowie lautet:

A glance through the window of the Hansa Studio onto the Wall at Potsdamer Platz
inspired David Bowie to write one of his greatest songs, ”Heroes” in 1977. In the song,
two lovers meet here regularly. He sings: “I, I can remember / standing by the wall /
and the gun shot above our heads / And we kissed, as though nothing could fall.”

Bowie hatte dieses Lied zwei Jahre vor dem Mauerfall auf einem Konzert in West-Berlin erneut gesungen und noch Jahre später sollte er sich daran erinnern, wie sehr ihn das Schicksal der Menschen in der geteilten Hauptstadt Deutschlands immer wieder berührt hatte.

„Helden“ so lautet zufälligerweise auch der Titel einer Reihe von siebzig großformatigen Gemälden, die Georg Baselitz als junges Mitglied der neo-expressionistischen Gruppe „Neue Wilde“ Mitte der Sechziger Jahre gemalt hatte. Diese „Helden“ wurden im Laufe der Zeit zu ikonischen Protagonisten der deutschen Nachkriegskunst und möglicherweise haben sie auch Bowies “Heroes“ inspiriert, zumal eine von Baselitz’ Helden-Figuren tatsächlich den Namen „Rebell“ trägt. Zudem war Bowie bekanntlich auch sehr an den bildenden Künsten interessiert sowie selbst als Maler ambitioniert.

Als Baselitz 1969 in dieser so bewegten Wendezeit der ersten Nachkriegsgeneration seine Gemälde auf den Kopf stellte, erregte er damit im damaligen Kulturbetrieb beträchtliches Aufsehen. Kulturgeschichtlich betrachtet waren diese verdrehten Köpfe auch eine ikonische Reverenz an den romantischen Topos der „verkehrten Welt“. Heute zählt Baselitz weit über Deutschland hinaus zu den bedeutendsten bildenden Künstlern seiner Generation, wie auch die diesjährige Wanderausstellung seiner „Helden“-Serie durch verschiedene Länder Europas erneut zeigt. Sollten seine verkehrten Helden in der Tat auch Bowie inspiriert haben, dann wären die folgenden Verse aus seinem letzten Album Blackstar sicherlich auch eine späte Reverenz an den deutschen Meister des kunstvollen Kopfstands: „We were born upside down … born the wrong way ‘round“. Oder ist es eine parodische, mock-heroische Reminiszenz an seine in seiner Jugendzeit so befürchtete bi-polare Geisteskrankheit? Oder einfach nur Anti-Hero-Vertigo?

Von der Heldenverehrung zur Heldenverkehrung: Vielleicht ließ sich Baselitz in der Umbruchszeit der späten Sechziger Jahre auf spielerische Art und Weise auch vom antithetischen Prinzip der Hegelschen Geschichtsphilosophie inspirieren. Wenn alle Helden dieser Welt auf dem Kopf stehen, dann macht wohl auch – ultima ratio – der Weltgeist einen entsprechend dialektischen Salto. These hin oder her, Tatsache ist jedenfalls, dass viele der 69er Rebellen damals viel lieber Helden der Liebe als Helden des Krieges gewesen waren, ganz in der Nachfolge der jugendlichen Weltanschauung „Make Love Not War“. Dieser verkehrte Schlachtruf ist heute angesichts der Eskalation internationaler Terrorattacken aktueller denn je. Während sich die einstigen ideologisch-militärischen Konfrontationen zwischen Ostblock und Westblock aufgelöst haben, beginnen sich nun neue Konflikte zwischen Abendland und Morgenland aufzutun, deren weltweiter Ungeist geradezu gespenstisch immer mehr unserer Gesellschaften diesseits und jenseits des Atlantiks heimzusuchen beginnt.

Möglicherweise hatte Bowie auf seinem Berliner Album Lodger in seinem Lied „Yassassin“, einer türkischen Reggae-Fusion, bereits diesen am Horizont der Jahrtausendwende sich abzeichnenden Kampf der Kulturen vorausgeahnt, diesen millennarischen „Clash of Civilizations“, wie ihn Samuel Huntington, der gelehrte Mauerschauer aus der Hochburg von Harvard, wenige Jahre vor dem Sturzflug der selbsternannten Gotteskrieger in New Yorker World Trade Center so bezeichnend und unheilvoll vorausgesehen hatte. In „Yassassin“ machte sich Bowie zum Sprachrohr der türkischen Einwanderer in West-Berlin, wenn er in arabesk-melismatischen Modulationen singt:

„We came from the farmlands / to live in this city,
we walked proud and lustful / in this resonant world.
You want to fight / but I don’t want to leave / or drift away”.

Bowie2

Berliner Mauerrelikt

Pegida, Pegida, ein Gespenst geht wieder um in Europa!
„Scary monsters … keep me running … running scared.”

David Bowie, “Scary Monsters”

Menetekel

What is the writing on that wall?
Babel, babble, ruins and rubble!

Siehst du den Halbmond über Soho,
über der Vorstadt von Wien, über dem Kreuzberg von Berlin?
Siehst du den Vollmond von Alabama im Schleiertanz der Luna Maya?

Or is it Astarte on a starry night? The Celestial Feminine doing her magic work?
Half moon to full moon, tripping and stripping across the sky
from ancient Babylon to modern Berlin-Babelsberg!

Or think Goethe’s West-Eastern Divan!
Just, imagine, Orient meets Occident:
“And the world will live as one. “

An impossible dream?
Hello John Lennon!
Good Bye Lenin!

Station to Station, Bowies Album aus seiner zunehmend schwierigen Zeit in Los Angeles beschreibt bereits im Titel den menschlichen Lebensweg als eine Reihe leidvoller Wegstationen. Dieser Vorstellung liegt als wesentliches Vorbild die Passionsgeschichte Christi und ihre Kreuzwegstationen hinauf zum Kalvarienberg zu Grunde. Wohl kein anderer Rockmusiker hat diese so doppeldeutige „Passion“, diesen so widersprüchlichen Spannungsbogen zwischen Leid und Leidenschaft, kreativem Selbstentwurf und potentieller Selbstzerstörung weiter gespannt und dargestellt als David Bowie.

In seinen permanenten Metamorphosen wurde er zum exemplarischen Protagonisten der postmodernen Welterfahrung, die dem ludischen Moment der spielerischen Selbstinszenierung eine zentrale Bedeutung beimisst. Und in seinen kosmischen Eskapaden von Ziggy Stardust bis zu Blackstar, ihren himmlischen Irrfahrten und irdischen Heimreisen spielte er auch immer wieder auf jene Götter- und Gottesdämmerung, jenen zunehmend verlorenen Horizont an, den Georg Lukács einst so denkwürdig die „transzendentale Obdachlosigkeit“ unserer modernen Westlichen Zivilisation genannt hatte.

In dieser endzeitlichen Wendewelt scheint auch die christliche Passionsgeschichte vollkommen auf den Kopf gestellt. Aus dem irdischen Jammertal ist das irdische Freudental  geworden, oder dialektisch genauer formuliert, die Welt als glücksverheißender Venusberg. Alsdann, Glück auf, ihr Mühseligen und Beladenen, kommet zu Hauf ins Reich von dieser Welt! Und eilt, es bleibt nicht viel Zeit, denn die Endstation Sehnsucht ist die weltliche Glückseligkeit! In anderen Worten, das Spiel ohne Grenzen, die kunterbunte Spassgesellschaft: Paradise Now! Remember “We’re painting our faces”! So don’t forget it – the sky is the limit! And life is a cabaret! Entrez, entrez! Welcome! Willkommen!

Ein Leben lang war  Bowie von der Kunst des Schauspiels fasziniert und so trat er denn auch auf dem New Yorker Broadway auf, wo er als blendender Beau der Rockmusik unter anderem ausgerechnet in der Rolle des verunstalteten „Elephant Man“ brillierte. Darüber hinaus hat er in rund dreißig Spielfilmen immer wieder andere Seiten seiner mannigfaltigen Schauspielkunst zum Besten gegeben. Im Film Just a Gigolo aus dem Jahre 1978 spielte er zum Beispiel einen preußischen Offizier, der nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin zurückkehrt. Da er keine Arbeit findet, verdingt er sich als Gigolo in einem Bordell unter dem Management einer Baronin, die von  Marlene Dietrich gespielt wird, dem legendären Blauen Engel des Weimarer Cabarets und der letzten Grande Dame von Hollywoods sagenhaften „Silverscreen Goddesses“. Kurz und gut, Deutschlands einziger Weltstar und Englands einzigartigster Rockstar geben sich ein wunderbares  Rendezvous.

„Berlin-Babylon“, das war sicherlich der bekannteste Künstlername der Weimarer  Republik und ihre fulminante Kultur inspirierte auch immer wieder Bowies eigene Projekte. Allen Kunstwerken voran Fritz Langs Metropolis, das monumentale Opus Magnum des Weimarer Stummfilms und seiner vielbeschworenen „Dämonischen Leinwand“. Seine expressionistische Ästhetik hatte bereits Bowies Album Diamond Dogs aus dem Jahr 1974 nachweislich beeinflusst. Metropolis, das war die Matrix der westlichen Moderne, die exemplarische Cross-Cultural Montage, die in ihrem Unterbau das subversiv-revolutionäre Berlin beherbergte und in ihrem Überbau das triumphal-spektakuläre Manhattan, das seine ersten, atemberaubenden Wolkenkratzer zur Schau stellte.

Vom zwielichtigen Zauber des Lichtspieltheaters: Wenn man in der deutschen Sprache den Spielfilm auch als Lichtspiel bezeichnet, dann beschreibt diese Wortbildung nicht nur das Licht des gegenwärtigen Lebens, sie beschwört auch bereits – ex negativo – das Dunkel des kommenden Todes herauf. In diesem Sinne offenbart sich in der Retrospektive Bowies schauspielartiger Lebenswandel als ein überaus facettenreiches Kaleidoskop, das sich bis zum Schluss zu einem immer dunkler funkelnden Gesamtkunstwerk verdichtet.

„At the center of it all“, so erklingt ein enigmatischer Refrain in dem Lied “Blackstar”. Nachdem Bowie, der Exzentriker par excellence, von seinen lebenslangen Konzertreisen und zahlreichen musikalischen Expeditionen heimgekehrt ist, sucht er nun am Ende seines Lebens das sagenhafte Zentrum aller Existenz, geradeso als wäre er auf den Spuren von Goethes Faust und seiner letzten, großen Frage, nämlich was diese Welt „im Innersten zusammenhält.“

***

Blicke ich heute von Blackstar, Bowies letzter, schon sehr verfinsterter Sternenwarte, zurück auf mein eigenes Leben, so wird mir auch wieder bewusst, wie sehr er mich vor allem in meiner jugendlichen Erlebniswelt durch seine zauberhafte Lebenskunst immer wieder beeindruckt und beeinflusst hatte. Insbesondere sein Lied „Rock‘n’Roll Suicide“ schien es mir damals sehr angetan zu haben. Es war einer der bekanntesten Songs auf dem Album The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars und hatte mich zu Beginn meiner Heidelberger Studentenzeit zu mehreren Texten animiert. So heißt es zum Beispiel in Bowies Lied:

The wall-to-wall is calling, it lingers, then you forget …
and the clock waits so patiently on your song ….”

Ich meine, diese Verse kehren mehr oder weniger erkennbar wieder in meinem damaligen Text

“Trip Poem“
„Seltsam, wenn die Tage zerblättern
und Stunden aus deinen Worten tropfen,
Gespenster in deinem Geiste klettern
und an deine Ohren klopfen.

Gedanken lauern in den Ecken
und starren deinen Schädel an,
die Welt sie in den Kopf dir stecken,
um dich zu drehen im Weltendrahn.“

Wohin wollte diese innere Reise nur? Von Bodenhaftung keine Spur! Es blieb nur zu hoffen, dass im Hirnkastel dieses jungen Zauberlehrlings nicht alle Schrauben locker waren. Jedenfalls endete dieser poetische Probeflug durch Welt und All mit der Schlussstrophe:

„Vom Himmel trieft Unendlichkeit
in silbergrauen Schwaden,
der Erde Allverlorenheit,
sie geht ins Blaue baden.“

So viel zu Ziggy Stardust‘s Space Cadet aus „Highdelberg“, wie wir das alte Neckarstädtchen zu unserer Zeit auch gern genannt hatten.

Am offenkundigsten scheint mir jedoch die Inspiration durch Bowies „Rock ‘n’ Roll Suicide“ gleich zu Beginn seines Liedes, wo es heißt:

„Time takes a cigarette, puts it in your mouth,
you pull on your finger … then your cigarette”

Diese Verse kehren in meinem Text unter dem Titel “Duft der großen, weiten Welt“ wieder als:

„Das Leben ist wie eine Zigarette,
die Seele atmet ihr Nikotin
und qualmt in einer ewigen Kette
süchtig nach einem tieferen Sinn.“

Diesem Vierzeiler folgt der Kehrreim „Wir gehen meilenweit im Stil der neuen Zeit, oh frohen Herzens genießen“, wobei es sich offenkundig um eine Parodie damaliger Werbetexte für diverse Zigarettenmarken handelte. Aus literaturhistorischer Retrospektive gibt sich dieses Reklame-Pastiche als weiteres Remake zu erkennen, nämlich als eine Art Wiederkehr von Eichendorffs vagantischer Euphorie in Gestalt von Heinrich Heines romantischer Ironie.

Spass muss sein, doch war in meinem Text bald Schluss mit Lustig. Dass es mit meiner fidelen Rauch- und Wanderlust ein fatales Ende nehmen könnte, schien mir schon damals zu dämmern, wie die letzte Strophe dieses Textes zu erkennen gibt:

„Die Gräber sind die Aschenbecher
für die einst abgebrannten Kippen,
ins Jenseits eingebrannte Löcher,
veräschert die einst roten Lippen.“

Und so ging’s moribund und schwumerant  ins sagenhafte Totenland. Mein Heidelberger Freund Gerald Uhlig, der damals im Wiener Max-Reinhardt-Seminar die Schauspielkunst erlernte, hatte jedenfalls bald meine zwei Texte vertonen lassen und sie seinerseits dort auf seiner Schallplatte Der Kinderkönig mit entsprechend kakanischer Morbidezza zum Besten gegeben. Das dekadente Ambiente hatte er unter anderem von Hugo von Hofmannsthal abgestaubt, in dessen lyrischem Versdrama  „Der Tod und der Tor“ er zu jener Zeit Claudio, den jungen Edelmann, auf einer Wiener Bühne gespielt hatte.

Jahrzehnte später sollte Gerald, der „Kinderkönig“ als Mitbegründer und baldiger Alleinbesitzer des Berliner Café Einstein Unter den Linden weit über Deutschlands vereinte Hauptstadt hinaus immer wieder sensationelle Schlagzeilen machen, nicht zuletzt mit der Desaster-Diagnose, dass er an der tödlichen Krankheit Morbus Fabri erkrankt sei. Gefolgt vom Mirakel seiner prekären Rekonvaleszenz.

Und auch ich ließ mich nicht lumpen und hatte auch Grund genug zum Hadern! Fast zur gleichen Zeit, als Geralds Erbkrankheit bekannt wurde, stellt man bei mir Zungenkrebs fest. Dessen Mortalitätsrate: Fünfzig Prozent! Die Ärzte waren sich einig, dass er eine Spätfolge meiner jugendlichen Qualmerei war, der Tribut an unzählige, filterlose, selbstgedrehte Kippen … Hello, “Kinderkönig”, if you are king, then I’ll be queen! Or to be more precise, the Drag-Queen of Nicotine!

Oh Fortuna velut Luna: Gerald konnte dem Sensenmann bereits mehrfach in gelungenen Operationen von der Schippe springen und auch ich streckte Dank der modernen Chirurgie dem alten Gevatter auf Tod und Teufel komm raus immer wieder erfolgreich meine widerspenstige Zunge heraus. – Und David Bowie musste an seinem Krebs sterben. Warum hat er seinen Leiden erliegen müssen? Warum können wir sie bislang überstehen? Warum wandeln die einen frei nach Bertolt Brecht im Dunkeln und die andern im Licht? Und da wir schon beim Thema sind, warum überhaupt immer wieder dieser alles vernichtende Todesstreifen?

Deadlines here and deadlines there … from the universe down to every university … and everywhere and far beyond … will we ever be free of death and its timeless, universal bond?

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Die Fragemauer des Vaterlandes

Why all those walls, always rising and falling? From Jerusalem to Jericho and back to the future of Arizona, Mexico? Why all those joys and fears? Why so much blood and sweat and so many tears? And why time and space and then again all those dark holes? …Why you and not me? … It all depends for whom the bell tolls! Yes …

I remember my ding-dong suicide song!
But why are some of us already dead and some are still alive?
Why is one of us Mother Teresa and – vice versa – the other one is Mack the Knife?

And time takes another cigarette: Wann immer ich in den letzten Jahren in Berlin weilte, wohnte ich in Geralds Berliner Wohnung. Wie oft saßen wir dann in seiner Küche oder in seinem Kaffeehaus zusammen und debattierten und amüsierten uns wie eh und je. Jedoch wir spürten auch mehr denn je die alte Wiener Weise vom Tod, jenes leise, untergründige Beben – und wir wollten doch jetzt viel lieber die neue Berliner Weise vom ganz alltäglichen Überleben. Galgenfrist und Galgenhumor? Vor dem Tod ist jeder ein trauriger Tor! Oder frei nach Johann Nestroys Figuren-Fundus – ein armer Lumpazi Moribundus.2

***

Vom Mummenschanz zum Totentanz: In seinem letzten Album Blackstar hat Bowie seinen kommenden Tod mehrfach in makabren Visionen inszeniert und in gespenstischen Sketchen phantasmagorisch choreographiert. So sind zum Beispiel im Video zu Blackstar unheimliche, vogelscheuchenartige Gestalten zu sehen, zerlumpte Galgenvögel, die an ihre Gerüste gebunden auf grimmig-groteske Weise die drei Gekreuzigten auf Golgatha heraufbeschwören, wobei dieses düstere Nachtstück von einem gregorianisch anmutenden Gesang mit dem monoton-ominösen  Kehrreim begleitet wird: „On the day of execution.“ In diesen  halluzinatorischen Metamorphosen taucht auch immer wieder ein perlengeschmückter Totenkopf auf – Damien Hirst lässt grüßen – , bis sich schließlich diese schauderhaften Schimären zu einer Art allegorischen „Dance Macabre“ verdichten, in dessen dekadent-moribunden Tingeltangel sich der Tanz des Lebens in einen wankend schwankenden Totentanz verwandelt hat.

Wie kann ich, der ich in meiner Kindheit noch zutiefst im festen Glauben an die Leidensgeschichte Christi erzogen worden war, in meinen dunkleren Stunden dieses kalvarische Martyrium, dieses kryptisch-pandämonische Welttheater nachempfinden! Ölberg, Schädelstätte, Heulen, Zittern und Zähneklappern … frühe, traumatische Kindheitserinnerungen, uralte, kollektive  Rückbesinnungen  … sie alle starren meinen, sie alle „starren deinen Schädel an“. Und eine der spukhaften Vogelscheuchen streckt obendrein dem Betrachter am Ende auch noch die Zunge heraus …

Tongue in cheek? You pick and poke!
Don’t worry, be happy, it’s just another inside joke!

