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Jan 31 2019

Heil dir Amerika — du älteste Demokratie der Welt!

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von Albrecht Classen

 

Was für ein stolzes und wunderbares Land, selbst vor der Französischen Revolution hatte sich hier schon die Demokratie einen Weg gebahnt, und die amerikanische Verfassung ist bis heute der Felsen, auf dem dieser Staat ruht. In jedem Schulzimmer, in jedem Seminarraum hängt eine Kopie dieser Verfassung und hängt eine Fahne, alles sehr staatsfromm und patriotisch. Wieso man früher so über die Nazi lästerte, die eigentlich genau das gleiche machten, formal gesehen natürlich, will mir da manchmal gar nicht so einleuchten – aber Schwamm drüber. Der gesamte Westen sieht mit Stolz auf die Vereinigten Staaten, was für ein Vorbild für die Völker!

Verfolgt man die lokalen Wahlen, wirkt es wirklich beeindruckend, wie basisgetragen die amerikanische Demokratie bis heute geblieben ist. Selbst für kleinste Entscheidungen, seien es Schulgelder, Straßenbau, Krankenhäuser oder Armenfürsorge, gibt es Wahlen, was das Leben der Bürokratie ganz schön schwierig gestalten kann, denn der Ausgang der Wahl ist ja niemals von vornherein festzulegen. Aber in den USA wird gewiss niemals am Wahlausgang herummanipuliert, oh nein, da herrscht Gerechtigkeit und Gleichheit. Was damals in Florida passierte, und dann in Ohio, ach naja, da haben die Richter des Supreme Court schnell einen Deckel drauf gelegt, nur nicht nachfragen. Dass in manchen schwarzen Gegenden die Wähler sich stundenlang anstellen müssen, während in den weißen Gegenden einfach Briefwahl abläuft, wundert mich schon ein wenig, aber das sind halt wohl historische Gegebenheiten.

Bei uns vor Ort können wir auch ein Lied davon singen, wie sorgfältig und ungerecht die Wahlen betrieben werden – oh, pardon, wie technologiefreundlich und akkurat, also demokratisch, was auch immer das heißen mag. Es gibt viele, die ein recht seltsames Weltbild besitzen, es soll mittels des Wahlcomputers geschummelt worden sein, und so. Na, das will ich mal lieber beiseite lassen, denn unser großes Land wird ja nicht von Betrügern, Gangstern, Mafiosi, Kapitalisten, Lobbyisten, Lügnern, Banken, der Großindustrie und so weiter beherrscht. Nein, die lassen wir alle schön draußen, denn die haben nur sehr leise das Sagen; ich meine, alles läuft schön nach demokratischen Prinzipien, jeder Wähler hat eine Stimme, sogar die einzelnen Firmen, die Banken, die Versicherungen und noch so andere finanzkräftige Institutionen.

Klar doch, soll doch Google mitbestimmen dürfen, oder Microsoft, was an der Grenze passiert, wieviel Steuergelder für das Schulwesen ausgegeben werden soll, ob die Polizei straffrei die Demonstranten verdrängen darf oder nicht, ob Firmen Homosexuellen die gesetzliche Krankenversicherung gewähren müssen oder nicht, usw. und so fort. Ganz lustig, das Geld klimpert immer lauter in den Taschen, aber welche Taschen mögen das sein? Wenn die Koch-Brüder sich entscheiden, dass die Steuern für die Industrie um 50% gekürzt werden, dann geschieht das auch so, obwohl es erst einmal eine Wahl darüber gibt, in der natürlich die Masse voller Begeisterung für all die Kürzungen im Sozialbereich stimmen wird. Erstaunlich, aber so ist es in der Tat, denn an erster Stelle steht ja der Republican Kandidat, der die lästigen Nöten zur Beruhigung der Menschen einfach mal auslässt, dafür aber im Brustton der Überzeugung mit seinem christlichen Glauben prangt, über die Gottlosigkeit der Abtreibung donnert, von der Sünde der Homosexualität predigt und immer wieder auf sein großes Kreuz verweist. Wenn man dann nicht genau aufpasst, sieht man gar nicht die ausgestreckte Hand nach hinten, auf die ein großer Scheck zuflattert. Schwarzes Geld nennen wir das. Alles in gut demokratischen Bahnen! Christus hätte seine Freude daran gehabt, nicht wahr, vergessen wir mal seine Aktion im Tempel, das war so eine Jugendsünde des Herrn.

Zurück zum Thema, wir sind die älteste Demokratie der Welt, punktum, und jeder einzelne Staat hat so seine eigene Methode, ganz freiheitlich. Bei fünfzig kann das alles recht gemischt wirken, aber von jedem Staat werden z.B. gleichermaßen zwei Kandidaten als Senatoren ausgewählt, was wirklich gerecht ist, egal ob in Kalifornien 40 Millionen und in Nord-Dakota 760 000 Menschen leben. Bei uns in Arizona läuft die Wahl besonders demokratisch. Wie überall auf der Welt gibt es ein Stichdatum, bis zu dem man etwa eine Briefwahl durchgeführt haben darf, es sei denn, man will persönlich zur Urne gehen. Aber die meisten Wähler haben da so ihre Probleme damit. Manche vergessen es einfach, die Wahlstimme per Post abzuschicken (Porto ist sogar schon vorbezahlt). Bei anderen macht der verschüttete Kaffee einen Strich durch die Rechnung. Noch besser aber, es gibt viele, deren Hunde oder Katzen sich an den Wahlzetteln gütlich tun; ja, und was dann? Das klingt so wie bei meinen Studenten, die auch nicht ihre Seminararbeiten termingerecht einreichen und immer die besten Ausreden dafür parat haben. Das sind aber meist erst 18-jährige, und da drückt man schon mal ein Auge zu. Aber, wenn es um die Wahl geht, gefallen mir diese Erklärungen nicht unbedingt.

Nun, am Tag der Wahl kommen dann tausende dieser Leute, wollen plötzlich persönlich abstimmen, aber sie sind inzwischen längst als Briefwähler identifiziert worden. Da beginnt das große Rätselraten, stimmt die Unterschrift, ist dieser Mensch überhaupt registriert, wie ist der Wahlzettel genau zu lesen, und so kann es Wochen dauern, bis das Endergebnis vorliegt. Ganz basisbezogen, wunderbar, immer dem Volk helfen, alles möglichst einfach machen, worauf ja jeder ein Recht hat. Wer an keine Termine denken kann, darf trotzdem mitwirken, wir sind ja so lieb. Klar, überall setzt man heutzutage Rechner ein, die das alles blitzschnell erledigen könnten, aber Amerikaner sind halt meist ein wenig auf den Kopf gefallen und kennen sich, wenn sie aus ihrem Wald herauskommen, in der modernen Welt nicht immer so gut aus. Sagt man dazu nicht schlicht ‘Hinterwäldler’? Fast jeder hat zwar sein Smartphone, seinen Laptop und was weiß ich nicht alles, aber die Prinzipien des Wählens zu verstehen verlangt halt ein bisschen mehr an Grips, und so viel muss man ja nicht unbedingt von allen Amerikanern erwarten.

Abgesehen von diesen kleinen Problem ist unser Wahlsystem trotz allem sehr beeindruckend so gestaltet, wiederum basisorientiert, dass man nur wählen darf, wenn man sich registriert hat. Die Statistik belegt dann sofort, wie effektiv und umfassend das amerikanische System ist. Von allen Wahlberechtigten sind nämlich nur so um die 30% registriert, und von denen wählen halt nur so 30% tatsächlich. Das muss man sich mal ausrechnen, da wählen also höchsten 5% aller Amerikaner und entscheiden damit die Regierung. Schon erstaunlich. Wäre es da nicht besser, wenn wir die Wahl insgesamt aussetzten und den Superreichen einfach das Recht einräumten, unter sich die Entscheidung zu fällen? Dies wäre viel effektiver, schneller und einfacher. Die weiße christliche Mehrheit, so ab 60 Jahre alt, brauchte sich dann nicht mehr mit diesen misslichen Hispanics, Blacks, Asians, oder mit den jungen Homosexuellen, Transgender Leuten oder anderen seltsamen Minderheiten herumschlagen.

Stramme christliche Demokratie, von Google oder Facebook bestimmt, ist doch was Ordentliches, oder? Vielleicht sollten wir wieder den Adel einführen, dann brauchten wir das Wahlvieh nicht mehr und könnten uns darauf verständigen, dass diese 5% der Amerikaner, die sowieso fast alles besitzen, noch mehr von uns nehmen dürfen. Hallelujah, was für ein freies, offenes, demokratisches Land, in dem wir leben.

Aber bitte, verratet mich nicht, sonst entzieht man mir vielleicht sogar noch das amerikanische Bürgerrecht und schmeißt mich raus. Nur, wohin? Hier bin ich auf Gedeih und Verderb, Wahl hin oder her. Ein schlimmer Amerikaner? Man hatte mir schon vor 40 Jahren vorgeworfen, zu kritisch gegenüber diesem Land zu sein. Nein, gute Leute, ich liebe dieses Land, und da muss man halt doch manchmal etwas kritisieren dürfen, oder? Vielleicht hat man mich bisher noch nicht genug geschmiert, oder? Seht ihr, ich verstehe schon ganz gut eure krummen Touren, oh pardon, so war das nicht gemeint…. Ich freue mich schon auf die nächste Wahl, vielleicht zählt dann meine Stimme ungeachtet meiner Zweifel ein klein wenig.

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Jan 31 2019

Glossen 44. Exile and Emigration. An Introduction

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Many Glossen authors, past and present, live between two or more cultures, many have fled or have been forced to flee one country for another (and another), and many are scholars of authors whose life and work are defined by such experiences. Glossen 44 looks anew at exile and emigration in essays and analyses, creative writing, and through the review of recent publications in the field. Contributions address Jewish experiences, GDR experiences, and contemporary experiences.

Unfortunately, we continue to learn about the horrors of contemporary exile and emigration: the children separated from families by the U.S. government, the families struggling to find a way to stay in Europe, or the individuals who are risking their lives to get the chance to fight to stay in exile. The variety and intensity of the exile experiences documented here are not easily compared to such contemporary experiences, but they provide insight into the associated processes of resistance, memory, and memorialization.

Anna Rosmus presents the life of a lesser-known artist, Kurt Burian, a Passau native who fled the Nazis and led a life as a well-known and successful musician in the U.S. A noted biographer and historian, Rosmus weaves personal memories with archival materials and leads the reader into history through Burian’s life, which is marked by multiple emigrations. At home in Europe and then in the U.S., Burian returned to Germany in the 70s, where he lived until his death in 1978.

While Rosmus searches for traces of Burian in archives, documents, and with living family members in the U.S. and in Passau, Hans Mayer travels to the town of Sanary-sur-Mer on the French Riviera for the physical traces of well-known exiles such as the Manns, the Feuchtwanglers, and Hessel. Mayer’s piece reveals the challenges facing memory and memorialization in contemporary landscapes, particularly in France, and in his conclusion he asserts that it is our task to understand that “was und wie erinnert wird, hat Auswirkungen für den Blick auf die Gegenwart” (what and how [we] remember has effects upon [our] view of the present).

Understanding and processing past experience through the lens of the present is of particular importance in the two works of Egon Schwarz, “Dank an die Emigration” and “Lebe wohl Südamerika.” Reinhard Andress, friend and collaborator of Schwarz, returns as a contributor and describes how these two posthumously published works illuminate Schwarz’s positive view of his experience of exile and emigration.

Anne Weber chose to leave Germany and currently lives and works in Paris, writing in and translating between French and German. In her interview with Helga Druxes, Weber describes the family reasons for this and discusses the many ways to respond to the uncomfortable reality of being German. Weber sees her experiences in her chosen exile as a way of better seeing her own history and her own identity.

Weber is not alone in her choice to leave Germany. Many of the works of short prose and poetry in Glossen are also about life outside of Germany and the ways that geographical and historical distance influence current life. Ute Jansen-Alonzo, Albrecht Classen, Peter Arnds, Geertje Potash-Suhr, and Israel Zoberman are (or were) in the U.S. by choice and their perspective benefits from the U.S. context, provides insight into histories, and presents the U.S. in a refreshingly new and, these days, increasingly critical light.

Prosecution and oppression have often been the focus of Glossen through attention to the writings and the lives of GDR citizens and dissidents. Karin Schestokat’s essay for this volume compares a classic of GDR literature, Die neuen Leiden des jungen W. with the recent novel Kruso, and Ernest Kuczyński highlights the international reception of Jürgen Fuchs’s prose and poetry. Axel Reitel contributes again with a prose piece from his volume Zündhölzer für ein Manöver (1987), “Bericht an eine Jury. Eine Stasi-Satire,” about the experience of persecution and exile.

Five reviews of recent publications by and about exiled authors and artists also contribute to the theme of this Glossen issue. Danièle Buck’s collage created in response to Hans Joachim Schädlich’s novel Felix und Felka (2018) explores the everyday material remnants of the lives of Felix and Felka Nussbaum in exile.

Of course, Glossen does not limit its volumes to a single theme, although exile and emigration is the topic of much of this edition. In the past, Glossen has highlighted the life and work of Gerald Uhlig-Romero, founder of the famous Berliner Café Einstein Unter den Linden, in interviews, his own writing, and more. Glossen 44 sees the return of Gerald Uhlig-Romero as author and the commemoration of his life by Hans Mayer. Uhlig-Romero’s “Endlich – Der Frühling kommt” is most likely the last work he wrote before his death in July of 2018.

In my role as interim online editor, I do most of my work in the background, making sure that the technology of our blog functions and the texts of our contributors look good on a computer screen. I write the introduction for Glossen 44 in part to participate in the journal’s content, but more because of the generosity and work of Glossen’s true editor, Frederick A. Lubich. As many have read in our most “Recent Posts,” Frederick is battling cancer of the tongue. The cancer has robbed him of the ability to speak and eat, but he is refusing to be silent. His recent posts tell a story of cancer, but also one of life, love, and joy, accompanied with melodies, lyrics, and poetry. In the coming weeks, he will continue to contribute such posts to Glossen. Please remember to check our main page often and read his work.

Finally, we invite our readers to submit works for upcoming Glossen editions. In particular, we seek texts on current events and developments in the cultural realm of German-American relations for our unique segment “Recent Posts.”

Sarah McGaughey
Interim Online Editor
mcgaughs (at) dickinson.edu

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Jan 30 2019

Bericht an eine Jury

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Eine Stasi-Satire

von Axel Reitel

 

Hochgeschätzte Damen und Herren der Jury!

Sie haben mich gebeten, zum Thema „Das Rätsel des Exils” einen Bericht mit untersuchendem Charakter zu liefern. Ich will nicht leugnen, wegen des anständigen Honorars angenommen zu haben.

Ich bin ein Mensch, der aus eigener Erfahrung über Gefängnis berichten kann. Da ich aber vor allem eine Sache von der anderen zu trennen weiß, da ich weiter nur in einer gewissen Ordnung zu existieren vermag, obendrein bestimmt ungern in meiner Vergangenheit krame, denn ich bin Wissenschaftler, brauche den Fortschritt, hätte ich mich niemals Ihrer Aufforderung stellen sollen.

Aber zugegeben — ich habe damals nicht gewusst, dass Exil eine Sache von unaufhörlichen Verlusten ist. Heute, nach mehrwöchiger Forschung, bin ich ein ruinierter Mensch. Niemals, niemals hätte ich mich darauf einlassen sollen.

Wegen der schönen Reisemöglichkeiten bin ich in Ihr Land gekommen. Habe Verfolgung und Gefängnis in meinem Land, in dem allein Vorbereitung und Versuch, Reisen in exotische Länder zu unternehmen, unter Strafe stehen, auf mich genommen. Ich war Vorsitzender eines Geheimbundes mit dem Namen „Revolutionäre Exotiker”. Jeden Abend trafen wir uns, um per Landkarte die Küsten Australiens, Südamerikas und der Osterinseln zu erforschen.

Küsten wie die der Vereinigten Staaten oder Kanadas ließen wir unberührt. Denn vor allem gingen unsere Überlegungen dahin, nicht eines dummen politischen Verdachts wegen unserer Forschungen einstellen zu müssen. Unser Kreis bestand im Ganzen aus mir, dem Admiral, meinem Navigator, meinem ersten Offizier, meinem Lotsen und meinem Mastjungen. Letzterer war damit beauftragt, nach noch unerforschten Küsten und Getränken zu sehen. Geld für die nötige Ausrüstung verdienten wir uns in einem Metall-Leichtbaukombinat in P. Wir erforschten also die Küsten. Und ich muss sagen, dass uns die Unnachgiebigkeit unseres Vorgehens bald bis ins Landesinnere brachte. Landwirtschaft, Bodenbeschaffung, Klimawechsel, Einwohnerzahlen, Nachbarbeziehungen: Alles kannten wir in kürzester Zeit wie aus dem ff.

Aber nie vergaßen wir unsere Vorsicht. Auch hier gingen wir die politischen Strukturen nicht an.

Eines Tages fielen wir dennoch unter Verdacht. Sei es, dass der immense Ankauf von Landkarten und Atlanten unserer Stammbuchhandlung ins falsche Auge fiel, wie man so sagt, sei es, weil in einem der neueren Atlanten zufälligerweise die Vereinigten Staaten doch zur Sprache kamen, ich weiß es nicht. Und später erhielt ich nie die Auflösung unseres Fehlers.

Wir fielen also unter politischen Verdacht. Und ich versichere Sie: Es begann eine Jagd, die jedem kaledonischen Eber Ehre machen möchte!

Um unseren Verfolgern nicht noch mehr Gründe zu liefern, ergaben wir uns bereitwillig und leugneten nichts.

An diesem Punkt muss ich unbedingt auf meine großartige Frau zu sprechen kommen. Wenn sie auch nichts von Forschungsarbeit versteht, so verstand sie es in bravouröser Art, uns und unsere Wissenschaft zu schützen. Bereitwillig gab sie alles Material heraus, ergab sich, wie sonst auch den Anforderungen der politischen Polizei, und schaffte es so, bis in die höchsten Kreise vorzudringen und meine Strafe auf das Mindestmaß von wenigen Jahren zu senken. Selbst die Stimmung während der Vernehmungen änderte sich rasch. Hieß es erst: „Ich stecke Sie mit dem Kopf in den Sand, Sie komischer Vogel, und zähle bis Tausend”, kam dann ein zutrauliches „Na, Deine Frau ist schon ein Feger, was”. Ja, meine Frau ist ein Feger. Von Beginn an verband uns unsere Liebe zur Ordnung. Meine Großmutter väterlicherseits, bei der ich aufgewachsen bin (mein Vater war ein Spieler und wurde zwangsläufig eines Tages erschossen, meine Mutter nahm sich wegen der Schande das Leben), pflegte schon zu sagen: „Wenn Du nicht aufräumst, dann hol’ Dich der Teufel.” Da ich auch von ihr weiß, dass der Teufel nur unnütze Menschen holt, wurde ich ein sehr ordentlicher Mensch. Denn ich hatte früh meine Fähigkeiten erkannt und wollte nicht ohne Geschenke von der Welt gehen.

Wenn Männer von grundverschiedener Stellung eine Frau von der gleichen Seite her zu schätzen wissen, dann spricht nichts gegen eine vertrauliche Unterredung, Also schlug ich sein Angebot, sich in besseren Räumen, bei Kaffee und Kuchen, eben einmal vertraulich zu unterhalten, nicht aus.

Nach wenigen Momenten schon gab er mir das Ungeheuerliche zu erkennen, dass alle meine Freunde zu Verrätern geworden waren. Sie belasteten mich als ihren Anführer mit alleiniger Schuld wegen Verführung. Wäre ich nicht bereits zu vollendetem Charakter gereift, würde ich bestimmt einer lähmenden Verzweiflung anheimgefallen sein — denn ich liebte meine Freunde. So aber vollzog ich den Gegenzug. Offen erklärte ich, dass nur mein Veto das Vorhaben meines Navigators, meines ersten Offiziers und meines Lotsen, doch auch politische Ziele zu verfolgen, einst abgewehrt habe. Nur über den Mastjungen wusste ich nichts zu sagen. Der Beweis umfasste mehrere Seiten. Nach Meinung meine-, Vernehmers schlagkräftig wie die einstigen Rochaden Spasskis.

Von nun an war alles eine Sache von glänzendem Verlauf. Am Abend des gleichen Tages kam mein Vernehmer zusammen mit meiner Frau in meine Zelle. Und nachdem wir uns herzlich die Hände gehalten hatten, zog sie ein Papier aus der Tasche und sagte: „Schatz, unterschreibe, wir sind verheiratet!”

In einem aufmunternden Kleid, den Füllhalter wie eine siegreiche Lanze von sich gestreckt, setzte sie sich meinem Vernehmer gleich auf den Schoß. Die Härte ihrer Aufgabe hatte sie kräftig werden lassen wie ein Mammut. Keine Geisha hätte gewagt, was meine Atalante nun unternahm. Sie küsste den Herrn Vernehmer auf den Mund, dass er die Augen Schloss. Dabei gab sie mir durch ein Zeichen zu verstehen, dass nichts mehr zu befürchten sei, wenn ich unterschriebe. In Anbetracht der Höhe ihres Einsatzes unterschrieb ich sofort. Und wenige Jahre später konnte ich meine erste Reise antreten. Ich bereiste nacheinander die Länder meiner Wissenschaft. Und wenn jene Länder auch keine Gemeinsamkeiten mit den Ergebnissen meiner Forschungen aufweisen konnten, freute ich mich dennoch der praktischen Möglichkeiten. Ich sah die Tempel von Peru, die Täler der Anden, roch noch das Blut in Chile, sah Australiens Kinder, Indianer in Sidney, Götzen im Süden und die Inseln des Westens. Eines Tages aber, als ich die angrenzenden Meere berechnen und über sie setzen wollte, musste ich an den Verrat meiner Freunde denken und wurde plötzlich sehr traurig. Und ich wurde so traurig, dass ich mit einem mal jede Lust an der weiteren  Länderforschung verlor.

Daher kam ich in Ihr Land und fand eines Tages Ihre Aufforderung in einer Zeitschrift für Rätselfreunde.

Auf Grund meiner Bildung habe ich frühzeitig Rätsel zu durchschauen gelernt. Daher sagte ich mir ohne Umwege, dass Exil ein würdiges Unternehmen sein muss.

Ich füllte in wenigen Tagen ein dickes Buch, welches ich „Hommage an eine Reise” nannte. Die Einleitung musikalisch. Man erinnere sich des französischen Liedes „Der Deserteur”. Dann legte ich einen Zahn zu und kam zur Wuchtigkeit des „Hessischen Landboten”. Ich schrieb so viel, daß mich Tinte und Papier in wenigen Tagen ein Vermögen kosteten. Aber Sätze wie: „Schweigsam ist und mit Sehnsucht gefüllt unser Ziel”, oder „dem, welcher sich vom Weg abgekommen unter den Füßen fremder Berge nicht mehr erkennt”, oder „und dass dein Ruf hörbar wird jenen, denen dein Rufen gilt”, hießen mich nicht aufgeben. Und wäre nicht die Hauptberechnung auf ein noch gewaltigeres Resümee gefallen, ich hätte die Trophäe davongetragen. Doch Wissenschaft erfordert, wie Sie wissen, unbedingte Exaktheit des Berechnens. Aber wissenschaftlicher Zweifel gehört ebenso zu meinem Handwerk, wie das Abendbrot zum Beter. Und wieder kam Rettung durch Atalante. Sie schrieb mir einen Brief.

„Liebes Eberchen” und so weiter; „trotz emsiger Arbeit” und so weiter; „alles macht viel Mühe wegen deiner hinterlassenen Chiffren” und so weiter; „werde ich wegen der Exilfrage den Herrn Vernehmer um Rat bitten.”

Zwei Wochen darauf übermittelte sie mir Grüße und beste Wünsche vom Herrn Vernehmer, weiter eine Adresse, an die sollte ich mich wenden. Da ich aber von Natur aus Fremden gegenüber misstrauisch bin (denken Sie an die Geschichte meines Vaters), kontaktierte ich sicherheitshalber selbst meinem Vernehmer. Und erst nach positivem Bescheid trat ich den Weg dorthin an. Am späten Nachmittag fand ich das beschriebene, abgelegene Haus.

Ein Herr Nestor, meinem Vernehmer nicht unähnlich, begrüßte mich, er wisse Bescheid. Das Innere seines Hauses war teuer aber nur mit mäßigem Geschmack eingerichtet. Als ich das Bild seiner Frau sah, freute ich mich sehr, dass sie zu dieser Zeit eines Einsatzes wegen, wie er es nannte, nicht da war. Was unter Einsatz genauer zu verstehen ist, habe ich ihn nicht gefragt, da mir die Suche nach Antworten auf meinem Gebiet vorging. Und nun hörte ich zum ersten Mal, dass Exil eine Sache von unaufhörlichen Verlusten ist. Ausdrücklich warnte er mich vor der Gefährlichkeit   meines   Unternehmens.   Ich rechnete   meine Ausgaben während der letzten Wochen zusammen und musste zustimmen. Wie schon gesagt, hatte ich immense Summen verbraucht.

Dennoch: Gewohnt, Aufgaben zu beenden, wollte ich nicht aufgeben. Den Sachverhalt Ihres Honorars verschwieg ich, da man die Katze nicht gleich aus dem Sack lässt, wie es treffend heißt. Im Folgenden erzählte er mir umfassend von den Dissidenten, die, anarchistisch veranlagt, ihrer Unordentlichkeit wegen beschämen. Wegen des bisher einwandfreien Verlaufs meiner Geschichte aber riet er mir das Kreuz, mich unter sie zu mischen. In unvergleichbar kürzester Zeit sagte er weiter, bekommen Sie dort ein Resümee zusammen, das an Klasse Harry T.s, meines Lieblingsautors, nicht nachstehen wird. Es fehlt Ihrer Geschichte nämlich noch an Witz, und den brauchen Sie bei der Leserschaft unbedingt. Besser noch Witz als Würde. Sie werden sehen, wieviel Rumpelstilzerei im Geschrei der Dissidenten ist. Gehen Sie, schreiben Sie alles auf. Ich bin sicher, dass Sie auf dem besten Weg zum Klassiker sind. Wer weiß, vielleicht bald mein zweiter Lieblingsautor. Kommen Sie nachher wieder, dass wir noch einmal alles durchgehen. Dann gab er mir Harry T.’s Bestseller „Rauer Atem” mit auf den Weg und verabschiedete mich. Wie man sich unter die Leute mischt, gleich dem Wolf bei den sieben Ziegen, konnte ich bereits auf den ersten Seiten studieren. Es wuchsen mir Bart und Nägel, ich wusch meine Haare nicht mehr und ließ meine Zähne verfallen. Erst dann betrat ich das türkische Restaurant Ali-Ali.