Im Video zu „Lazarus“ liegt Bowie mit verbundenen Augen auf dem Krankenbett oder er geistert durch unheimliche Räume und gespenstische Weiten. Es ist ein schwarzromantisches Nachtstück sondergleichen. Eine Szene zeigt seinen todkranken Körper in offensichtlicher Levitation, eine andere in scheinbarer Astralprojektion. Im Neuen Testament verkörpert Lazarus sowohl den Schwerkranken schlechthin, als auch den Wiederauferstandenen von Gottes Gnaden. Als Symbolfigur dieser christlichen Resurrektion gehört die Lazarus-Gestalt denn auch zu den frühesten Darstellungen der ekklesiastischen Ikonographie. Bowie spinnt diesen frühkirchlichen Wunderglauben auf seine Weise weiter, wenn er von sich als sterbenskrankem Lazarus sagt: „Look up here, man, I’m in danger, I’ve got nothing left to lose”, um dann das christliche Credo der  Wiederauferstehung am Ende des Liedes zu verwandeln in das Crescendo eines aufsteigenden Singvogels:

„Oh I’ll be free / just like that bluebird,
Oh I’ll be free / ain’t that just like me?”

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Non scholae sed vitae discimus – oder die Parabel vom modernen Paradigmenwechsel: So wie die vaterrechtliche Weltordnung in der spirituell-transzendenten Dreieinigkeit von Gottvater, Sohn Gottes und Heiligem Geist gipfelt, so gründet die mutterrechtliche Weltvorstellung in der sensuell-immanenten Dreieinigkeit von Großer Mutter, göttlicher Tochter und einem zwischen Diesseits und Jenseits vermittelnden Geist. Diese Triade hatte im antiken Modell der Eleusinischen Mysterien in Demeter, Persephone und Hermes ihre rituell-mystagogische Verkörperung gefunden. Die archaische Imago der Magna Mater als symbolische Cornucopia, als überquellendes Füllhorn von Wohlstand und Weisheit, im Sinnbild der Alma Mater als Schutzpatronin unserer Universitäten hat dieser matriarchale Mythos bis heute überlebt.

Womb and tomb, light and darkness of the moon: In Bowies Blackstar-Panorama mitsamt seinen plakativen Vollmond-Kulissen wird diese muttermythische Matrix unserer prä-patriarchalen Kulturgeschichte noch einmal evokativ in einem pantomimischen Frauenreigen heraufbeschworen, in dem der Zauberkreis von Schöpfung und Zerstörung, Mutterschoß und Erdengrab, in anderen Worten, das fruchtbar-furchtbar Große Weibliche und sein uraltes Weltgesetz des Ewigen Stirb und Werde seine heimlich-unheimliche Veranschaulichung findet. Orcus, orcus, uterus – hocus, pocus –  hic est corpus.

„Music is your only friend, until the end …“ so raunte schon Jim Morrison von den Doors aus Los Angeles ehe sein ausschweifendes Leben in Paris sein viel zu frühes Ende fand. Im Gegensatz zu ihm, dem dunkel befeuerten doch so bald ausgebrannten Rockstar, verkörperte David Bowie ein halbes Jahrhundert lang mit seinen verschiedenen Spielfiguren immer wieder den Zeitgeist im Wandel der Zeit, ja, er war wohl sein vielseitigster Ausdruck. Und dies sowohl als Person im antiken Sinne von „persona“, als theatralische Maske, durch die er seine Ideen und Phantasien artikulierte und personifizierte, wie auch als musikalisches Medium, das sich wie wohl kein anderer Interpret der modernen Musik mit ihren diversen Traditionen kreativ auseinandersetzte, angefangen von Jazz, Soul, Lounge, Rhythm and Blues über Rock and Roll, Glam Rock und Psychedelic Funk zu Techno, Reggae, Disco, Hip Hop und Post-Punk, um hier nur die wichtigsten aufzuführen. Gemeinsamer Nenner seiner Kompositionen und Interpretationen war eine äußerst sinnliche Sensibilität, die musikalisch immer wieder changierte zwischen stilistischer Radikalität  und melodischer Sentimentalität.

***

„Where Are We Now”, so heißt Bowies vorletzter Single aus dem Jahr 2013, auf der er bereits sein nahendes Ende zu ahnen scheint. In dieser melancholischen Ballade blickt er auf sein Leben zurück und erinnert sich dabei geradezu ausschließlich an seine Zeit in Berlin, wo einst auch seine künstlerische Laufbahn  – so der Konsensus seiner Kenner und Kritiker – ihren kreativ-produktiven Höhepunkt erreicht hatte.

„Where Are We Now?“

„Had to get the train
from Potsdamer Platz

sitting in the Dschungel
on Nürnberger Straße

a man lost in time
near KaDeWe

twenty thousand people
cross Bösebrücke.”

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Bahnhof am Potsdamer Platz

“Sei allem Abschied voraus …” heißt es in Rilkes “Sonette an Orpheus” und Bowie scheint  auf dieselbe Erfahrung jener hermetisch verschlossenen Unterwelt anzuspielen, wenn er seine wehmütige Stimme erhebt und eine orphisch-odysseische Unterwelt heraufbeschwört:

„You never knew that / that I can do that,
just walking the dead  /… / a man lost in time. ”

That is the journey’s ultimate part:

Nostos, Nekyia, homerische Heim – und Totenfahrt.

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Nürnberger Straße in der Nähe des versunkenen Dschungels

„Sitting in the Dschungel“: Die Gegend rund um die Nürnberger Straße war schon im Wilhelminischen Kaiserreich und mehr noch in der Weimarer Republik ein bekanntes Künstler- und Amüsierviertel. Im Jahr 1978 öffnete der Dschungel in der Nürnberger Straße 53 seine Tür und war zur Zeit Bowies in West-Berlin der angesagteste Tanz-Club und beliebteste Treffpunkt der kreativen Bohème und internationalen Avantgarde. Hier trafen sich von Grace Jones bis zu Frank Zappa alle, die in der Jet-Set-Welt der Rockmusik und des Show-Business Rang und Namen hatten. Bald nach dem Mauerfall, als sich die Hipsterszene Berlins in den östlichen Teil der Stadt verschob, ging allerdings das legendäre Lokal recht schnell sang- und klanglos unter.

Nicht zufällig wurde im Tresor, der bald danach zum bekanntesten Nachfolgeclub des Dschungels avancierte, Techno zum „Sound der Wende“, der sich im Laufe der Jahre zudem mit weiteren Innovationen aus den Musikszenen von Detroit und Chicago angereichert hatte, sodass eine regelrechte transatlantische, deutsch-amerikanische Klangfusion entstanden war.

„People cross Bösebrücke …“  Die Bösebrücke hat trotz ihres Namens in der deutschen Geschichte erstaunlich viel Gutes geleistet. Ursprünglich als Hindenburgbrücke bekannt, erreichte sie am Tag des Mauerfalls weltweite Berühmtheit als erster Übergang zwischen Ostberlin und Westberlin. „Leben ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehen.“  So hatte einst Gottfried Benn, der begnadete Dichter des deutschen Expressionismus und unselig Verführte des deutschen Faschismus, das Geheimnis des Lebens im Gleichnis zu fassen versucht. Von Brückenkopf zu Brückenkopf, was bleibt, glaubt man unseren sinnbildlichen Verfassern, ist der Gesang der Geister über den Wassern.

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Die Bösebrücke, auch bekannt als Bornholmer Brücke

„Lost in time near the KaDeWe …“ Das Kaufhaus des Westens ist seit rund hundert Jahren der größte Konsumtempel Europas. Er hat auch den Zweiten Weltkrieg überstanden und so steht er bis heute als sprechendes Wahrzeichen unserer westlichen Überflussgesellschaften oder – mythisch-symbolisch gewendet – als steingewordene Cornucopia der Alma Mater.

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Das KaDeWe am Kurfürstendamm

So sehr David Bowie in früheren Zeiten dem Kokain-Konsum frönte, so war er sich gleichzeitig auch schon früh der Flüchtigkeit allen Rausches, der Vergänglichkeit allen mondänen Glanzes und glamourösen Starkults vollkommen bewusst: „Fame puts you where things are hollow“ singt er in „Fame“, oder ins gebrochene Vagantenlatein gewendet:

Urbi et orbi! Sumus vagabundi!
Tempus fugit … sic transit gloria  … et figura huius mundi!

„Memento mori“ – et vice versa  – „carpe diem“, das waren jedenfalls die zwei zentralen Mottos des barocken Zeitalters, die wesentlichen Leitmotive seines so lebenssüchtigen wie todesbesessenen Zeitgeistes. Kein Lied David Bowies beschwört letzteres expliziter und emblematischer herauf als

„Ashes to Ashes“

„Funk to funky, we know Major Tom’s a junkie,
strung out in heaven’s high, hitting an all-time low.”

Das dazu gehörige Video zeigt Bowie im Pierrot-Kostüm am Meeresstrand und eine der Bildsequenzen lässt ihn tiefer und tiefer in den Fluten versinken. Das ist der letzte, lustig-traurige Kehraus unserer viel zu schnell verflossenen Jugendzeit und ihres so berauschenden Elixier aus “Sex and Drugs and Rock‘n’Roll”. Das war die zauberhafte Dreieinigkeit unserer einst so romantisch-rebellischen Burschen- und Mädchenherrlichkeit. Doch jene Zeit ist endgültig hin. Drum noch einmal zurück ins etwas dauerhaftere Berlin!

Vom mesopotamischen Turmbau zu Babel bis zu Berlin, der Hochburg des nationalsozialistischen Wahnsinns, wohl keine anderen Großstädte der Weltgeschichte in Mythos und Moderne haben solch vergleichbaren Hochmut entfaltet und entsprechende Niederlagen erfahren. Und nach der Zerstörung des faschistischen Berlins kam seine weitere Selbstzerstörung durch die kommunistische Teilung der Stadt seitens seines Ost-Berliner Regimes. „Auferstanden aus Ruinen“, dieses laute Loblied Ost-Deutschlands auf sich selbst wurde – entgegen all seinen utopischen, dialektisch-materialistischen Aspirationen – zum stummen Klagelied über all jene, die an der Mauer ihr Leben lassen mussten.

Bowie kannte den Potsdamer Platz, einst der metropolitische Mittelpunkt Berlins, nur als urbane Brache entlang des Eisernen Vorhangs. Auch Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin aus dem Jahr 1987 zeigt diese Sperrzone noch immer als Ground Zero von Deutschlands gefallener und gespaltener Hauptstadt. Als Wings of Desire wurde Wenders Fantasy Drama in Amerika und vor allem in New York zum Kultfilm des neuen deutschen Kinos. Ich kann mich noch gut an die langen Schlangen ums Filmtheater am Lincoln Center in Mid-Town Manhattan erinnern.

Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands haben die renommiertesten Baumeister der Welt von Helmut Jahn und Daniel Libeskind über Renzo Piano und Norman Foster bis zu Frank Gehry und I. M. Pei das Areal vom Pariser Platz bis zum Potsdamer Platz wieder belebt und zum Teil völlig neu aufgebaut. In ihren architektonisch-kosmopolitischen Visionen kristallisierte sich dabei das Baumaterial Glas immer wieder als markanteste Bausubstanz heraus.

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Sony Center, Potsdamer Platz: Rise and Fall and Fall and Rise

Berlin, Berlin – New York, New York: In den achtziger Jahren konnte man in Manhattan immer wieder hören, dass sich New Yorker von allen Großstädten der Alten Welt dem modernen Berlin am nächsten fühlten. Diese Wahlverwandtschaft könnte auch den damaligen Erfolg von Wenders Berlin-Film in New York miterklären. Eine weitere, wichtige Rolle spielen sicherlich die zahlreichen kulturellen Parallelen zwischen dem Weimar der Zwanziger Jahre und dem New York der „Roaring Twenties“. Fritz Langs Metropolis und George Gershwins Rhapsody in Blue, die grandiose Hymne auf das „Jazz Age“ der Neuen Welt, stellen gewissermaßen zwei repräsentative, musikalisch-cinematographische Manifestationen dieser modernen Sensibilität und ihrer experimentellen Kreativität dar. David Bowie, der in beiden Städten lebte und wirkte, spielte in diesem Sinne eine kongeniale Vermittlerrolle.

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Der Himmel über dem Potsdamer Platz: Step dancing into a rhapsody in blue

Und auch den Freiherrn von Eichendorff sollte man bei dieser Gelegenheit nicht ganz vergessen. Jahrelang hatte er sich hier in Berlin einst als Geheimer Regierungsrat in preußischen Staatsdiensten nützlich gemacht. Eichendorff, ick hör dir  trapsen. Nächtens heimlich her und hin,  aber vielleicht bilde ich’s mir ja auch nur wieder mal ein, diese Mondnacht über einem ungeteilten Berlin?! Erinnerst du dich? Komm, wir schwelgen zusammen … doppelt hält besser … du als Ossi, ich als Wessi …

You test the west, I test the east and together we’ll be fine, half moon, full moon, let it shine! But seriously, you know how we adore that wandering moon, that heavenly body that makes us sway and makes us swoon. Do you remember your “Beautiful Stranger”, shining so bright in that starry Heidelberger night?!

We too could have been two of those heavenly heroes. Perseus and Venus! Or was it Mars and Medusa? In any case, two of those shooting stars, first all love and then nothing but wars! But don’t worry, we’re still a dream team – although we’re also double trouble – but at the end of every fight – guess what – my inexorable “Gypsy Queen” is again my adorable “Queen of the Night”. Because, as you know, sweet dreams are made of magic moments that turn into haunting memories and then into wonderful melodies … soaring higher and higher until …

“der Himmel die Erde still geküsst “
„under the moonlight, this serious moonlight”
„dass sie im Blütenschimmer von ihm nur träumen müsst.“

„Es funkeln auf mich alle Sterne mit glühendem Liebesblick“
and we dream again of those long gone nights,
“wie von künftigem, großen Glück.“

***

Liebe, Tod und Liebestod: War in den Siebziger Jahren „Make Love Not War“ die internationale Parole, so war die alljährliche Berliner „Love Parade“ der Neunziger Jahre ihre konsequente Inszenierung und ultimative Theatralisierung. Auch Hegels Weltgeist hätte an diesem Berliner Spektakel sicherlich wieder seine helle Freude gehabt. So wie einst die deutsche Hauptstadt zum säbelrasselnden Aufmarschplatz zweier Weltkriege herhalten musste, in denen einmal mehr und mehr denn je die Söhne des Landes in grauer Felduniform für ihr Vaterland in den Krieg ziehen und dort ihr junges Leben lassen mussten, so wurde nun das Berlin um die Jahrtausendwende – vice versa – zum großen Schau- und Rummelplatz von Millionen von fröhlich feiernden Jugendlichen in kunterbunten Kostümen aus allen Herren Ländern der Welt.

Anstatt sinnlosem Töten in endlosen Materialschlachten war jetzt sinnenberauschender Tanz zu wummernden Techno-Rhythmen angesagt. Die Berliner Love Parade, das war die Gegenwelt zu den preußisch soldatischen Männerparaden, das war die erotische Zauberwelt der feschen Lola, und die war ja bekanntlich von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Viva La Diva! Blauer Engel Rediviva! And your drag queens are divine! They just want to have fun as male and female rolled into one!! You guys sure rule, just remember, don’t smoke and don’t coke – and you will always be cool. The only problem …

“You’ve got your mother in a whirl,
she’s not sure if you’re a boy or a girl.
Rebel, Rebel, how could they know,
you’ve torn your dress … I love you so.”

“Rebel, Rebel” (Wouldn’t You Know!)

So let’s dance … again and again … until we trance! And should we fall, let’s fall like angels and we will survive! Forget that Death! His face is a mess! But always remember to celebrate Life!!

***

Und auch die Vergangenheit wirft lüsterne Lichter auf die einst so düsteren Schatten von Berlin: Heute mag so manch bekehrter Alt-Stalinist am prunkenden Potsdamer Platz und seinen  hochragenden Glitzerpalästen eine ungeteilte Schadenfreude haben. Der einst so viel verrufene Spätkapitalismus in all seiner permanenten Dekadenz, vielleicht war er ja trotz allem kommunistischen Spott und Hohn die siegreiche Wiederkehr der sagenhaften Hure von Babylon? Sitzt sie nicht prächtig auf ihrem prunkenden Potsdamer Thron?! Metropolis, Matropolis, jede Großstadt ist eine Große Mutter und – mutatis mutandis – eine Dame von Welt und – Weltmarkt her und Weltmarkt hin – eine wendige, kosmopolitische Marketenderin.

Schau nur, wie sie herausgeputzt ist vor aller Welt, dort auf dem Potsdamer Platz, so glitzernd und strahlend unter seinem barocken, preußischblauen Himmelszelt! Und im Vergleich zu den einstigen Fünfjahresplänen ostdeutsch-kommunistischer Observanz ist sie ein wahres Super-Model der freien, multinationalen Marktwirtschaft. Was braucht‘s da noch altbabylonische Sternendeuter, Sumerer, Chaldäer und all die anderen mesopotamischen Astarte-Versteher! Man kann’s doch mit bloßem Auge sehen, den schönen Schein von Raum und Zeit, mitsamt all seiner vergänglichen Eitelkeit! Vanitas Vanitatum? Quod erat demonstrandum!

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Das Ellington Hotel in der Nürnberger Straße

Nach Duke Ellington benannt, steht dieses Hotel genau an jener Stelle, an der einst der Dschungel gestanden hatte. Kein anderer amerikanischer Musiker des Jazz Age verkörpert den Geist jener Zeit so wie er und so ist er denn auch der ideale Genius Loci dieses Ortes. Von Duke Ellington, dem „King of Jazz“ zu David Bowie, dem „God of Rock“ – good vibrations, great sensations – here are angels rocking around the clock.

The World of  Music: Was David Bowie betrifft, so war er in der Tat ein Wunderkind der schönen Frau Welt, ein natürlicher Sohn der Großen Mutter. Er führte das Leben eines großen Weltenwanderers wie wenige andere seiner Zunft, da er nicht nur viel auf Konzertreisen ging,  sondern auch immer wieder in anderen Ländern lebte, mit ihrer Musik experimentierte und sich ganz in ihrer Kultur investierte. Und von der schönen Frau Welt hatte er auch ihre farbenfrohe Tanz- und Schauspiellust geerbt und nicht zuletzt ihre hohe Zauberkunst, die Dinge ihrer Welt immer wieder in neuen Liedern zum Klingen zu bringen. Die Musik ist ein schlummerndes Weib, so wusste es schon Richard Wagner, doch der gute, alte Eichendorff wusste es sogar noch besser: Gesang ist der schönen Frau Welt ihr liebster Zeitvertreib. Vielleicht ist er es ja tatsächlich, der ihre zauberhafte Welt im Innersten zusammenhält.

Insgesamt betrachtet kann man sicherlich schlussfolgern: David Bowie war mit seinen vielfachen  musikalischen und visuell-visionären Talenten geradezu ein kultureller Archetyp, ein moderner Wiedergänger der mythisch-romantischen Seher und Sänger. Jetzt ist er am Ende einer Lebensreise hier auf Erden angekommen und seine so klare, kristallene Stimme auf immer verstummt. Was von seinen Himmelfahrten und Höllenstürzen bleibt, ist eine Schatztruhe zauberhafter Lieder, wunderbarer Bilder und immer wieder großartiger Einbildungen …

A Black Box

of time warps and space oddities that crystallize and unlock
all those down-to-earth-phantasies of a human God of Rock.

***

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Hauptstraße 155 in Berlin-Schöneberg
Hier hat David Bowie zusammen mit Iggy Pop gewohnt

Wie kein anderes Dingsymbol veranschaulichen und versinnbildlichen Tür und Tor das Kommen und Gehen der Menschen, das Abschiednehmen und Willkommenheißen, das Weiterziehen von Stadt zu Stadt und von Land zu Land und nicht zuletzt die Quintessenz aller romantischen  Existenz, das vagantische Fernweh und nostalgische Heimweh. Und oft sind es bedeutsame Augenblicke, erste und letzte Sinneseindrücke, die mit Ankunft und Abschied verbunden sind, oder wie es in Bowies Song „Where Are We Now“ so eindringlich  heißt: „The moment you know, you know, you know.” Und als wollte sich der erinnernde Sänger der ewigen Wiederkehr des Vergangenen im Kommenden versichern, wiederholt er jede der folgenden Zeilen:

„As long as there’s sun

As long as there’s rain

As long as there’s is fire”

um schließlich nach der Aufzählung von Licht, Wasser und Feuer, seiner geradezu rituellen Inkantation der irdisch-überirdischen Elementargwalten unserer materiellen Welt, mit den folgenden schlicht-schönen Versen zu schließen:

„As long as there’s me,
as long as there’s you”

Dieser Zweizeiler, der bezeichnenderweise nicht wiederholt wird, ist nicht nur die Beschwörung der Einmaligkeit jeglichen irdischen Seins, sondern auch der Erfahrung der Zweisamkeit in lebenslanger Freundschaft und – non plus ultra – unsterblicher Liebe, wie einst metaphysisch angehauchte Poeten diese letzte Hoffnung der Liebenden auszudrücken pflegten.

Der basso ostinato von Bowies „Where Are We Now“ ist freilich das zerbrechende Herz, der zu Tode betrübte romantische Weltschmerz. Auch Iggy Pop, musikalischer Weggefährte Bowies aus ihrer gemeinsamen Zeit in Berlin, hat Anfang dieses Jahres nach einer mehr als zehnjährigen Schaffenspause ein neues Album herausgebracht und es  in altbewährter Seelenverwandtschaft mit Bowie entsprechend Post Pop Depression genannt. Auf ihm findet sich auch der Song „German Days“, der Iggy Pop zufolge noch vor Bowies Tod aufgenommen wurde. Im Nachhinein klingt dieses Lied jedoch bereits wie ein insgeheimer Abschied von seinem langjährigen Freund und Berliner Weggefährten, eine orphisch-subterrane Evokation seines bevorstehenden Todes.

“Lust of Life”, so lautet der Titel eines Liedes, das Bowie zusammen mit Iggy Pop einst in Berlin geschrieben hatte. So wie das lebenssprühende „Carpe Diem“ die andere Seite des „Memento Mori“ bildet, so versinnbildlicht auch das farbenfrohe Graffiti der Berliner Mauer die andere Seite ihrer ehemals so todesdrohenden Allgewalt. Doch irgendwann wird auch dieses letzte Bruchstück der Weltgeschichte zerfallen … and down the road of time the last towers and bridges  … they too will be tumbling and falling …

History

Between Right and Wrong
“The wall-to-wall is calling
…and the clock waits so patiently on your song …“

“Rock ‘n’ Roll Suicide”

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Bruchstück der Berliner Mauer: In fading dayglow glory

Dieses Bruchstück befindet sich direkt an der Bösebrücke und die in seiner Mitte  vermerkte Uhrzeit bezieht sich auf bestimmte Ereignisse während des Durchbruchs zum Westen am 9. November 1989. In den Boden eingelassene Platten geben zusätzliche Erklärungen über weitere Entwicklungen zu verschiedenen Zeitpunkten des Mauerdurchbruchs.

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Bodenplatte an der Bösebrücke

„These fragments I have shored against my ruin“, so rekapituliert T.S. Eliots großes, episches Poem “The Waste Land” die Wechselfälle der Weltgeschichte und ihrer unzähligen Lebensgeschichten … Ruins and Fragments …

Dust to Dust

Teardrops to teardrops,
falling and rising deeper and higher,
and then they’re gone with the wind and the water
and only dreamers can see them as they circle the world on wings of desire.

„How many times does an angel fall?” So fragte sich Bowie auf seinem letzten Album Blackstar. Ich war nicht wenig überrascht, als ich diesen Vers zum ersten Mal hörte, erinnerte er mich doch sehr an jenes Konzert in Newcastle vor so langer Zeit, als mir Bowie auf der Bühne wie ein Engel zu fallen schien. Ein Augenblick, der mir über die Jahre so lebendig im Gedächtnis geblieben ist, als wäre es gestern geschehen. Ich hätte diese sinnbildliche Anwandlung von damals im Geist der dichterischen Freiheit für diese heutigen Erinnerungen einfach erfinden können, es ist ja nur eine kleine Randgeschicht – ich hab’s aber nicht.

Ob fallende Engel, ob steigende Engel, in jedem Fall ist die Techno-Musik deutscher Provenienz in Fan- und Fachkreisen auch als „kosmische Musik“ bekannt. Folgt man darüber hinaus den gnostischen Vorstellungen der jüdischen Kabbalah, von der bekanntlich auch Bowie fasziniert gewesen war, dann ist die Weltkugel von kosmischen Sphärenklängen und seraphisch-cherubinischen Engelsgesängen umringt.

Auch Wolf Biermann, der große Barde des zerrissenen, stachelverdrahteten Berlins, sang in den Siebziger Jahren mit „Marx- und Engelszungen“ – und das so fest überzeugt wie verschmitzt  augenzwinkernd -, da er ja schon damals mit seinen beiden Vaterländern mehr oder weniger auf kritischem Kriegsfuß stand. Er war in der Tat ein Held, ein wahrhaft mutiger Drahtseiltänzer über dem Eisernen Vorhang und einer der letzten, utopisch-dialektischen Luftmenschen zwischen kommunistischem Materialismus und jüdisch-christlichem Spiritualismus.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit … Möglicherweise ist ja der Himmel über Berlin tatsächlich eine geheime Offenbarung himmlischer Engel. Von Wim Wenders über Wolf Biermann bis zu Walter Benjamin und seinem Engel der Geschichte, dem Erzengel aus dem Paradies, der vom Sturmwind des Fortschritts in die Zukunft getragen wird. Oh Angelus Novus, Fragen über Fragen  … ad infinitum  … das ganze scholastische Weltenwissen der fahrenden, in alle Winde zerstreuten Gelahrten  … Cogito! Cogito, ergo sum … credo, quia absurdum!

Fallen Angels, das ist auch der sprechende Titel von Bob Dylans letztem Album, das in diesem Frühsommer herauskam und sein letztjähriges Konzeptalbum Shadows in the Night fortsetzt, nämlich in From diverser musikalischer Re-Interpretationen klassisch amerikanischer Liedtraditionen. Vielleicht ist ja doch was dran an der kabbalistischen Kosmogonie und der irdischen Musik als einem fernen Nachklang der überirdischen Engelsharmonie? Schön wär’s ja,  all die himmlischen Heerscharen und ihrem so irdischen, sinnlich-übersinnlichen Gebaren … angefangen von Astarte in all ihrer Sternenpracht über Mozarts zauberhafte „Königin der Nacht“ und hinunter zu Ella Fitzgerald’s „The Lady is a Tramp“ and Frank Sinatra’s „Strangers in the Night“ to David Bowie’s „Jean Jeanie“, who loves chimney stacks and keeps „talking ‘bout Monroe … New York’s a go-go …” where all the towers are so tall, scraping the skies …reaching for paradise …and after its heavenly fall … way back in the future…

The World

turned into a cosmic disco ball,
and became the glittering galaxies’ most glamorous wonder,
as she is turning us on and tuning us in throughout the deep and dark blue yonder!

Wonder World and Wonder Woman: Maybe her cosmic avatar is that spectral Shekina? Yahwe’s legendary lost better half!  Is she the original Superstar? Or the ultimate Diva Divina? And along that long and winding road … maybe she is also dancing Salome and the gorgeous Queen of Sheba …Isis, Ishtar and Mystical Maya, the original Wo-Man before all those divisions and re-divisions began! God only knows, as the saying goes. But as far as I can see, it is a long, long way from here to his eternity! And if we keep going back to the future … with all the human wear and tear … we’ll never get there … but along the way …

Thank God, we have those rebel songs,
that teach us how to break the rules!
Thank Goddess, we have those siren songs,
for all those ships of moon-struck fools!

So praise them both, that king in the sky and his queen on the ground.

And how they long for each other … because they know they belong together! And how they search for each other … and find one another … up and down the stairways to heaven and earth … and what we so unknowingly call death and rebirth! Thank you for all those celestial flashbacks and all those terrestrial soundtracks. And if the two of you in all your glory are just pure phantasy, then thank you for giving us our down-to-earth-reality, our humanity, our temporary creativity and – last but not least – the magic and music of David Bowie.

***

Was uns Sterblichen hier auf Erden bleibt, ist das tägliche “Carpe Diem” – allem “Memento Mori” zum Trotz. Und dann wird jeder Tag ein Heldentag! Genau wie in Bowies Berliner Weise, diesem großen Heldengesang von jenem immer wiederkehrenden Sturm und Drang …

„We can be heroes“

“We got the world in our hands … we could steal time just for one day“!
But to be honest and heaven knows:
“The stars look very different today.”

Leb wohl, David Bowie! Gute Reise auf deiner weiteren Seelenwanderung. Im Wandern des Wassers, im Wehen des Windes, im Gesang der Geister über den Wassern wirst du für immer weiterleben!  Dort oben sind deine Lieder am allerbesten aufgehoben, schenkt man den Dichtern und Denkern unserer Geistesgeschichte Glauben, jenen Poeten und Philosophen des Weimarer Klassizismus und ihres dialektischen Idealismus.

From KaDeWe to JotWeDe, it’s all so near and it’s all so far out! So fare well, David Bowie! Be good! After all, that’s what the heavens are all about! And by the way, keep cruisin’ for bruisin’, because the storms of history – that age-old progress of his and her story – are never far away. But thank Goodness, now you are our hero for much more than one day!

Now you are free for eternity! No more earth bound, no more rock ’n’ roll! No more fancy costume changes, no more ground control! But we will always remember that we had a great ball! Especially if you think that what might come after death … is nothing … nothing at all!!

And for right now you are still with us, although you had to go, we still can hear you in all your songs, we still can see you in every rainbow, and we still can feel you in that serious moonlight and its twinkling afterglow. Because, after all, we still believe you now as then – and spes contra spem – when you call us through Lazarus … your final, mortal alter ego … calling us one more time …  as if it were your last and lasting stardust show …

“Look up here, I’m in heaven,
dropping my cellphone down below.”

***

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Aug 18 2016

Erinnerungen an Robert(o) Schopflocher: Ein multikulturelles Leben als Vorbild

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von Reinhard Andress

Ich kam vor etwa zehn Jahren auf Robert Schopflocher zunächst über seine Doppelsprachigkeit. Damit meine ich nicht nur eine relativ beliebige Mehrsprachigkeit, sondern auch die Fähigkeit, literarisch in zwei Sprachen schreiben zu können, oft als Ergebnis des Exils. In seinem ersten Erzählband auf Deutsch, Wie Reb Froike die Welt rettete, las ich mich fest, und da ich Spanisch durch Studium und Ehe kann, nahm ich mir ebenfalls seine früheren, in der Sprache geschriebenen Texte vor, etwa den Erzählband Ventana abierta (Offenes Fenster) oder den Roman Extraños negocios (Seltsame Geschäfte). Auch seine weiteren Bücher auf Deutsch schaffte ich mir immer schnell an und las sie mit Begeisterung, etwa die Autobiographie Weit von wo oder die Romane Die verlorenen Kinder und Das Komplott zu Lima.
Denn abgesehen von der Doppelsprachigkeit hielten mich seine Bücher natürlich auch thematisch fest. Dem erwähnten Erzählband Ventana abierta hat Roberto das folgende Motto des Poeten Miguel Hernández vorangestellt: „Soy una ventana abierta que escucha / por donde va tenebrosa la vida. / Pero hay un rayo de sol en la lucha / que siempre deja la sombra vencida.“ Auf Deutsch hieße das etwa: Ich bin ein offenes Fenster, das lauscht, wohin das Leben düster schreitet. Es gibt aber einen Sonnenstrahl im Kampf, der den Schatten immer besiegt. Dieses Motto gilt, ich glaube, für Robertos Werk insgesamt, sozusagen der Versuch einer Beleuchtung der Zwischenwelten, die am Rande des Alltags vibrieren. Dabei geht er von der Oberfläche der historischen Realität oder relativen Gegenwart aus, schlägt erzählend aber bald eine Brücke zu den Träumen, Ängsten und Illusionen unseres Innenlebens, zu versteckten Gefahren im Alltag, zu Fragen der Selbstverwirklichung, des versäumten Lebens oder der unbekannten Mächte, denen wir schuldhaft-kafkaesk ausgesetzt sind. Eine dieser Zwischenwelten ist auch der starke Sog einer heraufbeschworenen, oft jüdischen Vergangenheit. „Die Vergangenheit pflegt einen leichten Schlaf“, hat Roberto einmal gesagt. In diesem Zusammenhang spielen wiederum die Erfahrung der verlorenen Heimat, die erzwungene Auswanderung, die bleibende Erinnerung an die alten jüdischen Traditionen und die kulturelle Identität eine große Rolle, alles gefiltert durch die subjektive Sicht seiner vielen Figuren. Robertos Prosa kommt aber nicht psychologisierend mit Antworten daher. Vielmehr bleibt viel in der Schwebe. Das macht ihn für mich so sympathisch, denn mit zunehmendem Alter glaube ich, dass wir uns hauptsächlich in einer riesigen Grauzone zwischen unserem Alltag und den Zwischenwelten bewegen. Roberto fand einen prägnanten literarischen Ausdruck für diesen Zustand.
Im Laufe der Jahre kam es 2009, 2011 und 2015 zu Begegnungen mit Roberto in Buenos Aires am Rande von Kongressen, davon zweimal in seiner schönen, stilvoll und mit vielen Kunstwerken eingerichteten Etagenwohnung in Belgrano Norte, dem Stadteil, wo sich viele deutsche Emigranten niedergelassen haben. Ich hatte so eine große Achtung vor dem literarischen Schaffen dieses Schriftstellers, dass ich zunächst eine Scheu empfand, ihm zu begegnen. Doch wurde das beim ersten Kennenlernen durch seine tiefe Menschlichkeit schnell abgebaut. Ob bei Kaffee und Kuchen in der Wohnung zusammen mit seiner Frau Ruth oder ob beim kräftigen argentinischen Mittagssteak in Puerto Madero, es war immer leicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Obwohl ich eigentlich derjenige war, der fragen und herausfinden wollte, interessierte sich Roberto durchaus, ebenfalls seine Frau, für meine Welt. Letzten Endes ging es natürlich immer um sein literarisches Werk, aber es war ein Austausch, wie ich ihn selten erlebt habe.
Oft kam ein melancholischer Ton bei ihm durch, eine sanft vorgetragene Weisheit um die Grässlichkeiten, die sich Menschen im Namen von Religion und Ideologien immer wieder antun, eine skeptische Weisheit, die auch in seinem letzten Roman Das Komplott zu Lima einen starken literarischen Ausdruck fand. Es ist ein Historienroman, in dem es um die Inquisition in Lateinamerika geht, wobei man aber unwillkürlich an den Holocaust und an weitere Zerreißproben heute im Zusammenhang mit Globalisierungsprozessen und religiösem Fanatismus denkt. Das kann alles noch fatal enden – das wäre eine Lesart des Romans.
Sollen wir aber Robertos skeptische Haltung akzeptieren und pessimistisch bleiben? Als ich ihn im September 2009 interviewte, nahm ich das Gespräch auf und habe es mir kürzlich wieder angehört. Er arbeitete damals gerade an den erwähnten Lebensaufzeichnungen Weit von wo, die 2010 mit dem Untertitel „Mein Leben zwischen drei Kulturen“ erschienen. Dieses multikulturelle Leben tauchte auch motivisch in unserem Gespräch immer wieder auf. Da war trotz aller negativen Erfahrungen die deutsche Kultur seiner Jugend, romantisch und idealistisch geprägt. Hinzu kam ein agnostisch gefärbtes, doch stark kulturell durchsetztes Judentum. Im Hintergrund standen hier die Kindheit in Mittelfranken, ein jüdisches Landschulheim, die Pestalozzi-Schule in Buenos Aires und der berufliche Kontakt mit russischen Juden in den Baron-Hirsch-Siedlungen der argentinischen Pampas. Und dieses Argentinien war seine dritte Welt, lebensrettend, das Land, wo er seine Ausbildung erhielt, eine Familie gründete und schließlich fast achtzig Jahre lebte. Diese drei Welten bildeten bei Roberto eine Symbiose mit so beweglichen Dimensionen, dass er sich nie auf eine festlegen weder konnte noch wollte. So kann es also auch in unserer heutigen Welt gehen: durch ein Gewaltregime in die Freiheit geschleudert, kann man auch einen längeren Atem und einen weiteren Horizont gewinnen, als es in der Heimat möglich gewesen wäre, wobei aber die heimatlichen Wurzeln nicht vergessen werden. D.h. aus der Not der erzwungenen Auswanderung eine Tugend zu machen, die Migration als Schwebe zwischen mehreren Kulturen zu erleben, als einen Zustand, dessen multikulturelles Potenzial ausgeschöpft werden kann – das ist ein Modell, das uns Roberto in höchstem Maße vorgelebt und mit seinen Texten vorgezeigt hat.

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Aug 18 2016

Rezension | Roberto Schopflocher Das Komplott zu Lima

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von Gabriele Eckart

Roberto Schopflocher Das Komplott zu Lima. Frankfurter Verlagsanstalt 2015, 447 Seiten, 24.90 Euro

Es gibt kein aktuelleres Stück Literatur zu dem Thema Flüchtlinge als Roberto Schopflochers 2015 neuer Roman Das Komplott zu Lima.  Auf der Flucht ist eine Familie von aus Spanien und Portugal stammenden Marranen; sie flieht vor der Inquisition.  Der Fluchtweg führt von Brasilien nach Buenos Aires, nach Córdoba in Argentinien, nach Santiago de Chile, nach Lima, Peru.  Dort geraten sie den katholischen Glaubensrichtern mit ihren Verliesen, ihrer Seilfolter, ihrer Wippschaukel, den Daumenschrauben und dem Scheiterhaufen dann doch in die Falle.

Der Text ist ein umfangreicher, akribisch recherchierter historischer Roman über die Judenverfolgung in Südamerika im siebzehnten Jahrhundert.  Die Hauptfigur ist die fiktive Elvira Acosta; sie kommt nach zwei Jahren Kerkerhaft als fast einzige aus ihrer Familie mit dem Leben davon.  Einer der Inquisitionsrichter erkennt in der jungen Frau seine Jugendfreundin aus Buenos Aires, erinnert sich an einen Kuss und gibt ihr ein milderes Urteil.  Natürlich plagt sie das später; warum ist gerade sie mit dem Leben davongekommen?

Dass der im Januar dieses Jahres verstorbene Deutsch-Argentinier Roberto Schopflocher Argentinien hautnah miterlebte, während er den Roman schrieb, wird deutlich, wenn Elvira nach ihrem verschwundenen Söhnchen zu suchen beginnt.  Nach den zwei Jahren Haft, mit einem Ehemann, der zu einem Leben als Galeerensträfling verurteilt wurde, und ohne Familienangehörige, die sich um das Baby hätten kümmern können, hat sie nichts als ihre Erinnerung an das Kind und Gerüchte, die sie hier und da aufschnappt.  An kinderlose Altchristen in Santiago de Chile sei es gegeben worden…  Per Schiff dorthin! Sie überlebt, während sie in Santiago verzweifelt nach ihrem Kind Ausschau hält, das schwere Erdbeben von 1647.  Von Enrequillo, dem Sohn, keine Spur.  Natürlich erinnern wir uns, während wir Elviras Suche nach dem verschwundenen Sohn verfolgen, an die Großmütter, die nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien in den 1980ern und 1990ern Jahren nach den verschwundenen Kindern ihrer ermordeten Töchter und Söhne zu suchen begannen… die Bilder ihrer Demonstrationen auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires gingen um die Welt.