Der genauen Berechenbarkeit an Hand der Empirie steht nichts zur Seite! Meine herrliche Maskerade erweckte unendliches Mitleid. Und nach wenigen Tagen ging ich ein und aus bei Ali-Ali, wie jeder dissidierende Türke. Ich kam früh, trank, und ging spät und zahlte nie. Immer auf der Hut, dachte ich an Harry T., und dass der Erfolg nur dem Nüchternen blüht. Schnell lernte ich, wie man viel zu trinken vorgibt, selber aber nüchtern bleibt. Nur die anstrengende Ausübung meines Berufes schmiss mich öfter zu Boden, nie aber die erschöpfende Leidenschaft eines Trinkers. Und ich war von heillosen Trinkern umgeben. Auch wenn sie mich des Öfteren wieder auf die Beine zu stellen wussten, bin ich ihnen keinen Dank schuldig, denn sie wussten nie, was sie taten.

Der Vollkommenheit meines Spiels wegen, musste ich mich auch ihren Gewinnspielen hingeben. Zwar wurde während meiner Anwesenheit keiner erschossen, doch diesen oder jenen wird es bestimmt noch treffen. Sie spielten wie die Teufel. Ich aber genoss das Glück der Engel. Das gewonnene Geld wusste ich schnell und geschickt zu verbergen. Denn, sagte ich mir, ein Dissident mit Geld erweckt unweigerlich Verdacht. Dann kam der Tag, der als letzter auf meinem Kalender stand. Der so viel Böses brachte. Tage zuvor brachte ich auf Wunsch Alis ein Plakat am Eingang an. Darauf wurde der „Erste Internationale Dissidentenkongress” zu einem Donnerstag angekündigt. Plötzlich bekam ich Angst um mein Resümee. Es sollte gerade hier seine klassische Vollendung finden. Aber Donnerstage mochte ich noch nie.

Schon bei meiner Großmutter gab es Donnerstag wie Donnerstag Rübeneintopf. Nichts hasse ich mehr als Rübeneintopf und Hunde. Die Nachbarin meiner Großmutter hatte so ein Vieh. Es hieß Alfonso. Durch einen mir unbegreiflichen Zufall habe ich den gleichen Namen bekommen. Und es war nicht selten, dass dieser dumme Köter meinen Platz am Tisch einnahm. Meine Großmutter war nämlich der Angewohnheit verfallen, mich in seinem Beisein beim Namen zu rufen; und ich war ein schlechter Läufer. Nur donnerstags blieb der Hund auf seiner Treppe. Ihn umzubringen konnte ich mir nicht erlauben, denn er war noch größer als ich.

Ich half Ali-Ali bei der Ausschmückung des Kongressraumes. Wäre ich auf die Idee gekommen, die Unsicherheit eines jeglichen Triumphes in Betracht zu ziehen, hätte mich meine plötzliche Angst vielleicht gerettet. Aber man bedenke die Nähe meines Zieles! Hundert Abgeordnete aus allen wichtigen Ländern! Türkei, Russland, Deutschland, Kanada und die Vereinigten Staaten (ja doch), Chile, und so weiter. Mein Resümee hätte zweifelsfrei seine klassische Vollendung gefunden. Und ich wäre zurückgekehrt in ein Leben als anerkannter Fuchs. Schon träumte ich von Bädern, Zahnbehandlung, Leben und Ruhm. Aber wie aus der Hölle des Urwaldes entstiegen, kamen Männer mit tropischen Anzügen herein. Ich wandte mich und erkannte meinen Navigator; dann auch die anderen. Lotse und Offizier spreizten hässlich ihre Lippen und schrien mit bestialischem Aufschrei „Verräter”. Dabei zeigten sie mit ihren glatten, gebräunten Fäusten auf mich. Ich zog, ihrer Überzahl wegen, das Schweigen vor. Aber sie schrien weiter.

Da Zufälle solcher Art keinen Bereich meiner Wissenschaft berühren, trifft mich an dieser Begegnung keine Schuld. Ich habe mich verraten gewusst. Die Unmöglichkeit eines Wiedersehens war mir versichert worden. Sprachlos über die Unzuverlässigkeit meiner Förderer, gelang es mir nicht, die Falschheit ihrer Aussagen bloßzustellen.

Gern hätte ich erfahren, was aus meinem Mastjungen geworden ist, sie aber schlugen mich auf Gesicht, Rücken und Beine, dass mein Blut nur so spritzte. Es roch wie in Chile. Und bestimmt hätten sie mich zu Tode geschlagen. Aber dann ist Ali-Ali doch dazwischen gegangen. Ich war ihm ja auch bekannt — jene aber nicht. So gelang mir letztendlich die Flucht. Aber ich bin ein ruinierter Mensch. Um sich zu schützen, werden sie auch hier zur politischen Polizei gegangen sein, um mich ein drittes Mal zu verraten. Seither lebe ich unter ständiger Verfolgung.

Mein Konto kann ich nicht mehr belasten, da ich mit erneutem Überfall rechnen muss. Und jenem Herrn Nestor kann ich mich in Anbetracht seiner Fehlleistungen unmöglich überantworten. Ali-Ali widerstrebt jeglicher Verrat, dennoch darf es kein Risiko mehr geben. Zwar könnte ich meiner Frau telegrafieren, doch besteht die Gefahr, dass meine Verfolger inzwischen auch die Post bevölkern.

Das Buch von Harry habe ich verloren. Die Lage zwingt mich nun, selbst zu leben wie ein Hund. Manchmal beneide ich sogar deren Gedankenlosigkeit. Will man sie zum Beispiel erschießen, ruft man einfach ihre Namen, und schon geben sie sich durch Bellen zu erkennen. Schon deshalb mache ich einen großen Bogen um sie. Und wie Alfonso auf seiner Treppe saß, hocke ich in Büschen, jeder Tag gleich Donnerstag, und nichts zu essen.

Zu einem Hungerkünstler tauge ich nicht, auch wenn ich immer an Rübensuppe denke. Ich ziehe nachts von Park zu Park. Eine feste Adresse zu haben, kommt in meiner Situation einem Zehnmetersprung auf Beton gleich. Wer weiß, wie lang noch alles dauert und Gras wächst. Einzig mein Fragment ist in Sicherheit. Es liegt bei Nestor, dessen Frau mir Angst macht. Auf dem Bild trug sie einen Revolver und zielte auf mich. Ich möchte sie schnell vergessen.

Das alles möchte ich schnell vergessen. Manchmal denke ich noch an Harry T. und dessen klassische Variante. Aber die werde ich wohl nie mehr erfahren. Vielleicht schaffe ich es noch bis zum Meer, um endlich ganz unterzutauchen.

Jedenfalls, dazu verdammt unterzutauchen, kann ich mich auch Ihnen unmöglich preisgeben.

Seien Sie meiner besten Gefühle gewiss, und möge ein guter Gott Sie in Zukunft davor schützen, das Glück der Menschen aufs Spiel zu setzen.

Berlin-Denia/Costa Blanca August-September 1986-Berlin- Januar 2019

 

Aus: Zündhölzer für ein Manöver. Erzählungen. Hilbert & Pösger, 1987.
Im Radio: Bericht an eine Jury. Eine Stasi-Satire. MDR Figaro, Sa, 29. Oktober 2011, 21′06″.

Weitere Information zum Autor und Text: “Durch das Gefängnis in die Freiheit.” TUB Newsportal. 16.12.2011.

Aus dem Pressetext des Senders MDR Figaro (2011) von Katrin Wenzel und Axel Reitel:

In Kafkas „Bericht für eine Akademie“ rühmt sich der Affe Rotpeter stolz seiner Menschwerdung, die doch in Wahrheit nichts als die Preisgabe seines ursprünglichen Wesens, also eine erzwungene Anpassung war. In Axel Reitels Mitte der 80er Jahre entstandener Paraphrase dieser Satire ist es ein von der Stasi „umgedrehter“ Dissident, der, als angeworbener Spitzel zum Schein in den Westen abgeschoben, selbstzufrieden seine vermeintliche Erforschung der „Rätsel des Exils“ zu Protokoll gibt und sich dadurch in seiner durch pseudo-wissenschaftliche Ambitioniertheit doppelt lächerlichen Nichtigkeit offenbart.
Der „Bericht an eine Jury“, zuerst erschienen im Prosaband „Zündhölzer für ein Manöver“ (1987), war dem MfS bekannt. Zitat aus dem Zentralen operativen Vorgang (ZOV) „Konzept“: Juni 1989… In der Untersuchungstätigkeit durch die Abteilung IX der BV Karl-Marx-Stadt wurde eine massive ideologische Beeinflussung…nachgewiesen. Die…unter Teilnahme des ehemaligen DDR-Bürgers Reitel, Axel….bis 1988 in der CSSR organisierten Treffen wurden neben der feindlich ideologischen Einflussnahme, zur Übergabe antisozialistischer Machwerke [wie] Zündhölzer für ein Manöver1 – von Reitel…genutzt, die wiederum unter DDR-Bürgern verbreitet wurden. […] Der Inhalt [des Buches] …richtet sich inhaltlich gegen die sozialistische Staatsordnung in der DDR … das soz. Bildungswesen, sowie Reisebestimmungen in der DDR. […]

Foto von Axel Reitel

Axel Reitel (1987)
Foto: Bernd Markowsky

 

Book cover

Cover of Zündhölzer für ein Manöver

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Jan 23 2019

Rezension: Nadja und Freya Kliers “Die Oderberger Straße”

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von Frederick A. Lubich

 

Nadja und Freya Klier. Die Oderberger Straße. Berlin, be.bra Verlag, 2017. ISBN: 978-3-89809-140-4. 143 Seiten.

Der Berliner be.bra Verlag hat in seiner Reihe „Berliner Orte“ einen weiteren Erinnerungsband herausgebracht, diesmal von Freya Klier, Bürgerrechtlerin, Dokumentarfilmerin und Schriftstellerin und Nadja Klier, Fotografin, Regisseurin und Filmproduzentin. Mutter und Tochter tragen jeweils 14 Kapitel zu diesem Rückblick auf die Ostberliner Oderbergerstraße im Prenzlauer Berg bei, in der sie zu DDR-Zeiten von 1978-1988 gewohnt hatten. Während Nadja Kliers Beiträge vor allem den Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugendzeit in der Oderberger Straße, sowie deren Bau- und Entwicklungsgeschichte seit der Gründerzeit gewidmet sind, erinnert sich Freya Klier vor allem an ihre künstlerische Entfaltung als Schauspielerin und an die seit dem Mauerbau zunehmenden politischen Repressionen des kommunistischen Regimes bis hin zu ihrem Berufsverbot im Jahr 1988 und der folgenden Ausbürgerung.

Die facettenreiche Retrospektive wird weiter bereichert durch die Geschichten und Erinnerungen mehrerer Mitbewohner und Schicksalsgefährten, die in ausführlichen Zitaten immer wieder zu Wort kommen. Darüber hinaus profitieren die persönlich-politischen Reminiszenzen der beiden Autorinnen auch von ihren extensiven Recherchen zu einem Dokumentarfilm über die Oderberger Straße, dessen Resultate mit in den Erzählstrom eingeflossen sind.

Nadja Kliers Beiträge stellen eine umsichtige Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der Oderbergerstraße seit der Gründerzeit dar, die vor allem in den zwei städtischen Einrichtungen der Feuerwache und des Stadtbads ihre plastische Veranschaulichung findet. Sie sind beispielhafter Teil jenes Bau- und Siedlungsbooms, der den Prenzlauer Berg in jener Zeit bald zu dem Berliner Bezirk mit der größten Bewohnungsdichte machte und Berlin selbst nach Los Angeles und London (17) zur drittgrößten Stadt der Welt mit knapp vier Millionen Einwohnern aufsteigen ließ.

Es folgt Freya Kliers einfühlsame Rekapitulation der gesellschaftspolitischen Ereignisse nach dem Mauerbau, die in den Kapiteln „1961: Kanalflucht im Oktober“ und „1963: Der Tunnel“ ihre dramatischen Höhepunkte finden. In ihren Kapiteln „1985: Rahman Satti und die Bronx“ illustriert sie am Beispiel des Afrodeutschen Rahman Satti den systematischen Rassismus des DDR-Regimes. Ähnlich ging es Menschen jüdischer Abstammung, die einem verschleppten Antisemitismus faschistischer Provenienz zum Opfer fielen und deren ethnisch-religiöse Identität bestenfalls totgeschwiegen wurde.

Im Kapitel mit dem Titel „1978: Makaber. Absurd. Schizophren“ beschreibt Freya Klier, wie sie im Jahr 1976 zwar in die Filmhochschule Babelsberg aufgenommen wurde, jedoch deren Gebäude nicht betreten durfte, da sie im Grenzgebiet von Ost-Berlin lagen. Als Begründung dieses amtlichen Unfugs seitens der Zulassungsbehörde wurde der Vorwurf eingebracht, dass die angehende Schauspielerin bereits einen Fluchtversuch unternommen und sich daher als „nicht grenzwürdig“ (67) erwiesen hätte. So das groteske Kanzlei-Deutsch, das in seinem Irrwitz – mutatis mutandis – an das menschenverachtende Verdikt „kriegsverwendungsfähig“ erinnert, mit dem einst die Ärzte des Wilhelminischen Kaiserreiches zahllose junge Männer in die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs geschickt hatten. Diese Wirklichkeit beschwört nicht nur Kafkas bürokratisches Labyrinth, sondern auch George Orwells dystopische Horrorvisionen eines totalitären Überwachungsstaates herauf, der seine Bürger systematisch kontrolliert und ad absurdum reglementiert.

Am Beispiel „Hirschhof“, einer Theaterbühne in einem Hofkarree der Oderberger Straße, illustriert Freya Klier die große Kreativität der zahlreichen kritischen Geister dieser Straße, die hier ihre mehr oder weniger subversiven Kunstwerke und Theaterstücke ausstellten und aufführten – freilich stets von den allgegenwärtigen „Argusaugen“ (81) der Staatssicherheit aufs schärfste beobachtet und in allen Einzelheiten ausführlich festgehalten. Immer wieder werden jedoch derartige staatspolitische Schauergeschichten geradezu dialektisch kontrastiert mit Erfolgsgeschichten wie Nadja Kliers Kapitel „Ein Spielplatz muss her“, den ein politisch gut verbundener jedoch menschlich gebliebener Mitbürger mithalf zu verwirklichen.

In ihren beiden Kapiteln „Nachwende und Zwischenzeit“ und „Anfang der 2000er: Kiezkantine, Krause, Klier“ verfolgt Nadja Klier die dramatische Transformation der Oderbergerstraße, die im Zuge der systematischen Gentrifizierung und Altstadtsanierung ihren herkömmlichen „Dorfstraßencharakter“ (127) verliert, den sie nach dem Mauerbau erhalten hatte, und sich in eine zum Teil von Mietsteigerung und Immobilienspekulation heimgesuchten Wohngegend verwandelt, die so manchen Oderberger vertreibt und vice versa zahlreiche Neuberliner aus allen Himmelsrichtungen anzieht, inklusive Kulturschaffende wie Autoren, Produzenten, Filmregisseure etc.

Sämtliche Beiträge dieses Sammelbandes beschwören in klarer Sprache noch einmal die versunkene Welt der Ostberliner Oderberger Straße herauf, mit einem klaren Auge für lokale Details und historische Fakten. Darüber hinaus haben sie jedoch auch beide ein sensibles Sensorium für die epische, welthistorische Dimension des gespaltenen Berlins und vor allem seines Mauerfalls mit all seinen gesamtdeutschen und europäisch-internationalen Konsequenzen. So fühlt sich zum Beispiel Freya Klier beim Anblick des Ostberliner Menschenstroms durch die geöffnete Mauer an die alttestamentarische Geschichte vom „Auszug aus Ägypten durch die Wüste“ (113) erinnert, was ein weitgeholter, jedoch überaus treffender Vergleich ist. Und dieser Assoziationsfaden wird wenige Seiten später von ihrer Tochter weitergesponnen, wenn sie von der „Karawane der Touristen“(136) schreibt, die in den letzten  Jahren in immer größeren Massen aus aller Welt kommend durch die wiedervereinte Hauptstadt Deutschlands ziehen.

Und auch die Tatsache, dass Berlin nach dem Mauerfall zur größten Stadtbaustelle der Alten Welt wird, ist exemplarischer Teil der einzigartigen politisch-ökonomischen Renaissance Europas und nicht zuletzt folgerichtige Weiterführung des deutschen Sonderweges durch die Geschichte des Abendlandes.

Der letzte Beitrag stammt von Nadja Klier unter dem Titel „2016: Schwimmen in Erinnerungen“ und beschreibt das im Jahr 2016 wiedereröffnete Stadtbad, das zum Teil in ein modernes Hotel umgebaut wurde: „Viele alte Elemente finden sich in dem liebevoll restaurierten Haus wieder. Das gefällt mir.“ (146). Gleichzeitig dienen die Räumlichkeiten des Hotels einer Vielfalt gesellschaftlicher, politisch-kultureller Veranstaltungen von der Techno-Party über Theaterproduktionen bis zu Luxusempfängen einflussreicher Konzerne. Entsprechend beschließt die Autorin ihre nostalgische Retrospektive aus dem Blickwinkel der doppelten Optik: „Auch die Oderberger hat zwei Leben. Ein altes und ein neues.“ (142)

Bereichert wird diese Chronik der Oderberger Straße mit rund drei Duzend Fotografien aus öffentlichen Archiven wie auch aus dem Privatbesitz der beiden Autorinnen und machen dergestalt diesen Sammelband mit all seinen schönen und schrecklichen sowie heimlich-unheimlichen Lebens- und Weltgeschichten immer wieder zu einer denkwürdigen und unterhaltsamen Leseerfahrung.

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Jan 23 2019

“Plötzlich liegt die Vergangenheit vor uns”

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Eine Interview mit Anne Weber zu ihrem Familienbuch Ahnen

Anne Weber was born in Offenbach in 1964 and now lives in Paris, where she works as a writer and translator. She translates German authors into French (Wilhelm Genazino and Sybille Lewitscharoff among others) as well as French authors into German (among them Pierre Michon and Marguerite Duras). She has received numerous prizes for her work, including the 2010 Kranichstein Literature Prize. Weber writes her own books in both German and French.

Anne Weber’s works include: Tal der Herrlichkeiten (2012), August. Ein bürgerliches Puppentrauerspiel (2011), Luft und Liebe (2010), Gold im Mund (2005), and Erste Person (2002).

Das Gespräch über Ahnen (2015) führte Helga Druxes.

 

Helga Druxes: Kann man sich aus einer Familie auch herausschreiben? Kann man es?

Anne Weber: Nein, kann man natürlich nicht. Man kann höchstens versuchen, sich in einer Art Abwehrreaktion vielleicht zu lösen, und sich ihr zu nähern natürlich auch, aber man kann sich nicht wirklich aus der Familie hinausschreiben, . . .  genau so, wie man sich auch nicht aus einem Land herausschreiben kann. Es gibt ja die Versuchung, sich aufzumachen und abzuhauen in andere Gegenden, damit mein’ ich jetzt nicht nur Frankreich –ich bin nach Frankreich gegangen, Sebald ist nach England gegangen. Es gibt ja auch die Versuchung, bei einigen hat es das gegeben, sich eine jüdische Identitiät anzueignen und sich sozusagen auf die andere Seite zu schlagen. Das kann ich auch sehr gut nachvollziehen, obwohl ich es nicht versucht habe und auch nicht machen würde. Aber diese Versuchung gibt es, man möchte ja nicht gerne deutsch sein. Aber damit muß man leben, da kann man sich nicht rausschreiben.

HD: In Ahnen gelingt Ihnen ein Spagat zwischen den Jetztzeit und dem Damals: wir erfahren, was damals war, ohne die heutige Perspektive aufzugeben. Würden Sie diese Entscheidung kommentieren?

AW: Ja, ich glaube tatsächlich, dass das etwas Besonderes ist an dem Buch und es ist mir relativ schnell klargeworden als ich anfing zu schreiben daran, dass ich diese Vergangenheit nicht würde beschreiben können – also die Zeit meines Urgroßvaters erstmal—als etwas Abgeschlossenes, von mir ganz und gar Getrenntes, was dann irgendwann stattgefunden hat, und was ich versuche zu rekonstruieren. Und womöglich wie man es im historischen Roman macht, dass man Leute sprechen läßt und das so wieder auferstehen läßt in der Zeit.

HD: Ja, vielleicht weil es so lange her ist, ist es noch besonders schwierig.

AW: Es ist nicht so sehr, dass es schwierig ist, es ist wirklich, weil meine Haltung zu der Vergangenheit ‘ne andere ist und auch gerade besonders in diesem Buch, weil es auch um meine Familie, nicht nur um die Vergangenheit insgesamt die nationale von mir aus, oder die europäische, sondern die familiäre geht, so wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich weniger diese Zeit beschreiben würde und weniger bestimmte Fakten darlegen, die ich auswendig . . . kein geschlossenes Bild dieser Vergangenheit würde herstellen können, sondern meinen Weg zu der Vergangenheit hin. Und dass daraus dann so etwas entstehen würde wie eine Reise in die Vergangenheit; also eine Art Reisejournal, aber nicht an einen Ort (obwohl Orte natürlich besucht werden), aber in eine andere Zeit. Dass man also bei dieser Reise nie ankommt und sagt, jetzt bin ich da, so ist es gewesen, und so haben die gelebt und so haben die gedacht sondern, dass es ‘ne Annäherung ist und das Bild, das entsteht, glaub’ ich, von dieser Vergangenheit ist kein festes rigides, sondern es ist eines, was auch in Bewegung ist, und dann hab’ ich zufällig als ich aber das Buch schon angefangen hatte, von Gustav Landauer dieses Zitat gefunden zur Vergangenheit, das stimmte nun wirklich recht genau überein mit dem, was ich mir auch schon so gedacht hatte. Er sieht also zwei Vergangenheiten an, einmal die Vergangenheit, so wie es war, also was jetzt im nächsten Augenblick schon vorüber ist, und wo wir im Grunde keinen Zugang mehr dazu haben. Das ist diese abgeschlossene Vergangenheit, die es ja auch gegeben hat, aber die uns nicht mehr zugänglich ist. Und dann gibt es eine andere Vergangenheit, die wir erst schaffen, indem wir uns auf sie zubewegen oder indem wir uns mit ihr beschäftigen, und indem wir uns in sie hineinvertiefen. Und das ist im Grunde dann ‘ne Vergangenheit, die nicht mehr hinter uns liegt sondern vor uns. Das gibt dann ein ganz schönes Paradox, dass die Vergangenheit plötzlich etwas ist, was vor uns liegt, was mir sehr gut gefallen hat. Das ist eine veränderbare, das ist nicht ein für allemal so fixiert, ja, das ist etwas Flexibles.

HD: Auch je nachdem, was man noch entdeckt.

AW: Genau, die Vergangenheit am Anfang des Buches, die wahrscheinlich ‘ne andere als die am Ende.

HD: Glauben Sie, dass es aus der Distanz eines anderen Landes leichter fällt, diese Aufgabe auszuführen?  Schwer ist diese Aufgabe ja auf jeden Fall. Oder spielt das keine Rolle?

AW: Doch, ich denke unbedingt, dass es leichter fällt. Im Zusammenhang mit der deutschen Vergangenheit dann auch leichter als wenn ich in Deutschland geblieben wäre. . . Ich bin mit 18 aus Deutschland weggegangen und hatte noch nie einen Juden gesehen. Ich hatte auch das Gefühl, es gibt keine mehr. Wir haben sie alle umgebracht. Ich hab’ dann zum ersten Mal in Frankreich Juden überhaupt getroffen. Im Grunde merkt man ja auch, das haben Sie sicher auch gemerkt, man merkt ja eigentlich nur im Ausland, findet man zu einem Bild davon, was man selbst ist, wenn man von den anderen gesehen wird. Wenn man sich immer nur von Deutschen gesehen sieht, also gesehen wird, dann ist es ein ganz und gar ungenügendes Bild, was man von sich hat. Es ist im Grunde, als würde man sich selbständig im Spiegel angucken und davon hätte man auch keinen Eindruck.

HD: Sie haben in Ihrem Buch auch einmal gesagt: “Ich verkehre nur mit Menschen, nicht mit Generationen.” Das macht das Buch sehr persönlich. Sie versuchen nicht, den Urgroßvater in eine bestimmte Generation von Nationalisten einzuordnen. Vor dem ersten Weltkrieg waren viele Deutsche sehr national eingestellt. Man kann es u.a. bei Victor Klemperer nachlesen, der ja so akribisch Tagebuch geführt hat. Aber Sie versuchen eben nicht nur, diese Person in eine bestimmte Schublade oder Kategorie typischer Deutscher einzuordnen. Sondern sich ihm wirklich als Individuum anzunähern. Weil er ja ungewöhnliche Entscheidungen getroffen hat. Seine Neustarts zum Beispiel, völlige Kehrtwenden. “Dieser Beruf sagt mir nicht zu, ich fange noch einmal neu an.”

AW: Unbedingt. Und dieses letzte Werk Deutsche Bauhütte ist schwierig. Sicher, er hat sich ja vorgestellt, daß die ganze deutsche Gesellschaft das so lesen könnte. Er hat das ja leicht schreiben wollen, als eine leichte Lektüre, aber das ist ihm nicht gelungen.

HD: Seine Idee war ja, einzelne sollen einen Wiederaufbau leisten.

AW: Ja, aber nur so ganz kleine Zellen. Auf keinen Fall größere Zusammenhänge, weil er gegen die repräsentative Demokratie war, wollte er die Verantwortung nicht abgeben an andere. Und in größeren Gruppen geht es ja dann irgendwann nicht mehr anders. Aber überhaupt die Idee, dass jemand in diesen Jahren der Empörung, wo ganz Deutschland geschrieen hat nach . . . diese ganzen Reparationszahlungen waren ja sehr hoch und wurden von so gut wie allen als viel zu hoch eingestuft. Als Ungerechtigkeit. Und dass in dieser Stimmung, in dieser Wut, jemand genau das Gegenteil sagt. Er sagt, wir haben uns jetzt dazu verpflichtet, er redet da eigentlich gar nicht viel darüber. Das läßt er ja nebenbei und fordert aber dann etwas, was ganz unabhängig für ihn von den Versailler Verträgen und Reparationszahlungen ist: nämlich auf das eigene Gewissen zu hören, und hat man selbst, also habe ich irgend etwas geleistet, um dieses Unrecht wieder gutzumachen? Aber da spielte sicher auch sein eigenes Schuldbewußtsein ‘ne große Rolle, weil er auch in die Kriegstrompeten geblasen hat am Anfang und sehr nationalistisch und militaristisch gedacht hat am Anfang des Krieges. Ja, aber solche Sachen sind nicht generationstypisch, der Nationalismus, der preußische Militarismus, das sicher schon. Aber das ist ein bisschen auch das, was mein Buch unter Anderem unterscheidet von einem geisteswissenschaftlichen Werk. Als Geisteswissenschaftler ist man ja gezwungen, auch größere Zusammenhänge einzubeziehen und in Tendenzen und Generationen zu denken und das ist ja nicht mein Ziel gewesen.