Stilistisch geschult an den historischen Romanen Stefan Zweigs mit ihrer nüchternen und doch kunstvollen Sprache, hat Schopflochers Text doch auch eine postmoderne Note; dokumentarisches Material (Auszüge aus Inquisitionsakten) ist eingeschoben und Code-Switching von Deutsch in verschiendene Fremdsprachen (vor allem Spanisch, Hebräisch und Latein) kommt reichlich vor. Am Ende des Romans steht ein neunseitiges Glossar mit der Erklärung aller fremdsprachigen Ausdrücke, etwa: “Relaxierung, relaxieren Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.”

Elvira Acosta ist intelligent und aufgeweckt; ständig auf Sinnsuche, fällt sie dennoch nicht auf Erlöserfiguren wie zum Bespiel Sabbatai Zwi herein, ein selbsternannter Messias, der ihre Freundin veranlasst, alles hinzuschmeißen und nach Jerusalem auszuwandern; die vom Vater geerbte Skepsis schützt Elvira.  Weil sie ihren Sohn nicht finden kann, nimmt sie zwei Kinder an, erzieht sie und findet in der Stadt ihrer Kindheit, Buenos Aires, eine Art inneres Gleichgewicht.

Der allwissende Erzähler ist am überzeugendsten, wenn er Details aus dem Alltagsleben des 17. Jahrhunderts in den spanischen Kolonien beschreibt, zum Beispiel Gerüche, Kleidung (einschließlich der Schandkleider, die die zum Tode verurteilten Juden tragen mussten), den Umgang mit den schwarzen Haussklaven, die Pyrotechnik und das ständige Zittern der Erde im Andengebiet.  Wenn er Elvira über das Leben reflektieren lässt, möchte man sich verschiedene Sätze herausschreiben, etwa “Die neue Heimat? Elvira konnte sich unter diesem Begriff nichts vorstellen. Gab es denn alte und neue Heimaten? Kann man die Heimat etwa wechseln wie ein Kleid? Oder ist man gezwungen, mit zwei Heimaten gleichzeitig zu leben? Oder gar mit dreien?” Schopflocher, der als vierzehnjähriger Angehöriger einer deutsch-jüdischen Familie 1937 Deutschland verließ und nach Argentinien kam, lebte mit zwei Heimaten und weiß sehr wohl, wovon er spricht.

Hin und wieder wechselt die Erzählstimme des Romans von der dritten in die erste Person, Monologe Elviras, durch Kursivschrift hervorgehoben. Am bewegendsten klingt ihre Stimme am Ende auf dem Sterbebett, wenn sie ihr Leben zusammenfasst. Es ist keineswegs lamoryant; trotzdem weint man.

Im Zentrum des Romans steht, wie der Titel bereits ankündigt, das historisch belegte berüchtigte Tribunal und sich anschließende Autodafé 1639 in Lima. Die Parallelen zur NS-Zeit sind unübersehbar. Ihres jüdischen Glaubens wegen werden die Marranen verfolgt; sie sind getauft, sogenannte Neuchristen, halten aber heimlich an den jüdischen Gebräuchen fest… Bespitzelung, Denunziationen, Verhaftungen, Folter, Prozesse, Scheiterhaufen sind die Folge.  Übrig bleiben Akten als Zeugnisse einer ungeheuren Vernichtungsbürokratie.

Roberto Schopflocher erfuhr vor seinem Tod noch, der Roman wird verfilmt werden. Tief bewegt von der Lektüre kann ich es kaum erwarten, den Film zu sehen.

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Aug 18 2016

Fritz Kalmars “Das Wunder von Büttelsburg”: Eine österreichische Stimme aus dem südamerikanischen Exil zur Vergangenheitsbewältigung

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von Reinhard Andress

Fritz Kalmar, 1911 in Wien geboren und aufgewachsen, studierte Jura und arbeitete zunächst in einer Anwaltskanzlei, bevor ihn der „Anschluss” 1938 zur Flucht zwang. Er landete schließlich in Bolivien, wo er bei einem deutsch-englischen Nachrichtensender in La Paz Arbeit fand und 1941 zum Mitbegründer der Federación de los Austríacos Libres wurde, die sich überparteilich antifaschistischen und karitativen Tätigkeiten widmete. Ebenfalls wurde er Schauspieler und Bühnenautor einer österreichischen Theatergruppe um Georg Terramare und Erna Terrel. 1953 heiratete er Terrel, und zusammen zogen sie nach Montevideo, wo Kalmar seine künstlerische Arbeit fortsetzte. Später als Konsul Österreichs in Uruguay konnte er politischen Gefangenen während der uruguayischen Diktatur (1973-1985) vielfach Hilfe gewähren. Des Weiteren war er als Auslandskorrespondent für solche Zeitungen wie die FAZ, die NZZ oder Die Presse tätig. Erst spät im Leben wurde Kalmar als Autor bekannt, u.a. mit dem Erzählband Das Herz europaschwer (1997), Das Wunder von Büttelsburg und andere Erzählungen (1999) oder Wiener Familienfragmente (2005). Er verstarb 2008 mit 96 Jahren in Montevideo.1
Der österreichische Autor und Kritiker Erich Hackl bezeichnete Kalmar in seinem Nachruf als einen “der bedeutendsten Schriftsteller des österreichischen Exils.”2 Die Bedeutung des Autors ist sicher zu einem Teil auf den relativen Erfolg des positiv rezipierten Erzählbands Das Herz europaschwer zurückzuführen, in dem, wie der österreichische Literaturwissenschaftler Horst Jarka schrieb, sich Kalmar “in vielen bewegenden Einzelschicksalen sein eigenes Heimweh von der Seele schrieb.”3 Zu Unrecht hat Das Wunder von Büttelsburg und andere Erzählungen nicht dieselbe Aufmerksamkeit erhalten, vor allem die Titelerzählung. In diesem Sinne versuchen die folgenden Ausführungen eine Korrektur.4
In einem Interview aus dem Jahre 1999 ließ Kalmar ein wenig zur Entstehungsgeschichte des Textes durchblicken:

Das Buch „Das Wunder von Büttelsburg“, das als letztes erschienen ist, habe ich schon vor vielen, vielen Jahren begonnen. Wie ich auf die Idee dafür gekommen bin, weiß ich heute nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich im Trolleybus in die Stadt fuhr und mir auf einmal dieser Gedanke kam. Das hat sich dann entwickelt, ich habe jedes Kapitel meiner Frau vorgelesen. Erst habe ich es in Dialekt geschrieben, im Dialekt der Leute, die da redeten. Davon rieten mir meine Frau und Freunde ab. Ich schrieb den Text um und ließ ihn viele Jahre liegen. Eines Tages ist er mir wieder in die Hand gekommen und ich dachte mir, vielleicht könne man doch etwas daraus machen, korrigierte und bearbeitete ihn.5

In einem gewissen Sinne mag es günstig gewesen sein, dass der Text zunächst liegen blieb, denn erst in den Achtzigerjahren begann sich Österreich (und Deutschland) intensiver dafür zu interessieren, was exilierte Autoren zu ihren eigenen Erfahrungen im Nationalsozialismus und zu den Entwicklungen danach in Europa zu schreiben hätten, ein Thema, das sich bis in die Gegenwart fortsetzt.6 So sehr prägte das Vorwärtsdenken die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Nachkriegsentwicklungen, dass kulturell weniger Raum für den Rückblick auf den Nationalsozialismus und dessen Nachwirken blieb. Genau um eine österreichische Stimme aus dem südamerikanischen Exil zur Vergangenheitsbewältigung geht es nun in „Das Wunder von Büttelsburg“, wobei ein Sarg zu einem surrealistischen Dingsymbol wird, das motivisch im Hintergrund der Erzählung allgegenwärtig ist und das Geschehen vorantreibt.7
Kurz zur Handlung: Büttelsburg, das anhand der sprachlichen Einschläge im Text, die trotz Kalmars Umschreibung ins Hochdeutsche bleiben, im Süden Deutschlands oder in Österreich liegen könnte, hatte 1939 einen jüdischen Mitbürger, Jakob Kellermann, und seine Familie aus dem Städtchen vertrieben. In der südamerikanischen Emigration ist er nun verstorben und soll, seinen Wünschen gemäß, in der Heimat begraben werden. Der Bürgermeister und andere Figuren der Erzählung empfangen den Sarg am Bahnhof, und ein Trauermarsch begleitet ihn zum Hauptplatz, wo er für eine Schweigeminute vor dem ehemaligen Geschäft Kellermanns abgestellt werden soll. Hier geschieht dann das surrealistische „Wunder“ der Erzählung, wie wir von einem der Feuerwehrmänner hören: „Der Sarg. Wir können ihn nicht heben.“8 Ob nun Seile, ein Pressluftbohrer, ein Traktor oder sogar Feuer zum Einsatz gebracht werden, der Sarg bleibt unverrückbar stecken und lässt sich nicht begraben. Die etwa zweihundert Seiten des Textes führen uns dann die Reaktionen der Büttelsburger vor, zunächst mit satirisch-ironischen Elementen von Kalmar gezeichnet, bevor Verschwiegenes zunehmend zur Sprache kommt und sich die schreckliche Wahrheit hinter Kellermanns Schicksal enthüllt, das sich am Kollektiv der Büttelsburger rächt. Wie hier noch zu zeigen sein wird, ist damit aber die Vergangenheit keineswegs im Sinne einer positiven zukunftsorientierten Perspektive bewältigt. Vielmehr scheint sich die Erzählung in einen unerbittlichen Kreislauf der Geschichte einzufügen.
Nachdem Reporter die Nachricht vom unverrückbaren Sarg verbreitet haben, führt er als Sehenswürdigkeit zur touristischen Ankurbelung der Wirtschaft:

Überall in Büttelsburg, im Gasthof „Zum goldenen Hirschen“, in der Weinstube „Zum guten Tropfen – Hermann Fechters Söhne“, in den [sic!] Raume, den der Bäcker als Konditorei bezeichnete, beim Kaufmann Josef Margreiter, an der Tankstelle, im Postamt, im Gemeindeamt, an allen Telephonen, auf allen Spazierwegen und besonders auf dem Hauptplatz, überall wimmelte es von Fremden, von geldausgebenden, wirtschaftsbelebenden, stimmungshebenden, herrlich anspruchsvollen und reichlich zahlenden Fremden. Man sprach in Büttelsburg von einem Wunder. (42)

Das ist sicher eine ironische Anspielung auf das „Wirtschaftswunder“ in Deutschland und Österreich nach dem Krieg, finanziert durch amerikanische Marschall-Plan-Gelder. Ohnehin gehören auch Amerikaner zu den Fremden: „[…] was ein anderer in unserm Geld zahlt, das zahlen die in Dollars“ (53). Hinzu kommt eine für den Ort nie dagewesene wissenschaftliche Aufmerksamkeit von acht Universitäten europäischer Länder, deren Vertreter das Phänomen untersuchen, auch „ein Gelehrter, ein Physiker von internationalem Ruf, Professor an der Princeton-Universität“ (53). Kurz: „Der Ort war nicht wiederzuerkennen“ (54).
Um die gewinnträchtige Stimmung in Gang zu halten, ersinnen Bürgermeister Meinrad und Gasthofwirt Burgstaller einen Trachtenzug, zu dem sie den Nachbarort Blunz einladen. Die Begrüßung Meinrads beim Empfang des Blunzer Bürgermeisters macht Kalmar zu einer Satire auf solche inhaltslose Reden:

„Herr Bürgermeister – also – großer Tag, nicht wahr – also, wir alle, nicht wahr – will sagen, im Namen von ganz Büttelsburg – ohne Ausnahme – wir schätzen die große Ehre – Blunz – Sie, Herr Bürgermeister – persönlich – und Frau Gemahlin – uns die Ehre, unser Gast – Gäste – alle ihre Blunzer, Ehre und Freude – also, nicht wahr – will sagen – also – willkommen!“ (71-72)

Der Trachtenzug wird auf alle Fälle zu einem vollen Erfolg, „zum Höhepunkt des Jahres, ja vieler Jahre“ (64).
Doch einwandfrei können die Büttelsburger den wirtschaftlichen Erfolg und die Festlichkeiten nicht genießen. Schon nach der Abreise der Reporter stehen sie „ohne Ablenkung dem Sarge allein gegenüber“, was sie „missmutig und gereizt“ (38) macht. Bürgermeister Meinrad erkennt das Problem sehr genau: „Das Eigentliche bleibt ungesagt“ (39). Einem für den Trachtenzug herbeigereisten amerikanischen Journalisten ist z.B. unklar, „was die Büttelsburger über die merkwürdigen Vorgänge in ihrem Ort dachten“ (84). Eine typische Reaktion hält er folgendermaßen fest:

„Sie wissen ja, wie’s damals war, man hat’s doch auf der ganzen Welt gewusst. Wir selber natürlich, wir haben nichts gewusst. Na ja, den Juden ist es damals sehr schlecht gegangen, das muss man schon sagen – ihnen allen und dem Kellermann halt auch – man hätte ihm ja gern geholfen, aber das war leider nicht möglich, absolut unmöglich –“ (85)

Der Journalist überlegt sich: „– vielleicht wussten die Einwohner Büttelsburgs wirklich nicht mehr viel von den früheren Dingen. Aber gehörten diese Dinge nicht dazu? Hatten sie nicht irgendetwas, und sogar ziemlich viel, mit dem, was jetzt hier vorging, zu tun?“ (85). Mit dieser offenen Frage endet formal der erste Teil des Textes, bevor im zweiten die Wahrheit langsam enthüllt wird, die so ungeheuerlich ist, dass sie keine Satire und Ironie mehr zulässt.
Zunächst stellt sich wieder Aggressivität unter den Büttelsburgern ein: „Was die Gefühle so zum Kochen brachte, war die unbeantwortete Frage ‚Warum?’, das Verlangen nach einer Erklärung des Unverständlichen. Was war schuld daran, dass dieser Sarg über Büttelsburg gekommen war?“ (89). Aus Unzufriedenheit damit, dass der Bürgermeister das Problem nicht löst, wird eine Volksversammlung abgehalten, bei der es zu einem wesentlichen Moment der Wahrheitsaufklärung kommt. Der Apotheker, „der stille kleine Reitmann“ (111), findet den Mut, den Tatsachenbestand, warum der Sarg ausgerechnet vor Josef Margreiters Geschäft am Hauptplatz unverrückbar bleibt, endlich auszusprechen. Es handelt sich um die Arisierung des Geschäfts

„Weil’s sein Geschäft war, sein eigenes Geschäft, das er so viele Jahre gehabt hat, bis man’s ihm weggenommen hat, dem Kellermann, weggenommen mit Gewalt, gestohlen. Weil er sich nicht hat wehren können – weil er ein Jud war und hat’s Maul halten müssen, damit man ihm nicht auch noch das Leben nimmt! […] Abgekauft! Abgekauft! Er [Kellermann] hat’s mir damals erzählt, einen Hunderter hast du [Margreiter] ihm hingeschmissen, einen einzigen Hunderter fürs ganze Geschäft mitsamt der Einrichtung und mitsamt der Ware! Und wie er gemeint hat, dass das doch nicht recht ist, da hast du ihm gesagt, er soll froh sein damit, wenn er’s nicht nimmt, kriegt er gar nix – und es könnt ihm passieren, dass er überhaupt nicht mehr wegkommt von Büttelsburg. So wie sein Bub nicht mehr weggekommen ist, und er hätt’ ihn vielleicht freikriegen können, wenn er das Geld gehabt hätte. Wenn du nicht so ein Hund gewesen wärst, dann hätt’ er das Geld gehabt. Die Kinder würden noch leben – unsere – unsere Kinder –“ (112-13)

Die weiteren Einzelheiten der Geschichte, die wir im Laufe des Textes erfahren, haben mit dem Sohn Kellermanns, Richard, zu tun, der wegen boshafter Karikaturen des Führers angezeigt und von Viktor, dem Sohn Margreiters, ins KZ abgeführt wurde, aus dem er nicht zurückkehrte. Reitmanns Sohn Philipp verliebte sich wiederum als Nicht-Jude in die Tochter Kellermanns, Ilse, was den Nazi Alois eifersüchtig machte, der sie trotz ihres Judentums für sich haben wollte. Philipp kommt wegen der verbotenen Liebe in ein Straflager, wo er scheinbar Selbstmord begeht, indem er in den elektrisch geladenen Stacheldraht rennt. Ilse wird von Alois vergewaltigt und bringt sich um.
Was sich enthüllt, ist eine komplexe Verflechtung von Tätern, Mittätern und Mitwissern, damals getrieben durch Opportunismus und Gleichgültigkeit. In der Erzählgegenwart versuchen sie, sich mit einer Sündenbockmentalität zu schützen, Rache zu begehen, bzw. sich mit Argumenten des Pflichtgehorsams aus der Schuld und Mitschuld herauszureden und diese mit einer finanziellen Wiedergutmachung als Sühne unter den Teppich zu kehren. Der Versuch des Pfarrers wiederum, den Büttelsburgern ins Gewissen zu reden, bringt wenig, außer dass er Manfred als Sohn des Bürgermeisters für eine restlose Aufklärung der Wahrheit begeistern kann, was dann aber auch nicht unproblematisch ist, wie sich zeigt.
Die Sündenbockmentalität zeigt sich am unmittelbarsten am Ende der Volksversammlung:

Dann erhob sich hinten an der Wand ein großer Mann und brüllte mit aller Kraft: „Wahr! Was er sagt, das ist wahr! Du [Margreiter] hast das Geschäft arisiert, das wissen alle. Dieb! Mörder! Hund! Wegen dir ist der Sarg da, du Schuft!“
„Schuft!“ schrie es nun von allen Seiten. Man hatte einen Schuldigen. „Schuft. Dieb! Verbrecher! Du bist schuld an allem.“ Von irgendwo flog ein Funke in den Zunder. „Haut ihm das Geschäft zusammen, dann wird alles in Ordnung kommen mit dem Sarg. Alles kurz und klein schlagen, er muss raus aus dem Geschäft, er hat es gestohlen. Nieder Margreiter, nieder mit ihm!“ (113)

So kommt es zu einer perversen Lynchjustiz, bei der Margreiter sogar umgebracht wird. Verbogen ist ebenfalls eine rächende Selbstjustiz, wenn Hermann seinen Bruder Alois wegen seiner Mitschuld an Ilses und Philipps Selbstmord tötet. Viktor als Sohn Margreiters möchte Reitmann allgemein um Verzeihung für die damaligen Ereignisse bitten, doch von diesem daraufhin angesprochen, warum er den jungen Kellermann, als er ihn ins KZ abführte, nicht hat laufen lassen, erwidert er mit einem Standardsatz des Pflichtgehorsams: „Befehl ist Befehl“ (135). Die Lehrerin glaubt, eine Art Sühne wäre durch eine finanzielle Wiedergutmachung zu erreichen. Was von Margreiters unrechtmäßig erworbenem Geschäft bleibt, wird verkauft und der Erlös auf das Konto des überlebenden Kellermann-Sohnes, Herbert, in Kalifornien überwiesen. Danach wird ein neuer Versuch gestartet, den Sarg zu entfernen, aber: „Der Sarg stand fest“ (153). Wie oberflächlich der Wiedergutmachungsversuch eigentlich ist, zeigt sich darin, dass die Lehrerin zur Anführerin einer neo-nazistischen Gruppe wird.
Das verdrängende Verhalten und die (Mit-)Schuld der Büttelsburger lässt sich am deutlichsten an der „Gewissensforschung“ (189) des Bürgermeisters ablesen, die er sich am Erzählende am Teich, wo sich Ilse umgebracht hatte, vornimmt. Sie wird zu einem Bündel von fragwürdigen Rechtfertigungen: Der Führer habe für Ordnung gesorgt; einen Einfluss habe er auf die Verhaftung Richard Kellermanns nicht haben können; von der Anzeige gegen ihn habe er nichts gewusst; die Abführung ins KZ habe er ebenfalls nicht verhindern können; um ihn mit einer Bestechung zu befreien, hätten die Kellermanns nicht so eilig und billig ihr Geschäft verkaufen sollen, was vielleicht ohnehin eine verleumderische Geschichte sei; Philipp und Ilse seien auch nicht zu helfen gewesen, ohne dass er sich selbst exponiert hätte. Er bedauert zwar die Ereignisse, doch Machtlosigkeit ist die motivische Konstante seiner Rechtfertigungen: „Wie machtlos ist doch der Mensch! Und grad dann, wenn’s darauf ankommt, dann ist er am meisten machtlos“ (195). In der letzten Instanz ist er schuldlos:

Die Geschichte war erledigt, Punkt für Punkt durchgegangen, mehr gab es nicht. Er blickte auf das Blatt Papier in seiner Hand und es wurde ihm warm uns Herz. Frage um Frage hatte er sich vorgelegt, ehrlich, streng, ohne Nachsicht mit sich selbst beantwortet, hier war das Ergebnis: NULL. Er hatte sein Gewissen aufrichtig geprüft, es war rein, er hatte sich nichts vorzuwerfen, keine Schuld lastete auf ihm. (199)

Das Stück Papier, auf dem er sich die Fragen seiner Gewissensforschung notiert hatte und jeweils mit einer Null versah, zerknüllt er und will es wegwerfen. Es könnte aber der falschen Person in die Hände geraten, und so umwickelt er einen Stein damit und wirft ihn in den Teich. Doch dann fällt ihm ein, dass Ilse dort Selbstmord begangen hatte: „[…] der Stein fiel ins Wasser und ließ einen dünnen Wellenring aufspringen, der sich auf der glatten Fläche schnell erweiterte und aussah wie ein großes, rundes Grinsen“ (200). Das Grinsen deutet eine makabre Ironie an, dass der Bürgermeister ausgerechnet dort sozusagen seine Mitschuld ertränken will, wo Ilse ins Wasser gegangen ist.
Der Pfarrer versucht wiederum, die Schuld und Mitschuld der Büttelsburger in einen biblischen Kontext zu stellen. Als sie verstärkt in die Kirche kommen, weil sie auch dort eine Lösung für den unverrückbaren Sarg suchen, predigt er ihnen die Geschichte von der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem durch die Römer im Jüdischen Krieg des Jahres 70 n. Chr. als Analogie zur Situation in Büttelsburg. Die Zerstörung hatte Christus vorausgesagt (Matthäus Kapitel 24, Vers 1 und 2):

„Liebe Gemeinde!“ begann er. „Von Zerstörung und Zukunft, von Verzweiflung und Verheißung spricht die Evangelienstelle des heutigen Sonntags, von den letzten Dingen, von der Zerstörung Jerusalems, der Wiederkunft Christi und dem Ende der Zeit, der Welt. Vernichtung kündigt der Herr an, Vernichtung des heiligen Tempels, von dem kein Stein mehr auf dem anderen bleiben würde, Vernichtung auch der Stadt und schließlich die große Vernichtung – und Rettung – durch das Weltgericht. Eindringlich warnt Christus: in die Berge möge fliehen, wer zu dieser Zeit in Judäa sei, sich nicht Zeit nehmen, etwas aus dem Hause zu holen, ja auch nur die Kleider aufzunehmen, die er vor der Feldarbeit abgelegt, nichts mitnehmen, nur fliehen. Aber ist Flucht schon Rettung? Noch lange nicht. Von großer Bedrängnis und Trübsal spricht der Herr. Für wen? Nicht für jene, die der Vernichtung anheimfielen, sondern für jene, die sie überlebten“ (140).

Als Überlebende des Nationalsozialismus hätten die Büttelsburger Schuld auf sich geladen: „Auf dem Grunde jeder Zerstörung finden wir immer das Gleiche: Entheiligung, Schuld, im Kleinen wie im Großen, in Büttelsburg wie in Jerusalem“ (140). Der Pfarrer plädiert für eine Vergangenheitsbewältigung, die die Schuld aufarbeitet.
Das Thema der Vergangenheitsbewältigung ist ein wesentlicher Teil des deutschsprachigen kulturellen Diskurses seit dem Zweiten Weltkrieg.9 In der literarischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gab es zunächst eine Tendenz, die Auswirkungen des mörderischen Regimes in größere unabänderliche Zusammenhänge einzuordnen. In ihrer grundlegenden Studie zu diesem Thema beschreibt die Literaturwissenschaftlerin Judith Ryan diese Tendenz wie folgt:

The German people were seen as the collective victim of a terrible fate, rather than as a group of morally responsible individuals. An entire historical epoch was reduced to merely one manifestation among many of the eternal struggle between good and evil; history came to be seen in terms of primal myth.10

In diesem Zusammenhang führt sie u.a. solche Prosawerke wie Ernst Wiecherts Der Totenwald (1946), Hermann Kasacks Die Stadt hinter dem Strom (1947), Elisabeth Langgässers Märkische Argonautenfahrt (1950) oder Bernd von Heiselers Versöhnung (1953) an. Das mythologisierende Verständnis des Nationalsozialismus als Wiederholung der Geschichte wich aber in den Fünfzigerjahren der Frage, „whether individual action was at all possible and how.“11 Dabei geht es nicht allein um den erfolgreichen Widerstandskämpfer, „but the tantalizingly blank spot where he might have stood. And in forcing us to form our own image of this proponent of action they [die Schriftsteller] create a new kind of reader-oriented rethinking of the Nazi period.“12 In diesem Sinne interpretiert Ryan dann solche Texte wie Alfred Anderschs Sansibar oder der letzte Grund (1957), Günter Grass’ Die Blechtrommel (1959), Siegfied Lenz’ Die Deutschstunde (1968) oder Christa Wolfs Kindheitsmuster (1976). Diese Liste kann bis in die relative Gegenwart fortgesetzt werden. Dabei unterliegt Ryans Ausführungen die Hoffnung „that the course of history is something not entirely out of our own hands.“13
Im Sinne der Vergangenheitsbewältigung und Ryans Ausführungen geht Kalmars „Wunder von Büttelsburg“ der Frage nach der individuellen Verantwortung im Nationalsozialismus nach. Selbst wenn der Pfarrer biblische Vergleiche herausbeschwört, so hat er aber nicht die Absicht, die Verbrechen des Nationalsozialismus mythologisierend abzutun. Um noch einmal auf seine Predigt vor der Büttelsburger Gemeinde zurückzukommen: Er will sie vielmehr zu einer Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Verantwortung in den schrecklichen Ereignissen um die Arisierung von Kellermanns Geschäft bewegen. Mit der Wiederkunft des Herrn und dem Weltgericht werden sich die Büttelsburger mit der „furchtbare[n] Frage“ konfrontiert sehen: „was hast du getan in der Zeit zwischen Kommen und Wiederkommen des Herrn“ (141).
Da sich aber die Büttelsburger dieser Frage verweigern, indem sie keine individuelle Schuld (oder Mitschuld) auf sich nehmen, scheint es im weiteren Textverlauf doch fast so etwas wie eine biblische Rache des Weltgerichts an Büttelsburg zu geben. Mit dem unverrückbaren Sarg werden die Menschen nicht fertig und verlassen den Ort, bis nur der Pfarrer bleibt, der als letzter auch aus dem Städtchen fortgeht. Zurück bleibt der Sarg: „Der Sarg stand allein und hielt sein Schweigen dem Himmel entgegen, und der Himmel antwortete, und es war dasselbe Schweigen“ (209). Eine biblische Erlösung von der Schuld gibt es hier nicht. Die Vergangenheit bleibt nicht nur unbewältigt, sondern sie wiederholt sich, wie wir in Kalmars angefügtem „Nach- und Vorbericht“ erfahren. Ohne Einwohner verfällt das Dorf und wird vom Militär benutzt, um eine neue Waffe auszuprobieren – sicher eine Anspielung auf die Wiederbewaffnung Österreichs 1952 durch das Bundesheer oder Deutschlands 1955 durch die Bundeswehr. Weitere Zeit vergeht: „Sonne, Regen, Wind, Schnee bearbeiteten den Boden. Sand und Erde legten sich auf den Sarg, immer höher, wurde er zu einem kleinen Hügel. Gras wuchs darüber. Dann sprossen Gänseblümchen, Butterblumen, Löwenzahn“ (210). Zwei junge Menschen siedeln sich dort an, und es entsteht wieder ein Dorf mit regem Leben. Doch dann geschieht Folgendes:

Aber einmal, einmal, irgendwann, da kommt Fremdes über sie alle, sie, die zusammengehören, erkennen einander nicht mehr. Anderssein wird Schuld, erloschen Geglaubtes flackert auf, durch die Asche hindurch, wird zur Flamme, Unbegreifliches vollzieht sich, Gut und Böse verkrallen sich ineinander, daß sie nicht zu scheiden sind. Mit wissendem Lächeln sieht der Teufel zu, wie Särge aus den Gräbern springen und Geschehenes, längst Abgetanes, wieder geschieht und wieder, immer wieder geschieht ohne Ende (211)

Es sind die Schlussworte der Erzählung, die aber für Kalmar eben nicht endet, sondern zum schrecklichen Kreislauf wird. Der „Nachbericht“ könnte ebenfalls als „Vorbericht“ dienen.
Man mag dieses pessimistische Ende gegen den Strich lesen und sich mit dem Bürgermeistersohn Manfred identifizieren wollen. Immerhin hatte er auf wesentliche Weise die Wahrheitsfindung vorangetrieben, wenn sich dabei auch herausstellt, dass es seine eigene Mutter war, die eventuell aus einem falsch verstandenen Pflichtbewusstsein heraus Richard Kellermanns Karikaturen des Führers angezeigt hatte. Er will auch weg aus Büttelsburg, um im Heiligen Land durch harte Arbeit die Schuld zu sühnen. Der Pfarrer rät ihm: „Es geht nicht nur darum, eine Schuld zu sühnen, sondern auch eine Hoffnung zu erfüllen, die Hoffnung, dass es anders wird, wenn ihr an die Reihe kommt, dass nie mehr geschehen kann, was einmal geschah“ (203). Vor dem „Provinzialismus des Bösen“, ihrer „Alltäglichkeit, die vorstellbar ist und eine mögliche Wiederholung einschließt“, so Janka, will uns Kalmar warnen, vor allem die Jugend.14 Manfred verspricht auch wenigstens: „Aber ich will versuchen, wiederzukommen, zu den Eltern – wenn ich es kann“ (204). Darin liegt eine vage Hoffnung für eine bessere Zukunft, die aber sehr ambivalent bleibt. Schließlich ist es Manfreds Jugend, die man in den zwei jungen Menschen widerspiegelt sehen kann, die das Dorf in einer weiten Zukunft wieder beleben, dann aber in einen unerbittlichen Zyklus der endlosen Gewalt hereingezogen werden. Kalmar scheint der von Ryan interpretierten Tendenz in der literarischen Vergangenheitsbewältigung letzten Endes zu widersprechen, dass man einen Einfluss auf den Geschichtsverlauf haben könnte. Wie Saint-Sauveur Hehn schreibt, steht im Zentrum der Erzählung „das Thema der unmöglichen Sühne nach der Vernichtung und Vertreibung jüdischer Bürger“.15 Mit dem surrealistischen Element des Sarges als Dingsymbol gelang es Kalmar, aus dem südamerikanischen Exil seine pessimistische und fatalistische Grundhaltung zum Geschichtsverlauf in Deutschland und Österreich und wohl überhaupt zum Ausdruck zu bringen – und das auf literarisch überzeugende Weise.

Notes

1 Für weitere biographische Angaben vgl. Anne Saint Sauveur-Henn, „Das Portrait. 65 Jahre danach: Fritz Kalmar“. Neuer Nachrichtenbrief der Gesellschaft für Exilforschung e.V. , Nr. 21 (Juni 2003), S. 16-18.
2 Erich Hackl, „Klage um einen Freund. Abschied von Fritz Kalmar“. Informationsstelle Lateinamerika e.V. , http://www.ila-web.de/nachrufe/fritzkalmar.htm (2008).
3 Horst Jarka, „Fritz Kalmar: Das Wunder von Büttelsburg und andere Erzählungen“. Literaturhaus Wien, Rezensionen Buch, http://www.literaturhaus.at/index.php?id=1735&L=Ontertainment%2Factor-actress-phone-numbers%2Fx1437 (2001). Vgl. auch Horst Jarka, „Fritz Kalmar: Das Herz europaschwer. Heimwehgeschichten aus Südamerika“. In: Ibid., http://www.literaturhaus.at/index.php?id=1789 (1999). Ebenfalls vgl. Klaus Jetz, „Kalmar, Fritz: Das Herz europa-schwer. Heimwehgeschichten aus Südamerika. Österreichisches Exil in Südamerika“. Quetzal. Politik und Kultur in Südamerika, http://www.quetzal-leipzig.de/rezension-buch-literatur/fritz-kalmar-das-herz-europaschwer-heimwehgeschichten-aus-sudamerika-19093.html (1997).
4 Hackl (Anm. 2) bezeichnet den Text als „Roman“, Saint Sauveur-Henn (Anm. 1) als „eine längere Erzählung“. Ein Gattungsstreit soll hier nicht stattfinden. Jedenfalls deutet der Titel des Bandes an, dass Kalmar selbst den Text als Erzählung sah, die allerdings mit ihren knapp über zweihundert Seiten eine beträchtliche Länge erreicht. Die „anderen“ Erzählungen des Bandes sind jeweils zwei bis neun Seiten lang. Sie werden hier nicht näher in Betracht gezogen, da es den hier gesetzten Rahmen der Vergangenheitsbewältigung sprengen würde.
5 Gert Eisenbürger und Gaby Küppers, „Vom Emigranten zum Konsul. Der Wiener Fritz Kalmar in Bolivien und Uruguay“. Informationsstelle Lateinamerika e.V. , 240, http://www.ila-bonn.de/lebenswege/schicksalkalmar.htm (1999).
6 Vgl. Gert Eisenbürger, „Zufluchtsland Bolivien. Ein Buch und ein Film über jüdische EmigrantInnen in der Andenrepublik.“ Informationsstelle Lateinamerika e.V. , 358, http://ila-web.de/kulturszene/358juedische_emi_bolivien_film_buch.htm (2012). In Österreich leistete hier wesentliche Verdienste das Literaturhaus Wien, die Zeitschrift Zwischenwelt und der Autor und Kritiker Erich Hackl. Leon Kanes Der Fallstrick (2006) und Benno Weiser Varons Ich war Europäer (2008) sind zwei Romane, die man in diesem Zusammenhang anführen könnte. Vgl. ebenfalls die Publikationen von Exiltexten der Österreichischen Exilbibliothek: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=6854&L=0%2525252Fadmin%2525252Ffile_manager.php%2525252Findex.phphttp%3A%2F%2F.
7 Zum Dingsymbol vgl. Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1969. S. 174.
8 Fritz Kalmar, Das Wunder von Büttelsburg und andere Erzählungen. Wien: Ibera Verlag, 1999. S. 18. Alle weiteren Angaben nach diesem Text in Klammern.
9 Vgl. Torben Fischer und Matthias N. Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld: transcript, 2007. Vgl. besonders die Auswahlbibliographie auf S. 357ff.
10 Judith Ryan, The Uncompleted Past. Postwar German Novels and the Third Reich. Detroit: Wayne State University Press, 1983. S. 25.
11 Ibid., S. 16.
12 Ibid., S. 15.
13 Ibid., S. 20.
14 Janka, Fritz Kalmar: „Das Wunder von Büttelsburg und andere Erzählungen“ (Anm. 3).
15 Saint-Sauveur Hehn (Anm. 1), S. 17.

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Aug 18 2016

GDR Residue in Works by Julia Schoch and Antje Rávic Strubel

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von Beret L. Norman

Tell all the Truth but tell it slant –
Success in Circuit lies1
-Emily Dickinson

Even two decades after unification, current discussions of a lingering division between East and West Germans elicit doubts that Germany’s ongoing economic success provides an elixir against social alienation.2 This article compares several works by two younger writers, Julia Schoch and Antje Strubel (both b. 1974), who transcribe elements of daily life as it is experienced from within this ongoing social alienation and who reference a feminist critique of power. Their works evidence what I label a residue from the former German Democratic Republic (GDR). This GDR residue comprises oblique references from or about the GDR brought into a contemporary (post-1990) setting and assesses reunified Germany from an under-represented perspective—that of former East Germans. Each writer experienced a historically unique situation: a childhood in the structured socialization of the GDR; a coming-of-age during the unparalleled socio-political changes of the Wende and re-unification; and a young adulthood of potential, positioned within the unfamiliar, consumer-centered society of reunified Germany. Within this GDR residue each author probes the previous state of control and criticizes power structures in the reunified Federal Republic.
Both authors scrutinize contemporary Germany, and their texts trace established themes of love, loss, and power; yet a GDR residue adheres to certain descriptions of experience, place, and socialization. This residue resembles the German meaning of Schmutzfilm or a filmy residue that covers a surface, rather than Schutzfilm or a coating that protects a surface. GDR residue in Schoch and Strubel allows both authors to critique institutions of power and justice—past and present.
My analysis grew out of the authors’ biographical commonalities, and the term “Wende Kids”—coined by Zaia Alexander for this generation—fits well.3 Otherwise these writers trouble the kinds of categorizations that have predominated in literary critical accounts of contemporary German literature. Neither found herself categorized within Volker Hage’s derogatory label “literarisches Fräuleinwunder” (literary girl wonder), coined in 1999, through which the public was drawn more to female authors’ youthful faces than to the purported lack of political content in their books.4 The “Generation Golf” marker overlaps with the age bracket of these authors, but describes those who were born into West German affluence—a vastly different history. 5 More recently Jana Hensel’s and Elisabeth Raether’s east-west dialogue, Neue deutsche Mädchen (New German Girls, 2008),6 invites a possible German-German popfeminist alignment.7 However, Schoch and Strubel do not fit within this group either, due to the absence of admittedly autobiographical texts in their works, and because they do not, as Baer discusses, “draw on themes of pop as it developed in postunification culture, including pastiche, remixing and resignification.”8
Rather than aligning these authors with such categories, I examine through close readings how the influence of their socialization appears as residue in their works; each author uses the residue in different ways to deconstruct how dominant power has controlled what philosopher Marilyn Frye terms access and definition: “The powerful normally determine what is said and sayable.”9 I argue that Schoch and Strubel “assume power by controlling access and simultaneously by undertaking definition” (Frye 103); their works rewrite dominant narratives about the GDR by “telling it slant,” à la the Emily Dickinson epigraph.
My analysis focuses on two novels by Schoch, Selbstporträt mit Bonaparte (2012) and Mit der Geschwindigkeit des Sommers (2009), and three novels by Strubel, Tupolew 134 (2004), Unter Schnee (2001) and Sturz der Tage in die Nacht (2011). The residue I examine in these texts obscures characters and story lines by incorporating traces from a socialization that is unlike the “big issues” of Stasi perpetrators or victims, the GDR dictatorship, or life behind the Berlin Wall; rather the GDR past appears obliquely in narratives that explore the reality of mistrust about definitions of power and justice. Due to their subtlety, the reader must decipher the meaning of the depictions and their potential consequences for creating new definitions/possibilities. I interpret each of these types of residue to be a reaction to the current socio-political context of reunified Germany, and each sheds light upon the roughly 20% of today’s population in Germany that experienced the GDR.10
What this article shows to be a slant telling of truth through GDR residue gives shape to a feminist project about access to and the definition of power: a method to apprise readers of a distinct yet overlooked reality within reunified Germany. Such slant-ness evokes the German adjective quer (aslant), the verb queren (to traverse), and also querdenken (unconventional thinking). With current debates in Germany about the necessity of feminism,11 these writers denken quer, they think unconventionally, and through metaphors and tropes their works provide a slant retelling of life in contemporary Germany and confront themes of women’s literature such as identity, voice and social positioning. As Hester Baer has documented about women’s writing in Germany, these authors participate in “the attempt to write through the lens of women’s experience; the search for a language to convey female subjectivity.”12 I suggest the GDR residue in Schoch and Strubel revolves around and dissects the truth of “how dominant narratives shape our lives”13; the works provide pieces of GDR history: some pieces are subtle, some circuitous, some disconcertingly still existing.