[Um mein Anliegen zu verstehen] Vielleicht sollte man insistieren auf diese Vorgehensweise, wie ich das vorhin beschreiben habe. Der Anfang des Buches ist ja schon so, dass es immer auch darum geht, wie die Vergangheit in die Gegenwart hineinreicht. Wie sie sich verlängert bis heute. Es gibt einige Bücher, so Vergangenheitsbewältigungs-bücher, bei denen aber, glaub ich, die Vergangenheit als etwas, was man aus der Ferne anschaut und begutachtet, vielleicht hält man sich zurück, zu urteilen. Aber man sieht das so als etwas, was eigentlich mit einem Selbst wenig zu tun hat, was man nicht versteht. Man versucht es vielleicht, es zu verstehen, aber es ist so in die Ferne gerückt und man schaut da so drauf. Ich habe versucht, nicht absichtlich so versucht, sondern es ist einfach aus meiner Erfahrung mit . . . wahrscheinlich auch weil ich im Ausland lebe, als in Frankreich Lebende, immer konfrontiert wurde mit dem Bild des Deutschen und dieser deutschen Vergangenheit, hab’ ich versucht, die Vergangenheit zu beschreiben als etwas, was mich jetzt ständig heute angeht, und nicht als etwas, was es nur noch so aus der Ferne zu analysieren gälte. Und vielleicht kann man ‘ne Parallele ziehen zu heute, das tun ja Historiker auch, aber ansonsten ist das abgeschlossen und in so ‘ner Kapsel, irgendwo weit weg.

Es ist die Rede im Buch auch von gewissen Strömungen, es gibt den Ausdruck, den Begriff, der mir jetzt nicht einfällt, Eugenik. Und solche Bewegungen wie Nationalismus sowieso—das sind Sachen, die ich ja erwähne, und die den Urgroßvater durchaus angehen, wovon er betroffen ist. Trotzdem versuche ich, ihn als Individuum zu sehen. Sonst könnte man ja das Buch einer Generation schreiben. Da bräuchte man sich ja überhaupt nicht mehr für einzelne Menschen zu interessieren. Natürlich ist jeder, sind wir auch, in unserer Zeit verhaftet, sind diesen Einflüssen ausgesetzt und können uns nicht dem allen ganz entziehen. Trotzdem sind wir doch völlig verschiedene Individuen. Es muß sich doch jemand auch für diese Individuen interessieren. Wer, wenn nicht ein Schriftsteller?

HD: Was ich eben auch ganz hoffnungsvoll an Ihrem Buch finde, ist, dass Ihr Urgroßvater seine Meinung auch oft geändert hat. Wenn er einmal in seinem Tagebuch aus dem Kontext seines eigenen Unglücks anzweifelt, dass geistig Schwerbehinderte vom Staat unterstützt werden sollten,—eventuell gab es ja auch Probleme mit seiner Frau Emma, die psychischer Art waren, wo er vielleicht da gedacht hat, was macht man denn mit solchen kranken Menschen? Dass er da diese harte Frage stellt. Darauf kann man ihn aber gottseidank nicht für den Rest seines Lebens festnageln. Er hat auch ganz andere Sachen gedacht und gesagt.

AW: Ja.

HD: Wenn er das in sein Tagebuch schreibt, ist es noch etwas anders, als wenn er das in Deutsche Bauhütte geschrieben hätte. Er war ehrlich…

AW: … zu sich selbst. Das ist etwas ganz Wichtiges, was ich mit herausgefunden habe. Es ist eigentlich auch vorher schon bekannt gewesen, aber man macht sich’s nicht so richtig bewußt, dass man so einen Satz oder überhaupt nichts von dem, was je in der Vergangenheit geäußert worden ist, je noch einmal wird lesen können, so wie er gesagt oder geschrieben worden ist. Dass es einfach weg und vorbei ist. Das Verständnis oder die Intention, die man damals hatte, als Leute das gesagt oder geschrieben haben, das ist von uns aus nicht mehr zugänglich. Man kann einfach einen solchen Satz heute nicht mehr lesen, ohne zu denken, dass diese Leute ja ermordet, vergiftet worden sind, und zu zig Tausenden. Das gilt einfach als ‘ne Unmöglichkeit, dass man plötzlich jetzt so tut, als wüsste man das nicht. Man kann und will es nicht ausklammern, aber man kann nicht diesen Satz lesen und denken: na ja, das ist ja klar, wenn der das so gesagt hat, der hätte das dann auch gemacht. Wenn der das so sagt, dann musste es ja so kommen. Er war in einer ganz bestimmten Situation seines Lebens, in der persönlichen Not, Ausweglosigkeit, moralische Not—gesagt hat, weil er’s auch in einer Situation der Betroffenheit, wo er Leute die litten, gesehen hat. Er wollte wahrscheinlich, dass die aufhören zu leiden.

HD: Ja, er war davon auch überfordert.

AW: Also, ich behaupte, das kann ich natürlich nicht beweisen, dass er das so gesagt hat, dass er aber nie derjenige gewesen wäre, der das wirklich gemacht hätte.

HD: Deutsche Bauhütte kommt ja aus einem ganz anderen Impuls. Unter extremem Stress sagen oder denken Leute harsche Dinge. Aber es ist auch gut, wenn sie sich die nicht verbieten, sondern sie herauslassen. Jemand weiß, ich komme hier in Versuchung, etwas zu tun, was mein Gewissen mir verbietet. Und es dann trotzdem nicht tut.

AW: Ja hm. Deswegen tu’ ich ihm ja, ich sag’s ja auch, unrecht, dass ich diesen Satz überhaupt öffentlich mache, ihn dann noch wiederhole.

HD: Sie haben den nun gefunden, es ist auch schwer, ihn dann wieder zu vergessen.

AW: Ich schreibe glaub’ ich, sogar dazu, dass es ungerecht ist, weil es etwas ans Licht rückt und insistiert auf etwas, was ein Satz von zig—der hat ja sehr viel geschrieben, der Mann. Allein die Tatsache, dass ich nie ein antisemitisches Wort drin gefunden habe in diesen Aufzeichnungen. Das ist schon ungewöhnlich.

HD: Mir ist aufgefallen, dass sie ihn als Hiobsfigur einführen, als jemanden, der mit Gott hadert. Sie kommen auch später noch einmal auf diese Idee zurück. Was sagt das über seine Gesellschaft damals aus, wenn er sich so in die Enge getrieben fühlt? Wenn er sich so ernsthaft mit Dingen auseinandersetzt, die ihm sehr wichtig sind in seiner Beziehung zu Gott? Mit seinem Mentor Hesekiel nimmt er das auch sehr Ernst, dass er ihn in seiner Krise bemitleidet.

AW: Ja, das war ja das Schlimmste für ihn, diese Liebkosung, diese freundliche Geste. Sein Stolz, diese Demütigung einer freundlichen Geste—das ist verrückt. Dieses ganz schwierige Verhältnis zu seinem Christentum und zu seinem Glauben, das ist in meiner Sicht, der christliche Glaube bis zum Schluss geblieben. Obwohl er dann unter dem Einfluß von Nietzsche und sicher auch anderen Lektüren diese Abkehr – Abkehr ist es ja nicht, sondern eine Wut dem Christentum gegenüber entwickelt. Die aber bei Nietzsche auch nicht ein wirkliches Nichtglauben, ein Atheismus oder dass man denkt, ‘Gott ist tot’ das heißt jetzt, also der Mann war Atheist, das ist ja Quatsch, der ist ja auch Christ geblieben bis zum Ende seines Lebens. Das war bei dem Florens Christian ja ganz ähnlich: die Unmöglichkeit, diesen Glauben abzulehnen. Vielleicht ist das die letzte Generation, die noch . . . Also der eine Sohn, also mein Großvater, der wurde ja dann auch sehr gläubig. Vielleicht ist es dann mit der übernächsten Generation.

HD: Wer war sehr gläubig—der SD-Mann?

AW: Der wurde es nach dem Krieg.

HD: Warum hat er sich Florens, also ‘der Blühende,’ genannt?]

AW: Er hat das Christentum abgelehnt, von sich geworfen und es ist wie ‘ne Wiederauferstehung.  In dem Moment als er aus dem Pfarrberuf scheidet, als er wieder in die Verwaltung zurückgeht und also …

HD: Sie arbeiten ja nicht nur als Autorin, sondern auch als Übersetzerin. Sehen Sie Parallelen zwischen der Analyse einer vergangenen Zeit und der Arbeit des Übersetzens? Gibt es Affinitäten zwischen der Arbeit als Übersetzerin zwischen zwei Kulturen und Sprachen und dabei, eine vergangene Epoche in die Gegenwart herüberzubringen?

AW: Das ist eine sehr schöne Frage. Ich finde, es gibt einen Zusammenhang. Nämlich insofern, dass die Wörter ihren Sinn ändern und man tatsächlich versucht ist, eine Übersetzung anzufertigen. Es sind ja bestimmte Begriffe, die auftauchen. Zum Beispiel der Ernst, der Glaube, andere Begriffe noch. Wenn jemand heute sagt “ich bin gläubig” bedeutet das einfach absolut nicht mehr dasselbe, wie wenn das mein Urgroßvater gesagt hat. Tatsächlich ist das Buch ein Versuch, eine Annäherung. Man könnte vielleicht auch sagen, der Versuch, diese Sprache von früher, die ganze Sicht der Welt in eine heutige Sprache zu übersetzen. Und ich versuche das mithilfe von Bildern. Ich glaube, an einer Stelle frage ich mich, ob es nicht so wäre, als ob in zwei Generationen jemand nicht mehr das Wort Liebe verstehen würde.  Also einfach deutlich zu machen, zunächst mal mir selbst deutlich zu machen, wie die Sprache sich verändert und wie dann mit dieser Veränderung der Sprache gewissermaßen der Boden, auf dem wir stehen, ins Schwanken gerät und will gar nicht mehr genau wissen, was gemeint ist, wie wir uns da orientieren können. Eine Unsicherheit kommt rein, wenn man merkt, es verändert sich ja alles, darauf kann ich mich ja gar nicht verlassen. Ich kann nicht jetzt ein Buch wie Deutsche Bauhütte mit meinem heutigen Blick lesen und könnte das eben so verstehen, wie die es verstanden haben. Die Emotionen, die dahinter stehen, die sind schwierig, und eben die Sprache ist nicht mehr dieselbe. Vielleicht sind die Wörter noch dieselben, aber vor allem der Sinn, der mit diesen Wörtern verbunden ist, hat sich geändert und das macht die Sache doch sehr unsicher, und da kann man sich eigentlich nur so vortasten.

Und das versuche ich.

Ich glaube, dass es bleiben wird als eines der Bücher, die sich mit dieser Zeit auseinandersetzen.

For more on Anne Weber’s Ahnen, see Helga Druxes’ article “Transgenerational Holocaust Memory in Anne Weber’s Ahnen and Esther Kinsky’s Am Fluß” in Feminist German Studies 34 (2018).

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Jan 06 2019

Rezension: Robert Schopflocher. “Eine Kindheit”

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Robert Schopflocher. Eine Kindheit. Ars Vivendi: Cadolzburg, 2018. ISBN: 978-3869137421. 285 Seiten.

von Achim Viereck

 

„Eine Kindheit“ ist die 2018 von Ars Vivendi herausgegebene Sammlung der besten Erzählungen („Herzstücke“) des deutsch-argentinischen Schriftstellers Robert Schopflocher. Neben der titelgebenden autobiographischen Erzählung sind neun weitere Erzählungen ( „ Der Sitz der Seele“, „Einsamkeit“, „Wie Reb Froike die Welt rettete“, „Schach!“, „Geschichtsunterricht“, „Fernes Beben“, „Der Uhrmacher“, „Der Kanarienvogel“, „Der Caudillo“) und das höchst lesenswerte Nachwort von Dirk Niefanger und Gunnar Och in diesem auch haptisch sehr ansprechendem Band zu finden. Veröffentlicht wurde das Werk posthum in der Reihe: „Moderne fränkische Klassiker“.

Der in Fürth geborene jüdische Autor musste 1937 seine geliebte Heimatstadt verlassen und ist ihr trotzdem immer treu geblieben. Nachhaltig geprägt haben ihn und sein literarisches Werk aber Argentinien und seine Bewohner, vor allem im ländlichen Raum. Hier spielt ein Großteil seiner Geschichten; hier begegnen wir den oft widersprüchlichen Charakteren seiner Erzählungen. Bauernschläue, Selbst-gefälligkeit und Arroganz zeichnen die vermeintlichen Gewinner seiner Geschichten aus. Auf der Verliererseite begegnen uns Tagelöhner, Flickschneiderinnen, psychisch und physisch Behinderte, scheiternde oder bereits gescheiterte Existenzen. Schopflocher versteht es meisterhaft, uns ihre Erinnerungen, Ängste und unerfüllten Hoffnungen näher zu bringen. Er hält seinen Protagonisten – vor allem den Tätern, aber auch den Opfern – den Spiegel vor und so manch ein Leser wird vieles vom Bespiegelten in sich selbst erkennen.

Schopflochers Erzählungen sind ein engagiertes Plädoyer gegen Ignoranz, Vorurteile und Korruption. Er setzt sich ein für Humanität, Toleranz und ein Miteinander, frei von politischen oder religiösen Repressalien. Schopflochers Sprache ist leise und behutsam; die schrillen Töne kennt er nicht, den feinen Humor schon.

Ars Vivendi ist zu danken, dass nunmehr neben den bekannten Erzählungen wie „Fernes Beben“ oder „Wie Reb Froike die Welt rettete“ auch „Der Sitz der Seele“ (die wohl bewegendste Geschichte) und „Der Caudillo“ dem breiten Leserkreis zugänglich gemacht werden. Wer mehr über das Leben und Wirken von Robert Schopflocher wissen möchte, dem sei die Festschrift zu Ehren des Autors „Transatlantische Auswanderergeschichten“ von Frederick Lubich ans Herz gelegt.

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Jan 04 2019

Rezension: Gisela Holfter and Horst Dickel. “An Irish Sanctuary”

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Gisela Holfter and Horst Dickel. An Irish Sanctuary: German Speaking Refugees in Ireland 1933-1945. Oldenbourg: De Gruyter. 2017. ISBN: 978-3-11-035145-3. 451 pages.

von Gabriele Eckart

 

Dieses Buch — ein Bericht über die deutschsprachigen Flüchtlinge, die von 1933 bis 1945 nach Irland kamen — ist ein außerordentlich wichtiger Beitrag zur Erforschung des Exils während der Nazizeit.  Das Land bot ihnen Schutz, und sie bereicherten es in vielerlei Hinsicht, wie die Autoren dieser Monographie an fast unzähligen Beispielen zeigen.  Flüchtlinge aufnehmen ist, so die Botschaft zwischen den Zeilen, eine win-win-situation für beide Seiten.  Um das Material dafür zusammenzutragen, forschten die Autoren in Archiven nicht nur in Irland, sondern auch in Deutschland, Österreich, den USA, England, in Israel und der Tschechoslowakei. Zusätzlich führten sie Interviews. In einem wohltuenden Unterschied zu den vielen anderen Büchern über das Exil bezieht sich dieser Text nicht nur auf das Leben von Schriftstellern und Akademikern, sondern auch “kleiner Leute”, etwa Studenten, Handwerker und Geschäftsleute.

Gegliedert ist der Text in drei Teile: Teil I behandelt, warum die betreffenden Personen emigrieren mussten und wie sie nach Irland gekommen sind, Teil II, wie die irische Regierung auf die Flüchtlinge reagierte, und Teil III die Nachkriegsgeschichten der Exilierten.  Geographisch und kulturell zu weit weg, war Irland neben Island das westeuropäische Land, in das die wenigsten deutschsprachigen Flüchtlinge kamen. Zwischen 1933 und 1938 waren es nur 52 Personen, alle stammten sie aus jüdischen Familien, die nach Hitlers Machtantritt drangsaliert worden sind. Nach der Kristallnacht kamen noch einige mehr. Fast alle Flüchtlinge wollten eigentlich nach England oder in die USA; Irland mit seiner schwachen Wirtschaft war die zweite Wahl und am Anfang nur als Transitland in Betracht gezogen worden. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 kamen 155 Flüchtlinge aus Wien und einige wenige aus der Tschecholowakei, vor allem aus Komotau, die letzteren waren von Konrad Henleins Sudentendeutscher Partei terrorisiert worden, bevor sie sich entschieden, ihre Habe (in manchen Fällen Fabriken) aufzugeben und wegzugehen.  Hilfsnetzwerke religiöser Organisationen, vor allem der Quaker, halfen mit Stipendien und bei der Regelung von Visaangelegenheiten. Da die Zahl der nach Irland gekommenen Flüchtlinge so relativ gering ist, konzentrieren sich die Autoren auf die detaillierte Erforschung der Geschichten einzelner Familien, mit Straße, sogar Hausnummer, beruflicher Tätigkeit, wer hat wen zur erfolgreichen Flucht verholfen, dazu Fotos. Manchmal gelang nur einem Familienmitglied die Flucht, die anderen starben in der Shoah.

Das wellenartige Auf und ab der irischen Flüchtingspolitik (nach Kriegsausbruch wurde die großzügige Einwanderungspolitik der irischen Regierung von 1938 aus Angst vor den Flüchtlingsmassen, die in das neutrale Land am Rand Europas strömen könnten, zurückgenommen) schildert Teil II.  Und die Überwachung der schon in Irland lebenden Flüchtlinge wurde aus Sicherheitsgründen verschärft: Postüberwachung, sogar Wohnungsdurchsuchungen gab es.  Ein Zitat: “The status as refugees, sometimes rendered as ‘Refujews’ in G2 reports, spared them neither surveillance nor suspicion” (145). Waren die Iren antisemitisch? Die irische Verfassung garantierte Religionsfreiheit, aber in der jungen Nation gab es Bevölkerungsteile, die Juden als nicht-integrierbar und un-irisch ansahen.  Dabei brauchten nur 90 der insgesamt 426 Flüchtlinge eine wirtschaftliche Unterstützung, auch in dieser Hinsicht taten sich die Quaker unter den religiösen Vereinen mit der größten Hilfsbereitschaft hervor. Die Fallbeispiele in Teil II sind so konkret, dass wir nicht nur erfahren, in welchen einzelnen Jobs die betreffenden Personen gearbeitet haben (die meisten hatten mehrere, um durchzukommen), sondern auch ihr Einkommen.  Obwohl mager in den meisten Fällen, ermöglichte es den Flüchtlingen einen Lebensstandard, der sich von den Iren in den ausgedehnten Slums Dublins, die sie bei den Straßenbahnfahrten durch die Stadt täglich vor Augen hatten und die abschreckend wirkten, stark unterschied.

Am Ende der Lektüre des zweiten Teils ist man so vertraut mit einigen der Flüchtlinge, dass man kaum erwarten kann zu erfahren, wie es mit ihnen nach dem Krieg weiterging. Nur ganz wenige kehrten in ihre Herkunftsländer, in denen Deutsch gesprochen wurde, zurück.  Die meisten wanderten weiter, vor allem nach England, in die USA und nach Kanada. Einige, nicht nur Akademiker, die in Irland Stellen gefunden hatten, sondern auch Ingenieure und Handwerker, blieben im Land.  Viele der Flüchtlinge haben, sei es akademisch, sei es in der Industrie, wesentlich zur Modernisierung und Europäisierung Irlands beigetragen, heben die Autoren zum Schluss hervor.

Das Buch liest sich leicht, es ist spannend; immer möchte man wissen, wie es mit diesem oder jenem Flüchtling (man kennt nach einer Weile ihre Namen) weitergeht.  Etwa die Hälfte aller Seiten füllen Fußnoten mit Quellenangaben oder ergänzenden Details, oft Zitate aus Briefen oder Autobiographien der Flüchtlinge. Eine große Hilfe bei der Lektüre ist der Anhang am Ende des Buches: Indexe für Personen und Orte sowie eine ausführliche und gut gegliederte Bibliographie. Wer sich für das Exil interessiert, soll das Buch unbedingt lesen.

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Jan 04 2019

Rezension: Hans Joachim Schädlichs “Felix und Felka”

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Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka
Schlaglichter auf die deutsche Geschichte
und auf einen zu Unrecht wenig bekannten, wichtigen Maler

 

von Theo Buck

 

Es gibt ein ebenso verstörendes wie nachhaltig fortwirkendes Selbstporträt eines Künstlers, der angstvoll seinen jüdischen Paß vorzeigt. Das Gemälde “Selbstbildnis mit Judenpaß” stammt von dem Maler Felix Nussbaum (1904-1944). Er hat das Bild ein Jahr vor seiner Ermordung in Auschwitz gemalt. Sein Name hat bislang keinen festen Platz in der Kunstgeschichte gefunden, obwohl die Geburtsstadt Osnabrück mit guten Gründen eine Schule und ihr kunstgeschichtliches Museum nach ihm benannt hat. In eingeführten Nachschlagewerken wie Herders Lexikon der Kunst oder Kindlers Malerei-Lexikon sucht man seinen Namen vergeblich. Deswegen ist es Schädlich besonders anzurechnen, daß er mit der Lebenssituation Nussbaums zugleich ein beklemmendes Stück deutscher Geschichte in konkreten Schlaglichtern erzählt. Die im Grunde einfache Geschichte zweier jüdischer Maler verschiedener Herkunft und unterschiedlichen künstlerischen Niveaus schlägt ein Thema an, das durch die genau dargestellten Zeitumstände zum Spiegel der vom Nazi-Deutschland korrumpierten zwischenmenschlichen Beziehungen wie daneben auch der teilweise dennoch bewahrten Menschlichkeit angehoben wird. Felix Nussbaum, Sohn eines begüterten Reformjuden, und die aus armen Verhältnissen stammende polnische Jüdin Felka Platek trafen 1927 in Berlin zusammen. Westliche und östliche Welt des Judentums reiben sich hier, trotz gegenseitiger Liebe, aneinander. Sie lebten gemeinsam, ab 1933 im Exil, bis sie mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.

Der Erzählvorgang beginnt einleuchtend mit der bezeichnenden Szene an einem schönen Maitag des Jahres 1933 in der römischen Villa Massimo, wo der Maler Hanns Hubertus Graf von Merveldt den Mitstipendiaten Nussbaum fälschlicherweise bezichtigt, ihm eine Bildidee gestohlen zu haben und ihn niederschlägt. Mit diesem ‘tätlichen Angriff’ kommt von vornherein der von den Nationalsozialisten offizialisierte Antisemitismus ins Bewußtsein des Lesers. Unter diesen Umständen ist der Alltag von Felix und Felka schlagartig verändert. Das Exil bestimmt das weitere Leben beider bis zur Deportation von Mechelen nach Auschwitz. Das Leben der Verfemten “aus dem Koffer”, wie es zutreffend im Text heißt, wird in den entsprechenden Erzählpartien schmerzlich spürbar. Ohne die ‘große’ Geschichte zu bemühen, beschreibt Schädlich in einer Kette von Momentbildern das weitere Leben beider Künstler im Exil (Italien, Frankreich, Belgien) und, ab 1940, versteckt lebend in Brüssel bis zur verhängnisvollen Denunziation. Durch die jeweilige präzise Verankerung im rein individuellen Lebensbereich gewinnen die episodischen Schilderungen eine anhaltende Überzeugungskraft. Gebannt folgt man der szenenhaften narrativen Darstellung und erfährt dabei viel vom traurigen Niveau des Feuilletons am Osnabrücker “Stadtwächter” oder vom widerwärtigen Treiben des Nazi-Spitzels Kern. Auf der anderen Seite begegnen wir glücklicherweise ebenso wirklichen Mitmenschen wie dem Ehepaar Etienne, den Familien Blum und Klein sowie dem Bildhauer Dolf Ledel und dessen Frau, ganz zu schweigen vom Wiedersehen mit Georg Meyer im französischen Gefangenenlager Saint-Cyprien. Die politischen Entwicklungen finden lediglich Eingang durch punktuell notwendige Klärungen des Kriegsrahmens (spanischer Bürgerkrieg, deutscher Überfall auf Polen, Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien, den Niederlanden und Frankreich). Der historische Rahmen ist damit hinreichend angedeutet. Das gut überschaubare Personal des Erzählzusammenhangs erfährt die geschichtlich notwendige Ausweitung durch andere, ebenfalls ins Exil getriebene Deutsche in den gleichen Orten, wie etwa Albert Einstein in De Haan oder Karl Marx in Brüssel. In ähnlicher Weise erinnert beim Abtransport vom belgischen Mechelen ins Vernichtungslager der damit angesprochene Lebenskreis des Großvaters von Beethoven an kulturelle Zusammenhänge, die im Dritten Reich gewaltsam zerstört wurden.

Ein Kapitel für sich ist die künstlerische Entwicklung von Felix Nussbaum unter den Umständen der Verfolgung mit den Etappen: Verlust der Heimat, Exil, reduziertes Leben im Versteck, Denunziation und Deportation. Anfänglich dominiert noch der Versuch, einigermaßen ‘normal’ weiter zu arbeiten; danach folgt “Verkaufsmalerei”, um etwas Geld zu verdienen. Daneben steht die verzweifelte Gestaltung von Bildern des Widerstands. Schließlich kann es allein noch heißen: “Felix prägt sich Bilder ein”, die er wenigstens zum Teil ausführen kann. Am Ende gibt es nurmehr die aquarellierten Stilleben des Todes im anrührenden Bericht von Irene Avret-Spicker.- Aus der unterschiedlichen künstlerischen Begabung zwischen Felix und Felka erwachsen immer wieder Schwierigkeiten im Zusammenleben. So bringt die verständnislose Härte des Reagierens von Felix auf das Porträt, das Felka von Frau Etienne gemalt hat, eine Erklärung für deren zunehmende seelische Krankheit. Ohnehin entwickelt sich beider Alltag zum resignierenden Sich-treiben-lassen nach dem Motto “Ich verstehe das alles nicht”, während Leidensgenossen wie Fritz Steinfeld, Hermann Kesten, Ludwig Meidner oder Erich Maria Remarque alles unternahmen, um weiterleben zu können. So konnten Felix und Felka am 20. Juni 1944 in der Rue Archimède 22 aufgespürt und bald darauf deportiert werden.

Besondere Höhepunkte der faktenreichen, durch ästhetische Transformation erkennbar gemachten Zusammenhänge bildet zum einen die dem Vater Nussbaums gewidmete Erzählpartie. Sie konfrontiert uns mit einem ebenso anrührenden wie beklemmenden Beispiel jüdischer Assimilation und des inhumanen Verrats durch das deutsche ‘Vaterland’. Zum andern ist vorrangig der den gesamten Lebenszusammenhang erhellende Traum von Felix auf der Fahrt in den Tod hervorzuheben (“Felix auf der Holzpritsche”). Der Autor faßt darin anfangs auch die Zeit vor dem mit 1933 einsetzenden Trauma zusammen, als sich Nussbaum zu einem von Karl Hofer geförderten Verfechter der ‘Neuen Sachlichkeit’ entwickelte. In der vom Autor erzählerisch bewußt herausgestellten Traumsequenz tauchen fast alle am Schicksal von Felix und Felka beteiligten Personen noch einmal auf, wenngleich marionettenhaft verkürzt, um den Lesern auf diese Weise deren Einwirkung, positiv oder negativ, in Erinnerung zu bringen. Selten ist ein Künstlerleben mit all seinen Leistungen und Problemen, mit den Freuden und vor allem den Leiden auf dem knappen Raum weniger Seiten so einprägsam zusammengefaßt worden, selten ebenso das konkrete Schicksal eines wichtigen deutsch-jüdischen Künstlers. Das  den Text eindringlich abschließende “Memento” macht in sprechender Einfachheit das ganze Ausmaß der von den Nazis verbrecherisch betriebenen Auslöschung der Juden bewußt. Auch mit diesem Buch zeigt sich Schädlich wieder auf der Höhe seiner Beschreibungskunst. Er ist und bleibt einer der einfallsreichen künstlerischen Protokollanten unserer Zeitgeschichte. Folgt man der Maßgabe, in der Darstellung einer “unerhörten Begebenheit” eine Novelle zu sehen, ist das Buch Schädlichs zweifellos als die Musternovelle eines Meisters der genauen, zum Weiterdenken anregenden Sprache einzustufen. Allein schon deswegen ist die eingehende Lektüre von “Felix und Felka” unbedingt zu empfehlen.

Hans Joachim Schädlich. Felix und Felka. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 2018. ISBN 9783498064372.
Gebunden, 208 Seiten.

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Jan 04 2019

Dank an die Emigration

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von Egon Schwarz

 

Emigration ist schrecklich wie des Himmels Plagen, doch ist sie auch gut, ein Geschenk der Götter wie sie.

Die Emigration ist eine strenge Lehrmeisterin. Jeder Lebende erfährt den Schmerz, das Gefühl absoluter Sinnlosigkeit beim Verlust eines einzigen vertrauten Menschen. Der Emigrant verliert mit einem Schlag alles, was ihm vertraut im Leben ist, was das Ausharren auf dieser unwirtlichen Erde möglich zu machen scheint.

Ich war sechzehn Jahre alt, als ich emigrieren musste.

Ich glaube, dass ich ein sesshafter Mensch bin, obwohl ich es nicht beweisen kann. Denn ich habe mich seither – und das geschah vor fünfundzwanzig Jahren – pausenlos in der Welt umgetrieben. Es gibt keinen Ort auf der Erdoberfläche, wo ich drei Jahre, keine Wohnung, in der ich zwei Jahre verbracht hätte. Aber die bescheidene Etagenwohnung in meiner Heimatstadt zu verlieren, in der ich von Kindheit an gewohnt hatte, deren jeder Winkel, jedes Möbel, jede rauhe Tapetenstelle mir so vertraut war, dass ich das alles fast wie einen Teil meines Körpers empfand, war mir lange Zeit kaum erträglich. Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Stadt: die Läden, wo ich manchmal einkaufen musste (ein halbes Pfund Butter, das man schnell brauchte, oder die Zeitung, die man vergessen hatte), die Parkanlagen, in denen man mich als Kind spazieren führte und in deren Sandhaufen ich graben durfte, die Brücken, unter denen ich Steine in das Wasser schmiss, die Straßenzüge, durch die mein Schulweg führte – das alles war wie eine leibliche Fortsetzung meiner eigenen Existenz, nicht schön und nicht hässlich, sondern fraglos mein. Schon die Rückkehr von den großen Ferien, so gern ich diese auch hatte, war selige Wiedervereinigung mit all dem entbehrten Trauten, das ein Teil von mir war. Und nun gar die Schule selbst: die Treppen, die geölten Böden, die bekritzelten und zerschnittenen Pulte, die kahlen Wände, die bestaubten Zeusköpfe aus Gips, sogar die scharf nach Desinfektionsmittel und anderem riechenden Aborte! Ich liebte sie nicht, diese Schule. Welcher sensiblere Gymnasiast hätte schon die grauenhafte, von verkrampften Marionetten autoritär regierte Stätte seiner Demütigungen geliebt? Aber sie war unentbehrlich, und sein seither nie mehr erlebtes Glücksgefühl durchströmte mich, wenn im September nach endloser, dreimonatiger Entfernung, die Wellen ihres unausrottbaren Geruches wieder über mir zusammenschlugen und ich mit wohligem Schauder in den Stundenplan das neue, mir gänzlich rätselhafte Wort „Physik“ eintragen musste, mit dem ich fürderhin leben sollte.

Das alles ging eines Tages plötzlich und unwiederbringlich verloren, als sei es weggewischt, und ich glaubte, nicht weiterleben zu können.

Dem Verlust ging eine Zeit des Aufruhrs und des Hasses voran. Fahnen wurden in allen Fenstern gehisst, neue, rote mit dem bedrohlichen schwarzen Zeichen im weißen Kreis, nicht die harmlosen, gestreiften, die wir bis dahin anzubeten hatten. Aus dem Radio plärrten scharfe, ironische und pathetisch salbungsvolle Stimmen. Alles war voll von Uniformen, Freunde meines Vaters verschwanden und man erzählte Furchterregendes von den KZs, wohin sie, wie es hieß, gebracht worden waren. Fratzen starrten einem aus den Hasszeitungen entgegen und waren Verzerrungen des eigenen Gesichts. Auf den Straßen wurden meinesgleichen in Häuflein fortgetrieben. Es wurde viel marschiert. Die Lehrer zeigten sich noch gehässiger als zuvor, die gestern noch lausbübisch-egozentrischen, aber schülerhaft umgänglichen Kameraden wurden eisig und ablehnend. Und ich wusste, dieser feindselige Aufwand galt mir. Die ganze vertraute Umgebung hatte sich gegen mich gekehrt. Das war nicht schön, es war sogar gräßlich, aber es war und blieb die vertraute Umgebung, und war nicht die Emigration.

Eines Tages war dann alles weg. Die Schule, die Wohnung, die Parks und Plätze, die ganze Stadt. Ich hatte alles verloren: das Gesicht der Hausmeisterin und die roten Hände der Kolonialwarenhändlerin, den Papagei, dem ich immer Plätzchen brachte, wenn ich sonntags ins Weltpanorama ging. Ich hatte plötzlich keine Schulkameraden, ich kannte keinen Menschen mehr und hatte sogar meine Eltern, kurz, meine gesamte Vergangenheit und Zukunft Verloren.  Das war die Emigration: Ich war gerettet. Aber für eine vertraute Heimat hatte ich trotz der Verfratzung die Leere und Sinnlosigkeit der ganzen Welt eingetauscht.

Das mit dem Verlust meiner Eltern muss ich erklären, denn sie leben heute noch nach fünfundzwanzig Jahren, etwas betagt und gebrechlich, aber im Grunde ganz gesund, worüber ich natürlich sehr froh bin. Aber es sind nicht die Eltern meiner Kindheit. Diese waren nämlich für mein Gefühl unzertrennlich mit der Umwelt meiner Heimatstadt verbunden und büßten für mich zugleich mit dieser ihre ursprüngliche Funktion ein. Mein Vater war der Mensch gewesen, der zu ganz bestimmten Stunden aufstand und fortging, und zu ebenso genau festgesetzten Zeiten heimkehrte, aß, das Radio andrehte und eine Zeitung mit einem unveränderlichen Titel las. Und auch meine Mutter war eine ganz festgelegte Person, etwas erregbar und weinerlich, aber – und darauf kam es an – mit bekannten Ansprüchen und Gewohnheiten, die allesamt auf diese meine Geburtsstadt bezogen waren. Diese beiden Menschen hatten kaum etwas mit den vergrämten, versorgten, ratlos getriebenen Personen zu tun, mit denen ich von nun an eine Zeitlang durch die Welt zog und von denen ich mich bald trennen musste, weil die Emigration eine eifersüchtige Göttin ist, die auf den ungeteilten Dienst ihrer Hörigen besteht. So war ich an dem Tage der Einbuße unter anderem auch plötzlich und mit einem rohen Schlage Erwachsener geworden.

Und jetzt kamen die Jahre der Ruhelosigkeit und der Obdachlosigkeit für einen, der sich für sesshaft hält, ohne es freilich beweisen zu können. Es gab wieder Wohnungen, es gab neue Obst- und Milchhändler, Parkanlagen und Brücken und sogar einen Schulweg, und eine Schule gab es noch einmal auf kurze Zeit, aber das war vollkommen sinn- und bedeutungslos und hätte genauso gut auch nicht zu sein brauchen. Das Furchtbare an der Emigration war nicht das immer wieder eintretende Ablaufen der Aufenthaltserlaubnis, das Einpacken und Verreisen ohne Ziel, das Deportiertwerden und die nächtlichen Grenzüberschreitungen, das Schlangestehen bei den Hilfsvereinen für Flüchtlinge und Konsulaten, das Leben aus Koffern, die Wochen im Lager, die Flucht und das monatelange Verstecktsein, nicht das schlechte oder mangelnde Essen, nicht der Husten, mangelhafte Zimmer, nicht das Verlieren und Suchen des Vaters, die Erkrankung und das Zurücklassenmüssen der Mutter, nicht einmal das Misstrauen der Menschen oder die Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit der ganzen Existenz. Denn sonderbarerweise war das für mich nicht das Wesen des Exils, nicht die Emigration an sich, sondern lediglich die logische Entsprechung jenes verlorenen Schatzes, die natürliche Folge der Einbuße des Vertrauten und Ererbten, ohne das leben zu wollen mir damals unvorstellbar und leben zu können ehrlos vorkam. Wirkliche Glückempfindungen habe ich jahrelang nur in manchen Nächten, anfangs häufig, dann immer seltener erlebt, stürmische, törichte, selige Räusche von Glück, aus denen ich in Schweiß gebadet, mit klopfenden Pulsen und wahnsinniger Enttäuschung erwachte. Es war fast immer ein und derselbe Traum, in dem ich weiter nichts Schönes sah und in dem nichts passierte, als dass ich mich in eine Straße jener Stadt zurückversetzt sah, deren Bewohner mich grausam bespien und verjagt hatten und die für mich nur den einen, allerdings unwiderruflichen Vorzug besaß, dass ich da geboren war. Das hat nichts mit Sentimentalität zu tun.

Und dann kam wieder ein Tag. An diesem Tag brachte mein Vater die grünen Pässe mit der grauenhaften Rune auf dem Deckel und dem obszönen roten Jot auf der ersten Seite, die er so lange auf den hochmütigen Konsulaten vergebens zu Markte getragen hatte, heim, und es war in jeden ein Visum eingestempelt, ausgestellt auf ein fernes primitives Land, von dem ich in der Schule nichts gelernt und dessen Namen ich kaum jemals gehört hatte. Weiß der Himmel, welchem Zufall oder welcher Ausdauer oder welcher ausgeklügelten Erniedrigung diese Einreisegenehmigung zu verdanken war. Die Stadt, in der wir letzthin mit den Nachtkellnern eines Sektpavillions in einem gemeinsamen Schlafsaal gehaust hatten, war längst auf allen Seiten von Hitlerterritorium umgeben. Aber das Visum war ein Zauberstab, und es öffnete sich für uns die Himmel. Ein Hilfsverein zahlte unsere Passagen, und mein erster Flug hob mich hinaus aus dem Kessel der Treibjagd. Ein paar Tage in einer begehrten Weltstadt, allerdings ohne ein Pfennig in der Tasche – immer wiederkehrende Tantalussituation des Exils – dann saßen wir zwischendecks auf einem Dampfer und überquerten das Meer. Die Reise zu unserem neuen Bestimmungsort dauerte einen ganzen Monat. Und in der Mitte des Ozeans stand eines Tages auf einem schreibmaschinengeschriebenen Anschlag zwischen Nachrichten von einem Tennisturnier und der Verhaftung eines bekannten Gangsters zu lesen, dass die Stadt, der wir entronnen waren, mitsamt den Volksküchen, in denen wir gegessen, und den Pfandleihanstalten, wo wir die Reste unserer Garderobe gelassen, mitsamt den Polizeistationen, Konsulaten und Flüchtlingsstellen, in denen wir Schlange gestanden, und dem grölenden Sektpavillion, über dem wir geschlafen hatten, eine Beute Hitlers geworden war. Dieser Tag war das Ende meiner Emigration und der Beginn meiner Immigration.

Emigration und Immigration sind, obgleich offenbar miteinander verwandt, doch gleichzeitig so grundverschieden, wie Verlobung und Ehe verwandt und verschieden sind. Mit einer grauenhaften Weibsperson ist es entsetzlich verlobt oder verheiratet zu sein, aber es ist auf andere Weise entsetzlich.

Die Verlobungszeit mit der Emigration war voll von stürmischem Auf und Ab, Hin und Her gewesen, voll hektischer Erregungen und tiefer Depressionen. Auf die Dauer konnte man so nicht leben, das war klar. Wir waren bei Schulschluss im Frühjahr ausgewandert, und ich erinnere mich der irren Hoffnung, in der ich den ersten Sommer verlebte, im Herbst nach den großen Ferien bei veränderten Verhältnissen, so als wäre nicht geschehen, wie schon so oft in meine Schule zurückkehren zu können.

Solche Hoffnungen waren nun für immer erloschen. Die Immigration war von vornherein auf Dauer angelegt. Man hatte eine Einreiseerlaubnis, eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, ja sogar eine Erwerbserlaubnis. Bald musste man nicht mehr von misstrauisch dargereichten Mildtätigkeiten leben, sondern durfte sich eine Arbeit suchen, eine Wohnung mieten, Mahlzeiten kochen. Man wurde nicht mehr abgeschoben, abends gab es wieder die Pantoffeln und morgens den Wecker. Es hatte Sinn, die neue Sprache zu lernen, denn es würde wohl noch morgen und übermorgen dieselbe sein. Die Misere war jetzt Alltag geworden.

Aber was sollte ein siebzehnjähriger Gymnasiast machen, der in der Erwartung eines geistigen Berufes erzogen wurde und gelebt hatte? Was nützte jetzt das bisschen Algebra und Latein? Die Schule war zu Ende, jetzt musste Geld verdient werden. Während der nächsten zehn Jahre trieb ich – das war schon zum Lebensgesetz geworden – von einem Land zum anderen, von einer Beschäftigung zur nächsten. Ich war Maurer und Elektriker, Bibliotheksgehilfe und Textilarbeiter, Hausierer und Nachtwächter, Sprachlehrer und chemischer Techniker, Bergarbeiter und Kürschner, Buchhalter und Übersetzer, und immer ein Fremder. Einmal Emigrant, immer Emigrant. Diese Wahrheit erfuhr ich am eigenen Leibe. Und obschon ich das neue Land nicht eroberte, entschwand das alte immer mehr. Weit weg war Europa und die Aufgaben der Gegenwart dringend. Zuerst freilich beschäftigte die Vergangenheit noch sehr. Man verkehrte fast ausschließlich mit anderen Emigranten, die Gespräche drehten sich um das politische Geschehen, demzufolge man hier zusammensaß, um das „Früher“, das einem jeden in einem verklärten Licht erschien, um die Flucht, deren jede einzelne einem fesselnden Roman glich. Man las die Emigrantenzeitungen, gründete Emigrantenvereine, spielte Emigrantentheater. Und endlich – so empfanden wohl die meisten – brach der gerechte Krieg aus, und jeder Sieg der alten Heimat wurde mit Erbitterung, Niedergeschlagenheit und Angst, jede ihrer Niederlagen mit gieriger Genugtuung und irrsinnigem Jubel aufgenommen. Aber die Gegenwart wurde immer stärker und die Vergangenheit immer schattenhafter. Und als es dann klar wurde, dass der entsetzliche Krieg im Grund entschieden war und die Niederzwingung des Untiers nur mehr eine Frage der Zeit, begann sogar das Interesse an den europäischen Entwicklungen nachzulassen. Man war der grauen Gegenwart nun gänzlich ausgeliefert, weil einen sogar der Hass im Stich gelassen hat, der noch eine Verbindung mit dem Ursprungsort darstellte. Noch einmal wurde man aufgewühlt von den unglaublichen und doch wahren Nachrichten, die aus Europa kamen: die vergasten Millionen von Menschen. Nur durch einen Zufall, ein Missverständnis war man selber nicht dabei.

Und dann kam wieder ein Tag. Der Krieg war zu Ende. Die deutschen Städte und die jüdischen Krematorien rauchten zum Himmel, es war ein und derselbe Rauch. War jemand von den Menschen, die damals, vor undenklichen Zeiten, zur Familie gehört haben, noch am Leben? Was war mit dem Großvater, der Großmutter, den Onkeln und Tanten, den zahllosen Vettern und Kusinen geschehen, die nicht emigrieren konnten, sondern daheim geblieben waren, und von denen jahrelang kein Sterbenswörtchen herübergedrungen war. Und dazu war das Telegramm da, durchs Rote Kreuz weitergeleitet, in französischer Sprache. Es stammte von einem Onkel, der immer als eine Art schwarzes Schaf gegolten hatte, weil er – der Himmel weiß warum – katholisch geworden war. Das Telegramm enthielt nur zwei Worte: Resté seul. Die Taufe hatte ihm, wie ich später erfuhr, das Leben gerettet. Wir stammen ja aus einem christlichen Land. Alle anderen tot. Die Großmutter auf der Landstraße mit dem Gewehrkolben erschlagen, der achtzigjährige Großvater im Vernichtungslager verschollen. Ich habe später einen Landsmann getroffen, der mit ihm zusammen in Auschwitz war und es überlebt hat. Er habe in der Küche gearbeitet, erzählte der Mann, und meinem Großvater eine gekochte Kartoffel gebracht, und da habe ihm der sterbende Großvater die Hand geküsst. Und am nächsten Tag sei er verschwunden gewesen. Und verschwunden waren auch alle anderen, Frauen und Männer, Alte und Junge, ebenso wie die kleinen Kinder, vergast, verschleppt, erschlagen, ermordet. Resté seul. Auch dieser Tag war ein Tag der Konfrontierung mit der Emigration.

Fünfundzwanzig Jahre sind vergangen, seit ich ausgewandert bin, achtzehn seit der Krieg zu Ende ist. Längst bin ich in einem Land, wo ich eine vierte Sprache gelernt habe. Ich bin sogar Staatsbürger geworden und habe einen neuen Pass. Er ist wieder grün, aber ohne Rune und Jot. Ich habe geheiratet. Ein deutsches, christliches Mädchen. Zufall oder geheime Bewandtnis? Wir haben drei Kinder, die zwei Sprachen sprechen. In dem Maße, wie die weltgeschichtlichen Konvulsionen nachließen, milderte sich auch mein seelischer Aufruhr. Ich habe doch wieder meine Studien aufnehmen und den nie vergessenen, nie aufgegebenen geistigen Beruf ergreifen können. Und was mehr ist: eine unabweisbare Gewissheit sagt mir, dass ich darin mehr und Größeres leiste, ja, dass ich ein bedeutenderer Mann geworden bin, als es ohne die Emigration möglich gewesen wäre.

Und einmal bin ich auch wieder „drüben“ gewesen. Nicht bloß in Europa im Allgemeinen, sondern „dort“, an der Stelle meines Ausgangs. Es begann harmlos genug mit Frankreich und Italien. Aber dann durchquerten wir die Alpen und näherten uns meinen Ursprüngen, dem Lande meiner Väter, wie es schön heißt. Unsere zwei Kinder reisten mit uns, alle waren ermüdet, ich hatte meiner Frau versprochen, in einer kleinen Stadt zu übernachten. Aber als wir am Nachmittag da anlangten, hatte mich ein sonderbares Fieber ergriffen, von innen her, das Schichten erfasste, die ich für verschüttet gehalten hatte. Ohne auch nur zu halten, durcheilte ich den Ort, immer weiter und weiter. Meine Frau fragte nicht. Spät nachts fuhr ich in meiner Geburtsstadt ein.

Die nächsten Tage verlebte ich in einem Trancezustand. Wie ein Traumwandler zog ich durch die Gassen, meine Familie hinter mir her. Alles schien unverändert. Mit einer fast schmerzenden Hellsichtigkeit wusste ich nach zwanzig Jahren jedes Fenstersims, jeden Torbogen voraus, wusste, dass der übernächste Laden eine Konditorei, dass hinter der nächsten Ecke drei Ahorne und eine Bank sein mussten. Und bei jeder Bestätigung wurde etwas heil. Hier, an diesem Platz hatte mein Vater eine Taxe angehalten und mich hineingesetzt, weil ich verschlafen hatte und zu Fuß zu spät zur Schule gekommen wäre. Hier war zu meinem Entsetzen mein Reifen über das Brückengeländer gesprungen und den Fluss hinuntergetrieben. Wo war er jetzt? Hier unter dem Denkmal des geigenden Künstlers, im Schatten der Fliederbüsche, hatte ich das erste Mädchen geküsst. Und hinter diesem Vorgärtchen hatte ich gewohnt. Fremde Kinder spielten darin. Alle Zeit zwischen jetzt und damals war ausgelöscht. Es hätte gestern, aber auch vor zweihundert Jahren sein können. Willenlos drückte ich die schwere schmiedeeiserne Tür auf. Im Foyer war es stockdunkel. Ich tastete mich bis zur Tür vor, die zum Lichthof führte, wo unsere Wäsche im Sommer zum Trocknen oft gehangen hat. Ich öffnete, und statt des Hinterhauses, in dem wir gewohnt hatten, lagen Ruinen, Berge von Schutt. Und auch die Schule besuchte ich wieder. Wie viele Menschen haben dieses Erlebnis nicht schon beschrieben! Aber man muss es selber haben. Alles, alles haargenau wie vor zwanzig Jahren, ja sogar der Geruch ist bis auf die feinste Nuance derselbe. Wie klein, wie winzig klein sind die Bänke, ist es möglich, dass ich hier gesessen habe? Ja, denn das hier habe ich selbst mit meinem Taschenmesser ins Pult geschnitzelt: „Hier saß ich einst in süßer Ruh und sah dem Katz beim Zaubern zu.“ Und darunter meine Initialen. Katz war unser Chemielehrer gewesen und Zaubern nannte ich seine stets misslingenden Experimente. Und dann kam der Schuldiener und fragte, was ich wollte. Es war derselbe Mann mit dem slawischen Namen und Akzent. Nur waren seine Haare brennrot gewesen, als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, jetzt waren sie weiß. Es war der einzige Mensch, den ich aus meiner Kinderzeit wiederfand. Die Stadt hatte ich, von einigen Bombenschäden abgesehen, bis zur schmerzenden Identität unverstellt gefunden. Die Menschen waren fremd geworden. Fremd und sonderbar beschränkt, wie mir schien. Ganz wehmütig machte mich die Melodie ihrer unendlich vertrauten mundartlichen Rede, aber was sie sagten, blieb mir unverständlich. Sie sprachen von der Politik, aber nur von der des Tages, von den Preisen, aber es waren ganz andere Preise, vom Theater, aber die Schauspieler hießen ganz anders. Und manchmal hieß es, der Krieg, die Amerikaner, die Russen. Ich hatte nichts mit ihnen gemein. Ich merkte, dass ich für ein paar Traumtage in eine verschollene Zeit zurückgekehrt war und nicht in einen Ort. Und als ich das merkte, konnte ich wieder abreisen. Für diese Menschen lief kein Bruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sie waren ihnen eins. Meine Vergangenheit war hier, aber meine Gegenwart war anderswo, weit weg.

Und als ich diese geheimnisvoll gleiche und doch so fremde Stadt verließ, dankte ich der Emigration, dass sie mich hinausgeführt hatte in die Welt, die mir nun nicht mehr fremd erschien, sondern wieder bekannt und sinnerfüllt. Unendlich war der Preis gewesen. Den Verlust der Heimat verwindet man nicht leicht, und Ersatz für sie gibt es nicht. Sie ist wie ein Teil von einem selbst, und viele sind an dieser Abtrennung zugrunde gegangen. Ich habe überlebt. Und darum weiß ich, wer ich selbst bin, unabhängig von dem Ort, an dem ich mich befinde. Ich habe wieder einen Pass, und ich bin sehr zufrieden damit. Aber er ist mir nur ein Reisepapier. Ein Land hat mich aufgenommen, in dem meine Fähigkeiten anerkannt werden, in dem meine Kinder aufwachsen. Ich bin dankbar dafür, aber ich finde das nur richtig und natürlich. Ich verlange und erwarte das von allen Ländern. Ich lebe gerne in dem Land, dessen Staatsbürger ich bin, aber nichts hindert mich, seine Fehler zu erkennen und öffentlich aufzuzeigen, zu seinem Nutzen, wie ich meine. Und wenn es mir eines Tages nicht mehr gefiele, so würde ich in ein anderes Land ziehen, und das würde mich kein Opfer kosten. Denn seit geraumer Zeit weiß ich, dass ich nicht so sehr in diesem besonderen Land, sondern dass ich in der Welt lebe. Langwierig war das Erlernen dieser Kunst, groß ist der Gewinn, unsanft die Lehrmeisterin. Die dritte Stufe der Emigration heißt Weltbürgertum.

Herausgegeben und mit Kommentar von Reinhard Andress

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Jan 01 2019

Über Grenzen hinweg

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Die Wahrnehmung des literarischen Werks von Jürgen Fuchs
außerhalb des deutschsprachigen Raumes

von Ernest Kuczyński

 

„Worüber man eigentlich nicht schreiben kann
und was niemand hören will,
davon möchte ich sprechen“[1]
Jürgen Fuchs

I. Schreiben zwischen Ost und West. Einige Vorbemerkungen

Als 2017 der Berliner Jaron Verlag die Neuausgabe von Vernehmungsprotokolle erneut ankündigte[2], war der Autor dieser Zeilen nicht der einzige, den diese Initiative gleichermaßen beeindruckte wie überraschte. Da seit längerer Zeit keine Gedichtsammlung und kein einziger Roman des 1999 verstorbenen Schriftstellers im Handel erhältlich waren, so verbreitete sich die Nachricht, endlich sei ein Fuchs-Buch lieferbar, wie ein Lauffeuer.

Die erstmals 1978 bei Rowohlt veröffentlichten Vernehmungsprotokolle beschreiben „die subtile Gewalt, die im real existierenden Sozialismus herrschte“ und enthüllen „[…] den menschenverachtenden Umgang der DDR mit ihren Gegnern“.[3] Dieses einzigartige, im letzten Jahrzehnt des geteilten Deutschlands Furore machende Buch ist nicht nur ein ausgezeichnetes Stück Literatur, sondern gehört heute noch zu den wichtigsten literarisch-zeithistorischen Publikationen, die das wahre Antlitz der SED-Diktatur, ihre Praktiken und Mechanismen schildern. Einst in der DDR verboten, wurde es dort als Schmuggelware intensiv gelesen und vor allem in alternativen Kreisen diskutiert, denn es stellte einen nachahmenswerten Verhaltenskatalog dar, den man in extremen (Konflikt-)Situationen zu Rate ziehen konnte. Zusammen mit Gedächtnisprotokolle (Rowohlt, 1977), dem Erstling von Jürgen Fuchs, kursierten Vernehmungsprotokolle im DDR-Untergrund, machten Mut, dienten als Kompass und enthüllten schonungslos die Unrechtsverhältnisse sowie die staatlich institutionalisierte Gewalttätigkeit des SED-Staates, der im Schaffen des Jürgen Fuchs als eine weite und gewichtige Erinnerungslandschaft fungierte.