1. GDR Residue as Critique of Power: Official Definitions versus Lived Experience
Importance of History
In Julia Schoch’s third novel, Selbstporträt mit Bonaparte (Self-Portrait with Bonaparte, 2012), a first-person unnamed female narrator chronicles her four-year relationship with the man she calls Bonaparte. Schoch touches upon a difference in lived reality with three nuanced images to create residue that metaphorically refers to the GDR. The narrator first animalizes time and history: continuing with a dose of the fantastic, she describes waking up in another reality—in reunified Germany—and expresses relief: “Wir hatten die Geschichte nicht mehr im Nacken gehabt wie ein jagendes Tier. Jedenfalls war das Gefühl verschwunden, sie würde uns hetzen” (We didn’t have history on our backs anymore like an animal on the hunt. In any case the feeling disappeared, that it [history] would hunt us).14 This image of an animal on the hunt represents the GDR’s Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (Socialist Unity Party) or SED and its mission to establish real existing socialism—by single-mindedly hunting its citizens through means of containment and surveillance. The SED’s political predation of “permanenter Beobachtung” (ongoing observation), with each citizen falling under “ideologisch[e] Generalverdacht” (ideological general suspicion), as described by journalist Andrea Backhaus, demanded more attention than the historical focus of socialist future, however much the latter appeared in the media. Backhaus contends: “Alles erfolgte im Sinne der Partei” (everything was carried out as defined by the party),15 suggesting that the state’s power aligned more with controlling access and definition of the inhabitants than with democratic means.
The subsequent image for history in this novel finds a metaphor in the academic realm, closer to the narrator’s and Bonaparte’s professional lives. Bonaparte returns from the liquidation of an archive that belonged to the former GDR, and this usually reticent man cannot refrain from describing the piles of obsolete political books, “Ein halbes Jahrhundert Gedankenarbeit, die nichts mehr taugte” (a half century of thinking that no longer passed muster).16 The narrator follows Bonaparte’s thought process to understand further not just his distress at the loss of books and questions about valid ideologies, but rather his envy of these writers’ certainty—of their belief in an undeniable future of promise in which they too would have access to power: “Nur wer glaubt, sich unendlich in die Zukunft hinein verlängern zu können, ist fähig zur Unbedingtheit” (Only those who believe they can extend themselves infinitely into the future are capable of the Absolute).17 This disqualification of ideas spurs both a mistrust of who defines and who decides which books receive validation as meaningful and a mistrust of how mere removal of texts can also remove their ideas. Born late into the GDR, Bonaparte and the narrator both share a sense of loss over such conviction. Even though the narrator and Bonaparte did not necessarily believe in this future themselves, the GDR residue appears in the recognition of years of obsolete work and a complete loss of belief in a championed conviction.
Thirdly, Schoch’s narrator in Selbstporträt lands on a metaphor within nature that rationalizes Bonaparte’s unannounced and ephemeral visits in her life and also introduces a feminist revision of history. Through the narrator’s retelling, we hear how Bonaparte rejects the visualization of history as a staircase or a ladder, and suggests instead that it should be seen as lily pads: “Blätter von Seerosen, die im ewigen Ozean der Zeit treiben und zwischen denen keinerlei Verbindung bestand” (lily pads that float in the eternal ocean of time and between which there existed no connection).18 History without linearity or causality is a provocative notion, especially when an academic in a field that finds meaning in sequential narratives proclaims it. Thus this revisionist view of history attempts both to redefine and to find meaning in each step, however unrelated. For instance, the SED’s ideology could be seen as one stopover—one lily pad—instead of a sequentially vertical rung on a ladder of history.
The GDR residue of Schoch’s metaphors for history first depicts a lively, if deadly, animal full of certainty for an assured future and rests on the view of history as unconnected and without a sequence, like the game of roulette that spins the novel: this diffusion produces a new way to view the short history of the GDR and one at odds with the GDR’s own take on its history and role within the development of communism. Here the slant angle appears in the lack of connection: this becomes a feminist view of history in that it demands a rethinking of how history has “been done.” Instead of causally linked experiences, one can have access to power through definition. Schoch redefines the GDR as one piece in a larger history.
Lack of Specificity
In Schoch’s Selbstporträt both the unnamed narrator and her lover with the nickname, derived from the bust of the French general in his apartment, are historians who live in “P.” This lack of specific names creates fluidities of identity, the impossibility of immediate identification, as well as a mix of reality with fairy tale uncertainties, such as the narrator’s repeated theme of uncertain time: “Es muss im Sommer gewesen sein, vor zwei oder zweihundert Jahren” (It must have been in summer, two or two hundred years ago).19
The majority of the couple’s time is spent visiting casinos, which adds to the blurred lines of reality and fantasy and further removes the couple from their trained profession of documentation. One also finds in this lack of specificity in identities, place, and time, an attempt to avoid the realm of Frye’s discussion of power through definition—exactly the demarcated realm that a historian, like the narrator, would record. Yet the narrator refuses such order: she provides no development of character and no clear plot, rather she randomly combines fragments of the narrator’s memories with Bonaparte with snippets of autobiographical information. Thus without access to basic demarcations of story, the reader is left outside. This lack of demarcation and randomness of information reflect a sense of dislocation among former GDR citizens; I suggest Schoch’s narrator writes her “inventory”20 of love and roulette against all official definitions—those of one’s personal identity influenced by friends and family, of intentional pursuit of career, of socially sanctioned relationships. She says the unsayable: people commit suicide / people experience life and even love as a roulette game.
Non-linear Progression
Schoch suggests that focusing only on chronological and causal links removes people from innovation, a message that is echoed in the fact that the narrator quits her job as a historian and now writes texts for art exhibits and catalogs. In other words, she makes sense out of seemingly unrelated “lily pads” (to continue Bonaparte’s metaphor) of art. This unnamed narrator belongs to the younger generation of former East Germans—whose futures held countless opportunities after the Wende and who were no longer limited to an ideologically determined ladder to find their next foothold; rather the younger East Germans jumped into experiences, places, and programs, and they defined their own post-GDR identities.
In a videotaped discussion at the Literarisches Colloquium in Berlin, Schoch provocatively maintains that the narrator and Bonaparte see themselves as completely detached from the past: “Es gibt keine Verbindung zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt [for the narrator and Bonaparte]” (There is no connection between the past and the now [for the narrator and Bonaparte]).21 In the context of the early 1990s this idea of an unmooring of present from past meant freedom and liberty—the potential to redefine the dominant narrative of the former GDR existed for the youngest East Germans. Twenty or more years later in this novel, one finds a bittersweet lamentation: “dies[e] Ruhe, diese[r] süße Frieden der Ausweglosigkeit, der der Frieden unserer Kindertage, ja eines ganzen Landes war” (this quiet, this sweet peace of hopelessness, that was the peace of our childhood days, yes, the peace of an entire country) (87). This harmony without the containment was found and is lost. In this same discussion, Schoch counters the moderator’s assertion that the narrator’s short-lived relationship with Bonaparte “funktioniert nicht” (did not work out). Schoch contends: “Naja, was heißt nicht funktioniert? Sie funktioniert eine Zeitlang.“(Well, what does that mean, didn’t work? It worked for awhile.)22 Without naming the GDR directly, Schoch reappraises not just the relationship in the novel, but also the GDR’s forty-year project, which some historians view as a failed project.23 Schoch argues for the value found in undertakings despite the length of time or so-called success of the endeavor.

2. GDR Residue as Critique of Power: Cold War Power Plays
Apolitical Hijacking
In Antje Rávic Strubel’s fourth novel, Tupolew 134, a fictional revision of an actual August 30, 1978 plane hijacking and subsequent trial in West Berlin, the author redefines this international, political thriller into a localized story focusing on two young East Germans, Katja and Lutz. Strubel employs a narrative framework of moving within a shaft between levels of time (oben, unten, ganz unten) to help her deconstruct a West-only view of an ideologically faceted event. She provides in the narrative levels of “below” (unten) and “way below” (ganz unten) the fictionalized lives of these eventual hijackers, and speculates that this male hijacker, Lutz, wanted—not to rise above the political malaise of the GDR or the lack of freedoms—but to mitigate or alleviate the boredom of his friend, Katja. Lutz’ evidence that Katja was dissatisfied was admittedly slim. Lutz hears her say, “I am not happy living like this” (“Ich lebe nicht mehr gern so”) (36, 37), as well as a sentence she repeats three times for the journalist—twice in past tense, once in present: “And life went on as always” (“Und das Leben ging weiter wie immer”) (39, 44); “And life goes on as always” (“Und das Leben geht weiter wie immer”) (45). Ennui enwrapped Katja. The older Katja clarifies the above sentence to the young West German journalist, “Dieser Satz war Politik” (45). Daily reality in the GDR included boredom and tedium, and herein lies a GDR residue—a residue that refuses political ideologies and demands personal fulfillment.
The West’s winning rhetoric of the Cold War focused on the idea that many citizens left the oppressive East for the free West. Yet Strubel provides a localized and contradictory story: a bored young woman wants the excitement of change—and launches this through an affair with a West German (Hans Meerkopf) who, in the middle of their escape plan, gets arrested in Poland with false passports for all three of them. Consequently, Katja and Lutz fly from Poland back to Germany, and Lutz hijacks the plane—thus in Strubel’s hands, there is no plan to the hijacking, it was a reaction to the situation. The underlying story may seem oddly stereotypical—e.g., a woman seeking thrills and change through a sexual affair—but with Strubel this story becomes defiant: she writes against a Western, prescribed idea of every East German citizen living either as a Party Member or as a political dissident; she allows for the less politically charged reasons for wanting change—for instance, Katja recalls about her younger self that “she wanted to belong to the world in which it was possible to see 44 sunsets, Forty-four sunsets, said the little prince […]”24 (215, emphasis in the original). This reference to Antoine de Saint-Exupéry’s 1943 novella, The Little Prince, displays Katja’s simplistic wish for an adult’s freedom to travel. Katja’s rhetorical question to the younger journalist from West Germany serves as GDR residue, “Stört euer sauberes Bild, was?” (304).
Shadow of an Eastern European Revolution
In Strubel’s second novel, Unter Schnee (translated as Snowed Under, hereafter SU) the two German protagonists, the couple Evy and Vera, travel for a winter holiday to a Czech ski town. They reside in Mrs. Beran’s pension and in this small side-story, one finds a political shadow and the trace of GDR residue. All visitors from the West misname the pension’s owner Frau Beranu; this stems from the fact that her pension is called U Beranu—the “u” at the end appears because it is the dative case in Czech (Strubel, SU 14).25 Even Mrs. Beran entertains a sense of ambiguity of her identity: “She sometimes wonders whether her name really isn’t Beranu. If everybody says it is” (SU 14).
Frau Beran’s husband died in the late 1960s when the Czech emergency response crew was on high alert for another situation—the anti-government protests in Prague in 1968—and thus could not come to help her husband when he had a stroke. This episode focuses on the eponymous rescue of Vera and is told by an omniscient narrator with details one of the younger rescuers, Oleg’s, thoughts as he describes the “anecdote” (SU 64, 67)—the situation in which Mr. Beran died, which “belong[s] to everyone now” (67):

The question isn’t whether Herr Beran could have been saved back then. That’s the official version everyone agreed on. The real question is whether Jiří, or he, or anybody else on border patrol at the time, would have disobeyed an order. Whether they would have simply refused to fly their helicopters into Prague. […] whether the sudden stroke really would have been reason enough for disobeying the order or merely a good excuse to reject that kind of military operation (67).

With three different first person narrators in this episodic novel (Evy, Vera and a woman only called “Oliver’s wife”), it is telling that this story comes second-hand through the thoughts of one of the rescuers. Instead of a personal story, Oleg’s thoughts form a transnational residue that questions the role of duty. Here the residue surfaces as an oblique, rhetorical question to all who serve a country’s politics: Who dares to disobey an order?

3. GDR Residue as Critique of Power: The GDR’s Power over Individuals’ Lives
Geological Metaphors
To evoke the mistrust of the state in daily lives, Strubel employs productive metaphors from earth science—the first from the sea. In her seventh novel, Sturz der Tage in die Nacht (When the Days Plunge into Night, 2011), a twenty-four-year-old student, Erik, travels to a Swedish island where he has a summer love affair with a German ornithologist, Inez. An omniscient narrator opens the novel with a description of the Baltic Sea: “Die Ostsee täuscht das Meer gewissermaßen vor […] als ob sie ein Ozean wäre” (The Baltic Sea misleads one to think it could be an ocean).26 Seawater elements, like seagulls, mussels, and salt water, deceive one into believing the Baltic Sea is more than a brackish body of water: the sea tempts one to believe it is something that it isn’t. This parallels the deception in Inez’s life: her life in the GDR and in Europe in 2008—the novel’s narrative time, can be envisioned as waves of uncertain water.
The GDR residue within this Baltic Sea metaphor incorporates GDR freedoms: one has signifiers of freedom (some travel, voting rights) yet one is not fully free.
In Tupolew 134, Strubel includes another geological metaphor, sand. Here sand is a metaphor for the real existing socialism and the rule-abiding mindset in the GDR. As described by cultural journalist and psychologist, Annette Simon, this mindset was one without “öffentliche Selbstverständigung über wesentliche Konflikte” (public self-understanding about essential conflicts).27 (74). Sand is not permanent in this GDR construction, rather it is blown about by trucks and forms mosaics on bus stops in this novel, but it is widespread and pervasive and a part of every region, as the first person retrospective narrator, Katja, states: “unsere persönliche Wüste” (our own desert).28 Katja, recalls why her father became a teacher “für eine Weile aus diesem Sand herauszukommen, wenigstens mit dem Kopf” (to get out of this sand for a while, at least in his thoughts).29 And Lutz Schaper, Katja’s friend and co-hijacker, describes the figurative sand that runs through him and makes him dull and indifferent wherever he goes: “daß der Sand immer da sein wird” (that the sand will always be there).30 The sand for Katja’s father and for Lutz, as GDR residue, is the GDR socialization and system of limits. This metaphor of geology (here, sand) as GDR residue proves significant: the timeworn soil of GDR experience is dispersed but not gone, and it will never vanish entirely. It remains underfoot and not necessarily noticed but for the need of sweeping it away. Strubel uses nature—metaphors of the sea and sediment—to erode the man-made creation and disappearance of the GDR; she shows how, like water, like sand, the GDR remains and withstands what cultural journalist Annette Simon calls the “massiv[e] Entwertung” (massive devaluation)31 of the GDR.
Waters of deception also appear as GDR residue that critiques state power in Julia Schoch’s second novel, Mit der Geschwindigkeit des Sommers (With the Speed of Summer, 2009). The narrator echoes Inez’ (from Strubel’s Sturz) mistrustful voice above as she describes her hometown, a garrison: “Dieses Gewässer [das Stettiner Haff], das uns von der Ostsee trennt, ist ein falsches Meer” (This body of water [the Stettin lagoon], that separates us from the Baltic Sea, is a counterfeit sea) and “unbeweglich, grau. Ein Gefühl von Betrug” (unmoving, gray. A feeling of betrayal).32 The conspiracy here blames those in the GDR for locating this military town next to a lagoon, with stale waters of containment that keep one from enjoying, playing in, or even seeing the Baltic Sea; thus the state exerts a further containment over individuals’ lives through this strategic (and locked in) location of the town for the military base. Both references to the GDR through the false sea image suggest that nature in its delicate complexity may deceive, but humans in power determine ordinary citizens’ access to and thus knowledge of nature.
Continued Misuse of GDR Power
Strubel’s use of deception continues in Sturz and remains linked to the GDR, as late in the novel she develops the figure of Felix Ton, a CDU candidate for the Bundestag from Brandenburg. Ton deceives the public with his campaign’s publicity focus on him as a “wiedervereinigter Vater” (reunified father):33 he claims the mother of his son left him to go to West Germany in 1984, whereas readers know that Ton left the mother, Inez. As a player in the dominant power structure, Ton can create meaning and definition. Inez’ mistrust, based on her intimate knowledge, will later be public, but she has no access to power and thus her successful attack on Ton must remain private.
This category of GDR residue as misused power becomes menacing in Strubel’s Sturz, as the German ornithologist, Inez, correctly assumes the dead bird that washed up near her cabin on the Swedish island was intentionally poisoned to make a point to her. Such a paranoid reaction seems highly implausible to the Swedish council whom she informs of the poisoning, but she is correct. The bird was killed by the former Stasi agent and current “risk manager,” Rainer Feldberg, to illustrate the power Feldberg has even in the narrative time of 2008, long after his time in the Stasi. Feldberg reminds Inez of her fear of loss, what he privately records as a “produktives Verhältnis zu Angst” (productive relationship to fear) in his papers that Erik later reads.34 Because she realizes that Feldberg’s power—his access to her—has returned, Inez falls ill and in her fever she revisits the years 1983 and 1984 when Feldberg assisted her through his position within the Stasi. For his part, Feldberg’s self-portrayal includes a sense of protection toward Inez and his position of power allows him to define his role; Feldberg tells Erik he “wurde so etwas wie ihr Schutzengel” (became something like her guardian angel).35
Sturz’s GDR residue of how one’s power was obtained through a GDR past appears as a more focused opportunism that distinctly calls forth mistrust, in Feldberg’s younger colleague in the Stasi, Felix Ton. Here the GDR residue as a coating is not washed away. During her fever following the dead bird’s appearance, Inez remembers the ideological underpinnings of this coating; she remembers Ton’s enthusiastic exclamation, which as a teenager she thought meant they had a future together: “Wir sind für was Großes gemacht” (We are made for something big).36 In truth Ton states this as an exclusionary view of his ability and desire to rise in the ranks of power. What in 1983 he states flirtatiously, he empties of any collective meaning in 1989 and proves himself to be entirely self-preserving: on November 9, 1989, he returns to his office and shreds incriminating documents about his work in the Stasi, “[so] dass am Ende bestimmte Karteieinträge und Vorgänge unter seinem Namen nicht mehr existierten” (so that in the end certain card entries and events associated with his name no longer existed).37 His position within the institution, here the Stasi, affords him both access to these files and control over definition; when the Stasi is criminalized, he will no longer be connected to it. It is Inez’ privately gained access to this knowledge that creates the Schmutzfilm or residue which prevents his public access to more power: her information keeps him from launching into his Bundestag candidacy in 2008.
Determining definition
The GDR residue that critiques the GDR’s power over individuals’ lives endures in the form of “Leere,” a physical and emotional emptiness. In Schoch’s Mit der Geschwindigkeit des Sommers, the narrator describes “die Leere” (emptiness) in the post-Wende landscape and the “Kargheit, die außen um uns war, [das] Grau der Abläufe, die uns gefangen hielt” (the sparseness that was around us, [the] grayness of the events, that held us captive) in the Baltic Sea town in the GDR where the narrator grew up and where her sister still lived until years later.38 The narrator’s bleak town near the Polish border with its military base and one train track embodies this emptiness, and through it the narrator introduces a class critique of power—specifically of access: a soldier’s family, like theirs, stationed in this “Sackgasse” (cul de sac) lacks the educated levels of discussion found in more diverse communities; there were no rituals, no regional festivals, no religious litanies, “weder den Singsang kirchlicher Litaneien […] noch bürgerliches Salongeschwätz untermalt von Klavieren” (neither the singsong of church litanies […] nor the bourgeois salon chitchat accompanied by piano) here “in dieser quadratischen, aus einheitlichen Platten hergestellten Welt” (in this quadratic world constructed of standardized slabs).39 One reviewer connects the physical buildings to the emptiness: “Schoch schildert die Künstlichkeit, Trostlosigkeit und Leblosigkeit dieser Plattenbau gewordenen Planungsillusion als Geisterstadt und Verbannungsort” (Schoch illustrates the artificiality, comfortlessness, and lifelessness of this planning-illusion-turned-Plattenbau as a ghost town and place of exile.)40 The GDR institutions of power created this garrison or place of exile and cut off access of its inhabitants to knowledge other than what those in power desired them to have.
This emptiness of a planned, quadratic world remains even in reunified Germany. Erik, the student in Strubel’s Sturz, reflects upon the planned community in his hometown of Neubrandenburg in the decade following the Wende. With a geographical distance from Germany during his time on the Swedish island Stora Karlsö, Erik recalls a “Leere” that reminds him of the post-Wende scenario: “die Leere der Sonntagnachmittage [in Sweden reminds him of] dieselbe Ödnis umringt von Plattenbauten” (the emptiness of the Sunday afternoons [in Sweden reminds him of] the same wasteland surrounded by prefabricated concrete buildings).41 Erik also describes these Plattenbau apartments as “Wohnklos,” or shoebox apartments, such as the two rooms with a bathroom that he and his mother shared. The institutional powers in the GDR that created the “Jedem eine Wohnung” (to each an apartment) program again structurally controlled definition through planning. Yet the residue of emptiness clings to the physical bleakness and emotional desolation despite the planned communal sense behind the architectural intentions.
Another residue takes shape in a feeling of responsibility for and loyalty to an idea that results from ideological socialization—this adheres to the narrator’s remembrances in Schoch’s novel, Mit der Geschwindigkeit des Sommers. The narrator attempts to understand her sister’s sudden suicide, and she recalls the prevalence of duty in her sibling’s life: “Diese Pflichttreue. […] , das Verantwortungsgefühl” (this loyalty to duty, the feeling of responsibility).42 Schoch’s narrator remains frustrated that even after unification her sister regarded her own life as if it were about “das Erledigen einer Hausaufgabe. Wegarbeiten und Lob. Auswendiglernen und Hersagen” (the completion of an assignment. Hard work and praise. Memorize and recite).43 This residue of obligatory duty within one’s socialization depicts the sister as the state’s pupil—powerless, who never decides the curricular turn or direction of development. As she had never tried to access a level of power or create a definition of her own, the sister was caught in the definitions placed upon her through her most recent choices from 1989: wife and mother. The sister believed these definitions precluded her from the freedom to travel, which her younger sister (the narrator) enjoyed. The narrator’s shock at her sister’s sudden trip to New York City and her suicide there, evokes thoughts of the sister’s alienation within the new order of reunified Germany. The narrator tries to resist this singular response to GDR residue as one of self-destruction.
These younger writers reveal this residue of devaluation. More than twenty five years after reunification, many “know” the GDR through limited, consumable ideas, like Ampelmännchen (little green man on traffic lights) and the Trabi (the most common vehicle in the GDR); and although as Annett Simon suggests, das Ampelmännchen “geht um das Sichtbarwerden des inzwischen versunkenen Landes” (it’s about the ‘becoming visible’ of a country that in the meantime has sunk),44 such physical items limit a full picture of how GDR citizens lived. Schoch and Strubel provide indirect approaches, with a GDR residue adhered within their pages to call for renewed reflection.