Die Themenpalette des 1977 ausgebürgerten Schriftstellers ist breit und wird fassbar erst durch seine heftige Biographie, in der seine prosaische, lyrische und publizistische Art des Schreibens ihre Wurzel hat. Sie nötigte ihn, Realität zu dokumentieren, Formen der Tyrannis zu analysieren, Strukturen des politischen Systems und dessen Sprache aufzudecken und literarisch darzustellen. Bereits als angehender Autor war Jürgen Fuchs bemüht, mit Gedichten und Kurzprosa sich gegen die Macht aufzulehnen, Mechanismen der SED-Diktatur bloßzustellen, das Verhalten des Einzelnen in Gefahrsituationen zu veranschaulichen und dabei der DDR-Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Von seiner schriftstellerischen Attitüde ließen sich im Laufe der Jahre zahlreiche Leser wie auch Freunde, Weggefährte und Mitstreiter inspirieren, zumal Fuchs Klartext sprach und die Schwächen des SED-Staates entblößte. Dabei hat er „in vielfacher Weise Grenzen überschritten, […] im Schreiben, durch sein Schreiben und indem er […] das Geschriebene abtippte, unter Freunden verbreitete, Formen suchte, die permanent verschiedene Genres mixten und überschritten. Und bevor er das erste Buch veröffentlicht hatte, haben andere schon seine Texte auf der Schreibmaschine abgeschrieben und verbreitet – wie sie das mit Wolf Biermann oder Reiner Kunze taten“.[4]

Selbst erlebte Situationen aus der Zeit der zweiten deutschen Diktatur sind fester Bestandteil des gesamten Werks von Jürgen Fuchs. Darin sind nicht nur die Zeugenschaft, sondern auch Strategien des Schreibens vorhanden, die die DDR-Wirklichkeit literarisch erscheinen lassen. Seine mit unerwünschten Wahrheiten gespickten Texte durften nur eine kurze Zeit erscheinen[5] und führten im Frühjahr 1975 zur Kollision mit der Staatsmacht, die den renitenten Künstler mit Publikationsverbot belegte[6] und in den darauf folgenden Monaten seine Biographie zu deformieren trachtete.[7]

Die öffentliche Rezeption der literarischen Arbeiten von Jürgen Fuchs nahm ihren Anfang am 19. September 1976, zusammen mit der ersten Veröffentlichung seiner Kurzprosa in einer westdeutschen Wochenzeitung. Auf diese Weise gelang es dem Autor, „das für die DDR bestehende Veröffentlichungsverbot zu umgehen […] An diesem Tag erschienen [in der  Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse – E.K.] unter der Überschrift »Angesichts der Reinheit unserer Reihen – Neue Texte aus der DDR von Jürgen Fuchs« sechs […] Kurzgeschichten im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“.[8] Fuchs bundesrepublikanisches Debüt blieb nicht nur vom Publikum im Westen, sondern auch vom Ministerium für Staatssicherheit nicht unbemerkt. Als am 11.11.1976, kurz vor der Ausbürgerung Wolf Biermanns, der Deutschlandfunk in der Sendung „Literarisches Atelier“ der Zuhörerschaft in West und Ost seine weiteren Prosatexte vorstellte[9], dauerte es nicht mehr lange, bis das MfS den Entschluss fasste, zuzuschlagen um den jungen Autor mundtot zu machen.

Die künstlerischen Arbeiten des Jürgen Fuchs wurden als „hetzerische Machwerke“ und agitatorische Schriften“ bezeichnet, sodass ihr Autor binnen weniger Tage vom unbequemen „Unruhestifter“ zum „Konterrevolutionär“ und „Diffamierer“ avancierte. Am 19.11.1976 wird er aus dem Auto von Robert Havemann heraus verhaftet und beschuldigt, „staatsfeindliche Hetze begangen zu haben, indem er mit dem Ziel die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR zu schädigen und gegen sie aufzuwiegeln, seit 1971 eine Vielzahl von Schriften herstellte, in denen er […] Verhältnisse in der DDR, die Tätigkeit […] der Organe der DDR sowie Bürger der DDR diskriminierte und zum Widerstand […] aufforderte. Diese Schriften verbreitete er planmäßig in der DDR sowie in der BRD“.[10]

Am Tag der Verhaftung des Schriftstellers entzieht sich der Kenntnis des MfS noch die Tatsache, dass an jenem 19. November die „Westfälische Rundschau“ seinen weiteren Text – ein Gedächtnisprotokoll einer Befragung durch den Staatssicherheitsdienst – publizierte[11], der kurz davor im rororo-Band Wolf Biermann – Liedermacher und Sozialist erstveröffentlicht wurde. Darin schilderte Fuchs u.a. den gescheiterten Anwerbeversuch der Stasi, womit er erneut ein streng gehütetes Tabuthema verletze:

„Ich sehe nicht ein, warum ich dauernd mit dem Staatssicherheitsdienst Gespräche führen soll. Und noch dazu im geheimen. Ich versuche, Literatur zu machen, bin also ein Mensch, der nichts verschweigen darf, schon gar nicht ein solches Gespräch, das mich sicher noch lange beschäftigen wird. […] Meinetwegen können Sie konspirativ arbeiten, das ist Ihre Sache, ich jedenfalls tue das nicht, ganz im Gegenteil, ich bin daran interessiert, daß möglichst viele Menschen wissen, was ich denke“.[12]

In den Folgewochen und -monaten hat die westdeutsche Presse des Öfteren Kurzprosa des inhaftierten Autors publiziert. Die Medien, darunter die wichtigsten Tageszeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik[13], „rissen sich […] um Fuchs-Texte“, obwohl er noch vor ein paar Wochen „außer Eingeweihten – im Westen kaum jemandem ein Begriff“ war.[14] Und nachdem das am 10.12.1976 in Westberlin gegründete „Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus“ eine Patenschaft für ihn und weitere verhaftete DDR-Bürger übernommen hatte, wurde der „Fall Jürgen Fuchs“ zum Politikum. Das auf Initiative des Verbandes deutscher Schriftsteller und der IG Druck und Papier ins Leben gerufene Komitee wurde initiativ und startete eine groß angelegte Solidaritätskampagne, der sich zahlreiche namhafte Schriftsteller und Intellektuelle aus ganz Westeuropa anschlossen.[15] Um möglichst große öffentliche Wirkung zu erzielen, waren seine vier Gründer (Margret Frosch, Jörg Mettke, Hannes Schwenger und Manfred Wilke) bestrebt, den Fall auf unterschiedlichen Ebenen publik zu machen und somit die Freilassung des Verhafteten zu bewirken. Bevor dies geschah, ließ man Anfang 1977 die für den Fall der Verhaftung vorbereiteten Gedächtnisprotokolle im Rowohlt Verlag im Druck erscheinen, was Jürgen Fuchs nicht nur zum Autor beförderte, sondern ihm auch blitzartig die nötige Öffentlichkeit verschaffte: „Das Wichtigste daran war zu zeigen: Es gibt ihn, den Schriftsteller Jürgen Fuchs. Bis zu diesem Zeitpunkt leugneten die Offiziellen der DDR, dass in Hohenschönhausen ein Autor inhaftiert war“.[16]

Die Veröffentlichung der Gedächtnisprotokolle ebnete Jürgen Fuchs einerseits den Weg zur Freiheit, andererseits zur Wahrnehmung außerhalb der Bundesrepublik. Der bisher unbekannte Autor ostdeutscher Provenienz stieg noch vor seiner Entlassung aus der Stasi-Haft zum weithin beachteten Schriftsteller auf, der 1977 auf der Buchmesse in Nizza mit dem Internationalen Pressepreis ausgezeichnet wurde. Die Jury setzte sich aus sieben Journalisten folgender Zeitungen zusammen: L’Espresso (Italien), Newsweek (USA), Politika (ehem. Jugoslawien), Triunfo (Spanien), The Observer (Großbritanien), Tagesanzeiger (Schweiz) und Le Nouvel Observateur (Frankreich).[17] Seither begann man vom „Fall Fuchs“ regelmäßig zu berichten – die Aufmerksamkeit schenkten ihm nicht nur die Presse (u.a. Londoner The Times[18]), sondern bald auch westeuropäische Germanisten und Übersetzer. Den aus der DDR abgeschobenen „Störenfried“ lobte man für seine Fähigkeit, Kunst und Politik zu verbinden sowie eindringliche Zeugenschaft zu leisten. Zu schätzen wusste man von Anfang an sein eigenwilliges, autobiographisches Schreiben, mit dem er Einblick hinter die Kulissen der sozialistischen Gesellschaft gewährte und den Lesern detaillierte Beschreibung des Lebens unter totalitären Verhältnissen bat.

Dem literarischen Erfolg, den Jürgen Fuchs mit seinen ersten Westveröffentlichungen verbuchte, lagen in erster Linie seine schriftstellerische Leistung sowie „die Befreiung von der Allmacht der Autoritäten und die damit verbundene Befreiung künstlerischer Themen, Mittel und Verfahrensweisen bei der nachfolgenden Autoren- und Künstlergeneration […]“[19] zugrunde. Gedächtnis- und Vernehmungsprotokolle erregten große Aufmerksamkeit durch Verdeutlichung raffinierter Praktiken der SED-Gewaltherrschaft wie auch durch Entlarvung der Allgewalt des alltäglichen Diktatorischen. Die fulminante Rezeption dieser Bücher ist aus heutiger Sicht auf die Tatsache zurückzuführen, dass Fuchs, der damals seine „Aufgabe als Schriftsteller in der Aufdeckung der Wirklichkeit und der Kritik ihrer schlechten Seiten“[20] sah, bestrebt war, mit seiner investigativen Literatur eine ganze Anzahl von tabuisierten Themen zu verletzen, u.a.: die scheinbar führende Rolle der Arbeiterklasse in der DDR (von der er selbst abstammte), Macht- und Repressionsmechanismen im SED-Staat, Kasernenhof der Nationalen Volksarmee, Methoden des MfS in der Untersuchungshaft. Seine Literatur war für viele Rezipienten nicht selten eine erste Begegnung mit Unterdrückungsmechanismen und Tabus einer Republik, die sich – wie einst der Autor selbst konstatierte – „deutsch und irrtümlich demokratisch“ nannte. Sein Öffentlichkeit erzeugendes Schreiben war „in einem doppelten Sinne innovativ: sowohl inhaltlich als auch formal“.[21]

Die frühen Schriften von Jürgen Fuchs (darunter seine Gedichte aus dem Zyklus Schriftprobe) wirkten häufig als „Paukenschlag“ und waren nicht nur „Orientierung und Maßstab“[22], sondern auch „ein Stück politischer und literarischer Geschichte der DDR und der DDR-Literatur“ [23], die Licht auf verbotene Themen warf: auf Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit, auf Suizid in der Nationalen Volksarmee, Missbrauch der Psychologie in den Händen der Geheimdienste sowie die Freikaufpraxis politischer DDR-Gefangener durch die BRD. Fuchs´ erfahrungsgesättigte Texte wurden mit der Zeit zur Pflichtlektüre, so dass neben Oppositionellen „ganze Friedens- und Menschenrechtsgruppen die Verhörszenen nach[spielten] (und durften dann nach einer Festnahme lauter Dejavu-Erlebnisse in punkto Verhörtaktiken haben)“.[24] Zu schätzen wussten die Rezipienten des autobiographischen Schreibens von Jürgen Fuchs sowohl seine mit Authentizität und Aufrichtigkeit einhergehende Zeugenschaft, als auch die von ihm entwickelte ästhetische Konzeption, das Erlebte zu memorieren, Fakten zu benennen, Gefährdungen zu schildern, sich „nicht hinter Metaphern oder Satiren [zu] verstecken, sich keiner Sklavensprache [zu] unterwerfen“.[25]

Dank dieser Vorgehensweise war seine Literatur einerseits eine „Verführung zur Wahrheit, die nicht nach den Folgen fragt, sondern die Augen öffnet […]“[26] und andererseits ein „Rettungsring“[27], den kritische DDR-Bürgerrechtler in existenziellen Situationen zu gebrauchen wussten. Einer von ihnen war Wolfgang Templin, der die Vernehmungs- und Gedächtnisprotokolle als etwas Besonderes wahrnahm: sie „hatten ein noch mal anderes Gewicht. Fuchs war die Gegenwart, war einer von uns, war Literatur, die mitriss. Hier machte sich jemand zum professionellen Beobachter eines Geschehens, in dem er selbst die Hauptrolle spielte“.[28] In Bezug auf sein erzwungenes Verlassen der DDR konstatiert Templin folgendes: „Wir lasen die Protokolle als intensive Erfahrungsberichte, als Vorbereitung auf Situationen, die uns jederzeit erreichen konnten. Wie umgehen mit dem Moment der Überrumpelung, des Ausgeliefertseins bei Zuführungen, Verhaftungen, Vernehmungen? Wie am besten reagieren – das Schweigen durchhalten oder in die Offensive der verbalen Auseinandersetzung gehen? Wie die eigene Schwäche in den Griff bekommen, sich der Depression und Hilflosigkeit stellen?“.[29]

Das frühe Werk des aus Reichenbach im Vogtland stammenden Autors war auch für Roland Jahn eine wichtige Lebenshilfe: „Ich wusste dank Jürgen Fuchs, wie die Stasi arbeitet, wie sie versucht, Menschen mit psychologischen Tricks zu zerstören, wie sie bei menschlichen Schwächen ansetzt und an den Schwachpunkten einhakt, um sie kaputt zu spielen. […] Das gab mir die Kraft, der Stasi etwas entgegenzusetzen und das Gefängnis zu überleben“.[30] Als der heutige Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen 1982 selbst ins Gefängnis kam und danach zwangsweise ausgebürgert wurde, so halfen ihm die in Vernehmungsprotokolle geschilderten Gespräche zwischen Vernehmern der Staatssicherheit und Jürgen Fuchs seine eigene Haft besser zu ertragen: „die wichtigste Erkenntnis […] war für mich, dass die Stasi viele Tricks anwendet, um einen zum Reden zu bringen. Die entscheidende Mitteilung von Jürgen war: rede nicht mit ihnen. Sie werden alles, was du sagst, gegen dich verwenden. Das war die zentrale Botschaft“.[31]

Für den DDR-Staatssicherheitsdienst schien Jürgen Fuchs ein Sonderfall zu sein. Als Häftling wusste er den wechselnden Vernehmern monatelang die Stirn zu bieten, obwohl das MfS versuchte, den Schriftsteller „in eine Ausnahmesituation zu bringen, in der er durchdreht, in der er suizidale Neigungen hat und Gedanken entwi­ckelt und vor allem zusammenbrechen soll. Psychisch in seiner eigenen Person, in seiner eigenen Identität zusammenbrechen soll“.[32] Jedoch Fuchs, „an dem sich die Stasi-Leute mit ihren Tricks und Finten, Grobheiten und Subtilitäten die Zähne ausbissen“[33], wurde kein Opfer der Verhältnisse. Stattdessen brach er für etliche Wochen jegliche Kommunikation ab und in dieser Zeit konzentrierte sich „auf das beschreiben der Tischplatte. Dabei geht es nicht darum, sichtbare Schriftspuren zu hinterlassen, sondern […] zu erreichen, daß Gedanken zu Ende gedacht, Gefühle beschrieben werden, Gehörtes notiert wird“.[34] Nach seiner Freilassung wurde Memoriertes in literarischer Form aufgeschrieben und erschien zuerst als fünfteilige Spiegel-Serie, dann als Buch im Rowohlt-Verlag. Sein Titel: Vernehmungsprotokolle. November ’76 bis September ’77.

 

II. West-Berlin oder (Un)Glück des Exils

Am 26. August 1977 erfolgte die „Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR“. Fuchs wurde direkt in die Bundesrepublik abgeschoben. konnte aber von Glück reden – dieses „Glück war die Prominenz seiner Freunde. Ihre und die von ihnen mobilisierte Solidarität bewahrte ihn vor der Endkonsequenz: Prozeß und langjährige Haft“.[35] Wenige Tage nach der Ankunft in West-Berlin gab Fuchs – im Beisein von Christian Kunert und Gerulf Pannach – eine Presseerklärung ab[36], die eindeutig zeigte, dass die monatelange Haft ihn nicht gebrochen hatte. Zwar war der Ausgebürgerte auf den Westen überhaupt nicht vorbereitet und hatte sich erst in die bundesdeutsche Realität einzuleben, aber trachtete von Anfang an danach, seine Schriftstellerei zu retten und das Erlebte künstlerisch darzustellen.

Noch 1977 begann die Wiedergeburt des Autors, der im Exil sein ästhetisches Programm zu definieren und sich seine Position in der bundesdeutschen Literaturlandschaft zu erarbeiten suchte. Dabei bemühte er sich seine Identität nicht zu verlieren wie auch Treue zur eigenen Biographie zu halten: „Ich habe doch schließlich meine Biographie. Ich kann doch 28 Jahre nicht ablegen wie ein altes Kleidungsstück, sie bestimmen doch auch hier mein Fühlen und Handeln“.[37] Da Jürgen Fuchs über den sog. „doppelten Film“ (Heinz Brandt) verfügte und langsam mit zwei politischen Systemen vertraut wurde, so konnte er Themen anschneiden, die sich auf zwei unterschiedliche Realitäten bezogen. Zu festen Motiven in seiner Exil-Phase gehörten u.a. die Bewältigung der Diktaturerfahrung, Verlust der Heimat, Konfrontation mit der Fremde, die Suche nach Anhaltspunkten in der westlichen Welt sowie seine Reflexionen über neue, aufgezwungene Existenzform.

In der neuen Lebenssituation war der Autor bestrebt, sich seinen „DDR-Kram“ von der Seele zu schreiben und das Erlebte (als Prosa, Lyrik oder Vers-Prosa) wiederzugeben. Dies hat zur Folge, dass im Werk des Jürgen Fuchs zahlreiche Zeugnisse jener Zeit zu finden sind, in die er hineingeboren wurde – präzise ausgedrückt: Zeugnisse einer äußerst politischen Zeit und eines politischen Menschen, der großen Wert darauflegte, Zeugenschaft zu leisten, Vergangenes mit Gegenwärtigem zu verbinden und Erkenntnisse mit Bedeutung aufzuladen. Angesichts des Schicksals eines Verfolgten, Inhaftierten, Zwangsausgebürgerten, Exilanten und Betroffenen hat sich Fuchs geweigert, in seiner künstlerischen Arbeit Politik und Literatur zu trennen und ein Dazwischen zu akzeptieren. Seine Wahrnehmung als Künstler wurde seither durch das politisch-gesellschaftliche Engagement gedämpft.

In der neuen Heimat galt er zunächst (wie die meisten aus der DDR „gefallenen“ Schriftsteller) als „ein seltenes Exemplar des Zoon politikon, […] als ein Fabeltier, ein Exote, aus dem großen DDR-Zoo entlaufen, ein unheimlicher Fremder“[38], der auf die vorgefundene Wirklichkeit empfindlich reagierte und sich im aufgezwungenen Exil nicht zurechtfinden konnte. Jedoch es dauerte nicht mehr lange, bis Fuchs ein akzeptierter Autor wurde – im Herbst 1977 legte er die viel beachtete Spiegel-Serie Du sollst zerbrechen![39] vor, womit er sich einen Namen machte und bald „neben Thomas Brasch [als –E.K.] die Identifikationsfigur für eine neue unabhängige DDR-Literatur“ zu gelten begann.[40]

Die immer größere Publizität von Jürgen Fuchs machte ihn auch in relativ kurzer Zeit außerhalb der BRD bekannt. Bereits 1978 kamen erste Einladungen aus Westeuropa und Jürgen Fuchs begann allmählich zu reisen. Ende Mai, also knapp ein Jahr nach der Freilassung aus der U-Haft in Hohenschönhausen, besuchte er Frankreich, wohin er von Jean-Pierre Hammer eingeladen wurde. Der Pariser Germanist, tätig an der Universität Paris 3 (Sorbonne Nouvelle), lernte den angehenden Autor noch in der DDR kennen, als dieser bei Robert Havemann, seinem frühen Mentor, in Grünheide wohnte. Hammer gründete 1966 – u.a. mit Félix Lusset – die bis heute erscheinende Zeitschrift Allemagne d’aujourd’hui, in der er dem französischen Publikum neben deutscher Literatur auch die demokratische Opposition in der damaligen DDR näherbrachte. In Paris hatte Fuchs – zusammen mit Bernd Markowsky und Franziska Grosser – an einer Lesung im Heinrich-Heine-Haus teilgenommen und aus seinem „jüngsten Schaffen vorgelesen, vom neuen Dasein in West-Berlin gesprochen, […] über die tragische Utopie vom Sozialismus und seiner täglichen Perversion jenseits der Mauer philosophiert“.[41] Am Vortag der Lesung beteiligte sich der Schriftsteller (begleitet von Christian Kunert, Gerulf Pannach und Michael Sallmann) an der Solidaritätsveranstaltung „Freiheit für Bahro, Havemann, Mainz“ im großen Saal der „Mutualité“ und präsentierte seine live-übersetzte Kurzprosa. Den kurzen Aufenthalt in Paris konnte Fuchs als Erfolg verbuchen, zumal innerhalb der nächsten Monate auf Französisch Gedächtnis- und Vernehmungsprotokolle wie auch deren Rezensionen erschienen.[42]

Der Frankreich-Besuch schien für Jürgen Fuchs ein glücklicher Anfang zu sein. Denn bald erhielt er weitere Einladungen (aus Stockholm und Kopenhagen) und wurde daraufhin ins Schwedische und Dänische übersetzt.[43] Die ersten Reisen waren für den ausgebürgerten Autor insofern wichtig, als sie ihm eine gewisse Zeit zum Aufatmen gaben und halfen, den im Gefängnis aufgebauten Druck abzubauen und die Verunsicherung zu überwinden. Da er in West-Berlin stets mit unterschiedlichen (meist politischen) Aktivitäten beschäftigt war, so konnte er sich im Ausland – wenn auch kurzfristig – davon erholen, zum Schreiben zu kommen und vor allem neue ästhetische Reize wahrnehmen, die dann oftmals Eingang in seine Gedichte fanden:

 

ALS ICH MIT DER EISENBAHN AN DEN GRENZEN
Nach Stockholm fuhr Zeige ich einen Paß
Und nur ab und zu ein Haus sah Den ihr nicht habt
Alte Bäume In Kopenhagen
Seen In Hamburg
Ab und zu ein Haus In Paris
Zerbrachen die Wände meiner Zelle In Madrid
Der Ölsockel Werde ich euch nicht sehen
Die Tür Einer wird auf eine Sehenswürdigkeit zeigen
Der Spiegel über dem Waschbecken Und fragen: Ist das nicht schön
Ja
Werde ich sagen
Ja[44]

Beide Gedichte erschienen 1979 in Tagesnotizen, dem ersten Lyrikband von Jürgen Fuchs, gelobt in der Kritik für pointierte Beobachtungsgabe, wachsame Aufgeschlossenheit, emotionale Eingeschlossenheit, Intensität der Beobachtungen, die „eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen mit der zeitgenössischen Exil-Situation der DDR-Schriftsteller darstellten“.[45] Mit karger Metaphorik und kunstvoller Reflexion wusste der sich mit einer neuen gesellschaftlichen Realität vertraut machende Autor auch zahlreiche Leser außerhalb des deutschsprachigen Raumes zu überzeugen, wovon Übersetzungen in etliche Sprachen (u.a. ins Englische und Polnische) zeugen. 1981 veröffentlichte die amerikanische Zeitschrift Dimension. Contemporary German Arts and Letters vier Gedichte von Jürgen Fuchs (Die großen Worte, Was soll ich sagen, Nie, Über Paris)[46] und ein Jahr später erscheinen in der Untergrundzeitschrift Przekazy, herausgegeben von West-Berliner „Arbeitsgruppe Solidarność“, ebenfalls Gedichte aus Tagesnotizen (Meine Freunde, An den Grenzen, Ein Mann ist gekommen, Das glaube ich nicht)[47] sowie Auszüge aus Vernehmungsprotokolle[48]. Die spannungsvolle, politische Existenz des Autors als Betroffenen und Erkennenden, aufgeschrieben in lyrischen Versen, schien seine Wahrnehmung im Ausland wesentlich zu begünstigen:

 

DIE GROSSSEN WORTE THE BIG WORDS WIELKIE SŁOWA
Haben ihren Sinn verloren Have lost their sense straciły swój sens
Geblieben What remains Pozostało
Ist der Satz: Is the sentence: zdanie:
Das dauert nicht ewig It won’t last long To nie będzie trwać wiecznie
In der vorletzten Zeile This little worn-out sentence Małe oklepane zdanie
deines ersten Briefes In the next-to-last line z przedostatniej linijki
Und dein Stammeln am Telefon of your first letter twojego pierwszego listu
Als ich dich zum erstenmal When I called for the first time kiedy pierwszy raz
Aus einem anderen Land From another zadzwoniłem do ciebie
Anrief land z innego kraju
Und das Wort Toilette And the word toilet I słowo toaleta
Das Wort duschen The word shower słowo natrysk
Das Wort Zigarette The word cigarette słowo papieros
Das Wort Besuch The word visit słowo widzenie
Das Wort essen The word eat słowo jeść
Das Wort Protokoll The word protocol słowo protokół
Das Wort Brot The word bread słowo chleb
Das Wort Vernehmung The word interrogation słowo przesłuchanie
Das Wort Zeitung The word newspaper słowo gazeta
Das Wort Entlassung The word fired słowo zwolnienie
Das Wort Freistunde The word time-off słowo czas wolny
Das Wort lachen The word laugh słowo śmiać się
Das Wort Obst The word fruit słowo owoce
Das Wort Tee The word tea słowo herbata
Und daß du ihnen And that you I że nie
nicht gesagt hast didn´t tell them powiedziałaś im
Was ich dir What I told you co ci opowiadałem
Über den Kinderspielplatz About the playground o placu zabaw
Vor meinem Haus erzählte In front of my house przed moim domem
Und über meine Angst And about my fear i że się bałem
Allein zu sein[49] Of being alone[50] być sam[51]

John Whiton und seiner ersten Übertragung der Fuchs-Lyrik ins Englische folgte bald der aus den USA stammende Übersetzer, Autor und Herausgeber Mitch Cohen. 1983 erschien in Kalifornien die umfangreiche Anthologie Berlin: Contemporary Writing in East and West[52], in der er zahlreiche Autoren aus Ost- und West-Berlin vorstellte, darunter Jürgen Fuchs. Das englischsprachige Publikum konnte sich nun mit einer Auswahl des aus der DDR ausgewiesenen Schriftstellers vertraut machen, u.a. mit den von Cohen eigens für das Buch übersetzen Auszügen aus Gedächtnisprotokolle (Memory Register), Vernehmungsprotokolle (Interrogation Register) und Tagesnotizen (Notes of the Day)[53]. Aus der heutigen Perspektive ist es schwer zu beurteilen, welche Resonanz Jürgen Fuchs Texte in den USA hatten, aber es dauerte nicht mehr lange, bis amerikanische Germanisten ihre Aufmerksamkeit auf den talentierten Literaten richteten. Einer von ihnen war Jay Rosellini, der 1986 in der Zeitschrift German Studies Review der renommierten German Studies Association[54] eine längere Studie – betitelt Die Schriften des Jürgen Fuchs. Betrachtungen eines Poli­tischen – veröffentlichte. Darin schilderte er nicht nur den Werdegang und die Lebensstationen des in die DDR hineingeborenen Autors, sondern untersuchte auch mit wissenschaftlichen Kriterien sein literarisches Werk (darunter das zweite Gedichtband Pappkameraden und den NVA-Roman Fassonschnitt[55]), dem er folgendes attestierte:

Bedenkt man, daß Fuchs in einem „realsozialistischen“ Land zu schreiben angefangen hat, so ist seine Auffassung, der Schriftsteller sei eine moralische In­stanz, eine Art „Gewissen der Nation“, nichts Erstaunliches. […] Fuchs fürchtet zu Recht, er könnte zum listigen Mahner abgestempelt werden, mit der Wahr­heit auf den Lippen, die keiner hören will[56] Da er sich, anders man­che Pariser Intellektuelle [André Glucksmann – E.K.], nicht als Antikommunist vermarkten las­sen will, wird er in den kommenden Jahren wahrscheinlich einen schweren Stand haben. Hinzu kommt, dass er als einer, der auf ästhe­tischem Gebiet nicht zur „Avantgarde“ gehört, kaum im Mittelpunkt der bundesrepublikanischen Literatur-Szene stehen wird. Sein eigent­liches Publikum befindet sich in dem Land, das er nicht mehr betre­ten darf, und das wird sich erst dann ändern, wenn er sich westlichen Themen zuwendet. Dass seine Beobachtungsgabe und sein Wahr­heitssinn auch in der neuen Heimat geeignete Betätigungsfelder fin­den könnten, steht außer Frage.[57]
Das von Rosellini formulierte Urteil ist insofern zutreffend, als Jürgen Fuchs als politischer Autor, der mit seiner Diktaturerfahrung die Verhältnisse in Ost und West nicht schönredete und oftmals unerwünschte Erkenntnisse und Wahrheiten vermittelte, vornehmlich in intellektueller Interventionskunst und Argumentation und weniger in ästhetischen Konzeptionen bewandert war. Als Schriftsteller war er sich seiner Verantwortung und seines Auftrags bewusst: der Intellektuelle „hat zu fragen und eine Distanz zur Macht zu halten“[58], sie in Zweifel zu ziehen, ihrer Verlockungen zu widerstehen, Kritik zu üben und „die zeitlosen Werte Gerechtigkeit, Wahrheit und Vernunft zu verteidigen“[59]. Ein integraler Bestandteil seines ästhetischen Programms war die Verschriftlichung des Erinnerten, Aufdeckung der Wirklichkeit wie auch Literarisierung totalitärer Strukturen und Praktiken. Aus diesem Grund blieb er literarisch souverän und zog nach wie vor den DDR-Stoff den „westlichen Themen“ vor. Da er sich ebenfalls publizistisch betätigte und mit seinem Credo „Sagen, was ist“ präzis Position bezog, so galt er des Öfteren als Unruhestifter, worunter teilweise seine künstlerische Reputation litt. Als Autor konnte er sich vor allem dort verstanden fühlen, wo man Erfahrungen mit dem Leben in der kommunistischen Diktatur hatte. Demnach schien seine Literatur, in der die Prägungen der Tyrannis und der Kampf um die Würde des Menschen im Vordergrund standen, für den „Osten“ von Bedeutung zu sein.

III. Wahrnehmung in Osteuropa

In der Zeit des Kalten Krieges war West-Berlin nicht nur eine Stadt mit politischem Sonderstatus, sondern ein in vieler Hinsicht besonderer Ort, „eine Insel – oder eine Arche Noah, wo man alles finden konnte, alles und noch viel mehr“.[60] Dies betraf verschiedenste Aktivitäten, auch Literatur, die von diesem Schmelztiegel der Kulturen aus in die ganze Welt gelangte, ebenfalls in die Ostblockländer. Dafür sorgte u.a. Jürgen Fuchs, „ein Netzwerker in mehrfachem Sinne, zwischen Literatur und politischem Handeln, zwischen Freunden, die er versuchte, auf ganz spezifische Weise zu fördern, zwischen Ost- und Westdeutschen, Osteuropäern und Neu-Westberlinern, Literaten und Politik-Engagierten, Polen und Tschechen und Rumäniendeutschen“.[61] In den 80er Jahren betätigte er sich enorm viel organisatorisch und wurde „zu einer wahren Drehscheibe politischer und literarischer Ost-West-Kontakte. In seiner Tempelhofer Wohnung kreuzten sich die Wege zahlreicher mittelosteuropäischer Exilanten, neue Kontakte entstanden“.[62] In West-Berlin wurde der Schriftsteller – trotz der massiven Verfolgung[63] – zu einem der entscheidenden Knotenpunkte eines Netzwerks, das sich um Unterstützung der immer stärker vernehmbaren demokratischen Opposition in den Ostblockländern mit Literatur, Logistik und Geld oder Organisation von Solidaritätskampagnen bei Repressionen und Verhaftungen kümmerte.

Osteuropa war dem ausgebürgerten Autor vertraut, jedoch aus politischen Gründen unerreichbar – selbst eine einmaliger Reise gen Osten hätte ihn, was er zurecht vermutete[64], die Freiheit gekostet. Er hat „Von West-Berlin aus, über die Grenze hinweg, das östliche Europa in die Gedankenwelt [einbezogen – E.K.] – zu einer Zeit, als es für viele im Westen nicht zu existieren schien“. Es war „nah in Gedanken. Denn die östliche Hemisphäre gehörte wie selbstverständlich zur geistigen Welt des Schriftstellers Jürgen Fuchs dazu, in Form von Romanen, Gedichten, Liedern und Filmen“.[65] Er fand den intellektuellen Austausch mit Osteuropa enorm wichtig und war bestrebt, mit Polen, Tschechen, Ungarn und Rumäniendeutschen Freund- und Bekanntschaften zu schließen. Da man hinter dem Eisernen Vorhang dem Schreiben von Jürgen Fuchs vielerorts literarischen Rang attestierte und seine oppositionelle Tätigkeit schätzte, so war sein Name den osteuropäischen Emigranten im Westen bekannt – etliche Gleichgesinnte und Mitstreiter besuchten ihn oder suchten seinen Rat, darunter Adam Zagajewski, György Dalos, Miklós Haraszti, Herta Müller, Richard Wagner, Helmuth Frauendorfer, Milan Horáček, Jiří Pelikan, Josef Rauvolf ua.

Die ehemalige ČSSR und die Volksrepublik Polen waren Länder, mit denen sich Fuchs am meisten identifizierte und solidarisierte. Die Gründe dafür lagen nicht nur in der Bewunderung deren Strebens nach einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ und Kampfes gegen die kommunistische Diktatur, sondern auch in literarischen Vorbildern des Schriftstellers, der seit seiner Jugend in Büchern osteuropäischer Autoren das „geistige Bezugsfeld“ fand – die wichtigsten „Leuchttürme im geistigen Kosmos von Jürgen Fuchs“[66] (neben vielen russischen Literaten) waren u.a. Milan Kundera, Vladimír Holan, Karel Kryl, Jan Patočka, Ludvík Vaculik, Václav Havel, Jiří Gruša, Czesław Miłosz, Tadeusz Różewicz, Zbigniew Herbert, Tadeusz Borowski, Hanna Krall, Adam Michnik, Jacek Kuroń.

An der Weichsel versuchte man „einen Dialog mit der europäischen Kultur trotz der Zensur zu pflegen – und Jürgen Fuchs zählte zu jenem Kreis von deutschen Autoren, die nach ihrer Abschiebung in den Westen auch im kommunistischen Polen, außerhalb der Zensur funktionierten und ihren polnischen Lesern Bilder der DDR-Diktatur vermittelten“.[67] Die Übersetzungen seiner Texte waren präsent vor allem in Untergrund- bzw. Exilzeitschriften, die einerseits in Polen (Bez Debitu, Obecność, Veto) und andererseits in polnischen Kulturzentren im Ausland, darunter in West-Berlin (Pogląd, Przekazy, Archipelag), Paris (Zeszyty Literackie) oder London (Wiadomości), herausgegeben wurden. Als erste erschienen bereits 1977 – der junge Autor saß damals in Hohenschönhausen ein – zwei Prosatexte aus Gedächtnisprotokolle (Die Wende und 1968)[68], denen in den 80er Jahren eine Fülle von Übertragungen von Gedichten aus Tagesnotizen und Pappkameraden folgte[69]. Die meisten von ihnen übersetzte der in Krakau lebende Dichter und Verleger Ryszard Krynicki, der mit der Zeit zum wichtigsten Vermittler seiner Lyrik in Polen wurde. Er lernte Fuchs noch vor dem Mauerfall persönlich kennen und widmete ihm nach seinem Tod das Gedicht In Berlin[70].

Auch die Prosa von Jürgen Fuchs fand in Polen relativ großen Zuspruch und war entscheidend für seine Rezeption hierzulande. 1985 brachte der renommierte Untergrundverlag NOWA das Buch Vernehmungsprotokolle heraus, das unter dem Titel Protokoły przesłuchań. Wspomnienia in insgesamt fünf Auflagen erschien. Der Autor schrieb im Vorwort: „Ich bin überzeugt, dass es einen Weg gibt, die totalitäre Diktatur zu besiegen. Die polnischen Intellektuellen und Arbeiter kennen diesen Weg. Wir müssen ihn erst noch finden – den eigenen Weg in diesem geteilten Land. Notwendig sind Dialog und Solidarität. Die polnische Übersetzung dieses Buches halte ich für die wichtigste meiner bisherigen Publikationen. Ich danke denen herzlich, die sie ermöglichten“.[71] Der Dank war in erster Linie an die Übersetzerin und Literaturkritikerin Małgorzata Łukasiewicz gerichtet, die in den 80er Jahren in West-Berlin mitunter weilte und 1987 dem polnischen Publikum das bis heute einzige Interview mit dem Schriftsteller präsentierte. Dieses längere Gespräch, an dem ebenfalls Hans-Joachim Schädlich und Johano Strasser teilnahmen, erschien in der unabhängigen Zeitschrift Krytyka unter dem Titel Po dwóch stronach muru [Beiderseits der Mauer] und thematisierte „die Teilung der deutschen Kultur, insbesondere der Literatur, die Situation ausgebürgerter DDR-Autoren im Westen, die Friedensbewegung und die Ostpolitik der SPD“.[72]

In der ehemaligen Tschechoslowakei, die Jürgen Fuchs einerseits durch die Literatur, andererseits durch die geographische Lage seiner Heimatstadt (Reichenbach im Vogtland) nahe war, begann die Rezeption des Schriftstellers unter ungewöhnlichen Umständen, und zwar nicht mit der Wahrnehmung seines Werks, sondern mit Rockmusik von Mikoláš Chadima. Im Frühjahr 1985 war der Rockmusiker „in einer Samizdatabschrift auf Fuchs’ Gedichte gestoßen, die ihn so stark ansprachen, daß er sich entschied, sie für seine MCH Band zu vertonen“.[73] Chadima, in der damaligen ČSSR von der Geheimpolizei (StB) verfolgt und mit Auftrittsverbot belegt, beeindruckten die Gedichte aus Tagesnotizen (Leicht und Nein) und Pappkameraden (Gorleben), an denen er so großes Gefallen fand, dass er sie ins Repertoire sei­ner Band aufnahm, bei (halb)illegalen Konzerten auf Deutsch spielte und per Tonbandkopien verbreitete.

Für die musikalische Inspiration wollte sich Chadima bei Jürgen Fuchs bedanken und ihm eine der Untergrund-Kassetten schenken. Dies gelang auf vielen Umwegen mit Hilfe von Josef Rauvolf, der Ende der 80er Jahre nach West-Berlin zu reisen und einige Zeit später Fuchs´ Gedichte ins Tschechische zu übersetzen begann[74]. 1989 sollte eine Auswahl davon „in der von dem Schriftsteller Jáchym Topol mitbegründeten legendären Prager Untergrundzeitschrift Revolver Revue erscheinen, in der letzten Nummer vor dem November der „samtenen Revolution“. Doch die tschechoslowakische Geheimpolizei steckte das Einfamilienhaus, in dem die Zeitschrift hergestellt wurde, in Brand. Die Texte wurden dann in der ersten legalen Nummer der Revolver Revue im Mai 1990 veröffentlicht”.[75] In der Übertragung von Josef Rauvolf erschienen u.a. die Gedichte aus Tagesnotizen:

JETZT BIN ICH RAUS, JETZT TEĎ JSEM VENKU, TEĎ
Kann ich erzählen Můžu vyprávět
Wie es war Jaké to bylo
Aber das Ale to se
Läßt sich nicht erzählen Nedá vyprávět
Und wenn Pokud ano
Müßte ich sagen Musel bych říct
Was ich verschweige Co zamlčuji
Zum Beispiel Například
Daß ich am 17.12.1976 in meiner Zelle saß Jak jsem seděl 17.12.1976 ve své cele
Mit dem Rücken zur Tür Zády ke dveřím a
Und weinte Plakal
Weil ich am Vormittag Protože jsem dopoledne
das Angebot abgelehnt hatte odmítl nabídku
Mit ihnen zusammenzuarbeiten Ke spolupráci
Und du weißt A ty víš
Was es heißt, mit ihnen zusammenzuarbeiten Co to znamená, s nimi spolupracovat
DAS SCHLIMME ist nicht ZLÉ není sedět
In einer Zelle zu sitzen V cele
Und verhört zu werden Být vyslýchán
Erst danach Teprve potom
Wenn du wieder vor einem Baum stehst Když zase stojíš před nějakým stromem
Oder eine Flasche Bier trinkst Nebo piješ pivo
Und dich freuen willst A chceš aby ti bylo fajn
Richtig freuen Skutečně fajn
Wie vorher Jako předtím
Erst dann[76] Teprve potom[77]

 

Da in der ehemaligen ČSSR die Literatur von Jürgen Fuchs nicht nur in der geschriebenen Form wahrgenommen wurde, so fällt es schwer, die Wirkung seines Werks nur literarisch zu betrachten. Aber eins steht fest: viele Tschechen, wie der in Prag lebende Übersetzer Josef Rauvolf bemerkte, konnten sich problemlos mit den Erfahrungen des im Exil lebenden Autors identifizieren: „Ich war mit der Realität, die diese Gedichte beschrieben, sehr vertraut […]. Aus den Reaktionen der Leute, die diese Übersetzungen lasen, ging hervor, daß sie von diesen Gedichten angesprochen waren – wegen der Thematik, aber auch wegen der Klarheit, der strengen Form und des präzisen Ausdrucks.[…] Durch diese Wahlverwandtschaft und der Vertrautheit mit der Realität mangelte es bei uns nicht an Verständnis wie im Westen“.[78]

Auch in andere Ostblockländer – wie etwa nach Ungarn und Rumänien – konnten die Schriften des Jürgen Fuchs trotz Zensurhürden gelangen. Auf diese Weise stieß der Schriftsteller und Journalist Helmuth Frauendorfer Anfang der 80er Jahre auf seine Lyrik: „Einer unserer Schriftstellerkollegen, Werner Söllner – später stellte sich heraus, dass er IM war –, durfte mal in den Westen reisen und brachte Gedichte von Jürgen Fuchs mit. Darüber hinaus ist einmal im Monat einer von uns rumäniendeutschen Schriftstellern aus dem Banat […] nach Bukarest gefahren ins Goethe-Institut – das gab es seit 1979 – mit einem Koffer und hat Bücher […] hergebracht nach Temeswar. […] So war es auch mit den Zeitungen und Zeitschriften aus dem Goethe-Institut, […] uns interessierten die Debatten, die in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben, die politischen und die kulturellen“.[79]

Da im deutschsprachigen Banat Jürgen Fuchs nicht übersetzt zu werden brauchte, so wurden seine Texte gelesen und weitergegeben, durften jedoch nicht erscheinen. Frauendorfer hatte es versucht, sie in die Öffentlichkeit zu bringen, ist aber an der Zensur gescheitert. In einer Erinnerung an seinen Freund, den er im Zuge der Ausreise (sie erfolgte 1987 nach massiver Verfolgung von Securitate, ähnlich wie bei andren rumäniendeutschen Autoren, u.a. Herta Müller, Richard Wagner, Horst Samson) in West-Berlin kennen lernte, schrieb er: „Es war 23 Uhr, die Texte von Jürgen waren schon gesetzt, da tauchte der Kerl auf, ein Zensor, den es offiziell gar nicht mehr gab in Rumänien. Ich weiß bis heute nicht, warum der nachts plötzlich auftauchte, und – verdammt, der wusste, wer Jürgen Fuchs ist. Er sagte: „Diese Texte können nicht veröffentlicht werden“. Für solche Fälle hatte ich dann immer Fotos von einem Freund dabei. Und da sind zwei große Fotos auf der Seite erschienen und meine Freunde wussten immer, wenn ganz viele Fotos auf der Literaturbeilage waren, dann sind ganz viele Texte rausgeflogen“.[80]

Auch in Ungarn, ähnlich wie im Rumänien, kam es nicht zu Übersetzungen des Werks von Jürgen Fuchs. Seine Texte kursierten zwar in oppositionellen Kreisen, meist abgedruckt in westdeutschen Zeitungen und Zeitschriften, was jedoch den Nachteil hatte, dass die Sprachbarriere die Zahl deren Leser begrenzte. Der ungarische Schriftsteller György Dalos, der Jürgen Fuchs im Sommer 1972 in Jena begegnete, stieß relativ früh auf Manuskripte des sich damals literarisch betätigenden Studenten der Sozialpsychologie über die Nationale Volksarmee: „Das waren sehr trockene, sehr genau beschreibende, mit souverän schlechter Laune geschriebene Novellen über den Alltag in dieser Armee, und die NVA war aus meiner Warte nur eine Metapher für die Gesellschaft. Ich sah, dass hier ein guter Autor am Werk war, und meine Sorge wuchs“.[81]

Erst einige Jahre später konnte Dalos vom Schicksal des Jürgen Fuchs erfahren – eines Herbstages 1977 las er im Spiegel „mit angehaltenem Atem“ seine Gedächtnisprotokolle und war bestrebt, den Kontakt wiederzubeleben. Erst 1982 kam es zum Widersehen mit Jürgen Fuchs in West-Berlin, danach blieben beide Schriftsteller in freundschaftlichem Kontakt: einerseits als Literaturschaffende, andererseits als Bürgerrechtler, die die demokratische Oppositionsbewegung in Ungarn und in der DDR (wo Dalos in den 80er Jahren als persona non grata galt) unterstützten. Nach Jahren konstatierte der heutzutage in Berlin lebende Ungar: „Obwohl ich vieles von Jürgens Werken mit großem Genuss und Ge­winn gelesen habe, so haben doch vor allem die Gedächtnisprotokol­le auf mich außerordentlich stark gewirkt. […] Dem Geheimdienst seine Geheimnisse zu entreißen und das Verschwiegene, das mit sieben Siegeln Verschlossene zu ver­öffentlichen, war die eine, sozusagen zivilbürgerliche Seite des Vor­gangs. Die andere bestand darin, das Erlebte in einer transparenten Art und sparsamen Sprache der Außenwelt nahe zu bringen“.[82]

 

IV. „Landschaften der Lüge“

Der politische Umbruch in Ostmitteleuropa und Zusammenbruch der SED-Herrschaft beeinflussten die Position wie auch die Themen des Jürgen Fuchs, der nach 1989 die Funktion seiner Literatur neu zu bestimmen suchte. In den 90er Jahren war der Autor bestrebt, sich schriftstellerisch „das eigene Leben, die Erinnerung, die Würde zurückzuholen“[83], so dass sich seine Ästhetik der Einmischung zu einer Ästhetik der Erinnerung wandelte. In dieser Phase sind in seinem Schreiben die Trennungslinien zwischen dem Literarischen und Dokumentarischen „nicht immer zu ziehen“ und „gekennzeichnet von einem moralischen Impetus, der gegen Verdrängung, Vergesslichkeit und falsch verstandene Solidarität […] opponiert“.[84] Nach dem Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (29.12.1991) begann Fuchs nach Beweisen für politische Verfolgung zu suchen, um seine Zeugenschaft mit stichhaltigen Argumenten untermauern zu können. Seither berichtete er immer intensiver über die Methoden des DDR-Staatssicherheitsdienstes, Untaten und Zersetzungsmaßnahmen des MfS wie auch Leiden der vielen Opfer des SED-Regimes. Auf diese Weise wurde die wahre Botschaft seines Schaffens vermittelt:

„Literatur muss gestehen, was war. Nicht im strafrechtlichen Sinne. Sie will die Täter nicht jagen und hetzen, aber sie will geheime Apparate und Mechanismen bloßlegen       (…) Erst nach genauer Kenntnis der gesellschaftlichen und persönlichen Mechanismen haben wir die Chance auf ein aufrichtiges Verzeihen, haben wir die Sensibilität, eine andere, menschlichere Zukunft zu beginnen“.[85]

Der Dienstantritt in der BStU im April 1992 ermöglichte Fuchs uneingeschränkte Akteneinsicht. Da er in den Archiven des MfS auf zahlreiche Belege für seine früheren Vermutungen und Beweisstücke jener Macht stieß, die bis 1989 straflos Biographien (darunter seine eigene) beeinflusste, so fühlte er sich veranlasst, Geheimnisse aus den „ekelhaften“ Papierbergen herauszuholen und von seinen Funden ein schockierendes und – wie es sich 1998 nach der Veröffentlichung von Magdalena[86] herausstellte – verstörendes Zeugnis abzulegen. Kurzerhand entschließt er sich, gewonnene Erkenntnisse explizit zu machen, „weil ihre Hauptwache, ihre Gewalt, vor allem das Geheimnis war, die Konspiration, das berechnende Lügen und Hineinziehen in ihre Machenschaften. So entstanden entsetzliche Landschaften der Lüge, der Abhängigkeit und der Gewalt“.[87] Bei der Konfrontation mit Stasi-Praktiken achtet der Schriftsteller weniger auf Ästhetik – die Hauptrolle spielt die Schilderung der nackten Wirklichkeit, die er akribisch aufdeckt und registriert: „[…] auf Rache und Haß, kann verzichtet werden. Auf Wahrheitssuche, auf Durchsetzen der Menschenrechte, auf öffentliche Entlarvung von hartnäckiger Lüge und die Entmachtung konspirativer Abhängigkeits- und Gewaltstrukturen nicht“.[88]

Die Biographie des Jürgen Fuchs, seine Erfahrungen mit der zweiten deutschen Diktatur und langjährige literarische Auseinandersetzung mit dem SED-Regime machten ihn in der Zeit nach dem Mauerfall zu einem viel gefragten Zeitzeugen, ebenfalls im Ausland. 1990 erschien in der Zeitschrift The Germanic Review, herausgegeben in New York von der Columbia University, eine umfangreiche Umfrage zur literarischen Zensur in der DDR. Der Schriftsteller, der im Frühjahr 1988 die Antworten auf postalischem Weg erteilte, äußerte sich ausführlich zu mannigfaltigen Aspekten der Informationskontrolle in „Arbeiter- und Bauernstaat“ (u.a. zur Selbst-, Verlags- und Bibliothekszensur) und deren Auswirkungen, die er am eigenen Leib erfahren musste: „Das Strafgesetzbuch der DDR erlaubt das beinahe beliebige Kriminalisieren, z.B. die Paragraphen 106 („staatsfeindliche Hetze“, bis zu zwölf Jahren Gefängnis) und 219 und 220 („ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ und „Staatsverleumdung“) sowie Paragraphen 98, 99 und 100 („Sammlung von Nachrichten“, „Landesverräterischer Treuebruch“ und „Staatsfeindliche Verbindungen“). […] Man muß mit Repressionen rechnen, auch mit Gefängnis und Ausbürgerung. Erhöhter psychischer Druck, auch für die Familie“.[89]

Nach der Öffnung der Stasi-Archive erhielt Jürgen Fuchs des Öfteren Einladungen zu Konferenzen und Tagungen, die ihm erlaubten, Bekanntschaften mit ausländischen Autoren, Forschern und Wissenschaftlern zu schließen. Viele von ihnen waren sehr angetan – einerseits von der Zeugenschaft des Schriftstellers, der als Diktaturerfahrene u.a. über die Konfrontation mit Stasi-Akten, über den Missbrauch der Psychologie und perfide Zermürbungs- und Zersetzungspraktiken des MfS zu berichten wusste[90], andererseits von seinen literarischen und publizistischen Bemühungen, dem „Schlussstrich“ entgegenzuwirken und damit der „Diktatur der Lüge“ ein Ende zu setzen. Diese Begegnungen waren für Fuchs oft Ansporn, ins Ausland zu reisen, wo man ihn als Literaturschaffenden und Intellektuellen schätzte. 1993 folgte Fuchs Einladungen aus Moskau und Prag[91], das er ebenfalls 1997 zur Feier von „20 Jahren Charta 77“ (zusammen mit Doris Liebermann[92]) besuchte.