4. Conclusion
To pose the famous question from Christa Wolf’s 1990 novel, Was bleibt (What Remains),45 I suggest this GDR residue will remain—it adheres to these well-crafted, unsentimental stories that obliquely illuminate fragments of lingering GDR experience. Each author attaches her unique biography to her writing. Schoch declares writing both a process that intertwines the author’s life and has the goal of veracity: “Im Schreiben gelangt man nicht nur zur Wahrheit, sondern zu einer Wahrhaftigkeit” (In writing, one arrives not just at truth, but at a truthfulness).46 In all her works Strubel provocatively pushes toward her appeal for a “Verunsicherung der Grenzen” (uncertainty of borders)47 and “die Grenzen in der Gesellschaft auseinandersetzen” (to fight against the limits of society).48 Strubel’s deliberate prod toward uncertainty, similar to Schoch’s fragmentary narrations, necessitate that readers question the texts and work with them to find their own answers.
Yet it is not just about showing what remains, rather each of these authors uses this residue as an impulse away from it, into new ways of thinking, beyond dualistic East/West portrayals. Schoch’s physical and social isolation in Mit der Geschwindigkeit, and her comments on history in Selbstporträt, illustrate a refuge with no destination; Schoch and Strubel use GDR residue to simultaneously show the past’s interference in the present and the need for new underpinnings of identity and interaction. Further, in her many other works, Strubel expects readers to move away from the normative gender binary and from heterosexist views of the world49 and into innovation and philosophical musings of, among other things, one’s ability to create a doppelgänger or a new identity50 or to challenge what is socially acceptable.51
Overall this article highlights the subtleties and strengths of two writers who have long careers ahead of them and who contribute early on to a twenty-first-century German literature that “provide[s] more breadth and perhaps less dogma than its predecessors.”52 The types of GDR residue in these authors’ works relate to Emily Dickinson’s poem “Tell all the Truth but tell it Slant.” Through their works the authors slantly provide remnants of how the GDR’s forty years still undervalue, restrict and define some peoples’ experiences in reunified Germany.

Notes

1 Emily Dickinson’s poem #1263 in Helen Vendler, Dickinson. Selected Poems and Commentaries (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2010), 431.
2 For discussions about the ongoing division between East and West Germany see Alexander Osang, “The Little Germans: Alienation Still Divides East from West,” Spiegel Online International, August 21, 2013, http://www.spiegel.de/international/germany/commentary-on-lingering-alienation-between-east-and-west-germans-a-917483.html ; Jeevan Vasagar, “Germany ‘faces east-west divide for decades,’” The Telegraph, July 23, 2013, http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/germany/10198308/Germany-faces-east-west-divide-for-decades.html; and Frédéric Lemaître, “East-West German split still lingers on 22 years after reunification,” The Guardian, October 9, 2012, http://www.theguardian.com/world/2012/oct/09/west-east-germany-split. For a map of Berlin divided along voting lines in East and West in the most recent Bundestag election, see also Stephan Evans, “Does the Berlin Wall Still Exist?,” BBC News Berlin, September 26, 2013, http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-24238553.
3 Zaia Alexander, “The Origin of Rávic,” p. x.
4 For a useful deconstruction of this term, see Hester Baer,“ Frauenliteratur,” pp. 70-72.
5 This term arises from Florian Illies’ book of the same title, Generation Golf. Eine Inspektion, Fischer Taschenbuch, 2001.
6 Jana Hensel and Elizabeth Raether, Neue deutsche Mädchen (Reinbek: Rowohlt, 2008).
7 See Baer, “German Feminism in the Age of Neoliberalism: Jana Hensel and Elisabeth Reather’s Neue deutsche Mädchen,” German Studies Review 35, no. 2 (2012): 355-374.
8 Baer, “German Feminism,” p. 365.
9 Marilyn Frye, The Politics of Reality: Essays in Feminist Theory, The Crossing Press, 1983, p. 105.
10 This 20% is formed using the population of Berlin and the five New Federal States, which make up the former East Germany. It is only 16% if Berlin is not included in this population percentage. See Bevölkerungsentwicklung Deutschlands ab 1950- Einwohnerzahlen West- und Ostdeutschlands, Proportionen der Weltbevölkerung, http://pdwb.de/nd06.htm.
11 See Baer, “Frauenliteratur,” and Hester Baer “Introduction: Resignifications of Feminism in Contemporary Germany,” in “Contemporary Women’s Writing and the Return of Feminism in Germany,” edited by Hester Baer, special issue, Studies in Twentieth and Twenty-First Century Literature vol., 35, no. 1, Winter 2011, pp. 1-17.
12 Baer, “ Frauenliteratur,” p. 74.
13 Ibid., p. 78.
14 Schoch, Selbstporträt, pp. 77-78.
15 Andrea Backhaus, “DDR hieß auch Entfremdung vom eigenen Ich,” Die Welt, 7 Aug 2011.
16 Schoch, Selbstporträt, p. 81.
17 Ibid., p. 81.
18 Ibid., p. 114.
19 Julia Schoch, Selbstporträt mit Bonaparte, Piper, 2012, p. 86. All translations from the German are mine unless otherwise noted.
20 “An inventory of times spent together,” in “Take a Chance on Me.” New Books in German. Rev. Julia Schoch. Selbstporträt. http://www.new-books-in-german.com/129002/Uploaded/NBG_12aut_p29_Schoch.pdf.
21 Schoch, “Lesung und Gespräch.”
22 Schoch, “Lesung und Gespräch.”
23 Catherine Epstein (2003) mentions the following works that “tend to imply that East Germany had a ‘failed’ history, while West Germany had a ‘good’ history”: Elizabeth D. Heineman, What Difference Does a Husband Make? Women and Marital Status in Nazi and Postwar Germany (Berkeley, 1999); Jeffrey Herf, Divided Memory: The Nazi Past in the Two Germanys (Cambridge, Mass., 1997); and Uta G. Poiger, Jazz, Rock, and Rebels: Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany (Berkeley, 2000). (in Epstein, p. 657, footnote 51).
24 “Sie wollte zu der Welt gehören, in der es möglich war, vierundvierzig Sonnenuntergänge an einem Tag zu erleben. Forty-four sunsets, said the little prince […]” (Rávic Strubel, Tupolew 134, 215 emphasis in the original).
25 Antje Rávic Strubel, Snowed Under. An Episodic Novel, translated by Zaia Alexander, Red Hen Press, 2008.
26 Antje Rávic Strubel, Sturz der Tage in die Nacht, S. Fischer Verlag, 2011, p. 10. An omniscient narrator is present in eight of the novel’s thirteen sections.
27 Annette, Simon, “Fremd im eigenen Land?,” p. 74.
28 Strubel, Tupolew 134, p. 97.
29 Ibid., p. 100.
30 Ibid., p. 248.
31 Annette Simon, “Die ‘innere Einheit’—Wunschbild oder Zerrbild?” p. 141.
32 Julia Schoch, Mit der Geschwindigkeit des Sommers, Piper, 2009, p. 78.
33 Strubel, Sturz, p. 385.
34 Ibid., p. 317.
35 Ibid., p. 91.
36 Ibid., p. 176.
37 Ibid., p. 198.
38 Schoch, Mit der Geschwindigkeit des Sommers, pp. 73; 86; 45.
39 Ibid., pp. 119; 19.
40 Ijoma Mangold, “Das Echo des Schellenrings,” Süddeutsche Zeitung, March 10, 2009.
41 Strubel, Sturz, p. 147.
42 Schoch, Mit der Geschwindigkeit, p. 107.
43 Ibid., p. 107.
44 Simon, “Fremd im eigenen Land?,” p. 81.
45 Christa Wolf, Was bleibt. Erzählung, Luchterhand, 1990.
46 Schoch, “Den Osten gibt’s nicht mehr. Jetzt ist alles Wilder Westen.”
47 Strubel, “Wenn ich auf eine Lösung stoße,” p. 79.
48 Strubel, “Wenn ich auf eine Lösung stoße,” p. 80.
49 For more on Strubel’s expansion away from heteronormative gender roles see: Claudia Breger; Emily Jeremiah, pp. 98-131; Faye Stewart (2013, 2014); Helen Finch; and Norman.
50 Strubel consistently creates double identities such as Adina with her online name “Last Mohican” in Unter Schnee, Christiana/Jo in Offene Blende, Anja/Schmoll in Kältere Schichten der Luft. In Vom Dorf “Antje Rávic Strubel” is a figure about whom a stalker—the first person narrator—writes and whose style he imitates.
51 For instance, the incestuous relationship of Inez and Erik in Sturz, and Adina’s polyfidelity in my reading of Strubel’s Unter Schnee (see Norman, “Ambiguities,” 71-74).
52 Katharina Gerstenberger, Writing the New Berlin, Camden House, 2008, p. 11.

Works Cited

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Gespräch mit der Marburger Literaturpreisträgerin 2005 Antje Rávic Strubel.” Interview by Max
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Comments Off on GDR Residue in Works by Julia Schoch and Antje Rávic Strubel

Aug 18 2016

The Critical Questioning of Autobiographical Writing in Heinz Czechowski’s Die Pole der Erinnerung (The Poles of Remembrance) (2006)

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von Gabriele Eckart

“alles Geschriebene ist […] nur eine Annäherung an die Wahrheit und an die Wirklichkeit, so daß auch das Gewesene lediglich mit dem Satz ‘Wie es gewesen sein könnte’ beschrieben werden kann.”
(“everything written down is […] only an approximation to truth and reality; therefore you only can describe past events stating ‘How they could have been.’”) (Czechowski 212)

There has been and still is a flood of autobiographical writing since the Fall of the Berlin Wall and the end of the GDR that reflects on the years leading to these events; see, for instance, Vierzig Jahre (1996) by Günter de Bruyn, Erwachsenenspiele (1997) by Günter Kunert, or Nebbich (2005) by Adolf Endler. While all these authors express some doubts regarding the question of whether their memories show their East German past as it was, one autobiography that questions the veracity of the genre of autobiography itself most radically, claiming that it is nothing but fiction, is Heinz Czechowski’s. This article examines Czechowski’s critical attitude towards his own autobiographical writing.
While the author, born in Dresden in 1935, tells the story of his life in The Poles of Remembrance as he remembers it, including, for instance, his participation in the demonstrations in Leipzig that led to the “samtene[…] Revolution” (“velvet revolution”) in the GDR in 1989, he self-critically reflects on the process of this remembering. This reflection starts with simple statements such as: “Das Erinnern geht eigene Wege, ungelenkt durch das Bewußtsein” (“memory goes its own ways, not directed by consciousness”) (226) and advances to critically analyzing psychological phenomena related to memory as, for instance, that of nostalgia. In regard to it, he states that over the years of childhood and early adolescence there is a veil “der alles in einem milderen Licht erscheinen läßt” (“that has everything appear in milder light”) (211). However, he continues, also later years are prone to such deceptions. Applying his insights on nostalgia to the phenomenon of the so-called “Ostalgie” (nostalgia for the former GDR), the narrator states:

Wenn heute gesagt wird, ‘in der DDR sei ja nicht alles schlecht gewesen’, so ist das nichts als der Ausdruck eines Bewußtseins, dessen Unschärfe der Verdrängung geschuldet ist. Denn auch in der Nazizeit ist durchaus ‘nicht alles schlecht gewesen’. Es gehört zu den bekannten Eigentümlichkeiten der Erinnerung, daß sie das Gewesene nicht nur in jenes mildere Licht taucht, sondern es auch bis zur Erträglichkeit filtert.
(When they say today that ‘not everything was bad in the GDR,’ so it is nothing but an expression of a state of mind that is rooted in the blurring [that occurs in the process] of suppression. In fact, also in the time of the Nazis not everything ‘was bad.’ It is a part of the known characteristics of memory that it not only puts the past in that milder light, but also filters it to a degree we can live with.) (211)

Given such reflections that result in the pessimistic insight that our mental survival depends on such acts of “Verdrängung” (“suppression”) (211), it is surprising that more recent events such as, for instance, conflicts with close friends whom he perceives as having become his enemies after the Fall of the Wall, are narrated with such a fury that even the author’s conflicts with the GDR’s SED-bureaucrats (SED means Socialist Unity Party) whom he had abhorred seem not to have been too bad in comparison. Embittered about changes in the East after German reunification that, according to the author’s point of view, also benefited people who did not deserve it1, Czechowski had moved to West Germany. From there, feeling uprooted and lonesome, he watched skeptically everything that was going on in East Germany, especially the professional success of former party officials in the reunited Germany, until he could not endure it any longer: “Eine heilige Wut ergriff Besitz von mir. Ich beschimpfte, wo ich konnte, die im Osten verbliebenen Freunde. Vor allem die Leipziger Szene war Zielscheibe meiner Verbalattacken” (“A holy fury overpowered me. Wherever I could, I reviled my friends who had remained in the East. Especially the scene in Leipzig became a target of my verbal attacks”) (242). Is the author not aware of the fact that if he had waited a little longer to write his autobiography, the so-called “Schleier,” (211) i.e., veil of memory that puts everything in a milder light after some years passed, would have put these conflicts with old friends also into perspective? However, is there ever a right time to write an autobiography? Are there not always bothersome events that are too fresh to be dealt with even-temperedly? In addition, the author, suffering from heart disease, might have felt that his time was running out. Indeed, he died in 2009, three years after having published this autobiographical text.

One example of a furious attack against a close former friend, perhaps his closest, is that against the poet Wulf Kisten. The narrator complains that when he visited Wulf Kirsten in Weimar some years after German reunification to bring him a very special present – a first printing called Unstrutwärts (Towards the River Unstrut) – as a late birthday gift, he merely was offered a cup of coffee. The narrator goes on to complain that Kirsten did not seem to remember their long friendship:

Erst als er mich hinausgeleitet hatte, raffte er sich am Auto zu der Frage auf, wie es mir in Limburg [Czechowskis neuer Wohnort] denn so gehe. Ich antwortete, wahrheitsgemäß: schlecht. Sein lapidarer Kommentar lautete: na, da siehste mal, wie es einem DDR-Schriftsteller geht. Ich stellte die Gegenfrage, ob er nie ein DDR-Schriftsteller gewesen sei und bekam zur Antwort: Ich? Nie, ich war schon immer ein deutscher Dichter!
(Only, when he brought me to the car he asked how I was doing in Limburg [Czechowski’s new hometown]. I told him truthfully: bad. His lapidary comment was, there you see how a GDR writer is doing. I asked him in return, if he never has been a GDR writer and received the answer: Me? Never. I always was a German poet!) (243)

Angrily, Czechowski rushed home and wrote a poem called “Lautlos” (“Soundless”) about Kirsten in which he insinuates sarcastically that the poet whom he calls “Kamerad Ängstlich” (“Comrade Afraid”) was a fearful opportunist in the GDR. His poetic work he characterizes as “Ein paar Harmlosigkeiten / Aufs Niveau / Der Sklavensprache gebracht” (“Some harmless things / brought down to the level / of slave language” (243). The third stanza reads:

Kürzlich
Dort zu Besuch gewesen: eine
Flasche Rotwein für
Vier Personen, Freunde,
Die Bettzeit naht, löscht
Jetzt das Licht, den Finger
Gelegt vor den Mund, daß
Den Nachbar nichts störe,
Halb elf, da man um sieben
Aufstehen muß.
(Recently,
I visited him: one
Bottle of red wine for
Four people, friends,
Then, time to go to bed. Switch
Off the light, the finger
on the lips, don’t disturb the neighbor
It’s half past ten, at seven
You have to get up (244).