Eine seiner Reisen ging nach Südafrika. 1996 nahm der Schriftsteller an der von der Lyrikerin Ingrid de Kok organisierten Faultlines-Konferenz teil, die anlässlich der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Kapstadt stattfand und der Aufarbeitung der Apartheid-Erfahrung gewidmet war[93]. Er lernte dabei Anette und Peter Horn, ein Germanistenpaar von der Universität von Kapstadt, kennen, die seiner Lyrik und Prosa und der darin geschilderten Auseinandersetzung mit dem totalitären Regime große Aufmerksamkeit schenkten. In den darauffolgenden Jahren erschienen etliche Aufsätze[94], in denen Horns das literarische Werk von Jürgen Fuchs nicht nur erforschten und popularisierten, sondern es auch ins Englische übersetzten:

„What I am writing down, I am not even allowed to think. And reading it to others, giving it to others to read? «I» is only the «I-narrator», not me, I could say. […] I am a soldier, subject to hard laws, everything can be held against me. Where does it come from, to scribble every day in note books… I am only carrying out something… The topic, the observations are stronger than the fear of the author for himself. […] Writing as a last counter-attack. My writings break down any personal defence. Whoever reads that, knows I am thinking. Excuses are useless. […] Indifferent? Doesn´t matter? Attacks of fear. Throw the paper into the rubbish bin? Railways lines. Better to write, to risk it. I want to risk it”.[95]

„Was ich aufschreibe, darf ich nicht einmal denken. Und vorlesen, anderen zu lesen geben? «Ich» ist nur der «Ich-Erzähler», nicht ich, könnte ich sagen. […] Ich bin Soldat, unterliege harten Gesetzen, alles lässt sich gegen mich wenden. Woher kommt das, jeden Tag in Hefte kritzeln… ich führe nur etwas aus… Das Thema, die Beobachtungen sind stärker als die Angst des Autors um sich selbst. […] Schreiben als letzte Gegenwehr. Meine Aufzeichnungen demontieren jeden persönlichen Schutz. Wer das liest, weiß, was ich denke. Ausreden sind sinnlos. […] Gleichgültig? Egal? Anfälle von Angst. Das Papier in Mülltonnen werfen? Bahnschienen. Lieber schreiben, es riskieren. Ich will es riskieren“.[96]

Der Aufenthalt in Afrika und die Möglichkeit, einmal von Diskriminierungen und Menschenrechtsverstößen des Apartheidsystems zu erfahren, dann aber auch mit Reaktionen der südafrikanischen Rezipienten auf seine erfahrungsgesättigte Literatur konfrontiert zu werden, bewirkten, dass bei Jürgen Fuchs die Erinnerungen an eigene Traumatisierung und Konfrontation mit dem SED-Regime wach wurden. Im Rückblick auf die harte Zeit der Isolation, auf psychische Folter und innere Angst vor dem Zusammenbruch in der Haft entstand das Gedicht Nicht Alle, das der Schriftsteller Anette und Peter Horn widmete:

 

 

Nicht Alle
Sitzen im Gefängnis Ein Leben
Immer nur einer, immer nur eine Wer schickt Briefe, Postkarten?
Immer sitzen einige, manchmal viele Wer Bücher
Im Gefängnis Wer legt den eigenen Pullover dazu?
Im Lager Die Zeichnung des Kindes
In der Falle, die meisten nicht Mit Wasserfarben?
Die meisten sitzen nicht im Gefängnis Rot, grün, schwarz, eine Wiese, Bäume
Nur manchmal Ein lachendes Ungeheuer
Einer Alle saßen nicht im Gefängnis
Eine Immer nur einer, immer nur eine
Einige Im Lager
Viele, fast alle In der Falle
Ein Vater folgt seiner Tochter Andere
Er sagt Nein im Verhör Saßen in anderen Fallen
Sie brüllen Andere
Er sagt Nein. “Sie sehen Ihre Tochter Sitzen in anderen Fallen
Nie wieder!” Manchmal
Sie brüllen entscheidet ein Brief, eine Postkarte
Er sagt Nein, will kein Schwein sein Ein Buch, eine Zeichnung eines Kindes
Ein Vater folgt seiner Tochter Ein Freund, ein
Der Himmel vielleicht blau Winken, ein
Eine Sonne Gruß
Ein kleiner Regen Über Leben und Tod
Eine Welt Einer, eine [97]

Auf die im Gedicht erwähnte „Zeichnung des Kindes” war der Autor dieser Zeilen zufällig während seiner Recherchen in den MfS-Akten gestoßen: sie wurde am 20.05.1977 von der damals zweijährigen Tochter des Schriftstellers Lili angefertigt[98]. Jenes mit bunten Wasserfarben bemalte Blatt Papier half dem inhaftierten Vater, sich nicht zu beugen und die hohe Belastung im Stasi-Gefängnis durchzuhalten. In den Vernehmungen „hatten seine Gegner ein Gesicht, saßen sie ihm gegenüber, waren sie meist kalkulierbar“[99], anders als in West-Berlin, wo der Autor dem langen Arm des MfS nicht entging und der massiven Verfolgung (im Rahmen des ZOV „Opponent“) ausgeliefert war, ohne geahnt zu haben, dass die Staatssicherheit gegen ihn die Schranken freigegeben hatte[100]. Unter den ausgeklügelten Zersetzungsmaßnahmen gab es nicht nur den jahrelang andauernden Psychokrieg, auch andere Mittel, die keine nachweisbaren Spuren hinterlassen sollten. Eines von ihnen war der mutmaßliche Einsatz radioaktiver Stoffe, praktiziert gegen „Feinde der DDR“, darunter aufsässige Oppositionelle. Als Jürgen Fuchs Anfang der 90er an einem seltenen Blutkrebs erkrankte, verfestigte sich sein früherer Verdacht der zielgerichteten Verstrahlung von politischen Häftlingen, zumal er erste Symptome der Kontamination bereits in der U-Haft erkannt haben wollte[101].

Trotz der Entdeckung der Leukämie blieb das Arbeitspensum von Jürgen Fuchs enorm hoch. Er wusste, gegen die Zeit zu arbeiten, trotz alledem war bestrebt, Beweise für massive Verfolgung seiner Person, der Familie und Freunde zu liefern und damit die lang verhohlene Wahrheit über die in Stasi-Akten festgehaltenen Schicksale aufzuzeigen. In dieser turbulenten Zeit, als Fuchs sein umfangreiches Projekt namens Magdalena zu beenden trachtete, erreichte ihn im Mai 1997 eine Einladung aus Amerika. Wolfgang Müller, Professor am Dickinson College in Pennsylvania, unterbreitete dem Schriftsteller ein Angebot, „fuer eine Woche bis 10 Tage im Oktober nach Carlisle zu kommen“.[102] Müller, der „von Jürgens politischer und literarischer Arbeit mindestens seit 1976 über deutsche Zeitschriften“ wusste, sich Gedächtnisprotokolle und Vernehmungsprotokolle über Buchgeschäfte besorgte und „seinen literarischen Werdegang weiter verfolgt[e]“, erfuhr von Hans Joachim Schädlich, als dieser 1994 „writer-in-residence“ am Dickinson College war, „sehr viel über Jürgen, der ihm in seinen ersten schweren Jahren in der Bundesrepublik eine Art Vaterfigur wurde, obwohl ja eigentlich Jürgen der Jüngere war“.[103]

Der Schriftsteller, dem in dieser Zeit gesundheitlich besser ging, nahm die Einladung mit folgender Bemerkung an: „Ich sitze an den “Landschaften der Luege“ und komme voran. […] Reise: Bitte nicht zu rasch handeln, wenn, dann 98. Herzlich! Ihr j. f.“.[104] Im November 1997 konnte Wolfgang Müller dem Autor persönlich begegnen, und zwar an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo beide am internationalen Autorencolloquium „Kunst und Freiheit – Literatur und Diktatur“ teilnahmen[105]. Da einige Zeit später bei Jürgen Fuchs Rückfall der Erkrankung auftritt, so musste die angekündigte Amerika-Reise abgesagt werden. Als im Februar 1998 endlich das viel erwartete Buch Magdalena erschien, schrieb Müller in seiner sachlichen und ausgewogenen Rezension für die Zeitschrift Glossen. German Literature and Culture after 1945:

„Fuchs’ Gedächtnis, sein intuitives Verständnis von Situationen und Menschen, seine Fähigkeit, eine große Anzahl von Ereignissen der Gegenwart und Vergangenheit, Personen und Gesprächen als einen homogenen Text lebendig, ja “wortgewaltig” zu gestalten, sind beeindruckend. Hat man das Buch erst einmal in die Hand genommen, ist es schwer, es vor der letzten Seite wegzulegen. Ob es sich jedoch über den Kreis jener hinaus, die auf die eine oder andere Weise in der DDR “dabei gewesen” sind und noch nicht vergessen wollen, durchsetzen wird? Der Leser merkt, in diesem Buch steckt eine enorme erzählerische Kraft und wünschte, der Autor hätte nach diesem “heißen” Bericht die Zeit und Ruhe einen “kalten” Roman zu schreiben, den Roman seiner Generation“.[106]

 

V. „Kämpfer gegen das Vergessen“ – Wirkung nach 1999

Dem Schriftsteller, Bürgerrechtler und Sozialpsychologen[107] Jürgen Fuchs wurde nur ein kurzes Dasein gewährt – er starb mit nur 48 Jahren an den Folgen der Leukämie. Im Ausland konnten von seinem Tod am 9. Mai 1999 u.a. die Leser der renommierten polnischen Literaturzeitschrift Zeszyty Literackie erfahren, in der bereits 1987 Fuchs´ Gedichte in der Übersetzung von Ryszard Krynicki präsentiert wurden[108]. Kurze Zeit später erschien in der Wochenzeitschrift Tygodnik Powszechny ein längerer, aufschlussreicher Text, in dem auch der häufig gestellten Frage nach der Todesursache des Autors nachgegangen wird: „Nun beschäftigt auch die Öffentlichkeit ein Verdacht, den der ehemalige DDR-Dissident schon seit Ausbruch der Krankheit 1994 gegenüber Freunden und seiner Ärztin formulierte: Dass diese Erkrankung „nicht gottgewollt, sondern menschengemacht“ gewesen sei. […] Beweisen konnte Fuchs seinen Verdacht nicht, völlig ausschließen will ihn aber bisher nie­mand, der sich seit 1989 mit der Aufarbeitung des Stasi-Erbes be­schäftigt“.[109]

Helga Hirsch, die nach dem Mauerfall einige Jahre in Polen als ZEIT-Korrespondentin tätig war, porträtierte anschaulich den Werdegang des Diktaturkritikers und schilderte dem polnischem Publikum Gründe für seinen harten Kampf um die „richtige“ Aufarbeitung des Stasi-Erbes: „Jürgen Fuchs – er sagte es offen bei einer Anhörung über das SED-Regime 1994 im Berliner Reichstag – war über den Umgang mit der Vergangenheit im wiedervereinten demokratischen Deutschland zunehmend enttäuscht und verbittert. […] Wie früher in der DDR fühlte er sich im Recht, doch wie früher stand er auf der Seite der Verlierer. Zunehmend trot­zig suchte er Beweismaterial in den Stasi-Unterlagen: Sauereien suche ich, verschwundene Akten, Beweise… Ein Befreier will ich sein, ein Zellenaufschließer, ein Aktenöffner. Und ein Rächer? Ein Eindringling, ein Türöffner, ein zurückkehrender Häftling? Ihre Ausreden sollen zu Ende sein. Ich will zeigen, was innen los ist“.[110]

Dieses Zitat, zu finden in Magdalena auf Seite 131, liest sich wie ein künstlerisches Credo des Jürgen Fuchs, der seit seinem Dienstantritt in der BStU zahlreiche Beispiele für Untaten und Gewalt des SED-Regimes anführen konnte, womit er auf breites Interesse ebenfalls der ausländischen Wissenschaftler (vornehmlich Germanisten) stieß. Viele von ihnen waren beeindruckt von der dokumentarisch-literarischen Leistung des Autors,, dessen Veröffentlichungen in den 90er Jahren zum Thema Psychologie und Staatssicherheit[111] oftmals Ausgangspunkt für weitere Nachforschungen über die Unterdrückungsmechanismen des SED-Sicherheitsapparates und das unheilvolle Erbe der DDR-Gewaltherrschaft waren. In diesem Zusammenhang ist u.a. auf die wissenschaftlichen Arbeiten von Ewa Matkowska[112] (Polen), Anne-Marie Corbin-Schuffels[113], Sibylle Goepper[114] (Frankreich), Carol Anne Costabile-Heming[115] und Andrew Plowman[116] (USA) hinzuweisen, die sich in ihren Studien mit der zweiten deutschen Diktatur auseinandersetzten und dabei einerseits auf die von Jürgen Fuchs betriebene Aufklärung der Verbrechen des MfS, andererseits explizit auf seine literarischen Texte bezogen. Insbesondere bei Costabile-Heming, tätig an der University of North Texas, findet man etliche Bezüge zum Werk und dessen Analyse. In einer ihrer Studien bemerkt sie:

„Fuchs’s post-unification works are marked by? his commitment to opening the archives of his life.[…] While Fuchs continues his focus on factual evidence, this text [Magdalena – E.K.] abandons the more deliberate protocol style of the two earlier works […] Unlike earlier attempts at merging the Stasi files with autobiographical writing by Kunert and Loest, Fuchs’s Magdalena is not a linear, chronological story, because the time frames of the three parts overlap. Whereas in Gedächtnisprotokolle and Vernehmungsprotokolle Fuchs as author is the protagonist, in Magdalena, Fuchs is simultaneously the subject and the object: the first-person narrator shares Fuchs’s experiences, and as the narrator/Fuchs reads about himself in the files, he becomes objectified. Throughout the text, the narrator describes, reports, depicts, criticizes, and reflects. There is a polyphonic quality to the text, as multiple voices speak (his wife, Lilo; his daughter, Lili; friends and co-workers). Fuchs even creates an additional narrative voice for himself, the “Knaststimme” (slammer voice), which aids him in maintaining distance between himself and the evidence“. […]

Furthermore, Magdalena picks up where Vernehmungsprotokolle left off, when he was dropped off in West Berlin without any form of proof that anything had happened. Whereas Vernehmungsprotokolle was a masterpiece precisely because Fuchs was able to recall his experiences from memory, Magdalena provides the longed for evidence:

Als ich in den “Vernehmungsprotokollen” das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen schilderte, die Zellen, die Verhöre, die leisen Methoden der Quälerei von Gefangenen, das Widerstehen und die Augenblicke der Schwäche, des Zusammenbruchs, des Wieder-hoch-Rappelns, hatte ich kein einziges Dokument “von ihnen.” Keinen Aktenschnipsel, nur das eigene Erleben, nur die nackte, antastbare Erinnerung. Jetzt triumphiert das Besserwissen“.

[When I described the Stasi prison in Berlin Hohenschönhausen in “Vernehmungsprotokolle,” the cells, the interrogations, the quiet methods of tormenting the prisoners, the resistance and the moments of weakness, of collapse, of picking oneself up again, I didn’t have a single document “from them.” No scraps from a file, only my own experience, the naked, inviolable memory. Now knowing better triumphs].[117]

Magdalena bleibt bis heute ein vielzitiertes Buch. Es fand vielerorts Anerkennung, z.B. in Polen, wo eine der Rezensentinnen für seine „Aufnahme in den Pflichtlektürekanon für all diejenigen, die die ´Aktenöffnung´ in Zweifel ziehen“, plädierte[118]. Im Ausland – im Gegensatz zu Deutschland, wo Magdalena heftige Auseinandersetzungen erregte und von vielen Kritikern pauschal missbilligt wurde[119] – hat dieses Werk auf die Wahrnehmung des in vieler Hinsicht unabhängigen Autors nicht abgefärbt, vielmehr aufgezeigt, wie langwierig und schmerzhaft der Kampf um die Aufklärung der Verbrechen des Sicherheitsdienstes sein kann und was es bedeutet, als Schriftsteller die Wahrheit über den Stasi-Staat aufzeigen zu wollen, nach der „Diktaturanfälligkeit der deutschen Gesellschaft“ zu fragen und dabei „Vergleiche zwischen den beiden deutschen Diktaturen“ zu ziehen[120]. Marion Brandt, Professorin am Institut für Deutsche Philologie der Universität Gdańsk (Danzig), konstatiert in Bezug auf Jürgen Fuchs und Magdalena: „Indem er die Stasi-Verbrechen als Verbrechen der zweiten deutschen Diktatur bezeichnet, verleiht er den Versuchen, sie aufzuklären, eine zentrale Bedeutung für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aus dieser historischen Perspektive stellt er auch die Frage nach möglichen Deformierungen und Gefährdungen der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland“.[121]

Brandt hat auch in ihren früheren Arbeiten, in denen die Reaktionen der Schriftsteller aus der DDR auf die Demokratisierungsversuche und -bewegungen in Polen (insbesondere die der Solidarność-Revolution in den Jahren 1980/81[122]) untersucht wurden, oft darauf hingewiesen, dass Jürgen Fuchs zu jener kleinen Gruppe der Intellektuellen gehörte, die sich Anfang 80er Jahre mit Polen solidarisierte und die damalige Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung der BRD ignorierte. Zusammen mit anderen wenigen Literaten, die mit Polen sympathisierten (u.a. Heinrich Böll, Günter Grass, Hannes Schwenger, Peter Schneider, Hans-Christoph Buch, Utz Rachowski, Wolf Biermann, Helga M. Novak, Reiner Kunze, Siegfried Heinrichs), war Fuchs der Tatsache bewusst, dass die Schriftsteller den Auftrag haben, Distanz zur Macht zu halten, unabhängig von ihr „und vom medialen Mainstream ihre Stimme zu erheben. Sie können politische Entscheidungen aus der Distanz beurteilen und die Konflikte zwischen macht, Realpolitik und Moral beim Namen nennen. […] Die meisten von ihnen hofften, dass es durch Solidarność zu einer Demokratisierung im gesamten sozialistischen Lager kommen würde. Einige wenige dagegen sahen in der Entstehung der freien Gewerkschaft bereits damals den Anfang vom Ende des sozialistischen Staatensystems“.[123]

Einer von ihnen war Jürgen Fuchs, der „In vielem, was er tat“ sich „vom Ethos der Solidarität leiten“ ließ: „bei seiner Hilfe für Polen, seiner Vermittlung zwischen deutschen und polnischen Intellektuellen“[124], bei Unterstützung polnischer Emigranten in West-Berlin und Oppositioneller in Polen (u.a. mit Geld- und Sachspenden). In seinen Texten setzte er sich für die „polnische Revolution“ ein, machte aufmerksam auf den mutigen Kampf um „Brot und Freiheit“ und „Leben ohne Angst“ aber „gegen Lüge und Trickserei“[125]. Dabei kritisierte er die Gleichgültigkeit der westdeutschen Linken und der Friedensbewegung zu Solidarność und versuchte, den westdeutschen Intellektuellen, die ihn für „Querulanten“ und „Störenfried“ hielten[126], die Augen für die Opposition in den sozialistischen Staaten zu öffnen:

„Ich gehöre zu denen, die sich nicht damit abfinden können, daß das Wort Sozialismus zu einer Lüge, einer Verhöhnung wurde. Dieses Wort gehört nicht denen, die wie schlechtgelaunte Fürsten im Namen des Volkes über das eigene Volk herrschen und ihren Staat zunehmend in einen Kasernenhof verwandeln. Es gehört nicht dieser neuen Rechten. Den Aufsässigen, den Verfolgten, die in Polen und Südamerika um ihre Rechte kämpfen, denen, die wirklichen Frieden wollen ohne Raketen, ohne Panzer, ohne Gefängnisse, ohne Lager, denen gehört es“.[127]

Vom politischen Engagement und von der schriftstellerischen Leistung von Jürgen Fuchs fühlten sich nicht nur Wissenschaftler angesprochen. 2002 fanden zahlreiche Auszüge aus Gedächtnisprotokolle und Vernehmungsprotokolle Eingang in den deutsch-belgischen Dokumentarfilm La décomposition de l’âme (Zersetzung der Seele)[128], gedreht am historischen Ort – im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Nina Toussaint und Massimo Iannetta (Drehbuch und Regie) schildern darin Erinnerungen von zwei ehemaligen Häftlingen, die als Zeitzeugen ihre Geschichten erzählen und Methoden der „operativen Psychologie“ des MfS erklären, darunter Verhörtechniken, Mechanismen von Belohnung, Bestrafung, Drohung und Erpressung. Dabei begegnen sie den Texten von Jürgen Fuchs, der in seinem frühen Werk Hohenschönhausen als einen Ort systematischer seelischer Zerstörung und Zersetzung durch die DDR-Staatssicherheit literarisch darzustellen wusste: „Es hat immer welche gegeben, die sagen, mit Gewalt sind Menschen nicht zu ändern. Aber sie sagen: Dass Menschen mit Gewalt nicht zu ändern sind, ist nicht gesagt, denn wir beherrschen unser Handwerk und haben viel Zeit“.[129]

Das Schicksal von Jürgen Fuchs und seine literarische Auseinandersetzung mit der totalitären Staatsmacht inspirierte Mikoláš Chadima, eine CD zum Gedenken an den verstorbenen Freund aufzunehmen. Ende November 1989 begegneten sich beide Künstler persönlich in West-Berlin – schon damals plante der Prager Rockmusiker die Lyrik von Fuchs weiter musikalisch zu interpretieren, was jedoch erst 2002 passierte. Im Booklet der CD schildert Chadima seine Beweggründe: „…ich halte diese ganze Arbeit wirklich für einen Dienst am Menschen, der mir sehr sympathisch war, ja der mir sozial nahestand“. Das Album Tagesnotizen, herausgegeben im Label Black Point Music, enthält insgesamt acht (teilweise neu vertonte) auf Deutsch gesungene Fuchs-Gedichte aus Tagesnotizen und Pappkameraden, die der Lyriker Ivan Wernisch ins Tschechische übertrug: „aus alter Verbundenheit mit Jürgen Fuchs, die aus totalitären Zeiten herrührt“.[130]

Jene Verbundenheit mit dem verstorbenen Autor kam nach 1999 noch mehrmals zum Ausdruck – 2007 initiierte Ryszard Krynicki die Veröffentlichung der von ihm in den 80er Jahren übersetzten Gedichte in der Wochenzeitung Tygodnik powszechny[131]; 2014 widmete der Pariser Germanist Jean-Pierre Hammer dem „Dichter und Rebell“ Jürgen Fuchs ein Kapitel in seinem Buch Es war einmal die DDR[132]; 2015 erschien der Gedichtband Miss Zuki czyli Ameryka jest całkiem blisko [Miss Suki oder Amerika ist nicht weit[133]] von Utz Rachowski, für den der herausragende Lyriker Adam Zagajewski das Vorwort schrieb und darin an die Generation der ausgebürgerten DDR-Schriftsteller, die aus politischen Gründen ausgebürgert wurden und des Öfteren dem Politischen weiter folgten, den Namen Jürgen Fuchs vergab. Zagajewski meinte damit eine Generation, die „die Literatur nicht nur mit einem leeren Blatt auf dem Schreibtisch und nicht nur mit Rezensionen, Preisverleihungen, Ambitionen, Neid und Aufenthalten in eleganten „Häusern der kreativen Arbeit“ assoziierte, sondern durchaus auch mit dem Risiko, das die Herausforderung an das politische System mit sich brachte. Die damals jungen Dichter und Schriftsteller der DDR, eines Staates, der nicht mehr existiert, riskierten viel mehr als ihre polnischen Kollegen. […] Jürgen Fuchs zahlte mit seinem Leben für den Konflikt mit dem bereits verschwundenen Staat“.[134]

Und 2016 kam es in Polen, zum ersten Mal außerhalb des deutschsprachigen Raumes, zur Veranstaltung der wissenschaftlichen Konferenz Jürgen Fuchs: „Sagen was ist“. Diktatur als grenzüberschreitende Erinnerungslandschaft[135]. Den Eröffnungsvortrag hielt der langjährige Freund des Schriftstellers Utz Rachowski, der auf eine paradoxe Tatsache aufmerksam machte: Jürgen Fuchs war nie in Polen und ist hierzulande ungeheuer präsent. In Breslau, wo in Fachvorträgen und Diskussionen über die Wirkung des literarischen Œuvres von Jürgen Fuchs und seine Wahrnehmung reflektiert wurde, konnte sich das internationale Gremium von der Richtigkeit dieser Feststellung überzeugen. Denn in Ostmitteleuropa gilt Jürgen Fuchs seit vielen Jahren nicht nur als wichtiger Autor, sondern als Vermittler von Literatur, Wegbereiter des intellektuellen Austausches und Brückenschlager zwischen den unterdrückten Völkern.

 

VI. Fazit

Seit über 40 Jahren – angefangen vom Frühjahr 1977, als in der alten Bundesrepublik Gedächtnisprotokolle erschienen sind – steht das literarische Werk von Jürgen Fuchs nicht nur deutschsprachigen Lesern zur Verfügung. Innerhalb dieser Zeit wurden seine Lyrik und Prosa in viele Sprachen übersetzt und auf fast allen Kontinenten rezipiert[136]. Es ist daher schwer zu erkennen, welcher seiner Romane, Essay- bzw. Gedichtbände heutzutage das größte Ansehen genießt. Die Meinungen dazu variieren, selbst im heutigen Deutschland. Eine tiefe Spur haben zweifellos seine mit Emotionen geladenen Gedichte hinterlassen, in denen die poetische Sprache des Jürgen Fuchs zum Vorschein kommt; darüber hinaus sein Lebensthema Haft und Stasi, dargestellt in Magdalena, zurecht als „eines der gewagten Experimente in der neueren Literatur“[137] bezeichnet.

Zwar ist Jürgen Fuchs nicht der einzige deutschsprachige Autor, der sich mit schmerzlichen Erfahrungen und „schmutzigen“ Themen des 20. Jh. beschäftigte, aber einer der wenigen, der sich so sprachmächtig und unerbittlich mit Mechanismen eines totalitär verfassten Staates und Tabus eines „Ländchens mit drei Großbuchstaben […], zwei gleichen und einem anderen im Alphabet“[138] auseinandersetzte. Dies weiß man im Ausland überall dort zu schätzen, wo der Schriftsteller wahrgenommen werden konnte, zumal seine Forderung nach einer freien, rigorosen Literatur, die keine Rücksicht nimmt (auch auf Landsleute), nach wie vor aktuell ist. Es bleibt zu hoffen, dass seine Bücher eines Tages als Werkausgabe erscheinen und in weitere Fremdsprachen übersetzt werden, besonders da dem nicht deutschsprachigen Publikum bisher nur ein kleiner Teil seines lyrischen und prosaischen Werks bekannt ist. Seine Popularisierung würde auch eine andere „Konjunktur“ in Deutschland begünstigen, wo man es bis heute nicht schaffte, Fuchs´ Bücher in Lehrprogramme aufzunehmen und in den Schulen als Lektüre zu empfehlen (die Ausnahme bildet der Freistaat Thüringen, wo seit 2001 der Gedichtband Schriftprobe als Lesestoff für die Klassenstufen 9-12 empfohlen wird).

Am 9. Mai 2019 jährt sich sein Todestag zum 20. Mal. In den vergangenen Jahren schien Jürgen Fuchs eine Herausforderung zu sein, ebenfalls für die Germanisten. Aber wie der vorliegende Aufsatz zeigt, fanden bisher einige von ihnen genügend Argumente im Schaffen des Jürgen Fuchs, die die Dominanz des Politischen gegenüber dem Literarischen in den Hintergrund drängen und deutlich aufzeigen, dass die Beschäftigung mit dem Schriftsteller nicht unbedingt im Zeichen der geschichtlich-politischen Aufarbeitung der DDR-Zeit stehen muss. Damit Fuchs „neu“ gelesen wird, bleibt – so meine These – mithilfe des komparatistischen Ansatzes zu versuchen, sein Werk aus einer anderen Perspektive und zwar einer grenzüberschreitenden Vergleichsperspektive zu betrachten, die es auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit Literatur verschiedener Kulturen untersucht[139]. Dann lässt sich vielleicht die Eigenart des Schreibens von Jürgen Fuchs neu entdecken und diese vor dem Hintergrund z.B. der osteuropäischen Literatur (auch im Exil und Untergrund) reflektieren. Eins ist aber schon jetzt sicher: die Facetten und Sprache der Diktatur sind in vielen Teilen der Welt ähnlich, die Machttechniken wandeln sich, aber die Opfer bleiben dieselben.