The last stanza is addressed to the former Saxon countess and patron of the arts Anna Amalia (1739-1807), pitying her for the gutlessness of her “Kinder” (“children”) (244). Czechowski published this poem in his volume Wüste Mark Kolmen (1997); Kirsten was deeply hurt.

As a matter of fact, before the Fall of the Wall, the common enemy – the East German State with its “Widersinnigkeit einer verordneten Utopie” (“absurdity of a decreed utopia”) (Strebel 1) – had kept together the friends, Czechowski and Kirsten, to a degree that such differences as how much wine to offer to a friend or at what time to go to bed were irrelevant. Even the more important question of whether you considered yourself to be a GDR-poet or a German poet would not have ended this friendship. Now, after the Fall of the Wall, this common enemy had disappeared; feelings of frustration and aggression needed a new target. The main cause of frustration in Czechowski’s and many other GDR poets’ case was probably the disappearing interest in reading poetry on the part of the East German audience in the stressful climate after German reunification. There was not much interest in poets’ new works. As Volker Strebel points out, in the GDR Czechowski’s texts were considered a “Geheimtipp” (“insider tip”) – reading them closely, you could trace “die feinen kulturpolitischen Schwankungen über das, was im Augenblick veröffentlicht werden durfte” (“the fine fluctuations in cultural politics in matters of what could be published at the moment and what not”). With the end of censorship after the Fall of the Wall, such issues were of no interest anymore for readers. Not only poets, but also successful GDR novelists lost their publishing houses and had to survive on welfare. In an essay, Czechowski stated in 1998: “In einer Zeit, wo das Geld als einziger Überlebenswert die Existenz beherrscht, ist die Poesie als gesellschaftlicher Wert a priori zum Scheitern verurteilt” (“In a time when money rules your existence as the only value necessary to survive, poetry is condemned to fall through”) (Gödden 125). Indirectly, there is praise for the GDR hidden in this statement (money was not so important in that country). Nevertheless, since Czechoswki had bitter emotions towards the state of the GDR for its lack of freedom and was relieved when it collapsed, he could not direct his aggression against the so-called West German “colonizers” that introduced the terror of thinking in terms of money in a Daniela-Dahn-way2. In fact, as we remember, he had even moved to the West to be closer to West Germans. So it happened to Czechowski and others that they chose former friends as their target – not because they had turned out having been informers of the Stasi (the East German state police), but for petty personal reasons as, for instance, to have been “mit einer Tasse Kaffee […] abgefertigt” (“given short shrift with a cup of coffee”) (243) when they came for a visit bringing a late birthday gift. After the poem’s publication, Kirsten took vengeance by having Czechowski lose his prestigious Swiss publisher. The author states: “Einige Zeit später setzte Wulf Kirsten während einer Tagung des Ammann Verlages Egon Ammann die Pistole auf die Brust und sagte: Entweder Czechowski oder ich! Worauf sich Ammann für Kirsten entschied…” (“Some time later, during a meeting of the Ammann Verlag, Wulf Kirsten held a pistol on Egon Ammann’s head and said: Either Czechowski or me! Whereupon Ammann decided in Kirsten’s favor…”) (243) Later, the narrator mentions that in a moment of self-criticism he decided to repair his old friendship with Kirsten. When he saw him getting out of a taxi at a cultural celebration to which they both were invited, Czechowski went to him and addressed him in a friendly way. However, Kirsten responded, “er pflege nicht mehr mit mir zu sprechen” (“it was not his custom any more to talk to [him]”) (245). Thinking about it, Czechowski states self-critically: “Ich bin in diesem Zusammenhang auch oft Opfer meiner eigenen Irrtümer geworden” (“In this respect [the fact that he lost many friends due to his verbal attacks], I often became a victim of my own misapprehension”) (245). Nevertheless, for reasons of pride he decides not to regret having published his poem on Kirsten; otherwise he would not have republished it in his autobiography. Furthermore, almost proudly, the narrator quotes the critic Jürgen Serke stating: “Heinz Czechowski hadert mit seinen Schriftstellerfreunden von einst […], die sich auf eigenes Versagen nicht einlassen wollen” (“Heinz Czechowski quarrels with his former friends […] who do not want to engage in any critical discussion of their failure”) (250). In Czechowski’s eyes, “failure” means in this context that they remained in East Germany after the Fall of the Wall. The question must be raised, why does the author overreact in such a way? Susanne Schädlich in her autobiographical text about her stay in the United States retells a story she heard about an American Indian and relates it to her own situation after her family had moved from East to West Berlin in 1977. She states that they felt deeply unhappy in the West and can explain this unhappiness only in the following way: Because everything had changed in the way they lived their lives they felt overwhelmed and lost balance: “wir waren schon hier und immer noch dort” (“we were here already and still there”) (81). As an analogy, she continues to tell the story of an Indian standing at the side of the road to hitch a ride. A car stops; the Indian gets in. Halfway on his route, the Indian wants to get out. “Der Fahrer fragt warum? Und der Indianer sagt, er müsse warten, bis seine Seele nachgekommen sei” (“The driver asks why; and the Indian says he has to wait until his soul has followed”) (81). Czechowski’s situation after he moved to West Germany was similar. His soul had not been able to follow him yet; unhappily, he drives to the East to visit old friends in whose houses his soul might still be lingering; as a result, he gets entangled in situations of misunderstanding. Erroneously, he thinks that if these friends had also moved to the West, these painful encounters would not be necessary.

In fact, the darkest colors dominate in the description of his old friends in Poles of Remembrance. They are mainly the members of the so-called “Sächsische Dichterschule” (“Saxon School of Poets”) that included Karl Mickel, Rainer Kirsch, Adolf Endler, Elke Erb, Bernd Jentzsch, and others. What makes Czechowski’s text worth reading is his awareness that he is not fair in such aggressive portrayals as, for instance, that of Kirsten, and tries to come to terms with his unfairness. Claiming that it comes mainly from his inclination to fall prey to his own “Irrtümer” (“errors”) (245) means acknowledging the unreliability of his memory and his inability to draw appropriate conclusions from it. Mainly Czechowski’s inner conflict of wanting to regret his errors and make up with his old friends in the East and not being able to prevents the construction of an autonomous subject and of narrative closure. A critic of this autobiography states that the text has something “Unfertige[s]” (“unfinished”) (Grandt). Given Czechowski’s deep skepticism towards the genre of autobiography that is based on the insight that we are unable to separate fact from fiction when we look back at our life, the text’s fragmentary character must be interpreted as strength, not a weakness.

As Czechowski’s editor Sascha Kirchner points out, due to this skepticism towards the genre, the writer had tried hard to refrain from writing his autobiography for years, stating for instance: “Alle Autobiographien sind Fiktion, sind das Ergebnis eines Nachdenkens über sich selbst, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt” (“All autobiographies are fiction, are the result of a reflection about yourself that does not agree with reality”) (Kirchner 281). However, as Kirchner states correctly: “Wer sich selbst auf solche Weise mahnt, dessen Erinnerungsmechanismus läuft schon heiß und reproduziert Bilder – oder produziert Trugbilder –, die festgehalten werden wollen” (“Who warns himself in such a way, the person’s mechanism of memory is already overheated and reproduces images – or chimeras – that want to be written down”) (281). In addition, as Kirchner states, Czechowski had also political reasons for delaying his autobiographical writing, as he did not want to “einstimmen” (“be attuned”) into the “Chor der Vergangenheitsbewältiger” (“chorus of those who have set out to overcome the past [of the GDR]”) (Kirchner 281). It means that he felt bad about judging the GDR and his role in this country too quickly and, perhaps, superficially. We should add that the word “Trauerarbeit” (“work of mourning”) (217) scares Czechowski because it is too ambiguous: “Sollte man trauern, 45 Jahre lang vergeblich einer DDR angehört zu haben? Sollte man das Unrecht bedauern, das man anderen angetan hatte?” (“Should you mourn to have belonged in vain for 45 years to a GDR? Should you regret the injustice you have done to others?”) (218). Looking back at the injustices he did to others as a former candidate and later member of the SED also includes the injustices he did to animals. As a renowned “Naturlyriker” (“poet of nature”) (“Gödden” 128), the reader can imagine Czechowski’s agony when he was writing about his role in the controversial “Rinderoffenstall” (“open stables for cattle”) affair, in which he uncritically had supported the Party line. The SED had ordered the agricultural production cooperatives to leave the cattle outside overnight also during the “strengsten Frösten” (“the worst freezing”) (92) – a new Soviet method according to which the animals would produce more meat. As a result, “viele Tiere froren in der eigenen Jauche fest und mussten getötet werden” (“many animals froze in their own liquid manure and had to be put down”) (92). The author’s self-criticism in instances like this one, in which he had justified a political measure that turned out to be “Unsinn” (“stupidity”) (92) and had to be paid for with a high price of suffering, certainly contributes to the many mainly positive reviews the text The Poles of Remembrance has received after its publication.

Wolfgang Ertl concludes from reading Czechowski’s poetry written after the Fall of the Wall that the writer mourns the loss of the “Utopie-Potentials der untergegangenen DDR” (“potential for utopia of the disappeared GDR”) but not the downfall of its political regime. This also seems to be the case in the text The Poles of Remembrance. However, as the “Rinderoffenstall” episode shows, it is not always clear; sometimes, Czechowski is not sure if it was not the socialist utopia itself that led to suffering. After all, without his strong belief in this utopia he would not have blindly supported such absurd political measures; and how many other believers had acted like him? Such uncertainty of the first-person narrator about the reasons for the downfall of the GDR and the problematic character of his life contributes to the text’s lack of closure.

As Kirchner remembers, Czechowski also had worried that “es werde mir an der Fähigkeit mangeln, das Vergangene in seiner Tatsächlichkeit als Text wieder hervorzurufen” (“I might lack the ability to evoke the past in its factuality in the text”) (281); this means he was concerned about the lack of authenticity. As Dennis Tate states, this concern is typical for the middle generation of critical GDR authors, born between the 1930s and 1950s. Many of them, as for instance Christoph Hein and Wolfgang Hilbig, preferred to tell their life stories in the form of fiction because they regarded the autobiographical genre with its implied claim for authenticity and consistency “as an obsolete structure for conveying the elusiveness and fragmented nature of contemporary identity” (12). In fact, their reason for preferring a fictional form is strong; nevertheless, also Karen Leeder’s thought is noteworthy: “Any form of work on the GDR past which allows itself the freedom of fiction might ultimately not prove finally rigorous enough to do justice to its subject matter” (262). Obviously, Czechowski thought along similar lines when he preferred the controversial genre of autobiography for telling his life’s story that, on the other hand, he could only begin to write down after he had given up his claim of authenticity and consistency. He states: “In Wirklichkeit, so scheint mir, ist […] die Vergangenheit nur eine Imagination, die dem jeweils gegenwärtigen Stand des Bewußtseins entspricht” (“In reality, so it seems to me, […] the past is only an imagination that corresponds to the state of consciousness at a time”) (Kirchner 281). It speaks for the author’s sincerity when he admits that his “Stand des Bewußtseins” (“state of consciousness”) was troubled at the time when he wrote The Poles of Remembrance. Having survived the firebombing of the city of Dresden as a child and experienced the “Krallen” (“claws”) (47) of Stalinism later on, he suffered from depression to such a degree that in between writing the chapters of his autobiography he had to spend time in mental institutions. After he had moved to the West he felt so depressed that he became an alcoholic with dire consequences: “Der Schmerz um das Verlorene saß in der Kehle. Ich fuhr fort, die im Osten zurückgebliebenen Freunde zu beschimpfen, vom Alkohol angeheizt, in einer Art Verfolgungswahn” (“The pain about my loss was sitting in my throat. I continued to verbally harass my friends who had stayed in the East, heated up by alcohol, in a kind of paranoia”) (247). As Jürgen Serke pointed out in reviewing this text, Czechowski always needed a circle of well-meaning friends to be able to stay alive. The critic continues: “Wenn er heute über frühe Freunde enttäuscht ist und mit Verbitterung reagiert, so ist das eine Verbitterung, die sich im Kern gegen ihn selbst richtet.” (“When he today is disappointed about former friends and reacts with bitterness against them, so it is a bitterness that basically is directed against himself”) (203). In other words, his attacks are a form of self-destruction. At times, The Poles of Remembrance reads like a desperate self-portrayal by a madman who needed the desperation to be able to write.

A sign of Czechowski’s distrust in his ability to create authenticity in his autobiographical writing is the inclusion of poems in the text. As Karl Corino states, “Die in seine Autobiographie eingefügten Gedichte führen oft wie unter dem Vergrößerungsglas die Konstellationen vor Augen, in denen er stand [in einem bestimmten Augenblick]” (“The poems sprinkled into his autobiography often show, like under a magnifying glass, the constellations in which he lived [at a given moment]”). Obviously, Czechowski hoped that the included poems could make up for the lack of authenticity in his autobiographical narrative. This inclusion, as well as that of excerpts from his Stasi-files, gives the text a hybrid character, loosening up the stiff structure of the autobiographical form for its good.

Relentlessly, the author also examines his personal life, including his unfaithfulness towards his first wife and the breakdown of his two marriages. This examination reaches its climax when the author remembers driving from West Germany to the East to break into his second ex-wife’s apartment. She calls the police; Czechowski has to spend an embarrassing night in jail. An author who falls prey to the temptation of painting a rosier picture of his life in order to give it meaning, probably would have left out this incident. Czechowski explains:

Das Absurde der Situation wurde mir dergestalt bewußt, daß ich in der DDR […] niemals in Haft gewesen war, obwohl ich einen präventiv ausgestellten Haftbefehl in meinen Stasiakten fand. Ausgerechnet der Bundesrepublik, die ich mit herbeigerufen hatte, blieb es vorbehalten, mich hinter Gitter zu bringen…
(The absurdity of the situation became clear to me in such a way that in the GDR […], although I found a preemptively issued warrant of arrest in my Stasi-files, I was never in jail. Of all things, the Federal Republic of Germany that I had helped to create had reserved the right to put me behind bars…) (241).

It should be repeated that due to such radical self-criticism and self-questioning until the end, there can be no closure, neither narrative closure nor closure in meaning. If the text has a message, it comes close to what Milan Kundera said famously: “human life as such is a defeat” (10). However, when Kundera continues to state, “All we can do in the face of that ineluctable defeat called life is to try to understand it” (10), Czechowski would add, he tried hard to understand his life; however, it was such that it cannot be understood, neither by him, nor by anybody else. Not even the fact that he wrote remarkable poetry during his life in the GDR suffices to give it meaning.

The text ends with the author’s visit to his hometown Dresden where he has was a writer-in-residence from April to September 1998. The last lines are drenched in melancholy when he remembers a walk on Christmas Eve through the part of the city in which he grew up on: “Alles, so schien es, war eine Täuschung: die Häuser, der Kirchturm, der alte Friedhof – zu nichts anderem bestimmt, als vom Vergessen verschlungen zu werden” (“Everything, so it seemed, was a deception: the buildings, the church tower, the old cemetery – destined to nothing else but to be forgotten”) (278).

Besides having enriched the portrayal of East Germany before and after German reunification in 1991 by many interesting details, the merit of Czechowski’s autobiography lies in the author’s radical self-reflection that includes the critical scrutiny of his ability to remember and write about his memories. Kirchner summarizes the author’s thoughts in the following way: “Identität – eine Fiktion. Die Erinnerung – eine Fiktion. Daraus folgt mit gnadenloser Notwendigkeit: Eine Autobiographie ist nichts anderes als – Fiktion” (“Identity – fiction. Memory – fiction. The pitiless conclusion is: an autobiography is nothing but – fiction”) (282). Praising Czechowski’s sincerity, the critic states correctly: “Wer dies erkannt und artikuliert hat, der schreibt der Erzählung seiner Biographie das höchstmögliche Maß an Wahrhaftigkeit, an Überzeugungskraft und an Objektivität ein, derer ein einzelner fähig ist” (“Who has realized and articulated this, writes the story of his life with the highest possible amount of truthfulness, persuasiveness, and candor a person is able to”) (282).

At this point it should have become obvious that Czechowski’s text The Poles of Remembrance is an ideal example to be studied in regard to our present critical discourse on autobiographical writing that emphasizes the inability or unwillingness of the author “to accurately recall memories” (“Autobiography” 3). Czechowski has all the willingness in the world to recall his past life accurately, but he is not able to due to what he calls “meine[r] Erinnerungsschwäche” (“the frailty of my memory”) (227).

Linda Maeding, examining autobiographies of German exile writers who tried to come to terms with their painful experience of sudden uprooting before and during World War II, refers to Egon Schwarz3, who reflects on the question of “wie weit der Einzelne sein Leben bestimmt und bis zu welchem Grad es von überpersönlichen Mächten genormt ist” (“how far the individual rules his/her life and to what degree it is ruled by impersonal powers”) (Meading 488). If we look at Czechowski’s autobiography from this point of view, we have to ask: what ruled his life that according to his own judgment suffered from the lack of meaning? Obviously, it was ruled by both his own self-destructiveness due to his mental instability as well as by “überpersönliche[n] Mächte[n]” (“impersonal powers”). However, to what degree was his self-destructiveness, triggered by his depression and his escape into alcoholism, not also caused by the historic events of the twentieth century? Bearing in your memory “zu Kindergröße geschrumpfte Brandleichen” (“burnt corpses shriveled to the size of children”) (42) from the firebombing of Dresden in 1944 and on top of it the “drei-mal verfluchte DDR” (“three-times-cursed GDR”) (280) – how can you be mentally stable enough to construct a meaningful life? And, how can you be now a healthy old man mellowed by age and experience who, surrounded by his grandchildren perhaps, explores his life even-temperedly and gives us a balanced account of it ending with closure? In other words, the question of whose fault it is that Czechowski’s life and autobiography lack closure – is it his? is it that of German history? – cannot be answered. However, the fact that the author discusses his difficulties in writing about his life so openly and self-critically, not falling prey to self-pity or imposing meaning and closure, makes his autobiography Die Pole der Erinnerung worth reading. Kirchner states in his epilogue correctly: “Man liest eine Autobiographie nicht, weil man von ihr Objektivität erwartete, im Gegenteil – man liest sie wegen ihrer ganz und gar subjektiven Perspektive.” (“You don’t read an autobiography because you expect objectivity from it, to the contrary, you read it because of its outright subjective perspective”) (279).

To conclude, many former East German writers published autobiographies after German Reunification reflecting on their lived experience, but only one of them, Heinz Czechowski, also examined very critically the possibility of writing about his life using the genre of autobiography. While he tries hard to get as close as possible to historical truth, he self-critically reflects upon the impossibility of achieving this objective. According to his view, the major reason for this impossibility is that memory is not reliable, so you can never separate fact from fiction.

Notes

1 After listing several examples of people with a “parteinahen Vergangenheit” (“past close to the Party”) (247) who were successful in starting a new career after German reunification, he concludes: “Ich hatte mir die Vereinigung, dummen Illusionen folgend, gerechter vorgestellt” (“I had imagined the reunification, following stupid illusions, to be more just”) (247).
2 The books that Daniela Dahn published during the decade following the Fall of the Wall defend the GDR and express a certain amount of nostalgia. Westwärts und nicht vergessen (To the West and Not Forgotten) (1996), for instance, written in view of the property sharks and speculators who moved into the eastern regions during the 1990s, frames an extreme radical political statement and can be read as a polemic pamphlet against the West’s so-perceived colonization of the GDR.
3 Egon Schwarz, born in 1922 in Austria in a Jewish family, had to flee from the Nazis in 1938. The family found refuge in La Paz. Later, Schwarz became a professor of German at Harvard University and a writer. His renowned autobiography is titled Keine Zeit für Eichendorff: Chronik unfreiwilliger Wanderjahre (No Time for Eichendorff: Chronicle of Involuntary Years of Wandering) (1979).

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