 

Notes

[1] Udo Scheer, Gegen die Feigheit, „Rheinischer Merkur“, 07.05.2009.

[2] 2009 erschien zum 10. Todestag von Jürgen Fuchs die erste Neuauflage als Hardcover-Ausgabe mit Foto-Beigaben. Vgl. Jürgen Fuchs, Vernehmungsprotokolle (Mit Fotos von Tim Deussen und einem Vorwort von Hubertus Knabe), Berlin 2009.

[3] www.jaron-buchshop.de/epages/62119018.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/62119018/Products/9783897738386 (abgerufen am 23.05.2018).

[4] Ebenda, S. 54.

[5] In der DDR sind nur wenige Texte von Jürgen Fuchs erschienen. Bis zu seiner Ausbürgerung am 26.08.1977 konnte er insgesamt eine Stellungnahme in der von Andreas Reimann ausgelösten Lyrik-Debatte (vgl. Diskussion. Die neuen Leiden der jungen Lyrik, „Sinn und Form“, Heft 5, 1974, S. 1091-1093) sowie 26 Gedichte in unterschiedlichen DDR-Anthologien veröffentlichen. Vgl. Poesiealbum. Sonderheft Poetenseminar 1971 (Hg. Hannes Würtz), Berlin 1971, S. 10; Offene Fenster 3. Schülergedichte (Hg. Edwin und Margret Kratschmer), Berlin 1972, S. 82; Offene Fenster. Schülergedichte, Bd. 4 (Hg. Edwin und Margret Kratschmer und Hannes Würtz), Berlin 1973, S. 60ff, 76ff, 126, 131, 132, 135, 160; Treffpunkt Klub, Heft 4, Gera 1974, S. 10; Auswahl 74. Neue Lyrik – Neue Namen (Hg. Bernd Jentzsch u.a.), Berlin 1974, S. 60ff.

[6] Nach der öffentlichen Veranstaltung in der Galerie „Die Gucke“ in Bad Köstritz (zusammen mit Gerulf Pannach und Bettina Wegner) am 7. Februar 1975 wurde Jürgen Fuchs mit Auftritts- und Publikationsverbot belegt. Seitdem ist kein literarischer Text von ihm in der DDR erschienen. Erst 1989 wurde in der Samisdat-Zeitschrift „1. Mose 2,25“ das Kurzprosastück „Die Vorladung“ aus Gedächtnisprotokolle abgedruckt. Erwähnenswert ist auch die einzige Besprechung seines Romans Das Ende einer Feigheit, die je in der DDR veröffentlicht wurde. Vgl. Peter Böthig, Schwarzer Hammer, roter Zirkel, goldener Drehpunkt?, „Ariadnefabrik“, Nr. II/1989, S. 60-64.

[7] Vgl. Udo Scheer, Frei sein von allen Zwängen des Denkens und Sprechens. Literarische Opposition und politische Exmatrikulation von Jürgen Fuchs. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 360-392; ders., So zeigt sich der Staat nackt. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 143-152.

[8] Andreas Schmidt, Unruhiges Refugium. Als Jürgen Fuchs bei Robert Havemann wohnte. In: Annäherungen an Robert Havemann. Biographische Studien und Dokumente (Hg. Bernd Florath), Göttingen 2016, S. 193. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt (Nr. 38/1976, S. 28) veröffentlichte folgende Texte von Jürgen Fuchs: Das Interesse, Die Wende, Die Vorladung, 1968, Die rote Fahne, Für S.F.

[9] Während der Sendung wurden folgende Texte von Jürgen Fuchs vorgelesen. Der Auftakt, Das Fenster, Das Kind, Der Schrei, Der Frieden, Die Verwandlung, Die Vorladung und Der Unterricht.

[10] BStU, MfS, AS 205/83, Nr. 7717/76, Bl. 17.

[11] Vgl. Jürgen Fuchs, „Ihnen imponiert wohl, was sich dieser Biermann traut“, „Westfälische Rundschau“, Nr. 260, 19.11.1976.

[12] Jürgen Fuchs, „Ihnen imponiert wohl, was sich dieser Biermann traut?“. In: Thomas Rotschild (Hg.), Wolf Biermann. Liedermacher und Sozialist, Reinbek 1976, S. 167.

[13] Vgl. u.a.: Das Erwachen, „Frankfurter Rundschau“, 23.11.1976; An der Universität, „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt“, 28.11.1976; Es wird Zeit, daß Sie Farbe bekennen, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 27.11.1976; „…die führende Klasse und basta“, „Der Spiegel“, Nr. 49, 29.11.1976; Anfälle von Angst, „Die Zeit“, 3.12.1976; Der Stuhl „Stuttgarter Zeitung“, 11.12.1976.

[14] Andreas W. Mytze, Der Fall Jürgen Fuchs. Ein Text aus dem Jahre 1977. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 431.

[15] Vgl. Hannes Schwenger, Das Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus in Selbstzeugnissen, Do­kumenten, Briefen und im Zerrspiegel der MfS-Akten, europäische ideen“, Sonderheft 1995, S. 1-5.

[16] Manfred Wilke, Das Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit.   

    Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 420.

[17] Vgl. Inhaftierter Dichter Fuchs erhält den Nizza-Preis, „Die Welt“, 9.05.1977.

[18] Vgl. Five E-German dissidents emigrate to West, „The Times“, 29.08.1977, S. 4.

[19] Klaus Michael, Künstlerische Autonomie und politisches Handeln. Jürgen Fuchs und die literarischen Szenen Ostdeutschlands. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 194.

[20] Jürgen Fuchs, Gedächtnisprotokolle. Mit Liedern von Gerulf Pannach und einem Vorwort von Wolf Biermann, Reinbek 1977, S. 37.

[21] Klaus Michael, Künstlerische Autonomie und politisches Handeln…a.a.O., s. 200-201.

[22] Ebenda, S. 195. Der Schriftprobe-Zyklus – geschrieben im Frühjahr 1972, als Jürgen Fuchs an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Psychologie studierte – umfasste ursprünglich 27 Texte, von denen 1973 in der Anthologie Offene Fenster 4 nur 11 veröffentlicht werden konnten. Der vollständige Zyklus wurde von Edwin Kratschmer kurz nach dem Tod des Schriftstellers vorgelegt. Vgl. Edwin und Margret Kratschmer, Hannes Würtz (Hg.), Offene Fenster 4. Schülergedichte, Berlin 1973; Jürgen Fuchs, Schriftprobe. Frühe Gedichte, Weimar 2000 und 2001.

[23] Lutz Rathenow, Grenzüberschreitendes Handeln und Schreiben von Jürgen Fuchs. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 54.

[24] www.deutschlandfunkkultur.de/konstrukt-des-unerhoerten.1270.de.html?dram:article_id=191162Konstrukt des Unerhörten (abgerufen am 23.05.2018).

[25] Udo Scheer, So zeigt sich der Staat nackt. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 167.

[26] Jürgen Fuchs, Das Erschrecken über die eigene Sprache. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 1983, Heidelberg 1983, S. 44.

[27] Vgl. Roland Jahn, Wir Angepassten. Überleben in der DDR, München 2014, S. 153.

[28] Wolfgang Templin, Jürgen Fuchs – Wegstationen. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 87.

[29] Wolfgang Templin, Jürgen Fuchs – erneute Annäherungen. Vom Umgang mit Schuld in der Diktatur. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 167.

[30] Roland Jahn, Sein Lächeln bleibt. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 58.

[31] Ebenda, S. 59.

[32] Doris Liebermann, Landschaften der Lüge. Gespräch mit Jürgen Fuchs. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 33.

[33] www.deutschlandfunkkultur.de/konstrukt-des-unerhoerten.1270.de.html?dram:article_id=191162Konstrukt des Unerhörten (abgerufen am 13.06.2018).

[34] Jürgen Fuchs, Vernehmungsprotokolle. November ’76 bis September ‘77, Berlin 2009, S. 106.

[35] Ulrich Schacht, Wort-Wege durch Deutsch- und Konsumland. Über Jürgen Fuchs, in: ders., Gewissen ist Macht,   München 1991, S. 212.

[36] Vgl. Udo Scheer, Jürgen Fuchs. Ein literarischer Weg in die Opposition, Berlin 2007, S. 182-183.

[37] Dagmar Siegmann, „Wir sind gefährdet, wenn wir Geld machen“, „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 2.02.1981.

[38] Burkhard Meier-Grolman, „Der ist ja nicht unsympathisch“, „Südwest-Presse“, 21.10.1978.

[39] Vgl. Jürgen Fuchs, Du sollst zerbrechen!, „Der Spiegel“, Nr. 43-47/1977.

[40] Udo Scheer, Jürgen Fuchs…a.a.O., S 216.

[41] August Graf Kageneck, „Vielleicht sind wir wirklich Spinner“, „Die Welt“, 3.06.1978, S. 15.

[42] Vgl. Jürgen Fuchs, Souvenirs d’interrogatoires (édité par Robert Simon), Gallimard, Paris 1978; ders., Procès-verbal d’un duel (autres contributions de Armand-Georges Kermisch), Flammarion, Paris 1979.

[43] Vgl. Udo Scheer, Jürgen Fuchs…a.a.O., S. 217.

[44] Jürgen Fuchs, Tagesnotizen. Gedichte, Reinbek 1979, S. 66-67.

[45] Das Zitat wurde dem Buchumschlag von Pappkameraden (Rowohlt Verlag, 1981) entnommen.

[46] Vgl. Die großen Worte und andere Gedichte. In: „Dimension. Contemporary German Arts and Letters“, Vol. 14, 1981, S. 186-191.

[47] Vgl. „Przekazy“, Nr. 3/1982.

[48] Vgl. „Przekazy“, Nr. 10/1982.

[49] Jürgen Fuchs, Tagesnotizen…a.a.O., S. 11.

[50] Jürgen Fuchs, The big words (übersetzt von John Whiton). In: „Dimension. Contemporary German Arts and Letters“, Volume 14, 1981, S. 187.

[51] Jürgen Fuchs, Wielkie słowa (übersetzt von Ryszard Krynicki). In: „Bez Debitu“, Nr. 1(2), 1984/85, S. 58.

[52] Vgl. Jürgen Fuchs. In: Mitch Cohen, Berlin: contemporary writing in East and West, Bandana Press, Santa Barbara 1983, S. 292-301.

[53] In der Übersetzung von Mitch Cohen erschienen u.a.: Die Wende (The Turning Point), Das Kind (The Child), Das ist übertrieben (That is exaggerated), Das glaube ich nicht (I don´t belive that), Aber ich hab doch seine Lieder (9/1/78), Immer sehe ich dich im Gefängnis (Always I see you in prison).

[54] Vgl. www.thegsa.org

[55] Vgl. Jürgen Fuchs, Pappkameraden. Gedichte, Reinbek 1981; ders. Fassonschnitt, Reinbek 1984.

[56] Vgl. Jürgen Fuchs: Kunst und Kompromiß, „Frankfurter Rundschau“, 06.03.1984.

[57] Jay Rosellini, Die Schriften des Jürgen Fuchs. Betrachtungen eines Poli­tischen, „German Studies Review“, Vol. 9, No. 2, May 1986, S. 402.

[58] Jürgen Fuchs,  Poesie und Zersetzung: Erste Vorlesung in der Reihe Literatur zur Beförderung der Humanität (hrsg. von E. Kratschmer und U. Zwiener), Jena 1993, S. 14.

[59] Günther Rüther, Literatur und Politik. Ein deutsches Verhängnis?, Göttingen 2013, S. 104.

[60] Adam Zagajewski, Berlin, Anfang der 80er Jahre. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 46.

[61] Lutz Rathenow, Grenzüberschreitendes Handeln und Schreiben…a.a.O., S. 55.

[62] Wolfgang Templin, Jürgen Fuchs – erneute Annäherungen…a.a.O., S. 170.

[63] Vgl. Jürgen Fuchs, Landschaften der Lüge. Jürgen Fuchs über Schriftsteller im Stasi-Netz, „Der Spiegel“, Nr. 47–51/1991.

[64] Dazu schrieb Doris Liebermann: „Nach der „Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR“, […] hatte Fuchs Einreiseverbot in den Arbeiter- und Bauern-Staat. Die Einreisesperre war von Anfang an bis 12/99 festgelegt worden.[…] Einreisesperre in die DDR bedeutete auch ein Verbot, die Transitstrecken in die sogenannten Drittländer Polen und Tschechoslowakei zu benutzen. Im Mai 1982 wurde außerdem ein Haftbefehl wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ und „staatsfeindlicher Hetze“ sowie ein „Fahndungsersuchen Festnahme“ gegen ihn ausgestellt. Hätte er auch nur ein einziges Mal die Transitstrecken ins Bundesgebiet benutzt, hätte er nur eine Reise ins östliche Europa unternommen, wäre er sofort wieder verhaftet worden“. Vgl. Doris Liebermann, „Was soll ich tun“. Jürgen Fuchs, 1968 und das östliche Europa, „Osteuropa“, Heft 7, 2008, S. 102.

[65] Ebenda, S. 96, 102.

[66] Ebenda, S. 103.

[67] Krzysztof Okoński, Diagnosen nach dem Kollaps. Zum literaturhistorischen Standort von Jürgen Fuchs im unabhängigen polnischen Literaturumlauf. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 94.

[68] Vgl. Halina Zarychta, Napady strachu, „Wiadomości”, Nr. 12/1977, 27.03.1977.

[69] Vgl. Krzysztof Okoński, Diagnosen nach dem Kollaps…a.a.O., s. 102, Fußnoten 21-26.

[70] Vgl. Ryszard Krynicki, Ein Gedicht für Jürgen Fuchs. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 113-115.

[71] Marion Brandt, Für eure und unsere Freiheit? Der Polnische Oktober und die Solidarność-Revolution in der Wahrnehmung von Schriftstellern aus der DDR. Berlin 2002, S. 484.

[72] Ebenda. Vgl. Po dwóch stronach muru, „Krytyka”, Nr. 25, 1987, S. 197-213. Eine gekürzte deutsche Fassung des Gespräch veröffentlichte das Informationsbulletin „Solidarność”, Nr. 57, 1988, S. 32-46.

[73] Josef Rauvolf, Jürgen Fuchs und die Tschechoslowakische Sozialistische Republik. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 121.

[74] Vgl. Ebenda, S. 121-123.

[75] Doris Liebermann, „Was soll ich tun“…a.a.O., S. 104-105.

[76] Jürgen Fuchs, Tagesnotizen…a.a.O., S. 10, 20, 23.

[77] Jürgen Fuchs, Jetzt bin ich raus, Das Schlimme ist nicht. In: „Revolver revue“, Nr. 97, 2014, S. 193 (übersetzt von Josef Rauvolf).

[78] Josef Rauvolf, Jürgen Fuchs und die Tschechoslowakische Sozialistische Republik…a.a.O., S. 123.

[79] Helmuth Frauendorfer, Der rumänische Fuchs. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 67.

[80] Ebenda, S. 68.

[81] György Dalos, Umwege der Freiheit. Dissidentenkontakte 1970–1989. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017,  S. 60.

[82] György Dalos, Der moralische Rebell. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 109.

[83] Das Zitat wurde dem Buchumschlag von „Magdalena“ entnommen.

[84] Antje Janssen-Zimmermann, Eintrag “Fuchs, Jürgen” in Munzinger Online/KLG – Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Vgl. www.munzinger.de/document/16000000165 (abgerufen am 29.07.2018).

[85] Edwin Kratschmer, Versus Diktatur. Texte zu Jürgen Fuchs, Unterwellenborn 2001, S. 19.

[86] Vgl. Jürgen Fuchs, Magdalena. MfS, Memfisblues, Stasi, Die Firma, VEB Horch & Gauck – ein Roman, Reinbek 1998.

[87] Jürgen Fuchs, Landschaften der Lüge, „Der Spiegel“, Nr. 47/1991, S. 284.

[88] Jürgen Fuchs, Jürgen: Der Abschied von der Diktatur. In. Aktenkundig (Hg. Hans Joachim Schädlich), Berlin 1992, S. 20-21.

[89] Richard A. Zipser, Literary Censorship in the German Democratic Republic. Part Two: The Authors speak. In: „The Germanic Review“, Vol. LXV, Number 3, 1990, S. 121-122.

[90] Vgl. Jürgen Fuchs, Landschaften der Lüge, „Der Spiegel“, Nr.47–51/1991; Jürgen Fuchs, Gerhard Hieke, Dummgeschult? Ein Schüler und sein Lehrer, Berlin 1992; Jürgen Fuchs, Poesie und Zersetzung: Erste Vorlesung in der Reihe „Literatur zur Beförderung der Humanität“ (Hg. Edwin Kratschmer und Urlich Zwiener), Jena 1993; Jürgen Fuchs, Unter Nutzung der Angst. Die „leise“ Form des Terrors – Zersetzungsmaßnahmen des MfS. Berlin 1994 (Reihe „BF informiert“, Heft 2/1994); Klaus Behnke, Jürgen Fuchs (Hg.): Zersetzung der Seele. Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi, Hamburg 1995 (Neuauflage: Leipzig, 2010).

[91] Vgl. Elsbeth Zylla, Jürgen Fuchs und die Kölner Heinrich-Böll-Stiftung. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 271.

[92] Vgl. Doris Liebermann, Jürgen Fuchs, Vlasta Wallat (Hg.): Dissidenten, Präsidenten und Gemüsehändler. Tschechische und ostdeutsche Dissidenten 1968–1998, Essen 1998.

[93] Vgl. Ingrid De Kok, The Fault Lines Initiative: Inquiries into Truth and Reconciliation, In: West Coast Line”, 20 (30/2), 1996, S. 107-110.

[94] Vgl. Anette Horn, Von keinem Diskurs beherrscht. Das Gedicht „Nicht Alle“ von Jürgen Fuchs. In: „Acta Germanica“, Nr. 26/27, 1998/1999, S. 95-106; Peter Horn, Über die ideologischen und militärischen Schützengräben hinweg. Jürgen Fuchs´ Gedächtnisprotokolle. In: „Acta Germanica“, Nr. 26/27, 1998/1999, S. 83-93; Anette Horn, An End to Conformity: Jürgen Fuchs´ Experience oft the Army in Fassonschnitt (Crewcut) and Das Ende einer Feigheit (An End to Cowardice). In: Modern Europe: Histories and Identities (Eds. Peter Monteath, Fredric Zuckerman), Adelaide 1998, S. 291-298; Peter Horn, „On the first floor an uncharitable voice was saying something apparently unquestionable“ – The Experience of School in the GDR. In: Modern Europe: Histories and Identities (Eds. Peter Monteath, Fredric Zuckerman), Adelaide 1998, S. 299-309.

[95] Anette Horn, An End to Conformity…a.a.O. S. 296.

[96] Jürgen Fuchs, Das Ende einer Feigheit, Reinbek 1988, S. 110-111.

[97] Anette Horn, Von keinem Diskurs beherrscht…a.a.O., S. 103.

[98] Vgl. BStU, MfS, AU 11554/78, Bd. 5, Bl. 23.

[99] Udo Scheer, Jürgen Fuchs…a.a.O., S. 343.

[100] Vgl. Ebenda, S. 358-368.

[101] Vgl. Jürgen Fuchs, Magdalena…a.a.O., S. 409-411.

[102] Das Zitat entstammt einer E-Mail von Wolfgang Müller an Jürgen Fuchs vom 2.05.1997.

[103] E-Mail von Wolfgang Müller an Ernest Kuczyński vom 7.05.2018.

[104] Das Zitat entstammt einer E-Mail von Jürgen Fuchs an Wolfgang Müller vom 4.05.1997.

[105] Vgl. Edwin Kratschmer (Hg.), Literatur + Diktatur, Jena 1997; Wolfgang Müller, Tagungsbericht in der online-Zeitschrift „Glossen“: http://www2.dickinson.edu/glossen/heft4/tagung.html

[106] http://www2.dickinson.edu/glossen/heft5/fuchs.html (abgerufen am 31.07.2018).

[107] In diesem Beruf war Fuchs tätig seit 1980 in „Treffpunkt Waldstraße“. Vgl. Christa Moog, Das Projekt „Waldstraße“. Jürgen Fuchs und die Betreuung von Problemkindern. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 474-488.

[108] Vgl. „Zeszyty Literackie”, Nr. 17/1987 (S. 23-24) sowie Nr. 67/1999 (S. 184).

[109] Helga Hirsch, Niewyrozumiały pośród sprawiedliwych, „Tygodnik Powszechny“, Nr. 30, 25.07.1999, S. 7. Das Zitat wurde der deutschen Fassung entnommen: Helga Hirsch, Der Unnachsichtige unter den Aufrechten. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 50.

[110] Ebenda, S. 54.

[111] Vgl. Jürgen Fuchs, „… und wann kommt der Hammer?“ – Psychologie, Opposition und Staatssicherheit, Berlin 1990; Klaus Behnke, Jürgen Fuchs (Hg.): Zersetzung der Seele. Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi, Hamburg 1995 (Neuauflage: Leipzig, 2010).

[112] Ewa Matkowska, Syndrom ofiar Stasi. Metody destrukcji stosowane w więziennictwie NRD, „Arcana”, Nr. 4-5/2002, S. 165-172; dies. System. Obywatel NRD pod nadzorem tajnych służb, Kraków 2003, S. 128-141; dies., Anschaulichkeit in der Lyrik von Jürgen Fuchs.Tagesnotizen (1979). In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017,  S. 213-222.

[113] Vgl. Anne-Marie Corbin-Schuffels, Images de la Stasi et travail de mémoire. In: L’opinion publique dans les pays de langue allemande (hrsg. von André Combes, Françoise Knapper), Paris 2006, S. 299-309; dies., Présentation, „Germanica“, Nr. 25/1999 (http://germanica.revues.org/2325).

[114] Sibylle Goepper, Jürgen Fuchs: écrivain et homme d’action – une incarnation est-allemande de l’intellectuel ‹à la française›. In: „Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande“, Nr. 46 (2014), 2 (Intellectuels et politique en Allemagne), S. 393-408.

[115] Vgl. Carol Anne Costabile-Heming, Jürgen Fuchs. Documenting Life, Death and the Stasi. In: German Writers and the Politics of Culture. Dealing with the Stasi (hrsg. von Paul Cooke und Andrew Plowman), New York 2003, S. 213–226; dies.: Preserving the Self: Constructs of Memory and Biography in the Works of Jürgen Fuchs. In: „Edinburgh German Yearbook”, Vol. 9 (2015), S. 163-177;

[116] Andrew Plowman, „Eine Armee wie jede andere auch“? Writers and Filmakres Remember the Nationale Volksarmee. In: Twenty Years On. Competing Memories oft the GDR in Postunification German Culture (hrsg. von Renate Rechtien, Dennis Tate), New York, S. 114-125.

[117] Carol Anne Costabile-Heming, Preserving the Self…a.a.O., S. 170-171, 172-173.

[118] Vgl. Rezension von „Magdalena“ in „Więź“, Nr. 7 (513), 2001, S. 190 (eigene Übersetzung).

[119] Vgl. Udo Scheer, Jürgen Fuchs…a.a.O., S. 329-342.

[120] Vgl. Marion Brandt, Die Aufarbeitung der Verbrechen der Staatssicherheit in den Romanen Magdalena (1999) von Jürgen Fuchs und Czas niedokonany (2011) von Bronisław Wildstein. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017,  S. 231.

[121] Ebenda

[122] Vgl. Marion Brandt, Für eure und unsere Freiheit? Der Polnische Oktober und die Solidarność-Revolution in der Wahrnehmung von Schriftstellern aus der DDR, Berlin 2002.

[123] Marion Brandt (Hg.), Fortschritt, unverhofft. Deutschsprachige Schriftsteller und die Solidarność – eine Anthologie, Osnabrück 2016, S. 9-10.

[124] Marion Brandt, Für eure und unsere Freiheit…a.a.O., S. 519.

[125] Vgl. Jürgen Fuchs, Einmischung in eigene Angelegenheiten. Gegen Krieg und verlogenen Frieden, Reinbek 1984, S. 51, 113.

[126] Vgl. Marko Martin, Utopia ist hier. Zwischen Skepsis, Neugier und Engagement: Jürgen Fuchs? Leben und Schreiben in West-Berlin. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017,  S. 73.85.

[127] Jürgen Fuchs, Einmischung in eigene Angelegenheiten…a.a.O., S. 22.

[128] Der Film La décomposition de l’âme (81 Min.) ist abrufbar unter: www.youtube.com/watch?v=i6Coo00zV0A

[129] https://vimeo.com/ondemand/zersetzungderseele (abgerufen am 4.08.2018).

[130] Doris Liebermann, „Was soll ich tun“…a.a.O., S. 106.

[131] Vgl. Jürgen Fuchs (1950-1999). Wiersze, „Tygodnik Powszechny”, Nr. 18/2007, S. 19.

[132] Vgl. Jean-Pierre Hammer, Es war einmal die DDR, Berlin 2014, S. 228-239.

[133] Vgl. Utz Rachowski, Miss Zuki czyli Ameryka jest całkiem blisko! Wiersze wokół pewnego psa, Wrocław 2015.

[134] Ebenda, S. 7. Die deutsche Fassung des Zitats stammt aus: Utz Rachowski, Jürgen Fuchs kommt nach Polen. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 27-28.

[135] Nach der Konferenz in Breslau erschien in deutsch-polnischer Kooperation der Tagungsband Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017.

[136] Edwin Kratschmer, der sich als erster mit der Wirkung des literarischen Werks von Jürgen Fuchs beschäftigte, hat folgendes konstatiert: „Außerhalb Deutschlands wur­den Werke bzw. einzelne Texte von Jürgen Fuchs in neun Sprachen und zwölf Ländern veröffentlicht, und zwar in Australien, Dänemark, England, Frankreich, Italien, Korea, den Niederlanden, Polen, Schwe­den, Südafrika, Tschechien und in den USA“ (Vgl. Edwin Kratschmer, „Papier, wir haben Feinde“. In: Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs (Hg. Ernest Kuczyński), Halle 2014, S. 214.). Der Autor dieser Zeilen konnte im Zuge seiner Recherchen diese Angaben nicht bestätigen. Auch die Kontaktaufnahme mit Edwin Kratschmer war wegen seiner Erkrankung nicht möglich.

[137] Vgl. Udo Scheer, Jürgen Fuchs…a.a.O., S. 337.

[138] Jürgen Fuchs, Mildere Zeiten wären nicht schlecht, „Süddeutsche Zeitung“, 7/8.11.1987, S. 162.

[139] Einen Schritt in diese Richtung setzte bereits die Germanistin Marion Brandt. Vgl. Die Aufarbeitung der Verbrechen der Staatssicherheit in den Romanen Magdalena (1999) von Jürgen Fuchs und Czas niedokonany (2011) von Bronisław Wildstein. In: Sagen, was ist! Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik (Hg. Ernest Kuczyński), Dresden-Wrocław 2017, S. 223-234.

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